| Titel: | Schnellbetrieb auf den Eisenbahnen der Gegenwart. | 
| Autor: | M. Richter | 
| Fundstelle: | Band 318, Jahrgang 1903, S. 807 | 
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                        Schnellbetrieb auf den Eisenbahnen der
                           								Gegenwart.
                        Von Ingenieur M. Richter,
                           									Bingen.
                        (Fortsetzung von S. 199 d. Bd.)
                        Schnellbetrieb auf den Eisenbahnen der Gegenwart.
                        
                     
                        
                           b) Verbundlokomotiven.
                           An Hand der Darstellungen der Trieb Werksanordnungen und der dazu gehörigen Tabelle
                              									auf S. 350, 316, 1901, sei auch im folgenden die
                              									Einteilung der Verbundsysteme hauptsächlich auf Grund der Anzahl, Lage und
                              									Verteilung der Zylinder vorgenommen. Für den Schnellbetrieb haben diese
                              									Gesichtspunkte allein Bedeutung, während die Art der Anfahrvorrichtung bei ihrem
                              									rein konstruktiven Interesse nicht in Betracht kommen kann, sondern höchstens der
                              
                              									Vollständigkeit wegen Erwähnung finden muss, um so mehr, als die Systeme der
                              									Anfahrvorrichtung, wie früher bereits erwähnt, zahllose sind.
                           Es sollen unterschieden werden: die unsymmetrische Verbundmaschine mit zwei
                              									Zylindern, die symmetrische mit drei, und mit vier Zylindern, und zwar letztere in
                              									Tandemanordnung, in Vauclainscher Bauart (beide durch
                              									gewöhnliches „Zwillings“-Triebwerk ausgezeichnet), und mit
                              									„Vierlings“-Triebwerk nach de Glehn und v. Borries-Webb.
                           
