| Titel: | Wirkungsweise und Antrieb der Eisenbahn-Geschwindigkeitsmesser. | 
| Autor: | Hans A. Martens | 
| Fundstelle: | Band 323, Jahrgang 1908, S. 295 | 
| Download: | XML | 
                     
                        Wirkungsweise und Antrieb der
                           								Eisenbahn-Geschwindigkeitsmesser.
                        Von Regierungsbaumeister Hans A.
                                 								Martens.
                        (Fortsetzung von S. 275 d. Bd.)
                        Wirkungsweise und Antrieb der
                           								Eisenbahn-Geschwindigkeitsmesser.
                        
                     
                        
                           4. Geschwindigkeitsmesser von Brüggemann 1888.
                           In älteren Ausführungen wird er nichtschreibend gebaut, um einfach zu bleiben.
                              									Dem Zuge der Zeit folgend sind neuere Ausführungen mit Schreibwerk versehen.
                           
                           Bei Anwendung von Flüssigkeiten ist ein Haupterfordernis für die
                              									Unveränderlichkeit der Wirkung ein gänzlicher Abschluß dieser von der Außenluft, da
                              									sonst Veränderungen entweder böswillig herbeigeführt oder von selbst durch
                              									Verdunsten statthaben können.
                           Ein mit Quecksilber gefülltes Gefäß mit parabolischer Wandfläche wird in Umdrehung
                              									versetzt. In dem Gefäß ist ein gleichfalls parabolisches, durchbohrtes Deckelstück
                              									hineingehängt, so daß im Gefäß zwei getrennte Räume entstehen, ein Mittelraum und
                              									ein äußerer, gebildet von den beiden Paraboloidflächen. Im Mittelraum schwimmt auf
                              									dem Quecksilber ein eiserner Schwimmer, dessen Gestänge bei senkrechter Bewegung
                              									eigen Zeiger mittels Zahnstange und Bogen bewegt. Der Apparat, von lobenswerter
                              									Einfachheit, besitzt genügend große Empfindlichkeit. Die Radabdrehungen werden durch
                              									drei Zifferblätter für 65–55, 55–45 und unter 45 mm Reifenstärke berücksichtigt.
                              									Leider verändert das Quecksilber sich mit der Zeit, so daß der Apparat in seiner
                              									Wirkung dann nicht mehr den Voraussetzungen entspricht und unrichtig zeigt.
                              									Namentlich Bildung von Quecksilberseife und Verdunsten durch die Stopfbuchse geben
                              									zu falschen Anzeigen Anlaß.
                           Bei der Ausführung mit Schreibwerk ist der Schreibstift auf das Gestänge aufgesetzt
                              									und schreibt auf einem durch Uhrwerk bewegten Streifen.
                           5. Geschwindigkeitsmesser von Kapteyn, 1889.
                           Kapteyn ist der Generaldirektor der Westinghouse-Gesellschaft gewesen und daher ist es
                              									nicht verwunderlich, wenn dieser von ihm erfundene Apparat etwas von dem Gepräge der
                              										Westinghouse-Bremse an sich hat.
                           Die Wirkungsweise beruht auf der Fliehkraft umschwingender Massen, die von einer
                              									Seite mechanisch Druck auf eine Metallbiegeplatte ausüben und mittels deren
                              									Durchbiegung gespannte Luft oder Flüssigkeit auf die andere Seite zur Wirkung
                              									bringen, so, daß die Drücke sich auf beiden Seiten stets ausgleichen müssen. Der
                              									mittels Druckmesser zu messende Druck in der Flüssigkeit oder Preßluft steht dann in
                              									geradem Verhältnis zur Fliehkraft der umschwingenden Massen und gibt also einen
                              									Maßstab für diesen. Es ist bemerkenswert, daß die Teilung mit der Größe der
                              									Geschwindigkeit zunimmt, so daß die größten Geschwindigkeiten am genauesten
                              									angezeigt werden. Der Antrieb erfolgt durch Riemen. Um die veränderlichen
                              									Raddurchmesser zu berücksichtigen, wird die Wirkung der Schwungkörper durch
                              									Verkürzen oder Verlängern eines zu ihrer Uebertragung dienenden Hebels verändert
                              									mittels einer Schraube, die einen Zeiger über einer Teilung bewegt; der Zeiger ist
                              									nur auf die Zahl einzustellen, die dem Verhältnis des neuen zum abgenutzten
                              									Raddurchmesser entspricht. Die Aufzeichnung geschieht auf einer Scheibe.
