| Titel: | Beitrag zur Frage der Fabrikation komprimierten Sauerstoffs. | 
| Autor: | L. Michaelis | 
| Fundstelle: | Band 323, Jahrgang 1908, S. 209 | 
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                        Beitrag zur Frage der Fabrikation komprimierten
                           								Sauerstoffs.
                        Von Dr. L. Michaelis.
                        Beitrag zur Frage der Fabrikation komprimierten
                           								Sauerstoffs.
                        
                     
                        
                           Komprimierter Sauerstoff für industrielle und medizinische Zwecke wird seit
                              									Anfang der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts dargestellt. Nachdem einige
                              									Werke, welche das Verfahren von Boussingault in
                              									Verwendung genommen hatten, infolge der Unvollkommenheit dieses Verfahrens den
                              									Betrieb wieder eingestellt hatten, gelang es den beiden Brüdern Brin, das Verfahren von Boussingault derartig zu verbessern, daß mit Vorteil und in ökonomischer
                              									Weise Sauerstoff technisch erzeugt werden konnte.
                           Das Verfahren der Brüder Brin besteht darin, über
                              									Bariumoxyd, welches auf eine bestimmte Temperatur erhitzt ist, Luft zu leiten und
                              									hierdurch Bariumsuperoxyd zu bilden. Dieses Bariumsuperoxyd, auf einige Grade höher
                              									erhitzt, als seine Bildungstemperatur betrug, zerfällt in Bariumoxyd und Sauerstoff.
                              									Dieser einfache, schon von Boussingault beobachtete
                              									Prozeß wurde von Brin dadurch technisch brauchbar
                              									gestaltet, daß die Imprägnation des Bariumoxydes unter Druck und die Spaltung des
                              									Bariumsuperoxydes im luftverminderten Raume vorgenommen wurde, so daß Bildungs- und
                              									Zersetzungstemperatur sehr nahe aneinandergerückt wurden; ferner wurde die
                              									übergeleitete Luft vollständig von Kohlensäure und Feuchtigkeit befreit und
                              									hierdurch die Bildung von kohlensaurem Baryt und Aetzbaryt ausgeschlossen. Das
                              									Verfahren ist im Laufe der Jahre noch mannigfach verbessert worden, aber nach
                              									Information des größten und am besten eingerichteten Londoner Werkes einer weiteren
                              									Verbesserung nicht mehr fähig.
                           In der Mitte der neunziger Jahre entstanden Werke zur Darstellung von komprimiertem
                              									Sauerstoff auf elektrolytischer Basis. Hier sind es vor
                              									allen fünf Verfahren, welche in der Technik Eingang gefunden haben:
                           
