| Titel: | Die mechanischen Fensterglasverfahren von Emile Fourcault und Irving Wightman Colburn. | 
| Autor: | Wendler | 
| Fundstelle: | Band 325, Jahrgang 1910, S. 346 | 
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                        Die mechanischen Fensterglasverfahren von Emile
                              								Fourcault und Irving Wightman Colburn.
                        Die mechanischen Fensterglasverfahren von Emile Fourcault und
                           								Irving Wightman Colburn.
                        
                     
                        
                           Während bei der Handarbeit das Fensterglas durch Aufschlitzen und Ausbreiten von
                              									geblasenen Glaszylindern gewonnen wird, bemühen sich die neueren mechanischen
                              									Verfahren zur Herstellung von Fensterglas, diesen Umweg zu vermeiden und das
                              									Tafelglas unmittelbar aus der geschmolzenen Glasmasse durch eine Arbeitsweise zu
                              									gewinnen, die man am besten mit dem Spinnen vergleichen kann. Ein Stab wird in
                              									wagerechter Lage seiner ganzen Länge nach mit der Oberfläche des geschmolzenen
                              									Glases in Berührung gebracht und zieht beim Anheben ein Glasband hinter sich her,
                              									das mit zunehmender Entfernung von der Schmelze oben erstarrt und sich unten
                              									beständig fortsetzt. Dieser einfache Vorgang ist leider mit einer unerwünschten
                              									Nebenerscheinung insofern verbunden, als das Glasband die Neigung zeigt, sich immer
                              									mehr zu verschmälern, und sich schließlich zu einem Faden auszuziehen. Diese Neigung
                              									zu bekämpfen, benutzt Colburn zwei kugelförmige Körper
                              										a (Fig. 1), welche
                              									in die Glasschmelze eingetaucht und in Umdrehung in entgegengesetztem Sinne versetzt
                              									werden, so daß sie eine Bewegung des Glases an der Oberfläche der Schmelze bewirken,
                              									welche den Rand der sich an dieser Stelle erhebenden Glastafel b an der Wurzel nach außen mitzunehmen bestrebt ist,
                              									und so die Verschmälerung des Glasbandes wirksam bekämpft.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 325, S. 346
                              Fig. 1.
                              
                           Noch eine andere Schwierigkeit ist zu überwinden. Die Oberfläche der Schmelze ist
                              									nämlich nicht vollständig dünnflüssig und entsprechend eben, sondern verhältnismäßig
                              									zäh und aus Bestandteilen verschiedener Konsistenz zusammengesetzt. Dieser Zustand
                              									der Glasoberfläche entsteht in erster Reihe durch die Abkühlung, namentlich an den
                              									Wandungen des die Glasschmelze enthaltenden Vorherdes c. Die an der Wand sich bildenden Glasknoten und dergleichen zäheren
                              									Glasteile bewegen sich auf der Oberfläche der Schmelze nach der Ziehstelle hin
                              									und gelangen schließlich in die Glastafel, in welcher sie, in die Länge gezogen,
                              									fortlaufende Streifen bilden. Auch die Oberfläche der Schmelze inmitten des
                              									Vorherdes, der ja oben offen sein muß, schrumpft und wird runzlig, und auch diese
                              									Ungleichheit, obgleich auf der Schmelze kaum sichtbar, wird zur Ursache von Streifen
                              									in der fertigen Glastafel, welcher selbstverständlich auch Mängel einverleibt werden
                              									könnten durch in das Glas fallende Flugstaubteilchen und andere Fremdkörper. Diese
                              									Uebelstände werden durch die in Fig. 2 im
                              									Querschnitt sichtbaren, innen von Wasser durchflossenen und so gekühlten Walzen a aus feuerfester Masse bekämpft. Sie sind im Vorherd
                              										b der Wanne c
                              									untergebracht und begrenzen nach der Seite den Teil des Glasspiegels, welcher der
                              									freien Luft ausgesetzt und dabei abgekühlt wird. Diese Abkühlung findet nur zwischen
                              									den beiden Rollen statt, während das Glas außerhalb der Rollen durch die zugeführten
                              									Heizgase in starker Ueberhitzung erhalten wird. Die Züge für die Heizgase sind links
                              									und rechts von den Walzen sichtbar. Die starke Erhitzung des Glases außerhalb der
