| Titel: | Geschwindigkeits-Diagramme im Eisenbahnbetrieb. | 
| Autor: | Hans A. Wartens | 
| Fundstelle: | Band 323, Jahrgang 1908, S. 710 | 
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                        Geschwindigkeits-Diagramme im
                           								Eisenbahnbetrieb.
                        Von Regierungsbaumeister Hans A.
                                 								Wartens.
                        (Schluß von S. 695 d. Bd.)
                        Geschwindigkeits-Diagramme im Eisenbahnbetrieb.
                        
                     
                        
                           So wertvoll ein örtliches Geschwindigkeitsdiagramm nach den Darlegungen ist, so
                              									schwierig ist es zuverlässig zu erzeugen. Da der zurückgelegte Weg in den
                              									Gesamtumdrehungen des Rades zum Ausdruck kommt, so darf das Rad, um den Weg im
                              									Diagramm vollständig darzustellen, nicht gleiten. Selbst wenn das Rad nicht gebremst
                              									wird oder Lokomotiv-Treibachse ist, treten aber stets Gleitungsverluste namentlich
                              									in Kurven auf, die die Genauigkeit der Diagramme beeinträchtigen. Die Abnutzung des
                              									Rades hat auf das Diagramm ebenfalls Einfluß bezüglich der Wegekoordinate, da der am
                              									Umfang des Rades in die Erscheinung tretende Gesamtweg bei Veränderungen des Rades
                              									auch die Umdrehungszahl beeinflußt und mithin für die Wegeinheit eine andere
                              									Abszissenlänge ergibt als die bei Regelabmessungen des Rades zugrunde gelegte. Dazu
                              									kommt noch ein weiterer Mangel: Das Diagramm gibt keinen Aufschluß über das
                              									Innehalten des Fahrplans, da die Zeit in ihm fehlt. Aufenthalte auf den Stationen,
                              									Fahrzeiten zwischen den Stationen werden nicht gekennzeichnet. Das Diagramm kann
                              									nicht ohne weiteres durch sich selbst auf seine Richtigkeit geprüft werden. Unter
                              									Zuhülfenahme der Zeitbeobachtung während des Durchfahrens einer gewissen Strecke ist
                              									dies aber möglich. Diese Zeit muß mit der aus dem Diagramm bestimmten
                              									übereinstimmen.
                           Alle diese Erwägungen führten zu dem zeitlichen Geschwindigkeitsdiagramm. Das
                              									Diagrammpapier wird mit konstanter Geschwindigkeit bewegt, der Schreibstift zeichnet
                              									die jeweiligen Geschwindigkeiten auf. Dadurch ist eine Fehlerquelle aus dem Diagramm
                              									entfernt, da die absolut konstante Geschwindigkeit des Vorschubes keine
                              									Schwierigkeiten in der Ausführung bereitet: Das Diagramm ist also zuverlässiger
                              									geworden. Da das Diagramm auch den durchlaufenen Weg in der Fläche zwischen Kurve
                              									und Abszissenachse enthält, so liegt darin eine zuverlässige Prüfung der richtigen
                              									Aufzeichnung. Die Ablesung der jeweiligen Fahrgeschwindigkeit findet in gleicher
                              									Weise statt wie beim örtlichen Geschwindigkeitsdiagramm. Von besonderer Wichtigkeit
                              									für den Betriebsdienst ist die Möglichkeit, die fahrplanmäßige Beförderung der Züge
                              									nachzuprüfen. Und wenn auch im ordnungsgemäßen Zugverkehr geringe Verspätungen
                              									bedeutungslos sind, so haben doch erfahrungsgemäß eine große Anzahl von
                              									Unglücksfällen – Zusammenstößen von Zügen – ihren Grund in der außerfahrplanmäßigen
                              									Beförderung der Züge.
                           In dieser Beziehung, die Zugfahrt nach Zeit und Geschwindigkeit zu überwachen, ist es
                              									dem örtlichen Geschwindigkeitsdiagramm überlegen, ohne dessen wichtige Eigenschaft,
                              									die Geschwindigkeit an beliebiger Stelle der Fahrt ablesen zu lassen, zu haben,
                              									wenngleich sich dies durch Rechnung ermitteln läßt. Es lag also der Gedanke nahe,
                              									die beiden Diagramme zu vereinigen, was in folgender Weise erreicht wird. Das
                              									zeitliche Geschwindigkeitsdiagramm wird als Grundlage beibehalten. Längs der
                              									Zeitachse wird der durchlaufene Weg in beliebig zu wählender Einheit, etwa 100 oder
                              									200 m, durch Punkte selbsttätig vermerkt, deren Umfang voneinander mit wachsender