                              
                                 A. Zweizylinder-Verbundlokomotiven.
                                 
                              Die unsymmetrische Verbundmaschine, Kl. I der Tabelle, hat in den letzten 15
                                 										Jahren rasch an Verbreitung gewonnen, nachdem durch die Bemühungen von v. Borries und durch sein fortwährend verbessertes,
                                 										ursprünglich ganz automatisches Anfahrventil, die Versuchslokomotiven der
                                 										Hannoverschen Eisenbahndirektion sich erfolgreich bewährt hatten, so dass
                                 										allmählich das Interesse für die Verbundmaschine allgemeiner Wurde, wozu
                                 										besonders die Weltausstellung Paris 1889 das ihrige beitragen konnte. In dem
                                 										ungeheuren Gebiet der deutsch-österreichischen Vereinsbahnen ist bis auf zu
                                 										zählende Ausnahmen die unsymmetrische Verbundmaschine für Personen- und
                                 										Güterzugdienst allgemein zur Anwendung gekommenund erfreut sich auch
                                 										ausserhalb dieses Gebietes mancher Anerkennung; in England dagegen, wo Worsdell gleichzeitig mit v. Borries seine Versuche auf der Nordostbahn unternahm, sind diese
                                 										ohne praktischen Erfolg geblieben und keine zweizylindrigen Verbundmaschinen
                                 										mehr gebaut worden; in Nordamerika kommt die Bauart zwar vor, aber mehr im
                                 										Güter- als im Personenzugsdienst, und ist überhaupt nur vereinzelt zur Anwendung
                                 										gekommen, was mit ihren, teils tatsächlich vorhandenen, teils auch nur
                                 										scheinbaren Uebelständen zusammenhängt.
                              Die Vor- und Nachteile der unsymmetrischen Verbundmaschine sind kurz
                                 										folgende:
                              Mit der Zwillingsmaschine hat sie das einfache Triebwerk gemeinsam; sie ist daher
                                 										möglichst billig in der Anlage und im Betrieb, da sie sehr selten Reparatur
                                 										erfordert; ebenso teilt sie mit jener das geringste Dienstgewicht; nachteilig
                                 										ist im Vergleich zu jener die Notwendigkeit eines mehr oder weniger verwickelten
                                 										Anfahrventils von mehr oder weniger grosser Zuverlässigkeit, sowie die damit
                                 										zusammenhängende, geringere Tauglichkeit beim Anfahren.
                              Was die heutzutage, für die hohen Geschwindigkeiten erforderliche Ruhe des Ganges
                                 										betrifft, so ist dieselbe natürlich unter gleichen Umständen, d.h. gleichem
                                 										Ausgleich der hin- und hergehenden Massen und gleichem Radstand, so gross wie
                                 										bei der Zwillingsmaschine. Die theoretischen, sehr eingehenden Untersuchungen
                                 										von v. Borries („Neuere Fortschritte im
                                    											Lokomotivbau“, Zeitschr. d. Ver. deutsch. Ing., 1902) haben ergeben,
                                 										dass weder ungleiche Arbeiten auf beiden Seiten, wie sie sich bei nicht
                                 										zusammenpassenden Füllungen und Kolbendrücken häufig (vielleicht immer)
                                 										einstellen, noch ungleiche Kolbengewichte einen Einfluss auf den Gang der
                                 										Maschine haben, obwohl besonders der erste Punkt im Widerspruch zu der
                                 										landläufigen, dem natürlichen Gefühl entspringenden Meinung steht, wonach
                                 										ungleiche Arbeiten ein einseitiges Schlingern, „Hinken“, hervorbringen
                                 										müssten; der Gegenbeweis ist einfach die gegenseitige Aufhebung von Kolbendruck
                                 										und Zylinderdeckeldruck durch Vermittlung des Rahmens, wodurch es auch ganz
                                 										allein erklärt wird, dass bei Beschädigung einer Maschinenseite ohne Störung
                                 										nachweislich ohne weiteres mit dem anderen Zylinder allein weitergefahren werden
                                 										kann.
                              Besondere Nachteile zeigen sich also hierin nicht, wohl aber auch keine Vorteile;
                                 										zu vermissen ist vor allem eine Möglichkeit, die Massen anders als durch
                                 										rotierende Gegengewichte auszugleichen; und dieser Mangel ist der
                                 										schwerwiegendste und trägt das meiste dazu bei, dass die unsymmetrische
                                 										Verbundlokomotive, zumal die vierachsige, über kurz oder lang im Schnellverkehr
                                 										ausgespielt hat. Jetzt, wo die Leistungsfähigkeit der Lokomotiven fortwährend
                                 										sich steigert, wo also immer grössere Zylinder erforderlich werden, tritt auch
                                 										dieser Uebelstand, die Ausgleichung der hin- und hergehenden Massen, welche sich
                                 										unaufhörlich vergrössern, immer mehr hervor und verlangt dringend Abhilfe; man
                                 										bedenke, was es heisst, wenn ein Niederdruckkolben von 80 cm Durchmesser 300 mal
                                 										in der Minute sein Spiel machen soll!
                              Konstruktiv ist endlich zu erwähnen, dass mit der Vergrösserung der Zylinder ihre
                                 										Unterkunft am Rahmen immer schwieriger wird; ausserhalb der Rahmen schneiden sie
                                 										das Normalprofil, innerhalb machen sie Rahmenkröpfungen nötig.
                              Es ist unter solchen Umständen, wo Sparsamkeit in Wasser- und Kohlenverbrauch
                                 										wirklich der einzige, aber mit einer Anzahl von Unbequemlichkeiten erkaufte
                                 										Vorzug eines Systemes ist, die sichere Ueberholung desselben durch andere
                                 										Systeme nur eine Zeitfrage, deren Lösung schon jetzt allenthalben im Gange ist,
                                 										obwohl die unsymmetrische Verbundmaschine so wie so erst seit kurzer Zeit
                                 										Bedeutung erlangt hat.
                              Von Mustern dieses Systems seien nun erwähnt:
                              
                                 
                                 Textabbildung Bd. 318, S. 808
                                 Fig. 57. Preussische Staatsbahn.
                                 