                        
                           1. Garuti, 2. Schuckert, 3. Dr. Schmidt,
                              									Zürich, 4. Hasard Flamand, 5. Renard.
                           Allen genannten Verfahren gemeinsam ist die Zersetzung alkalischer Lösungen durch den
                              									elektrischen Strom; sie unterscheiden sich, indem das Verfahren von Schmidt und Renard mit
                              									porösen Diaphragmen aus nicht leitendem Material, das Verfahren von Garuti und Schuchert mit
                              									durchbrochenen oder vollen leitenden Scheidewänden arbeitet.
                           Eine kurze Zeit war in Deutschland auch das Verfahren Kassner in Betrieb, das durch Peitz (D. R. P.
                              									55604) seine endgültige Ausgestaltung erfahren hat. Bei diesem Prozeß wird
                              									Calciumplumbat, aus Bleiglätte und Kalk zusammengeschmolzen, in
                              									nacheinanderfolgenden Phasen 1. mit atmosphärischer Luft, 2. mit Dampf, 3. mit
                              									Kohlensäure, 4. mit Dampf behandelt, von denen jedes einzelne Gas eine Temperatur
                              									von 700° haben muß, bevor es in die Plumbat-Retorten eintritt. Es hat sich in der
                              									Praxis gezeigt – die Kohlensäurewerke C. G.
                                 										Rommenhöller
                              									A.-G. hatten in ihrer Herster Anlage einige Jahre
                              									lang den Betrieb aufgenommen – daß das Calciumplumbat oft schon nach wenigen Tagen
                              									die Fähigkeit der Sauerstoffaufnahme oder Abgabe verliert. Die Anlage ist bereits
                              									seit vier Jahren außer Betrieb.
                           Zu diesen Verfahren tritt als jüngstes, aber schon jetzt bedeutendstes, seit etwa fünf Jahren die Darstellung des Sauerstoffes aus
                              									flüssiger Luft, welche ganz besonders den Arbeiten Lindes zu verdanken ist. Schon bei seiner ersten
                              									Luftverflüssigungsmaschine, welche nach dem Entspannungssystem arbeitete, das heißt,
                              									den physikalischen Grundsatz ausnutzte, daß komprimierte Gase bei der Entspannung
                              									innere Arbeit leistend sich bedeutend abkühlen, hatte Linde beobachtet, daß die durch die Abkühlung bis auf 195° unter Null
                              									gewonnene verflüssigte Luft etwa 30 v. H. Sauerstoff enthält. Die beiden
                              									Hauptbestandteile der atmosphärischen Luft, die bekanntlich nur ein Gemisch und
                              									nicht eine chemische Verbindung darstellen, zu deren Trennung eine besondere
                              									Arbeitsleistung erforderlich sein würde, unterscheiden sich in verflüssigtem
                              									Zustande auch noch durch eine bedeutende Differenz der Siedepunkte, etwa 13°, was
                              									aber bei der Nähe des absoluten Nullpunktes gemäß der mechanischen Wärmetheorie
                              									einer Differenz von etwa 40° in der Nähe der Temperatur siedenden Wassers
                              									entspricht. Der anscheinenden Einfachheit, diese beiden
                              									Flüssigkeiten durch fraktionierte Destillation zu trennen, stand in Theorie und
                              									Praxis jene Schwierigkeit gegenüber, die man auch bei der Separation von Wasser und
                              									Alkohol beobachten kann, nämlich, daß bei Erwärmung nicht der leichter siedende
                              									Bestandteil allein verdampft.
                           Grundlegende Arbeiten Lindes, die von 1896–1902
                              									reichten, verdichteten sich endlich zu seinem jetzt bekannten Rektifikationsapparate, in welchem den aufsteigenden
                              									sauerstoffreichen Dämpfen von flüssiger Luft frisch erzeugte normal zusammengesetzte
                              									flüssige Luft entgegenrieselt, welche den Sauerstoff der aufsteigenden Dämpfe an
                              									sich nimmt, die äquivalente Menge Stickstoff freiläßt, und sich am Boden des Gefäßes
                              									als hochprozentiger flüssiger Sauerstoff ansammelt. Da gleichzeitig die in der
                              									enormen Kälte liegende Arbeit zum größten Teile wiedergewonnen wurde, ergibt sich,
                              									daß das Verfahren, dessen Einzelheiten hier zu erörtern zu weit führen würde, ein
                              									durchaus kontinuierliches ist; aus 100 cbm kompr. Luft kann man 21 cbm chemisch
                              									reinen Sauerstoff und 79 cbm Stickstoff erhalten.
                           Was nun den Absatz der einzelnen Länder anbelangt, so liegen genauere Zahlen über
                              									England, Deutschland, Frankreich und Belgien vor. Hiernach beträgt der Verkauf
                              									komprimierten Gases in England etwa 150000 cbm, in Deutschland etwa 400000 cbm, in
                              									Frankreich etwa 300 000 cbm, in Belgien etwa 100000 cbm.
                           