                              									Fahrgeschwindigkeit kleiner wird, bei konstanter Geschwindigkeit konstant bleibt,
                              									mit abnehmender Geschwindigkeit größer wird. Der zurückgelegte Weg läßt sich also
                              									schnell aus der Addition der einzelnen Punktabstände mit Rücksicht auf den dadurch
                              									dargestellten wirklichen Weg ermitteln. Natürlich unterliegt diese Wegdarstellung
                              									allen Fehlern, die vorher beim örtlichen Geschwindigkeitsdiagramm besprochen
                              									worden sind. Ein Vergleich des so berechneten mit dem durch die Diagrammfläche
                              									dargestellten Wege dient zur schnellen Prüfung der Apparatangaben. In dieser Weise
                              									sind die neueren Geschwindigkeitsmesser gebaut, die eine schnelle Prüfung aller in
                              									Frage kommenden Punkte des Betriebsdienstes ermöglichen.
                           Es ist selbstverständlich, daß die an das Diagramm gestellten hohen Anforderungen den
                              									Apparat sehr vielgestaltig machten, so daß man danach strebte, in einfacherer Weise
                              									gleichwertige Aufschreibungen zu erreichen.
                           Hierher gehören alle die Apparate, weche Aufschreibungen geben, aus denen die
                              									Geschwindigkeit erst mittelbar, meist mit Hilfe eines Maßstabes ermittelt werden
                              									muß, der sich aus den Konstanten der Vorrichtung ergibt.
                           Die Aufzeichnungen sind durchweg als Zeitwegediagramm zu bezeichnen, wenngleich sie
                              									nicht in der üblichen Form einer Kurve erscheinen. Alle diese Aufzeichnungen
                              									geschehen auf einem konstant laufenden Papierstreifen, der in dem konstanten
                              									Vorschub die Zeitabszisse darstellt und in den veränderlichen Abständen der
                              									minutlichen Umdrehungen bezw. einer gewissen Summe von Umdrehungen eines
                              									Fahrzeugrades die Wegeordinate. Die Summe aller Einzelabstände gibt den gesamten
                              									zurückgelegten Weg. Das Verhältnis der Wegestrecke zu der die Zeit darstellenden,
                              									entsprechenden Strecke im Diagramm ergibt die Geschwindigkeit. Schon 1865 hat Claudius einen hierauf beruhenden „neuen
                                 										Zuggeschwindigkeits-Messer“ veröffentlicht, der jedoch die Geschwindigkeit
                              									nicht anzeigt, sondern nur dieselbe nachträglich durch die Aufschreibungen zu
                              									bestimmen gestattet. Der Apparat besteht aus einem gewöhnlichen Doppelstift-Morse-Apparat, dessen beide Stifte auf demselben
                              									Papierstreifen nebeneinander schreiben: Der eine wird elektrisch durch eine
                              									Zylinderuhr sekundlich ausgelöst und vermerkt die Sekunden, der andere zeichnet die
                              									Umdrehungen des Rades auf vermittels eines Kontaktes am Rade, der bei jeder
                              									Radumdrehung den Strom einmal öffnet und schließt. Da der Strom jedesmal während
                              									einer halben Umdrehung geöffnet, während der anderen geschlossen ist, so stellt sich
                              									eine Radumdrehung durch einen Strich und eine Lücke dar. Bei der größten
                              									Umdrehungszahl = 8 bis 9 i. d. Sekunde werden noch sichere Aufzeichnungen verbürgt.
                              									Durch die Zeitdarstellung wird die Ungenauigkeit des Streifungsschubes für das
                              									Diagramm unschädlich gemacht. Bemerkenswert ist der Antrieb des Papierstreifens
                              									durch einen mit Daniellscher Batterie gespeisten
                              									Elektromotor. Die ganze Vorrichtung war in einen Personenwagen eingebaut.
                           Bei den Fahrversuchen auf der Berliner Stadtbahn 1897 ist auf Leißners Vorschlag – ob er von dem Claudius-Apparat Kenntnis hatte, bleibe dahingestellt – die
                              									Fahrgeschwindigkeit nach demselben Prinzip aufgezeichnet worden. Besondere
                              									Zeitpunkte wurden nicht vermerkt, dagegen wurde der Vorschub mit zuverläßiger
                              									Gleichförmigkeit, die dem Claudius – Apparat infolge
                              									des Antriebes fehlen mußte, durch das Werk des Morse-Apparates selbst bewirkt. Für die Wirkungsweise der Vorrichtung und die
                              									Uebertragung der Aufzeichnungen in das zeitliche Geschwindigkeitsdiagramm, ergibt
                              									sich folgende Entwicklung:
                           