                              1. Die Schnellzuglokomotive der preussischen
                                    											Staatsbahn (Fig. 57) ist fast ohne
                                 										geringste Abänderung, etwa seit dem Jahre 1889, in unzähligen Exemplaren von
                                 										sämtlichen preussischen Lokomotivbaufirmen (auch von Grafenstaden) immer von neuem wieder gebaut worden und hat sich vor
                                 										etwa 10 Jahren durch vorzügliche Leistungsfähigkeit, Sparsamkeit und elegantes
                                 										Aeussere hervorgethan, während sie heute allerdings nichts mehr bedeutet; ihre
                                 										Leistung ist massig, ihre Grösse sehr bescheiden im Vergleich zu den neueren
                                 										Schöpfungen, auch des einheimischen Lokomotivbaues. Besonderes weist die
                                 										Konstruktion nicht auf; sie ist möglichst einfach gehalten; zu erwähnen ist nur,
                                 										dass der Hochdruckzylinder rechts, der Niederdruckzylinder links in der
                                 										Fahrtrichtung liegt, der Verbinder in die Rauchkammer eingebaut ist und dass die
                                 										älteren Lokomotiven das selbsttätige, die neueren das vom Führer willkürlich zu
                                 										bedienende Anfahrventil besitzen.
                              Der Tender ist meist dreiachsig, mit 12 cbm Wasserraum, die neueren Ausführungen
                                 										sind solche mit zwei zweiachsigen Drehgestellen bei 16 cbm Fassung.
                                 										Bemerkenswert ist auch das nach amerikanischem Muster (seit der Weltausstellung
                                 										Chicago 1893) gebaute, sehr geräumige, helle Fahrerhaus. Das Drehgestell mit
                                 										seitlicher Druckauflage ist genau in der Mitte gelagert und seitlich
                                 										verschiebbar.
                              Diese Lokomotive gehört zu den neueren Normalien der preussischen
                                 										Staatsbahnen und bedient das ganze Netz derselben ohne Unterschied, sie läuft
                                 										ohne Unterschied in Personen- und Schnellzügen aller Art zwischen Mannheim und
                                 										Königsberg, Aachen und Breslau, Hof und Hamburg. Ihre höchste Leistung ist (bei
                                 										120 qm Heizfläche) etwa 850 PS; besonders die älteren Maschinen sind nicht
                                 										imstande, diese Zahl zu überschreiten, da der Niederdruckzylinder infolge zu
                                 										geringer Querschnitte im Anfahrventil stark gedrosselten Dampf erhält und zu
                                 										wenig arbeitet. Die höchst zulässige Geschwindigkeit beträgt 100 km/Std. und
                                 										wird bei einer ganzen Reihe von Schnellzügen neuerdings lange Zeit hindurch
                                 										glänzend ausgehalten, was zur Vermeidung von Verspätungen, bezw. zum Einholen
                                 										derselben, von grossem Werte ist, um so mehr, als das Anfahren etwas schleppend,
                                 										zögernd stattfindet. Die Zuglast beträgt bis zu 45 Achsen hinter dem Tender.
                              Die schnellste Fahrt in Preussen (und Deutschland) ist Hamburg-Wittenberge 159,2
                                 										km in 1 Std. 51 Min., 86 km/Std.
                              Die längste Weitfahrt in Preussen ist Leipzig-Berlin (und umgekehrt) 172,7 km in
                                 										2 Std. 15 Min., 76,7 km/Std.
                              Ausserdem wird eine ganze Reihe von Fahrten mit durchschnittlichen
                                 										Geschwindigkeiten (im Fahrplan) bis zu 84 km/Std. ausgeführt, zum Teil mit
                                 										schweren Zügen; hier zeichnen sich aus die Strecken Berlin-Hamburg, und
                                 										Berlin-Halle.
                              Für Personenzugsdienst, sowie schweren Schnellzugsdienst, besonders im Hügelland,
                                 										ist dieselbe Maschine auch mit Triebrädern von 1750 mm Durchmesser, im übrigen
                                 										aber genau gleich, ausgeführt. Beide Typen sind ausserdem teilweise noch nach
                                 										dem Zwillingssystem gebaut, was im Personenzugdienst mit häufigem Anfahren von
                                 										Vorteil ist. Diese Personenzuglokomotiven mit niederen Triebrädern haben eine
                                 										Höchstgeschwindigkeit von 90 km/Std., was einer Umdrehungszahl von 275 i. d.
                                 										Minute entspricht. Zum Vergleich sind auch die Abmessungen der letzteren in die
                                 										Tabelle aufgenommen.
                              Diese Bauart ist unverändert auch auf die Elsässer Bahnen, sowie mit geringen
                                 										Abänderungen auf die Russischen Staatsbahnen übernommen worden.
                              In gebirgigen Ländern hat sich ebenfalls diese Gattung Eingang verschafft, und
                                 										die Verkleinerung der Triebräder von 1980 mm (Flachland) auf 1850, 1750, 1650 mm
                                 										hat bei genügendem Adhäsionsgewicht von 30 bis 32 t ohne Kupplung einer dritten
                                 										Achse die gewünschte Steigerung der Zugkraft erzielen lassen. Solche Lokomotiven
                                 										sind deshalb normal geworden in Bayern, Sachsen, Elsass, auf der
                                 										Jura-Simplon-Bahn und in Württemberg, wo der erwähnte geringste Raddurchmesser
                                 										angewendet ist; die höchst zulässige Geschwindigkeit ist in allen diesen Fällen
                                 										90 km/Std.
                              Von den Anfahrvorrichtungen ist zu berichten, dass im allgemeinen das v. Borriessche Ventil benutzt wird; in Bayern
                                 										dagegen eine von der Steuerwelle aus selbsttätig bediente Einrichtung von Maffei, welche bei Ueberschreitung eines gewissen
                                 										Füllungsgrades ausgelöst wird, sodass Frischdampf zum Niederdruckzylinder geht.
                                 										In Württemberg ist nach Gölsdorfschem System kein
                                 										Anfahrventil vorhanden, sondern das Gesicht des Niederdruckschiebers besitzt
                                 										Bohrungen und Einkerbungen, durch welche, ebenfalls bei Ueberschreiten einer
                                 										bestimmten Füllung, Frischdampf in den Niederdruckzylinder gelangt. Dadurch
                                 										werden Füllungen bis zu 95 v. H. erreicht, und bei dem Wegfall sämtlicher Hähne,
                                 										Stangen, Hebel und Federn anderer Muster ist ein Versagen durchaus
                                 										unmöglich.
                              Bei der grossen Ausdehnung des bayrischen Bahnnetzes kann hier auch die Schnellzuglokomotive der bayrischen Staatsbahn
                                 										besprochen werden. Ihre Abmessungen sind denjenigen der entsprechenden Maschine
                                 										der Jura-Simplon Bahn gegenübergestellt. Ihre Gesamtanordnung ist ziemlich
                                 										ähnlich wie bei der vorigen; der Radstand des Drehgestelles etwas länger, der
                                 										gesamte etwas kürzer; die Leistung ist annähernd dieselbe, die Zugkraft etwas
                                 										grösser. Die vielteilige, aber in ihrer Wirkungsweise sehr durchsichtige Maffeische Anfahrvorrichtung wird vom Steuerhebel
                                 										der Heusinger Steuerung aus betätigt (rechts, auf
                                 										der Hochdruckseite liegend); sie ist genau beschrieben im Bericht über die
                                 										Nürnberger Ausstellung 1896 von Brückmann
                                 										(Zeitschrift d. Ver. deutscher Ing. 1897, S. 97 ff).
                              