                           Die inneren Widerstände des Apparates sind infolge Wegfalls von Federn und vielem
                              									Gestänge sehr gering. Die umschwingenden Massen haben stets denselben Hebelarm, so
                              									daß ihre Fliehkraft im geraden Verhältnis zu den Quadraten der Geschwindigkeit des
                              									Zuges steht. Uebersetzungshebel und Zahnräder fehlen. Die Uebertragung durch
                              									Luftdruck oder Flüssigkeit gestattet größte Beweglichkeit in dem Einbau des
                              									Apparates an der Lokomotive. Es ist ein Geschwindigkeitsmesser mit Fernanzeige! Der
                              									Gedanke liegt nahe, die Preßluft auch zur Auslösung der Bremse bei Ueberschreitungen
                              									der Höchstgeschwindigkeit zu verwenden.
                           Der Apparat ist jedoch recht empfindlich infolge seiner dichtenden Teile und diese
                              									Zugabe hat es vermocht, ihn nicht weiter in die Praxis eindringen zu lassen. Wenig
                              									Vertrauen erweckt auch die Anwendung von Druckluft, so hervorragend sich diese im
                              									Eisenbahnwesen als Energieträger der Bremskraft bewährt, so muß sie doch
                              									Bedenken erregen, wenn ihr veränderlicher Pressungszustand zu feiner Messung
                              									verwendet wird. Die kleinste Undichtigkeit und diese bleibt im Betriebe nicht aus,
                              									macht den Apparat unbrauchbar. So verlockend also die Verwendung der Druckluft
                              									erscheint, weil sie mechanische Zwischenglieder spart, so liegt doch in ihr der
                              									Mangel des Apparats. So ist es verständlich, daß er keinen weiteren Eingang in die
                              									Praxis fand und daß alle ähnlichen Apparate den Keim der Unbrauchbarkeit in sich
                              									tragen und daher nicht lebensfähig sind.
                           6. Das Bifluidtachometer 1903.
                           Die Rheinische Tachometerbau-Gesellschaft bringt in den
                              									letzten Jahren unter dem Namen „Bifluidtachometer“ einen
                              									Geschwindigkeitsmesser in den Handel, der an die Bauart Dr. Braun erinnert; während aber jener mehr für wissenschaftliche Versuche
                              									entworfen ist, waltet bei diesem der Zweck vor, ihn in der Praxis in möglichst
                              									vielfältiger Gestalt zu verwenden. Das Bifluidtachometer darf auf allgemeine
                              									Aufmerksamkeit der Eisenbahnkreise Anspruch machen, so daß es hier eingehend
                              									besprochen werden soll. Es ist ihm namentlich wegen seiner sehr geringen
                              									Beschaffungskosten mit Antrieb 150 M., eine gewisse Berechtigung für Eisenbahnzwecke
                              									unter bestimmten Bedingungen nicht abzusprechen.
                           Das Tachometer macht die Fliehkraft zweier in einem Kanalsystem untergebrachter
                              									Flüssigkeiten von verschiedenen spezifischen Gewichten nutzbar, die so beschaffen
                              									sind, daß sie sich nicht miteinander vermischen, z.B. Quecksilber und Alkohol, der
                              									meist zur größeren Deutlichkeit gefärbt wird.
                           Wesentlich ist für den Apparat, daß die beiden Flüssigkeiten in einem vollständig
                              									luftdicht geschlossenen Raum enthalten sind, so daß Ungenauigkeiten wie sie z.B. bei
                              									Bauart Brüggemann infolge Verdunsten des Quecksilbers
                              									eintreten, ausgeschlossen sind. Die umlaufenden Massen sind klein genug, um
                              									Massenwirkungen bei Aenderung der Geschwindigkeiten nicht in die Erscheinung treten
                              									zu lassen. Der Apparat ist so außerordentlich einfach, weil die Wirkung der
                              									Fliehkraft durch die Flüssigkeit selbst in einem dünnen Steigrohre sichtbar gemacht
                              									wird. Es sind nur zwei Lagerstellen vorhanden. Da die Arbeit zur Bewegung sehr
                              									gering ist, so kann von einer Abnutzung der Lager wohl kaum gesprochen werden. Das
                              									Kanalsystem ist in einem Gehänge nach Cardani gelagert,
                              									was dazu beitragen wird, daß Erschütterungen und Stöße die Flüssigkeitssäule
                              									möglichst wenig treffen. Das Tachometer wird auch mit Alarmvorrichtung gebaut, die
                              									bei einer gewissen Höchstgeschwindigkeit betätigt wird. Für den Betrieb auf
                              									Lokomotiven ließe sich eine Prüfvorrichtung leicht bauen, in dem bei
                              									höchstzulässiger Geschwindigkeit eine Fallscheibe elektrisch ausgelöst wird.