                           Darstellung für eine Radumdreh. (Strich + Lücke) = x mm,
                           Raddurchmesser = d m,
                           Radumfang = π d.
                           Streifenvorschub i. d. Minute = 1580 mm = m; eine Minute
                              									dargestellt durch 1580 mm,
                           
                              \left{{\mbox{Weg in km für}}\atop{\mbox{1
                                 										Minute}}}\right\}=\frac{1580\,\cdot\,\pi\,d}{x\,\cdot\,1000},\mbox{ wobei
                                 										}\frac{1380}{x}=\mbox{Umdrehungszahl in 1 minute,}
                              
                           daher Weg in 1 Stunde, ausgedrückt in km,
                           
                              V=\frac{1580}{x}\,\cdot\,\frac{\pi\,\cdot\,d}{1000}\,\cdot\,60,
                              
                           das ist die Geschwindigkeit in km/std.
                           Aus V ∙ x = 0, 06 ∙ m ∙ π d = 94,8 π ∙ d läßt sich der graphische Maßstab für das Auftragen
                              									der zeitlichen Geschwindigkeitslinie aufstellen; denn die Gleichung stellt eine
                              									gleichmäßige Hyperbel dar, deren Abszissen die Länge des Morsestreifens für eine
                              									Radumdrehung = x mm und deren Ordinaten die gesuchten
                              									Geschwindigkeiten in km/std. sind. Trägt man diese zu den gehörigen Zeiten als
                              									Ordinaten auf, so erhält man die verlangte Schaulinie. Eine wichtige Rolle bei der
                              									Genauigkeit und Deutlichkeit des selbsttätig aufgezeichneten Diagramms spielt der
                              									Vorschub des Streifens, der, wie leicht einzusehen von den Radumdrehungen i. d.
                              									Sekunde abhängt, die ihrerseits vom gegebenen Raddurchmesser und von der
                              									Höchstgeschwindigkeit, für welche die Aufschreibungen verlangt werden, abhängen.
                              									Rechnet man bei Höchstgeschwindigkeit, daß Kontaktschluß und Unterbrechung zu je 2
                              									mm, also eine Umdrehung durch 4 mm dargestellt werden, dann ergibt sich der Vorschub
                              									aus:
                           
                              V_{\mbox{max}}\,\cdot\,4=m\,\cdot\,\frac{\pi\,d}{1000}\,\cdot\,60\mbox{
                                 										zu}
                              
                           
                              m=V_{\mbox{max}}\,\cdot\,\frac{4\,\cdot\,1000}{\pi\,\cdot\,d\,\cdot\,60}=\left{{1040\mbox{
                                 										mm für }D=1,0\mbox{ m}}\atop{{1330\mbox{ mm für }D=0,8\mbox{ m}}}\right\}
                                 										\mbox{für }V_{\mbox{max}}=50\ \mbox{km/Std.}
                              
                           Die Werte für den Vorschub zeigen, daß die Aufzeichnungen bei den Berliner Versuchen
                              									bei 50 km stündlicher Fahrgeschwindigkeit noch sehr deutlich ausfallen mußten.
                           Die Paris – Lyon – Mittelmeer-Bahn verwendet ein Chronotachometer, welches im
                              									täglichen Betriebe diese Diagramme verzeichnet. Wegen der naturgemäßen Verwendung
                              									sehr langsam laufender Streifen gehen die Zeichen jeder einzelnen Radumdrehung bei
                              									hohen Geschwindigkeiten ineinander über, so daß das Werk noch nach je 160
                              									Radumdrehungen ein Zählzeichen gibt. Der Vorschub beträgt für schnellfahrende Züge
                              									10,5 mm.
                           Es wird z.B.
                           für d = 2,07 m; V = 120 km/std.,
                           die Strecke zwischen zwei Zählzeichen
                           
                              x=\frac{0,06\,\cdot\,10,5\,\cdot\,\pi\,\cdot\,2,07\,\cdot\,160}{120}\,\overset{\infty}{=}\,5,5\mbox{
                                 										mm}.
                              