                              Die Schnellzuglokomotive der Jura-Simplon Bahn, in Winterthur 1892-95 gebaut, bedient
                                 										die ganze Jura-Linie von Basel bis Genf mit ihren teilweise sehr grossen und
                                 										andauernden Steigungen und schweren Zügen. Zugkraft und Leistung, sowie
                                 										Gesamtanordnung sind den vorigen ähnlich. Die Anfahrvorrichtung ist die ältere
                                 										von v. Borries. Bemerkenswert ist die Steuerung
                                 										nach amerikanischer Art: innenliegende Stephenson-Steuerung mit Zwischen welle zur Uebertragung auf die aussen
                                 										liegenden Schieber.
                              Die beste, fahrplanmässige Fahrt dieser Lokomotive (zum Schnellfahren ist bei der
                                 										Bodenbeschaffenheit der Schweiz nicht viel Gelegenheit) ist:
                              Lausanne-Genf 61 km in 55 Min., 66,5 km/Std.
                              Uebrigens eignet sich die Maschine, wie die vorigen, auch zum richtigen
                                 										Schnellfahren. So wurde schon die Strecke Nyon-Genf, 22 km, infolge einer
                                 										Verspätung mit einem Zug von 240 t h. T. in 16 Min. zurückgelegt, was einem
                                 										Durchschnitt von 82,5 km/Std. zwischen den Haltestellen entspricht. Bei der
                                 										grossen Zuglast von rund 330 t im ganzen und der kurzen Strecke bedeutet dies
                                 										eine sehr hohe Leistung; die Bauvorschrift für die Lokomotive war dagegen nur
                                 										die Beförderung eines Zuges von 180 t h. T. mit 45 km/Std. auf der Steigung von
                                 										1 : 100, was heute meistens weit überholt ist.
                              2. Die Schnellzuglokomotive der österreichischen
                                    											Staatsbahnen ist bedeutend grösser und stärker als diejenige der
                                 										preussischen Bahnen. Bemerkenswert sind: der (schon seit 1893 so üblich)
                                 										hochliegende Kessel, das Domverbinderohr zur Dampftrocknung, der grosse Radstand
                                 										des bremsbaren Drehgestelles mit Zapfen hinter der Mitte zur Verminderung des
                                 										führenden Spurkranzdruckes, die oben erwähnte Gölsdorfsche, höchst einfache Anfahrvorrichtung; die niedrige, lange
                                 										Feuerbüchse mit schräger Hinterwand; die Sicherheitsventile System Pop.
                              