                              									Walzen ist wichtig, weil das Glas sich entglasen, d.h. kristallisieren würde, wenn
                              									seine ganze Masse dauernd bis auf die Temperatur abgekühlt würde, bei welcher das
                              									Ausziehen der Glastafel am besten von statten geht, und welche dem Erstarrungspunkt
                              									des Glases verhältnismäßig nahe liegt. Die Walzen bewegen nun mit ihrer Unterseite
                              									beständig frisches, überhitztes und daher vollkommen gleichmäßig zähes Glas, von
                              									außerhalb gegen die Stelle heran, an welcher die Glastafel (in Fig. 2 inmitten der beiden Walzen a sichtbar) entsteht, während diejenige Glasmasse,
                              									welche etwa auf der Oberfläche zwischen den Walzen infolge der Abkühlung durch die
                              									von oben zutretende Luft zu schrumpfen anfängt, an den Walzen haftet, und von ihnen
                              									nach oben und außen mitgeführt wird, um dort wieder überhitzt zu werden.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 325, S. 346
                              Fig. 2.
                              
                           Stets ist also die Aushebestelle von einem ungeschrumpften
                              									Spiegel gleichmäßig heißen Glases umgeben, welches in die Oberfläche der
                              									entstehenden Glastafeln eingeht, so daß sie völlig eben und hochglänzend wird. Zu
                              									beiden Seiten ist
                              									die Glastafel durch wassergekühlte Schilde d gegen die
                              									Ofenhitze geschützt. Sie erstarrt und tritt in den darüber liegenden Kühlraum, wo
                              									sie durch Brenner, welche mit Naturgas gespeist sind, nur so weit wieder erweicht
                              									wird, daß sie um die Walze e gebogen und in wagerechter
                              									Richtung in eine Kühlgalerie eingeführt werden kann. Die Bewegung des endlosen
                              									Glasbandes wird dabei hervorgebracht, indem es gegen eine darunter liegende endlose
                              									Fördersohle f in Abständen angepreßt wird durch
                              									Druckschienen g, welche an einem oberen endlosen
                              									Kettenwerk umlaufen. Bei Beginn der Arbeit läßt man, um zunächst das Glasband
                              									anzufangen, diese Vorrichtung rückwärts gehen, und eine an Ketten hängende Schiene
                              										h über die Biegewalze in den Schmelzofen hinab
                              									mitnehmen, wo sie in der schon geschilderten Weise das Glasband anfängt und hinter
                              									sich her zieht, wenn man sie unter Umsteuerung der Fördervorrichtung wieder anhebt.
                              									Am Ende der Kühlgalerie tritt das Glasband auf bewegliche Schneidetische aus, und
                              									wird dort in marktfähigen Längen zurechtgeschnitten. Mit den angegebenen
                              									Hilfsmitteln gelingt es nach der Versicherung des Erfinders, Tafelglas in jeder
                              									Stärke von der des einfachen Fensterglases bis zur Stärke von Schleifglas und in
                              									einer Breite von etwa 1 m mit vollkommener Feuerpolitur herzustellen. Die Angaben
                              									über die Ziehgeschwindigkeit schwanken in den verschiedenen Berichten sehr stark von
                              									9–90 m i. d, Stunde. Sicher ist, daß das Colburnsche
                              									Verfahren über den Versuchsbetrieb noch nicht hinausgekommen ist.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 325, S. 347
                              Fig. 3.
                              
                           Der bedenklichste Punkt an dem Colburnschen Apparat ist
                              									die Biegewalze, welche das Glasband aus der senkrechten in die wagerechte Richtung
                              									überführt. An dieser Stelle muß das kaum erstarrte Glasband wieder erweicht werden,
                              									und es kommt in diesem Zustande mit der Walzenfläche in Berührung, wobei notwendig
                              									seine Feuerpolitur in Gefahr kommen muß. Auch wird die auf beiden Seiten
                              									verschiedene Abkühlung an dieser Stelle die Spannungsfreiheit und Haltbarkeit des
                              									Glasbandes leicht gefährden, von dem besonderen Brennstoffaufwand an der Biegestelle
                              									ganz abgesehen.