                           Ueberaus lehrreich sind die Verbrauchszahlen in Deutschland. Im Jahre 1899
                              									betrug der Verbrauch in Deutschland, welches auch noch die Nordländer, Oesterreich,
                              									Rußland versorgte, etwa 5000 cbm, im Jahre 1900 verdoppelte, im Jahre 1901
                              									verdreifachte er sich. Dann setzte die Firma Rommenhöller mit der Produktion ein, und im Jahre 1902 betrug der
                              									Verbrauch etwa 35000 cbm. Dieser Verbrauch stieg im Jahre 1903 auf etwa 50000, im
                              									Jahre 1905 auf etwa 90000 und 1906 werden von den Vereinigten Sauerstoffwerken regelmäßig monatlich über 10000 cbm
                              									geliefert, 1907 über 24000 cbm monatlich. Rechnet man hierzu die Produktion der
                              									Oxydric mit etwa 60000 cbm, die der Akkumulatorenfabrik
                                 										Hagen mit etwa 10000, von Bayer-Elberfeld etwa
                              									mit der gleichen Zahl, so ergibt das einen augenblicklichen Verbrauch von etwa
                              									400000 cbm und eine Steigerung in 6 fahren von 5000 cbm auf
                                 										400000 cbm.
                           Was die Kosten der Einrichtungen nach den verschiedenen Systemen anbelangt, so seien
                              									Anlagen in Vergleich gezogen, welche eine Produktion von etwa 250 cbm Sauerstoff in
                              									24 Stunden haben.
                           Diese Kosten stellen sich für eine Brins-Anlage nach den
                              									neuesten eingehenden Erfahrungen:
                           
                              
                                 1. 1 Ofen, Halbgenerator mit einer
                                    											Ver-    brennungskammer und einer Retorten-    kammer auf jeder
                                    											Seite
                                 M. 15000
                                 
                              
                                 2. 1 Luftkompressor zum Oxydieren und    Desoxydieren
                                    											des Bariums 
                                 „   20000
                                 
                              
                                 3. 1 Heizdampflokomobile
                                 „     7000
                                 
                              
                                 4. 1 Automat zum Verteilen der Luft für    den
                                    											Ofen
                                 „     5000
                                 
                              
                                 5. 1 Reinigerbatterie, bestehend aus:    2 Kalkreiniger
                                    											und    2 Aetznatronreiniger mit Rohrleitung
                                 „     4000
                                 
                              
                                 6. Erstmalige Füllung des Ofens mit Baryt    = 2250 kg
                                    											für 100 kg M. 120 =
                                 „     2700
                                 
                              
                                 7. 1 Satz Retorten, der im günstigsten    Falle alle 4
                                    											Jahre zu erneuern ist
                                 „     3000
                                 
                              
                                 
                                 ––––––––
                                 
                              
                                 
                                 M. 56700
                                 
                              
                           Die gleiche Anlage nach Schuckert stellt sich wie folgt:
                           
                              
                                 1. 234 Elektrolyseure à M. 350 =
                                 M.   81900
                                 
                              
                                 2. Füllung
                                 „       5100
                                 
                              
                                 3. 1 Kraftmaschine, 160 PS
                                 „     40000
                                 
                              
                                 4. Dynamo
                                 „       7000
                                 
                              
                                 5. Gleitschienen
                                 „       0500
                                 
                              
                                 6. Schalttafel
                                 „       1000
                                 
                              
                                 
                                 –––––––––
                                 
                              
                                 
                                 M. 135500
                                 
                              
                           Die Kosten für eine Linde-Anlage betragen:
                           
                              
                                 1. 1 Maschine No. 4
                                 M. 39500
                                 
                              
                                 2. Heißdampfkessellokomobile 35 PS
                                 „     7500
                                 
                              
                                 
                                 ––––––––
                                 
                              
                                 