                           Das Tachometer ist auch mit Schreibwerk gebaut, wodurch es indessen an Wert eingebüßt
                              									hat, da die Flüssigkeit nun nicht mehr in einem abgeschlossenen Raum sich befindet.
                              									Der Apparat hat ohne Schreibwerk seine volle Daseinsberechtigung dort, wo es auf
                              									ständige Anzeige der Geschwindigkeit ankommt wegen vieler Gefahrstellen, die durch
                              									Radtaster überwacht werden.
                           Da die neueren elektrischen Fahrgeschwindigkeitsmesser ebenfalls ohne Schreibwerk
                              									gebaut sind, so muß das Bifluidtachometer diesen wegen seiner großen Einfachheit als
                              									überlegen bezeichnet werden. Es ermangelt allerdings des einfachen Antriebs; aber es
                              									wäre am Platze, mit ihm den Reibradantrieb zu versuchen. Die mehr oder weniger hohe
                              									Umdrehungszahl spielt bei ihm keine Rolle, man hat also die hohe Umdrehungszahl der
                              									Apparate nicht zu fürchten. Der Antrieb der aufrechten Apparatwelle ist für den
                              									Einbau an ortsfesten Maschinen mit Riemen entworfen. Für Lokomotiven ließ er sich
                              									aber ohne weiteres
                              									für Schleppkurbelantrieb mit konischem Räderpaar einrichten.
                           7. Bauart Desdouits 1901.
                           Auf den französischen Staatsbahnen ist ein von deren Oberingenieur Desdouits entworfener Geschwindigkeitsmesser (Fig. 7) im Gebrauch, der die Fliehkraft eines Körpers
                              									nutzbar macht, die dieser innerhalb einer schwingenden Bewegung entwickelt, die
                              									während einer Treibradumdrehung vollendet wird. Zu diesem Zweck erhält eine an
                              									wagerechter Achse aufgehängte Führungsstange von einem Triebwerksteil der Lokomotive
                              									eine schwingende Bewegung von mäßigem Ausschlag. Auf der Führungsstange gleitet ein
                              									linsenförmiges Gewicht, das durch eine leicht spielende Feder gegengewogen wird und
                              									an einem Wagebalken durch eine Stange angelenkt ist. Die Fliehkraft des Körpers, die
                              									innerhalb jeder halben Schwingung von Null bis zu einem Höchstwert anwächst, um dann
                              									am Ende der Schwingbewegung wieder auf Null zu sinken, überträgt sich auf den
                              									Wagebalken, der dadurch selbst eine schnellschwingende Bewegung annimmt. Diese wird
                              									indessen durch eine mit ihm verbundene Flüssigkeitsbremse gedämpft, so daß sich eine
                              									mittlere Ablenkung aus der Ruhelage einstellt, welche der mittleren Stärke der
                              									Fliehkraft des Körpers entspricht. Der Ausschlag des Wagebalkens wird durch einen
                              									auf seiner Welle angeordneten Zeiger sichtbar gemacht. Die Einteilung der Skala
                              									erfolgt empirisch, die Ablenkung steht zu der Geschwindigkeit fast im geraden
                              									quadratischen Verhältnis. Es werden sich aber die mittleren und hohen
                              									Fahrgeschwindigkeiten wegen wachsender Teilung genauer ablesen lassen. Der Apparat
                              									ist sehr empfindlich und folgt allen Geschwindigkeitsänderungen fast augenblicklich.
                              									Das Diagramm erscheint als örtliches Geschwindigkeitsdiagramm auf einer Trommel.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 323, S. 297
                              Fig. 7.
                              
                           Der Apparat zeigt recht einfache Bauart und ist daher billig im Beschaffungspreis.
                              									Indessen haften ihm die Fehler der Fliehkraftapparate an, die oben genügend
                              									besprochen worden sind. Auch die Aufnahme eines örtlichen Geschwindigkeitsdiagramms
                              									erscheint nicht mehr zeitgemäß, so daß der Apparat trotzdem er neuerer Bauart ist,
                              									doch nicht als den Forderungen der Jetztzeit entsprechend bezeichnet werden kann.