                           Die Höchstgeschwindigkeit kann aber noch deutlich verzeichnet und abgelesen
                              									werden.
                           Bei Anfertigung des Maßstabes zur Auftragung der Geschwindigkeit darf nicht außer
                              									Acht gelassen werden, daß die Entfernung zweier Zählzeichen nicht eine Umdrehung,
                              									sondern 160 Umdrehungen des Meßrades bedeutet.
                           Bei dem im Jahre 1903 angestellten Schnellbahnversuchen Marienfelde – Zossen wurde
                              									dasselbe Prinzip angewendet in vervollkommneter Weise und gestattete fest genaue
                              									Messung. Auf einem gleichmäßig bewegten Streifen wird durch ein Präzisionsuhrwerk
                              									die Zeit in Sekunden vermerkt. Darunter wird jede Umdrehung einer nicht
                              									bremsbaren Achse unmittelbar durch einen Punkt verzeichnet und darunter ebenfalls
                              									selbsttätig das Durchfahren jedes Kilometersteins. Durch die Sekundenzeichen ist die
                              									Unregelmäßigkeit der Papiergeschwindigkeit aus dem Diagramm vollständig beseitigt,
                              									so daß die denkbar genaueste Messung möglich ist.
                           Die Streifengeschwindigkeit berechnet sich aus der Forderung, daß eine Umdrehung bei
                              									der Höchstgeschwindigkeit von V = 216 km/std. etwa
                              									durch 2 mm dargestellt werden soll bei einem Raddurchmesser = 1 m aus folgender
                              									Betrachtung: Die sekundl. Umdrehungszahl berechnet sich aus:
                           
                              \frac{V^{\mbox{
                                 										km}}/_{\mbox{Std.}_{\mbox{max}}}}{3,6_{\mbox{max}}}=V^{\mbox{
                                 										m}}/_{\mbox{Sek.}}=\pi\,\cdot\,d\mbox{ m}\,\cdot\,n',
                              
                           
                              \frac{60}{3,14}=19=n'.
                              
                           Es müssen also in einer Sekunde 19 Umdrehungen verzeichnet werden, dazu gehört eine
                              									Streifenlänge von 19. 2 = 38 mm, also ein Vorschub von 38. 60 = 2280 mm i. d.
                              									Minute.
                           Will man nur die Vorbeifahrt an den Hektometersteinen bei V
                                 										= 216 genügend deutlich zeichnen lassen, so ergibt sich der Vorschub wie
                              									folgt:
                           V. x = 0,06. m. 100.
                           Die Entfernung der Zählzeichen auf dem Streifen betrage x = 2 mm; dann wird der Vorschub
                           
                              m=\frac{216\,\cdot\,2}{0,06\,\cdot\,100}=\sim\,72\mbox{ mm}.
                              
                           Die Zeitdauer für das Durchfahren von 100 m beträgt
                           
                              \frac{60\,\cdot\,60\,\cdot\,100}{216\,\cdot\,1000}=1,67\mbox{
                                 										Sek.},
                              