                                 M. 47000
                                 
                              
                           Aus vorstehendem ergibt sich, daß in den Anlagekosten die Lindesche Anlage die billigste ist. Bei sämtlichen Anlagen sind Montage,
                              									die Kompressoren zum Komprimieren des Sauerstoffes u.a.m. unberücksichtigt
                              									geblieben, so daß nur die effektive Auslagen für die unmittelbar zur Herstellung von
                              									Sauerstoff notwendigen Maschinen Berücksichtigung
                              									gefunden haben.
                           Die Verhältnisse verschieben sich aber weit zugunsten der Lindeschen Anlage bei Berücksichtigung der Platzfrage. Eine Brinsche und eine elektrolytische Anlage erfordern
                              									nämlich je einen Raum, welcher ungefähr zehnmal so groß als bei einer Lindeschen Anlage ist. Eine Brinsche Anlage, welche bei sehr hohen Temperaturen –
                              									etwa 800° – arbeitet, muß vollständig unterkellert sein und bildet eine Fabrik für
                              									sich. Eine elektrolytische Anlage muß gleichfalls in Bau und Anlage ganz besonderen
                              									Bedingungen entsprechen. Es müssen, zumal bei der elektrolytischen Anlage, große
                              									Gasometer vorgesehen werden, um die sich in doppelter Quantität entwickelnden Mengen
                              									Wasserstoff aufzunehmen. Ferner muß bei beiden Anlagen Tag- und Nachtbetrieb
                              									vorhanden sein. Bei der Brinschen Anlage deswegen,
                              									damit der Arbeiter am Morgen ein gewisses Quantum zum Komprimieren vorfindet. Denn
                              									die Art des Prozesses bringt es mit sich, daß etwa alle fünf Minuten die Oxydation
                              									eintritt, – also kein Sauerstoff erzeugt wird – und daß die Oefen über Nacht nicht
                              									auskühlen dürfen, da die Produktion an ganz bestimmte Temperaturen gebunden ist. Bei
                              									der Elektrolyse ist die Ausbeute gleichfalls an eine bestimmte Temperatur gebunden,
                              									welche im Bade durch den Strom erzeugt wird, weshalb man durch kontinuierliche
                              									Arbeit Vorsorge treffen muß, daß die Bäder die Temperatur gleichmäßig
                              									beibehalten.
                           Bei dem Linde-Prozeß kann der Betrieb angefangen und
                              									abgebrochen werden, wann man will, und die Entwicklung des Sauerstoffes ist eine
                              									kontinuierlich gleichbleibende. Der Betrieb kann in seiner kompendiösen Form – zu
                              									obiger Produktion sind nur etwa 50 qm Raum notwendig – und da er nur mit
                              									Kraftübertragung arbeitet, jedem Betrieb eingefügt werden. Mehrere Lindesche Anlagen befinden sich in Oberstockwerken von
                              									Gebäuden, die sonst anderen Zwecken dienen.
                           Die Elektrolyse erfordert ferner ein ganz besonders sorgsam arbeitendes Personal. Der
                              									Sauerstoff ist stets mit Wasserstoff verunreinigt, und man muß durch Verbrennung
                              									über platinierten Asbest für die Entfernung des Wasserstoffes Sorge tragen. Der Brinsche Prozeß liefert minderwertigen Sauerstoff, und
                              									es ist nicht denkbar, ohne große Verluste dauernd ein Produkt herzustellen, welches
                              									einen Gehalt von nur etwa 93 v. H. hat. Es liegt das daran, daß im Beginn der
                              									Desoxydation, also der jeweiligen Sauerstoffentwicklung, die Retorten noch mit Luft
                              									gefüllt sind. Wenn auch die von der Brins Oxygen Co.
                              									konstruierten Maschinen derartig eingerichtet sind, daß sie das erstentwickelte Gas
                              									in die Luft ausstoßen, so ist der Gasstrom doch ein vollständig wechselnder und
                              									schwankt in seiner Reinheit von 88 v. H. bis auf etwa 97 v. H. Nur durch Preisgabe
                              									großer Mengen Sauerstoff kann man hier ein hochprozentiges Produkt erhalten. Der Linde-Prozeß liefert dagegen in völlig gleichmäßigem
                              									Strome Sauerstoff in jeder gewünschten Reinheit, bis zu chemisch reinem
                              									Produkte.
                           Was nun die Kosten f. d. cbm Sauerstoff, nach den einzelnen Verfahren hergestellt,
                              									betrifft, so sollen hier nur diejenigen des elektrolytischen Prozesses und des Lindeschen Prozesses verglichen werden. Nach meinen
                              									eigenen langjährigen Erfahrungen ist man im Brins-Prozeß zu sehr von Zufälligkeiten abhängig, als daß dieser Prozeß
                              									gegenüber den anderen zu den technisch sicheren gezählt werden könnte. Die geringste
                              									Temperaturschwankung im Ofen, die geringste Verunreinigung der Luft, falls die
                              									Reiniger nicht genügend funktionierten, verändern den gesamten Baryt. Barium-Oxyd,
                              									äußerlich und in der Analyse als ein vollständig einwandfreies Produkt
                              									identifiziert, verändert sich häufig im Ofen vollständig, so daß hierdurch schon
                              									Tausende an Betriebskosten in wenigen Tagen verloren wurden.
                           Für den elektrolytischen Prozeß stellen sich die Kosten wie folgt:
                           Betriebskosten einer elektrolytischen Anlage; die
                              									Angaben entstammen der Praxis.
                           