                           Besser erprobt und sehr eingehend durchgearbeitet ist das Fourcaultsche Fensterglas-Verfahren, welches auf der Hütte des Erfinders
                              									in Damprémy während zweier Jahre in regelmäßigem Betriebe gewesen ist. 300000
                              									Quadratmeter Tafelglas sind danach hergestellt und abgesetzt worden. Fourcault verwendet, um das Verschmälern des Glasbandes
                              									zu verhindern, das in Fig. 3 schematisch
                              									veranschaulichte Mittel. Denkt man sich die Glasmasse v
                              									in einen prismatischen Kasten mit einem Längsschlitz an der Oberseite und einem
                              									beweglichen Boden p eingeschlossen, so wird es beim
                              									Empordrücken des Bodens aus dem oberen Schlitze in Gestalt eines Glasbandes von
                              									einer der Schlitzlänge entsprechenden Breite herausquellen. Fasst man den oberen
                              									Rand dieses Glasbandes gemäß Fig. 3 mit einem
                              									Fangstück B, so wird man es dauernd emporführen können,
                              									während es sich aus dem Schlitz gleichmäßig fortsetzt. Die Vorrichtung, mit welcher
                              									dieser Gedanke in die Wirklichkeit umgesetzt wird, ist in den Fig. 4–6 veranschaulicht. Sie
                              									besteht in einem rechteckigen Kasten aus feuerfester Masse, dessen Boden
                              									emporgewölbt ist und an der höchsten Stelle einen Schlitz f aufweist. Läßt man diesen Kasten auf der geschmolzenen Glasmasse
                              									schwimmen, so steht diese ein wenig unter dem Schlitze f, quillt aber, wenn man den Kasten in irgend einer Weise, etwa durch
                              									Druckschrauben, in die Glasschmelze eintaucht, aus dem Schlitze heraus, und zwar mit
                              									einem der Eintauchtiefe des Kastens entsprechenden hydrostatischen Druck. Die
                              									noch weiche Wurzel der Glastafel wird hierbei also nicht mehr durch Zug von oben aus
                              									der Schmelze herausgezogen, und dadurch der Gefahr des Ausziehens und Verschmälerns
                              									ausgesetzt, sondern sie entsteht durch Empordrücken der Glasmasse e von unten her. Gehoben, und zwar mit einer dem
                              									Ausquellen des Glases aus dem Schlitze entsprechenden Geschwindigkeit, wird nur der
                              									obere bereits erstarrte Teil der Glastafel.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 325, S. 347
                              Fig. 4.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 325, S. 347
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 325, S. 347
                              Fig. 7.
                              
                           Die Gesamtanlage ist aus Fig.
                                 										7 ersichtlich, in welcher E den eben
                              									geschilderten kastenförmigen Schwimmer – die Ziehdüse, wie Fourcault dieses Stück seines Apparates nennt – darstellt. Das Glasband
                              									erstarrt nun in einem gegen die Ofenatmosphäre völlig abgeschlossenen Raume P, welcher nur durch die von den Wänden ausstrahlende
                              									Hitze erwärmt ist, und in welcher daher das Glasband völlig spannungsfrei erstarrt.