                           welche durch eine noch gut sichtbare Zeitstrecke von 2 mm
                              									dargestellt werden.
                           Die Diagramme lassen sich nach ihrer Gestalt in zwei Gruppen trennen; aus der ersten
                              									liest man ohne weiteres die jeweilige Geschwindigkeit ab, aus der letzteren kann man
                              									diese nur durch Rechnung oder durch Maßstäbe mittelbar erst feststellen. Daher
                              									eignen sich die ersteren, die örtlichen oder zeitlichen Geschwindigkeitsdiagramme,
                              									in denen die Geschwindigkeit als Funktion der Zeit oder des Weges in Gestalt einer
                              									Kurve erscheint, zur Nachprüfung von Zugfahrten im Betriebe. Unerläßlich ist dazu
                              									die Sichtbarmachung der Aufenthalte im Diagramm. Sie besitzen also den Vorteil,
                              									schnelle Nachprüfung mit wenig Zeitaufwand zu gestatten. Die Richtigkeit der Kurven
                              									darf in gewissen Fehlergrenzen schwanken. Bei den Diagrammen, die als Unterlagen zur
                              									wissenschaftlichen Weiterbearbeitung der Versuchsergebnisse dienen sollen, kommt es
                              									auf möglichst erreichbare Genauigkeit an, während die sofortige Ablesbarkeit der
                              									Geschwindigkeit aus dem Diagramm nicht erforderlich ist. Diese wertvolle Genauigkeit
                              									wird um so größer, je einfacher das Prinzip der Erzeugung ohne fehlerbehaftete
                              									Zwischenglieder der Konstruktion ist: Möglichst unmittelbares Abnehmen der
                              									Geschwindigkeit von dem Geschwindigkeitsträger in ursprünglicher Form! Diese
                              									Forderung und Erkenntnis hat bei den in der Geschichte der Verkehrstechnik einzig
                              									dastehenden Schnellbahnversuchen Marienfelde – Zossen, 1903 zu den Apparaten
                              									geführt, die einen bis dahin noch nicht erreichten Genauigkeitsgrad von über 1/1000 ergeben
                              									haben und deren Prinzip schon 1865, als man sich noch mit Zuggeschwindigkeiten von
                              									40 – 50 km/std. begnügte, angegeben war! Hierin zeigt sich wieder der Kreislauf der
                              									Wissenschaft, die so oft das Einfache, Ursprüngliche verlassend, auf vielen Umwegen
                              									zu ihm zurückkehrt, es dann aber vervollkommnet und verbessert und auf Grund der im Laufe der Zeit
                              									gesammelten Erfahrung mit Erfolg anwendet. Ferner begründen sich hierin die
                              									Berechtigung und Bedeutung geschichtlicher Fachstudien, die noch immer den Grund zur
                              									eigenen Erfahrung und zu eigenem Wissen gelegt und den Fortschritt gelehrt
                              									haben.
                           Die Deutlichkeit eines Diagramms wächst mit der Größe der Geschwindigkeit des
                              									laufenden Diagrammpapiers. Aus den Entwicklungen zeigt sich auch hierin der
                              									wesentliche Unterschied der Diagramme für Betriebs- und Versuchszwecke. Bei ersterem
                              									ein Vorschub von 2 – 10 mm i. d. Minute, während er bei letzterem bis 2000 mm geht.
                              									Dadurch werden auch die so wichtigen Anfahr- und Bremsverhältnisse dargestellt, die
                              									bei den ersteren häufig undeutlich und ungenau sind. Die Erörterungen über die
                              									mechanische Erzeugung der Diagramme weisen deutlich darauf hin, daß die Erzeugung
                              									von Betriebs- und Versuchsdiagramm zwei ganz verschiedene Dinge sind und daß diese
                              									Aufgabe von ein und demselben Apparat daher nicht zufriedenstellend gelöst werden
                              									kann. Ein Apparat, der Betriebsdiagramme aufzeichnet, ist daher zu Versuchszwecken
                              									unbrauchbar und kann höchstens dazu dienen, ungefähr die jeweilige Geschwindigkeit