                           Darstellung 250 cbm Sauerstoff in 24 Stunden. Ausbeute f. d. Ampere-Stunde 0,2 l
                              									Sauerstoff. Hieraus ergeben sich 12 KW/Std. zu 1 cbm Sauerstoff und für 10 cbm
                              									demnach 160 Pferdekraftstunden.
                           
                              
                                 Betriebskosten 160 PS/std. à 2 Pfg. × 24 
                                 M.   76,80
                                 
                              
                                 Elektroden Ersatz f. d. Tag
                                  „       7,50
                                 
                              
                                 Laugenersatz 15 kg f. d. Tag
                                  „       4,50
                                 
                              
                                 Schmiermaterial, Wasser
                                  „     10,–
                                 
                              
                                 Arbeitslohn drei Mann, zwei Taglöhner      (Tag und
                                    											Nacht)
                                  „     21,–
                                 
                              
                                 
                                 –––––––––
                                 
                              
                                 
                                 M. 119,80
                                 
                              
                           Produktion 250 cbm, 1 cbm = 48 Pfg.
                           Hierzu Amortisation der Anlage, die, selbst M. 135000 kostend, durch den großen
                              									Platzbedarf und die notwendigen Gebäude einen Aufwand von mindestens M. 250000
                              									verursacht.
                           
                              Betriebskosten einer Lindeschen Anlage:
                              
                           
                              
                                 Maschine No. 4 Kraftbedarf 35 HP f. d.     Stunde 2
                                    											Pfg
                                 M. 16,80
                                 
                              
                                 Schmiermaterial f. d. Stunde 30 Pfg.
                                  „     7,20
                                 
                              
                                 Kühlwasser f. d. Stunde 1,6 cbm
                                  „     4,80
                                 
                              
                                 Arbeiter: zwei Mann, ein Taglöhner
                                  „   13,–
                                 
                              
                                 
                                 ––––––––
                                 
                              
                                 