                                 
                                 Textabbildung Bd. 318, S. 809
                                 Fig. 58. Oesterreichische Staatsbahn.
                                 
                              Die Lokomotive ist in 3 Serien nacheinander gebaut worden, deren letzte, vom Jahr
                                 										1902, die fortschrittlichste darstellt, Serie 2 (1900) ist durch die Skizze
                                 											(Fig. 58a), Serie 3 durch die Photographie
                                 											(Fig. 58b) dargestellt. Hinsichtlich der
                                 										Hauptabmessungen ist ein Unterschied zwischen den drei Serien nicht zu bemerken;
                                 										der höchst zulässige Druck einer Triebachse ist durchwegs 14,5 t; das
                                 										Gesamtgewicht ist besonders dadurch etwas vermindert worden, dass der zweite Dom
                                 										nebst Verbinderohr jetzt weggefallen ist; der Kessel ist so hoch gelegt worden
                                 										(bei den neuesten 2,83 m über S. O.), dass nach amerikanischem Muster die
                                 										Feuerbüchse über die Rahmen kam und um etwa 200 mm verbreitert werden konnte.
                                 										Der dreiachsige Tender fasst 16,5 cbm Wasser und 6 t Kohlen und wiegt
                                 										dienstbereit 38 t.
                              Auf diese Art ist eine 2/4 gek. Lokomotive freiester Form entstanden, wie
                                 										sie sonst ausserhalb von Amerika nicht zu finden ist. Die Aufgaben dieser
                                 										Maschinengattung sind:
                              