                              									erkennen zu lassen.
                           Die Diagramme selbst werden in dreierlei Weise erzeugt: Durch Schreiben mittels
                              									Bleistift, durch Aufnahme der Zeichen auf vorgerichtetem Papier, oder durch einzelne
                              									in kurzen Zwischenräumen hervorgerufene Nadelstiche. Auch hierin trennt sich das
                              									Betriebs- vom Versuchsdiagramm. An ersteres wird die Forderung der Dauerhaftigkeit
                              									gestellt, denn es wird nicht allzu zart behandelt und soll manchmal noch nach Wochen
                              									klar leserlich sein. Bei letzterem dagegen fällt diese Forderung nicht so ins
                              									Gewicht, wenn sie sich nicht mit anderen vereinigen läßt; denn die Versuchsdiagramme
                              									werden sehr sorgfältig behandelt und meist sofort bearbeitet. Es sind deshalb bei
                              									ersteren die durch Nadelstiche erzeugten anzustreben, die sich beim Versuchsdiagramm
                              									aber wegen des schnellen Streifenvorschubs von selbst verbieten. Beim
                              									Versuchsdiagramm hat die Darstellung auf vorgerichteten Papier Bedeutung gewonnen,
                              									wo nur eine Berührung des Schreibstiftes oder Hämmerchens das Zeichen erzeugt.
                           Die Diagrammfläche wurde bei den ersten Apparaten als Scheibe mit radialer
                              									Schreibstiftbewegung oder als Trommel mit parallel der Achse erfolgender
                              									Schreibstiftführung angeordnet. Da diese aber, um in kleinen Abmessungen zu bleiben,
                              									nur wenige Stunden benutzbar bleiben konnten, so ging man bald zur Verwendung von
                              									Streifendiagrammen mit konstantem Vorschub und dazu senkrechter Bewegung des
                              									Schreibstiftes über, die das Einsetzen neuen Diagrammpapiers erst nach einer
                              									größeren Anzahl von Fahrten nötig machten. Auch als Trommel mit seitlicher
                              									Verschiebung ist die Diagrammfläche ausgebildet worden, ohne weitere Verbreitung zu
                              									finden. Der Antrieb der Diagrammfläche erfolgt durch Uhrwerk, das sich während der
                              									Fahrt selbst aufzieht und während der Ruhe auf bestimmte Dauer noch weiter läuft.
                              									Die Bewegung der Diagrammfläche, wie beim Zeit-Wege-Diagramm, vom Treibwerk
                              									abzunehmen, wurde bald wegen der Fehler infolge Gleitens der Räder durch den
                              									jetzigen schon geschilderten Antrieb verdrängt. Zu Versuchszwecken ist der Antrieb
                              									des Vorschubs auch durch Elektromotor mit konstanter Umdrehungszahl versucht
                              									worden.
                           Die Einteilung der Geschwindigkeitslinien als Ordinaten erfolgt meist auf empirischem
                              									Wege, die Zeiteinteilung ist gegeben durch die konstante Geschwindigkeit des
                              									Vorschubes, wobei eine bestimmte Anzahl Millimeter die Zeiteinheit darstellt.
                           Als Ergebnis der kritischen Untersuchung der Diagramme wird gefolgert:
                           1. Die mechanische Erzeugung der Diagramme entspricht allen Forderungen. Als
                              									Diagrammfläche kommt nur der laufende Streifen in Frage.
                           2. Für den Betrieb ist das orthogonale zeitliche Geschwindigkeitsdiagramm, punktweise
                              									erzeugt durch Nadelstiche, für die eine zeitliche Aufeinanderfolge von 3 bis 6
                              									Sekunden zuläßig sind, am meisten wegen seiner Dauerhaftigkeit zu empfehlen,
                              									trotzdem die Beschleunigungs- und Anfahrverhältnisse bei schnellen
                              									Geschwindigkeitsänderungen nicht ganz genau dargestellt werden.
                           Für Versuchszwecke genügen im allgemeinen die Betriebsdiagramme nicht; für sie eignet