                                 M. 41,80
                                 
                              
                           Produktion 250 cbm, f. d. cbm 12,7 Pfg.
                           Hierzu Amortisation der Anlagekosten im Betrage von etwa M. 47000, welche Summe durch
                              									den minimalen Raumbedarf nicht, oder um unwesentliches erhöht wird. Bei der
                              									Entscheidung über die eventuelle Installation spricht auch die chemische
                              									Großindustrie mit. In Deutschland werden durch die Badische
                                 										Anilin- and Sodafabrik und die Chemische Fabrik
                                 										Griesheim und die Deutschen Solvaywerke
                              									jährlich etwa 20–25 Mill. cbm chemisch reinen Wasserstoffs in die Luft geschickt. Es
                              									ist sicher, daß die elegante Darstellung des Chlors auf elektrolytischer Basis bald
                              									auch in anderen Staaten heimisch werden wird – in Oesterreich, Spanien, Südrußland,
                              									Frankreich und Amerika z.B. längst schon heimisch ist. Bei den meisten dieser
                              									Verfahren entsteht als Nebenprodukt chemisch reiner Wasserstoff. Bei der Elektrolyse
                              									schwacher Alkalien zu Sauerstoff oder Wasserstoff bilden volle zwei Drittel der
                              									Gesamtproduktion: Wasserstoff. Man erhält also bei einer elektrolytischen Anlage
                              									nach Garuti oder Schuckert
                              									zu zwei Drittel ein Produkt, das die chemische Großindustrie als Abfall gewinnt,
                              									daher zu jedem Preis abgeben kann. Hier ist wieder das Lindesche Verfahren dasjenige, welches ohne Nebenprodukt in völliger
                              									Gleichmäßigkeit die Produktion ausnutzt.
                           Was nun die Anwendungsgebiete des Sauerstoffes anbelangt, so findet derselbe in der
                              									Medizin zu nutzbringenden Preisen eine ausgedehnte Verwendung. Nach jahrelangen
                              									Kämpfen ist ihm durch sehr eingehende und sorgsame Arbeiten, welche hauptsächlich in
                              									der Königl. Charite zu Berlin entstanden sind, ein großes, nicht mehr bestrittenes
                              									Anwendungsgebiet zugefallen. In der Anwendung in der Hygiene haben vor allen Dingen
                              									die Schreckenstage in Courrieres weite Kreise aufgeklärt.
                           Sein Hauptanwendungsgebiet ist aber bedingt durch seine Eigenschaft, die Temperatur
                              									der Flamme außerordentlich zu erhöhen, da der die Temperatur der Flamme
                              									herabsetzende Stickstoff nicht mit erhitzt werden braucht.
                           Hier findet der komprimierte Sauerstoff Verwendung in der Glashüttenindustrie zur
                              									Darstellung der sogenannten Schottlochzylinder, zum Absprengen der Walzen, und es
                              									gibt in Deutschland Glashütten, welche einen Bedarf von etwa 10000 cbm komprimierten
                              									Sauerstoff f. d. Jahr haben. Er findet ferner Verwendung nach dem sogen. Köln-Müsener-Verfahren zum Abschmelzen der
                              									Abstichlöcher bei Rohgang des Hochofens und zum Reinigen der Düsen, sobald
                              									dieselben voll Eisen gelaufen sind. Für alle diese Zwecke kann nur komprimierter
                              									Sauerstoff Verwendung finden, da das Gas unter einem hohen Druck angewendet werden
                              									muß.
                           Die größte Anwendung aber findet der komprimierte Sauerstoff in der Schweißtechnik.
                              									Gerade auf diesem aussichtsvollsten Verwendungsgebiete zeigt sich besonders das
                              									Uebergewicht der Lindeschen Anlagen.
                           Die Elektrolyse liefert 1 Volumen Sauerstoff und 2 Volumina Wasserstoff. Die
                              									Schweißpraxis aber erfordert 1 Volumen Sauerstoff und 5 Teile Wasserstoff.
                              									Theoretisch verbrennt naturgemäß 1 Teil Sauerstoff mit 2 Teilen Wasserstoff zu
                              									Wasserdampf. Im Augenblick aber, in welchem Wasserdampf glühendes Eisen trifft,
                              									tritt die jedem Chemiker wohlbekannte Reaktion
                           3 Fe + 4 H2O = Fe3 O4 + 4 H2
                           ein, das heißt, das Eisen verbrennt zu Zunder. Um diese, den
                              									ganzen Erfolg ausschließende Reaktion zu hindern, muß man einen starken an der
                              									Verbrennung selbst nicht teilnehmenden Ueberschuß von Wasserstoff den Flammen
                              									beimengen.
                           Hat man daher z.B. eine Anlage von 100 cbm Sauerstoff und 200 cbm Wasserstoff, so
                              									kann man nur 40 cbm Sauerstoff verwenden, falls man den Wasserstoff ausnutzen will.
                              									Hat man dagegen für 100 cbm Sauerstoff Verwendung, dann muß man bezüglich des
                              									Wasserstoffes die Produktion auf 500 cbm erhöhen.
                           Eine weitere sehr bedeutende Erschwerung der Wasserstoff-Sauerstoff-Schweißung bilden
                              									folgende Umstände: Durch die außerordentliche Leichtheit und die große
                              									Strömungsgeschwindigkeit des Wasserstoffes bildet die Knallgasflamme eine ungefärbte
                              									sehr große Flamme, welche in allen Teilen gleich heiß ist. Die von ihr gelieferte
                              									Hitze reicht nur hin, um Bleche bis etwa 6 mm zu schweißen.
                           1000 l Wasserstoff wiegen etwa 89 g; die Verpackung für diese Raummenge etwa 20 kg.
                              									Da nun entleerte Flaschen zum halben Frachtsatz rückbefördert werden, ist für die
                              									Verbrennung von 1000 l Sauerstoff ein Verpackungsgewicht von 150 kg Wasserstoff zu
                              									verfrachten. Hierdurch entstehen so außergewöhnlich hohe Kosten, daß trotz ihrer
                              									großen Vorzüge die Wasserstoff-Sauerstoff-Schweißung nur langsam eindringen konnte
                              									und zu der wesentlichen überraschenden Steigerung der Sauerstoff-Produktion nur in
                              									geringem Grade beitrug.
                           Hier greift die Erfindung des Ingenieurs Fouché in der
                              									glücklichen Weise ein. Zum Verbrennen in 1000 l Sauerstoff gehören nur 700 l
                              									Acetylen, und da 1 kg Carbid etwa 25 Pf kostet und eine garantierte Ausbeute von 300
                              									l hat, kosten 700 l Acetylen etwa 60 Pfg.
                           