                                 \left{{\mbox{240 t h. T.}}\atop{\mbox{200 t}\ \ "\ \ "\ }}\right\}\mbox{auf 1 : 100}\left\{{{\mbox{mit 40 bis 45 km/Std.}}\atop{\
                                    "\ \ 40\ \ "\ \ 55\ \ \ "\ \ \ \ \ \ }}\right
                                 
                              
                                 160\mbox{ t h. T.}\left\{{{\mbox{auf 1 : 100 mit 60 km/Std.}}\atop{\ \ \ "\ \ 1\,:\,333\ \ "\ \ \ 90\ \ \ "\ \ \ \ \ \ \ \
                                    }}\right
                                 
                              Ihrem Aussehen nach hat man hier eine Flachlandlokomotive vor sich, wofür
                                 										besonders die hohen Triebräder sprechen (2140 mm), jedoch zeigen diese
                                 										Bedingungen, dass sie fast ausschliesslich für dauernde, massige Steigungen
                                 										bestimmtist. Die Leistungen sind kurz so zu schätzen (Lokomotivgewicht mit
                                 										Tender zu 90 t angenommen):
                              
                                 \underset{Belastung:}{Grosste}\left\{{{W=330\,(2,4+\frac{45^2}{1300}+10)=330\cdot 14=4600\mbox{ kg}}\atop{N=4600\cdot \frac{45}{270}=770\mbox{
                                    PS.}\ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ }}\right
                                 
                              
                                 \underset{Belastung:}{Kleinste}\left\{{{W=250\,(2,4+\frac{90^2}{1300}+3)=250\cdot 11
                                    6=2900\mbox{ kg}}\atop{N=2900\cdot \frac{90}{270}=970\mbox{ PS.}\ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \
                                    }}\right
                                 
                              Bei 138 qm hat man also
                              \frac{N}{H}=\frac{770}{138}=5,6 bezw. =\frac{970}{138}=7,1\mbox{ PS/qm}
                                 									
                              was die richtigen Werte für die entsprechenden
                                 										Tourenzahlen sind.
                              
                                 
                                 Textabbildung Bd. 318, S. 809
                                 Fig. 58b.Oesterreichische Staatsbahn.
                                 
                              Für die gute Einstellung in Kurven spricht der Umstand, dass Kurven von bis 375 m
                                 										Radius anstandslos mit 80 km/Std. durchfahren werden. Die Lokomotive war 1900 in
                                 										Paris ausgestellt.
                              Trotz dieser äusserst leistungsfähigen Lokomotive weist der österreichische
                                 
                                 										Fahrplan als höchste Reisegeschwindigkeit nur 73 km/Std. auf, bleibt also um 13
                                 										km/Std. noch hinter Deutschland zurück.
                              3. Die Schnellzuglokomotive der Schweizer
                                    											Nordostbahn, gebaut in Winterthur, seit 1899 16 Stück, war ebenfalls
                                 										1900 in Paris ausgestellt! Sie bedient das ganze im Profil sehr Wechsel volle
                                 										Netz dieser Bahn, welches dauernde Steigungen bis 1:80 in Menge besitzt, und ist
                                 										bestimmt, Züge von 240 t Gewicht h. T. auf der Steigung 1 : 100 mit 45-50
                                 										km/Std. Dauergeschwindigkeit zu befördern. Diese Bedingung ist dieselbe, wie bei
                                 										der vorigen Lokomotive der österreichischen Staatsbahnen, wird aber hier durch
                                 										einen viel kleineren Kessel erfüllt, weil die Triebräder bedeutend geringeren
                                 										Durchmesser haben und deshalb durch ihre höhere Tourenzahl bei gleicher
                                 										Geschwindigkeit die Wirkung des Blasrohres auf die Kesselleistung verstärken.
                                 										Dementsprechend ist das Dienstgewicht der Maschine geringer (um etwa 6 t), und
                                 										der kommerzielle Wirkungsgrad der Lokomotive, bei gleichen Bedingungen, ein
                                 										höherer. Immerhin ist dadurch die Beanspruchung des Kessels sehr stark geworden
                                 										und geht weit über die normale hinaus; da die innere Kesselheizfläche etwa 115
                                 										qm (äussere 128,5 qm) ist, so ist bei der erwähnten Bedingung
                              