                              									sich die Art der Aufzeichnung, wie sie bei den Schnellbahnversuchen 1903
                              									stattgefunden hat – Aufzeichnen der Radumdrehungen unmittelbar ohne Zwischenwerk auf
                              									elektrischem Wege – am besten, da sie die zuverläßigsten Werte ergibt. Daraus ergibt
                              									sich von selbst, Aufzeichnung der Diagramme und Anzeige von zwei Apparaten getrennt
                              									ausführen zu lassen.
                           Bei Versuchen dient die Geschwindigkeitsanzeige nur zum ungefähren Kenntlichmachen
                              									der jeweiligen Fahrgeschwindigkeit; der Hauptwert ist auf die Erzeugung
                              									zuverlässiger Aufzeichnungen der Geschwindigkeit zu legen.
                           3. Die konstruktive Anordnung der Streifenführung im Apparat für Betriebsdiagramme
                              									muß so sein, daß sie vor Antritt jeder Fahrt gestattet, diese durch Aufschreiben von
                              									Datum und Dienstlauf der Lokomotive und Zugnummer zu kennzeichnen, um später ein
                              									Auffinden einzelner Zugfahrten überhaupt möglich zu machen.
                           4. Für die Nachprüfung der Betriebsdiagramme empfiehlt sich eine Hilfsvorrichtung,
                              									welche den Streifen an dem prüfenden Beamten mit angemessener Geschwindigkeit
                              									vorbeizieht, selbsttätig aufwickelt und leicht abstellbar ist. Die Uebung bei der
                              									Nachprüfung wird die kritischen Stellen – Langsamfahrstellen usw. – schnell
                              									herausfinden lassen. Um sich auf dem Streifen leichter zurechtfinden, schlägt ein
                              									Typenrad die ¼ Stunden selbsttätig auf den Streifen. Mit Hilfe des Fahrplans und
                              									dieser Zählzeichen ist es möglich, schnell eine bestimmte Stelle der Strecke
                              									aufzufinden. Auch das Verfolgen der einzelnen Stationen, dargestellt im Diagramm
                              									durch die Geschwindigkeit = 0, an Hand des Fahrplans, unterstützt das
                              									Sichzurechtfinden. Das Typenrad wird bei Beginn jeder Fahrprüfung auf Null
                              									zurückgestellt.
                           Der Vorschub darf nicht zu groß gewählt werden, um nicht das Auge des Prüfbeamten zu
                              									ermüden: 240 cm Vorschub i. d. Minute wird ein brauchbarer Wert sein. Sind auf dem
                              									Diagrammstreifen 2 mm = 1 Minute, so laufen zur Prüfung
                              										\frac{2400}{2}=1200 Streifen – Minuten in einer Zeitminute
                              									durch, d. s. 20 Stunden; davon 90 v. H. als Zugfahrt gerechnet, d. s. 18 Stunden.
                              									Wird jede Lokomotivfahrt zu 4 Stunden gerechnet, so laufen in der Minute 4,5 Fahrten
                              									durch den Diagrammprüfapparat, in 1 Stunde 270 Zugfahrten; infolge der mit der
                              									Prüfung verbundenen Nebenarbeiten, wie die geschäftsmäßige Erledigung der Prüfungen,
                              									das Aufspannen der Diagramme usw. wird die wirklich geprüfte Anzahl von Zugfahrten
                              									erheblich kleiner ausfallen. Rechnet man, daß nur 25 Prüfungen von Zugfahrten an
                              									einem Tage von einem Beamten zu leisten sind, so dürfte dies für den praktischen
                              									Betrieb genügend sein. Unter der Annahme von 5 v. H. Betriebsunregelmäßigkeiten, die
                              									durch Nachprüfung zu verfolgen sind, ergeben sich für mittlere Verhältnisse, unter
                              									denen von einer Maschineninspektion 300 Züge täglich gefahren werden, 15 notwendige
                              									Nachprüfungen. Es bleiben also noch 10 Nachprüfungen zu Stichproben übrig; die
                              									Tagesarbeit eines Beamten wird also nur zum geringsten Teil durch die Nachprüfung
                              									der Betriebsdiagramme ausgefüllt.
                           