                              Die Fracht für den Wasserstoff wird daher stets ein
                                 										vielfaches des gesamten Aufwandes, den das Acetylen erfordert, betragen.
                              
                           Nun hat aber die Acetylen-Sauerstoff-Flamme infolge ihrer konzentrierten Form und
                              									ihrer hohen Temperatur den Vorzug, Bleche bis zu einer Stärke von 25 mm zu
                              									schweißen.
                           Das Verfahren hat sich in ungeheurer Schnelligkeit eingebürgert. Im ersten Jahre sind
                              									etwa 600, im zweiten etwa 1200, im dritten bis jetzt über 5000 Anlagen geliefert
                              									worden; der Sauerstoffverbrauch ist hierdurch in einer starken Aufwärtsbewegung
                              									begriffen.
                           Trotzdem z.B. in Paris die Werke l'Oxygène eine tägliche
                              									Produktion von 150 cbm, l'electrolyse française 170 cbm
                              									und l'Oxydrique française von 200 cbm haben, konnte die
                              									Fabrik Vaugirard, (Lindesches
                                 										System) nach kurzem Bestehen die tägliche Produktionsfähigkeit von 120 auf
                              									600 cbm erhöhen und jetzt sogar auf 1200 und in gleicher Weise sieht sich die nach
                              									dem Lindeschen Verfahren arbeitende Fabrik Duffour, Igon & Co. in Toulouse genötigt,
                              									ihre Produktion von 100 cbm zu verdoppeln.
                           Die Fabrik Dr. Locatelli, Mailand hat nach
                              									einhalbjährigem Bestehen die Produktionsfähigkeit des Werkes verdreifacht unter
                              									gleichzeitiger Errichtung zweier neuer Anlagen im Süden Italiens.
                           Ganz besonders aber wird durch das Gebiet des Schneidens die Frage des
                              									Sauerstoffverbrauchs tangiert. Der billige Sauerstoff, in großem Maßstabe erzeugt,
                              									hat es ermöglicht, daß die alten Versuche, Eisen mit Sauerstoff zu verbrennen, in
                              									großem Maße aufgenommen sind und hier zu ganz überraschenden Resultaten geführt
                              									haben.
                           Das Ausschneiden von Mannlochlöchern, das Abschneiden und Ausklinken von
                              									Trägern, das Abschneiden von Blechen, das Ausschneiden von Lokomotivrahmen, das
                              									Abschneiden von Angußstücken bei Stahlguß und Temperguß, kurz alle Arbeiten, welche
                              									bisher mühsam mittels der Kreissäge oder der Schere gemacht sind, können heute
                              									vorteilhaft mittels eines einfachen Sauerstoff-Schneidebrenners ausgeführt werden,
                              									indem man mit einer Flasche Sauerstoff an das Stück herangeht und das trennende
                              									Stück abschneidet.
                           Zu dem überraschenden Aufschwung der Sauerstoffindustrie des letzten Jahres hat
                              									dieses elegante und billige Verfahren nicht zum wenigsten beigetragen.