                                 \frac{N}{H}=\frac{770}{115}=6,7\mbox{ PS/qm}
                                 
                              dabei ist aber die Tourenzahl
                              
                                 n=5310\,\frac{V}{D}=5310\,\frac{45}{1830}=130\mbox{ i. d. M.}
                                 
                              normal wäre daher
                              
                                 \frac{N}{H}=0,46\,\sqrt{130}=5,2\,PS/qm
                                 
                              zu erwarten.
                              Der Faktor a der Wurzel beträgt daher nicht 0,46,
                                 										sondern nicht weniger als 0,59 und gleicht deshalb demjenigen der
                                 										Heissdampflokomotive! Dies ist um so erstaunlicher, als die Lokomotive keinen
                                 										Dampfdom und keine Wasserabscheidung besitzt, geschweige denn einen Ueberhitzer!
                                 										Es ist dies somit eine ganz vorzügliche Konstruktion, wozu die hervorragend
                                 
                                 										schöne und elegante Formgebung und Ausführung im Einklang steht. In Paris wurde
                                 										dies auch einstimmig von den ausländischen (auch amerikanischen) Fachleuten
                                 										anerkannt.
                              Die Besonderheiten der Lokomotive (Fig. 59) sind:
                                 										innere, schwach geneigte Zylinder mit seitlich darüber liegenden Schieberkästen,
                                 										welche den Rauchkammersattel in die Mitte nehmen; Exzentergegenkurbel
                                 
                                 										ausserhalb, also äussere Exzenterstangen mit Uebertragung auf die innen
                                 										liegenden Coulissen: Rahmen vor den Triebrädern gekröpft um die Zylinder
                                 										aufnehmen zu können. Anfahrventil selbsttätig: ein Wechselkolbenschieber,
                                 										welcher durch einen davor liegenden Dampfkolben verschoben wird, sobald sich
                                 										durch Auslage des Steuerhebels über 70 v. H. Füllung im kleinen Zylinder
                                 										zwangläufig ein kleines Dampfventil (unter der hinteren Schieberstopfbüchse
                                 										rechts) öffnet.
                              
                                 
                                 Textabbildung Bd. 318, S. 810
                                 Fig. 59. Schweizer Nordostbahn.
                                 
                              
                                 
                                 Textabbildung Bd. 318, S. 810
                                 Fig. 60. Kansei – Bahn.
                                 