                              									Außerdem ist auf diese Weise das Glasband völlig vor Verunreinigungen durch
                              									Flugstaub, Rauchgase usw. geschützt. Gehoben wird das Glasband, indem es zwischen
                              									eine Reihe übereinander liegender Förderwalzen G
                              									eintritt, die mit Asbest überzogen sind, mit einem genau regelbaren Druck dagegen
                              									liegen und durch einen gemeinschaftlichen Antrieb in entsprechende Umdrehung
                              									versetzt werden. Zum Anfangen benutzt man wieder ein in die Glasschmelze
                              									herabgelassenes und dann wieder angehobenes Stück Drahtglas. Genial ist die Lösung
                              									der außerordentlich schwierigen Aufgabe, das Glasband ohne Aenderung seiner
                              									Richtung, also in senkrechter Lage, zu kühlen. Dieser schwierigen Aufgabe ist Colburn, wie schon erwähnt, mit Hilfe der Biegewalze
                              									ausgewichen, nicht aber, ohne dafür bedenkliche Nachteile in Kauf zu nehmen. Die
                              									Aufgabe ist so schwierig, weil in einem senkrechten Kanäle, der noch dazu mit dem
                              									stark erhitzten Innern des Ofens zusammenhängt, die Entstehung von unregelmäßigen
                              									Luftströmungen, welche eine gute Kühlung gefährden, kaum zu vermeiden ist. Nicht
                              									gering ist auch die Schwierigkeit, das Glasband von 5–6 m Länge, welches je nach der
                              									Dicke 24 bis 120 kg wiegt und besonders im unteren Teile des Turmes sehr
                              									zerbrechlich ist, fest genug und doch wieder unter Schonung seiner Feuerpolitur mit
                              									den Walzen zu erfassen, um es empor zu fördern. Auch ist mit dem Umstand zu rechnen,
                              									daß während der Arbeit das Glasband bricht, und Vorsorge zu treffen, daß es nicht
                              									herabstürzend Schaden anrichten, besonders nicht in die Schmelze im Ofen fallen und
                              									diese verderben kann. Zu diesem Zwecke ist der etwa vier Meter hohe, eiserne, innen
                              									mit Asbest ausgekleidete Kühlturm, welcher die Kammer P
                              									nach oben fortsetzt, in übereinander liegende Kammern abgeteilt, und zwar durch
                              									schräge Scheidewände, welche von beiden Seiten des Turmes nach dem Innern zu
                              									ansteigen und nur einen schmalen Schlitz für den Durchgang des Glasbandes lassen.
                              									Diese Kammern werden im wesentlichen nur durch die von dem Glasbande mitgeführte und
                              									ausgestrahlte Wärme geheizt, müssen also eine strömungsfreie Atmosphäre von
                              									gleichmäßig nach oben abnehmender Temperatur haben. Bricht das Glasband, so werden
                              									die kleinen Bruchstücke in den Kammern aufgehalten, größere Bruchstücke dagegen
                              									werden von den dicht auf einander folgenden Walzenpaaren nach oben gefördert. Am
                              									oberen Ende des Turmes wird das fertig gekühlte Glasband fortlaufend in passende
                              									Längen zerschnitten. Die Ziehgeschwindigkeit ist je nach der Glasdicke, welche man
                              									herstellen will, verschieden. Sie steht im umgekehrten Verhältnis dazu und beträgt
                              									bei 2 mm starkem Glase etwa 20 m stündlich. Sie kann durch entsprechende
                              									Steuervorrichtungen genau entsprechend der gewünschten Glasdicke verändert
                              									werden.
                           Drei Maschinen, welche in Damprémy an einem Ofen arbeiteten, brauchten zur Bedienung
                              									fünf Mann in zwölf Stunden. Dem steht für die gleiche Leistung durch Blasen in der
                              									bisherigen Weise eine Belegschaft von fünfzehn Mann gegenüber, wobei zu bedenken
                              									ist, daß zur Bedienung der Maschine ungelernte Arbeiter verwendet werden können,
                              									während für die Handarbeit hochbezahlte Glasmacher nötig sind. Jede der drei
                              									Maschinen lieferte in einem Monat 10000 qm marktfertiges Glas, das nur insofern noch
                              									einen kleinen Mangel aufwies, als es wenig merkliche Längsstreifen zeigte. Diese
                              									Längsstreifen schreibt der Erfinder dem Umstände zu, daß er einen für die verlangte
                              									Glaserzeugung zu kleinen Versuchsofen, also ungares Glas, benutzen mußte. Bei
                              									Verwendung eines Ofens von angemessener Größe hofft er diese Streifen noch
                              									verschwinden zu machen.
                           Dr. Wendler.