                           5. An dem Wert der Diagramme für den Betrieb ist nicht zu zweifeln, wie dies im
                              									ersten Absatz klargelegt wurde. Zur Nachprüfung der Geschwindigkeiten auf
                              									gefällereichen Gebirgsbahnen (Schweiz) werden sie fürs erste nicht entbehrt werden
                              									können, namentlich wo es sich um hohe Geschwindigkeiten handelt. Anzustreben ist
                              									jedoch, daß Fahrzeug und Strecke sich in solchem Zustand befinden, daß mit der für
                              									beide zulässigen gleichen Höchstgeschwindigkeit, die möglichst weit über der
                              									planmäßigen Grundgeschwindigkeit liegen soll, überall gefahren werden kann. Dann
                              									können Schreibwerke entfallen; denn es wird nicht von Wert sein, untrüglich
                              									festzustellen, ob an einer Stelle mit 120 oder 140 km gefahren worden ist, wenn die
                              									Verhältnisse 150 km gestatten! Damit entfällt dann auch der Hauptzweck des
                              									Diagramms, aus ihm Fahrgeschwindigkeits-Ueberschreitungen nachzuweisen. Wenige
                              									Langsamfahrstellen mit bedeutend ermäßigter Geschwindigkeit werden durch Radtaster
                              									überwacht. Das sind Betriebsverhältnisse, wie sie die Strecken- und
                              									Fahrzeugverhältnisse des zukünftigen Schnellbahnverkehrs kennzeichnen.
                           Es ist jedoch festzustellen, daß nur reiche Erfahrung und vertieftes Studium zu einer
                              									richtigen Beurteilung der Frage im besonderen führen können. Das Bild verschiebt
                              									sich vollständig mit der Aenderung der Betriebsbedingungen. Der Schnellbahnverkehr,
                              									dem die Verkehrstechnik zustrebt, wird wie schon angedeutet, in erster Linie die
                              									Beförderung von Zügen verschiedener Fahrgeschwindigkeiten auf denselben Gleisen
                              									beseitigen; ob dann die Schreibwerke an Geschwindigkeitsmessern entbehrlich werden,
                              									läßt sich zurzeit wohl kaum beurteilen. Zu beobachten bleibt stets, ein wie großes
                              									Hilfsmittel das Diagramm bei der Untersuchung von Eisenbahnunfällen aller Art
                              									ist!
                           Noch auf einen anderen Punkt ist aufmerksam zu machen, in dem die Bedeutung der
                              									Geschwindigkeitsdiagramme nicht immer genügend gewürdigt worden ist, nämlich in
                              									Bezug auf die Aufstellung der Fahrpläne. Diese hängen von der Leistungsfähigkeit der
                              									Maschinen ab. Die Praxis des Eisenbahnbetriebes hat längst zu der Ueberzeugung
                              									geführt, daß die Fahrpläne auf Grund von Versuchsfahrten mit fahrplanmäßigen Zügen
                              									unter Schaffung und Beachtung aller wirklichen Betriebseigentümlichkeiten – Verkehr,
                              									Strecke, Wetter – und nicht auf Grund bloßer theoretischer Rechnungen aufgestellt
                              									werden müssen.
                           Eine große Rolle spielen dabei die Anfahr- und Bremsperioden. Diese werden häufig
                              									nicht richtig in die Berechnung der Fahrzeiten eingeführt, indem sie meist nach
                              									bestimmten festen Durchschnittssätzen in Anrechnung gebracht werden. Es ist auch zu
                              									mühevoll, diese Perioden für die einzelnen Stationen durch Rechnung oder nach
                              									einzelnen Versuchsfahrten festzulegen. Sind alle Lokomotiven mit schreibenden
                              									Geschwindigkeitsmessern ausgerüstet, so ist es ohne kostspielige Sonderfahrten
                              									möglich, im täglichen fahrplanmäßigen Zugdienst diese Werte durch beliebig viele
                              									Fahrten zu bestimmen, die dann auf Brauchbarkeit Anspruch machen können. Es würde
                              									sich ein wertvolles Material sammeln lassen, das für alle Strecken und Maschinen und
                              									Zuggattungen individuelle Bedeutung erhält. Dadurch wird sich in der Tat die
                              									Fahrzeit zwischen zwei oder mehreren Stationen auf Bruchteile von Minuten mit
                              									Sicherheit festlegen lassen. Indem ein klares Bild über die Wege und Zeiten in der
                              									Anfahr- und Bremsperiode gewonnen wird, werden diese ohne Fehler in die
                              									Fahrplanaufstellung eingeführt werden und es wird nicht nötig sein, die dem Fahrplan
                              									zugrunde gelegte gleichförmige Geschwindigkeit zwischen richtig bemessener Brems-
                              									und Anfahrperiode zu überschreiten. Aehnlich wie die Leistungstabellen der
                              									Lokomotiven, welche für die Lokomotivgattungen die zu befördernden Zuggewichte auf
                              									den einzelnen Strecken unter gegebener Geschwindigkeit enthalten, werden im Laufe
                              									der Zeit gleiche Zusammenstellungen anzufertigen sein, die Anfahr-Weg und -Zeit
                              									unter Berücksichtigung aller wesentlichen Umstände festlegen. Diese Aufgabe wird nur
                              									mit Hilfe der schreibenden Geschwindigkeitsmesser gelöst werden können.
                           Wie sich die Frage der schreibenden Geschwindigkeitsmesser weiter entwickeln wird,
                              									läßt sich zur Zeit nicht übersehen und es wäre müßige Zukunfsbetrachtung, wollte man
                              									eine bestimmte Richtschnur aus heutigen Betriebsverhältnissen ableiten. Dazu ist sie
                              									zu innig mit diesen verbunden und wird mit ihnen noch unbekannte Wandlungen
                              									durchmachen. Soweit aber wird sich voraussehen lassen, daß die Betriebsdiagramme an
                              									Wert verlieren, sobald die Anzahl der Gefahrstellen der Strecke wesentlich abnimmt,
                              									so daß sie durch Radtaster wirschaftlicher überwacht werden können. Auch mit der
                              									Beförderung nur von Zügen mit annähernd gleicher Fahrgeschwindigkeit auf demselben
                              									Gleis, wodurch Ueberholungen fortfallen und der Betrieb sich allgemein sicherer
                              									gestaltet, werden die Diagramme in den Hintergrund treten, so daß sie nur noch für
                              									Versuchszwecke oder als Grundlagen für die Fahrplanaufstellung unentbehrlich sein
                              									werden. Ob das schwerwiegende Gründe genug sein werden, um eine regelmäßige
                              									Aufzeichnung der Geschwindigkeit nicht mehr als erforderlich erscheinen zu lassen,
                              									muß dahingestellt bleiben, da doch, wie gezeigt, andere Gründe immer für sie
                              									sprechen werden. Jedenfalls sollten, wenn die Betriebssicherheit in Frage kommt,
                              									Anschaffungs- und Unterhaltungskosten von schreibenden Geschwindigkeitsmessern kein
                              									Wider in die Wageschale werfen.