                              Der Kessel besitzt, wie schon erwähnt, in Analogie zu sämtlichen Lokomotiven der
                                 										Nordostbahn, keinen Dampfdom, sondern ein Sammelrohr mit Schlitzen nach oben,
                                 										welches in der Rauchkammer in den Regulatorkopf mit wagerechtem Schieber
                                 										übergeht. Es sind zwei doppelte Ramsbottomsche
                                 										Federventile vorhanden, eines vor dem gut (nach preussischem Muster)
                                 										beschaffenen Führerstand, das andere über dem Mannloch. Die Feuerbüchse besitzt
                                 										ein kurzes Feuergewölbe. – Der Tender ist dreiachsig und fasst 12 cbm Wasser und
                                 										4 t Kohlen bei 28,7 t Dienstgewicht. Die Westinghousebremse wirkt auf die Trieb-
                                 										und Tenderräder.
                              Seit der Einführung dieser Maschinengattung sind die Fahrzeiten einer ganzen
                                 										Reihe von Zügen auch unter den schwierigsten Verhältnissen bedeutend verkürzt
                                 										worden; besonders fühlbar ist dies auf der Strecke Basel-Zürich, 90 km
                                 										(Bötzbergbahn), welche nun mit mehrfachem Anhalten in 1 Std. 45 Min., ohne
                                 										Anhalten in 1 Std. 37 Min. durchfahren wird, gegen 2 Std. 10 Min. noch im Jahre
                                 										1899.
                              4. Die Schnellzuglokomotive der Kansei-Bahn, Japan, (Fig.
                                    											60), gebaut 1900 von den Pittsburgh Locomotive
                                    											Works,soll hier ebenfalls betrachtet werden als Muster einer
                                 										amerikanischen, unsymmetrischen Verbundmaschine, welche nur vereinzelt zu finden
                                 										ist. Bis auf wenige Ausnahmen, welche hauptsächlich dem Güterzugdienst
                                 										angehören, ist die amerikanische Verbundmaschine nach Tandem- oder nach Vauclainscher Bauart, also vierzylindrig
                                 										symmetrisch konstruiert.
                              Das hier erwähnte Muster ist für eine Bahn bestimmt, welche, wie in Japan,
                                 										Südafrika und Australien ausschliesslich üblich, nur 1067 mm (3' 6'' engl.)
                                 										Spurweite, dabei aber durchaus Hauptbahn-Material und –Betrieb in etwas
                                 										verkleinertem Masstabe besitzt. Die grösste Masse der Lokomotiven aller dieser
                                 										Bahnen stammt aus Amerika, und so zeigt auch diese hier rein amerikanische
                                 										Bauart.
                              Abweichend davon sind nur: die europäischen Puffer mit Wegfall des
                                 											„cow-catcher“, sowie der dreiachsige Tender (9,2 cbm Wasser und 3 t
                                 										Kohlen) mit hinterem Drehgestell. Die Abmessungen sind verhältnismässig sehr
                                 										gross, woraus sich auch die Art des Betriebes schliessen lässt; als höchste
                                 										Geschwindigkeit wird man vielleicht 80 km/Std. als höchste Leistung 600 PS oder
                                 										so annehmen können. Das Streckenprofil ist sehr wechselvoll, die
                                 										Reisegeschwindigkeit daher nur gering, beim schnellsten Zug 48 km/Std. Dabei
                                 										führt z.B. der „Tokio-Express“ 6 lange Durchgangs wagen nach
                                 										amerikanischer Art.
                              Die hier angewendete Anfahrvorrichtung ist derjenigen bei der Lokomotive der
                                 										Schweizer Nordostbahn ähnlich; ein Wechselschieber ist in die Ausströmung des
                                 										Hochdruckzylinders eingebaut und wird entweder zwangläufig durch einen
                                 
                                 										Dampfzylinder, welcher durch den Steuerhebel geöffnet wird, oder auch beliebig
                                 										von Hand verstellt; erstere Einstellung ist beim gewöhnlichen Ingangbringen
                                 										eines Zuges, letztere bei aussergewöhnlichen Fällen (z. Z. kurzen Steigungen),
                                 										oder beim Verschiebedienst üblich, so dass die Lokomotive ganz nach Belieben als
                                 										selbsttätig anfahrende Verbund- oder als Zwillingsmaschine dienen kann.
                              Andere Beispiele der unsymmetrischen Anordnung können, soweit es sich um
                                 										Personenzuglokomotiven handelt, kaum aufgezählt werden; die bemerkenswerten sind
                                 										hier erledigt.
                              
                                 
                                    (Fortsetzung folgt.)