                              									Die neuere Bauart ist mit besonderem Uhrwerk für die Diagrammfläche ausgerüstet, so
                              									daß ein zeitliches Geschwindigkeitsdiagramm aufgezeichnet wird. Alle in dem Jahre
                              									1898 eingebauten Apparate haben gute Ergebnisse erzielt, sie haben ihre
                              									richtige Anzeige bei 120000 km behalten. Bei rund 6000 km monatlicher
                              									Lokomotivleistung, ist also eine Neueinstellung nach 20 Monaten erforderlich. Der
                              									neuere Apparat kostet 350 Frcs., die jährlichen Betriebs- und Unterhaltungskosten
                              									betragen 10 Frcs.
                           Die Fliehkraft als die natürlichste Kraftäußerung der drehenden Bewegung hat die
                              									ersten praktisch verwendeten Fahrgeschwindigkeitsmesser auf Eisenbahnen erstehen
                              									lassen. Es ist daher erklärlich, daß diesen Apparaten alle die Mängel anhaften
                              									mußten, die alle Dinge im Beginn ihrer Entwicklung kennzeichnen. Nachdem man die
                              									Unbrauchbarkeit des einfachen Wattschen
                              									Zentrifugalregulators für die Messung von Geschwindigkeiten der Eisenbahnfahrzeuge
                              									eingesehen und den Grund in der Empfindlichkeit gegen Stöße erkannt hatte, ging man
                              									dazu über, diesen Fehler durch astatisch aufgehängte Massen zu beseitigen, deren
                              									Schwerkraft ausgeglichen ist und die nun durch Federkraft ersetzt werden muß; die
                              									Apparate wurden dadurch nicht einfacher. Auch wurde die Anzeige im Laufe der Zeit
                              									fehlerhaft namentlich infolge der Veränderungen der Reibungsverhältnisse in den sich
                              									bewegenden Teilen. Der Erfindertrieb war einmal geweckt und ließ eine ganze Reihe
                              									anderer Bauarten erstehen, die das Prinzip der Fliehkraft in mannigfacher Weise
                              									verwendeten. Von der Fliehkraft fester Körper ging man zu der flüssiger über und
                              									erhoffte durch unmittelbares Ablesen der Höhe einer Flüssigkeitssäule vereinfachte
                              									Bauart. Dies Streben ist nicht zu Unrecht gewesen. Während heutzutage
                              									Geschwindigkeitsmesser auf Grundlage der Fliehkraft fester Massen nicht mehr in
                              									Frage kommen und als der Vergangenheit angehörend zu betrachten sind, sind die
                              									Geschwindigkeitsmesser mit Fliehkraftwirkung von Flüssigkeiten, die jener in
                              									luftdicht abgeschlossenen Gefäßen unterliegen, beachtenswert und dem praktischen
                              									Versuch im Eisenbahnbetriebe zu unterwerfen. Allerdings muß auf ein Schreibwerk
                              									verzichtet werden. Hervorzuheben sind ihre Unveränderlichkeit in der Anzeige, ihre
                              									einfache Bauart und die dadurch bedingten geringen Beschaffungs- und
                              									Unterhaltungskosten. Hierbei ist jedoch zu bemerken, daß eine gewisse
                              									Veränderlichkeit der Anzeige bei Verwendung von Flüssigkeiten eintreten kann, die
                              									bei Wärmeschwankungen einer Veränderung ihres Rauminhaltes unterliegen. Es kann aber
                              									die Vermutung ausgesprochen werden, daß diesen Störungen durch geschickte
                              									Ausgleichvorrichtungen begegnet werden kann. Die Höchstgeschwindigkeit kann durch
                              									Kontaktvorrichtungen unter Benutzung elektrischen Schwachstroms zur Nachprüfung
                              									sichtbar gemacht werden. Ist man auch nicht in der Lage nachträglich festzustellen,
                              									wo und wie oft die Erreichung einer bestimmten Höchstgeschwindigkeit stattgefunden
                              									hat, so genügt doch schon der untrügliche Beweis des Vergehens gegen die
                              									Vorschriften, um den Lokomotivführer zur Verantwortung zu ziehen. Es können also
                              									Apparate mit Fliehkraftwirkung von Flüssigkeiten zweckmäßig so ausgebildet werden,
                              									daß sie unter gegebenen Betriebsverhältnissen berechtigten Ansprüchen genügen und
                              									den elektrischen Fahrgeschwindigkeitsmessern ebenbürtig, wenn nicht gar wegen der
                              									genannten Vorzüge überlegen sind.
                           
                              
                                 (Fortsetzung folgt.)