| Titel: | DIE KRAFTVERSORGUNG DES KLEINGEWERBES DURCH GAS UND ELEKTRIZITÄT. | 
| Autor: | Hoeltje | 
| Fundstelle: | Band 327, Jahrgang 1912, S. 8 | 
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                        DIE KRAFTVERSORGUNG DES KLEINGEWERBES DURCH GAS
                           								UND ELEKTRIZITÄT.
                        Von Regierungsbaumeister Hoeltje,
                           									Frankfurt a. M.
                        HOELTJE, Die Kraftversorgung des Kleingewerbes durch Gas und
                           								Elektrizität.
                        
                     
                        
                           Inhaltsübersicht.
                           Bei Entscheidung der Frage, welche Betriebskraft zweckmäßig für
                              									das Kleingewerbe in Frage kommt, stehen sich die Ansichten der Gasfachleute und
                              									Elektrotechniker scharf gegenüber. Es soll in diesem Aufsatz versucht werden, durch
                              									Verarbeitung statistischen Materials zur Klärung dieser Frage beizutragen.
                           ––––––––––
                           In dem Konkurrenzkampf zwischen Gas und Elektrizität um die Eroberung der
                              									kleinindustriellen Betriebe und Gewerbe sind in letzter Zeit eine Reihe von
                              									Werbeschriften erschienen, die mehr oder weniger einseitig die Frage von einer
                              									bestimmten Seite aus betrachten und beantworten. Die von Seiten der Elektriker
                              									verfaßten Schriften gipfeln meist in der Behauptung, daß die Elektrizität berufen
                              									sei, die Gasmotoren in den Städten vollständig zu verdrängen, während die
                              									Gasfachmänner dem Gas auch für die Zukunft einen wichtigen Platz in der
                              									Kraftversorgung des Kleingewerbes einräumen, wenn auch neben der Elektrizität. Die
                              									Behauptungen werden meist mit Betriebskostenberechnungen belegt, und man findet bald
                              									heraus, daß die divergierenden Ergebnisse im wesentlichen darauf zurückzuführen
                              									sind, daß von beiden Seiten verschiedene Betriebsstundenzahlen als normal zugrunde
                              									gelegt werden, indem tatsächlich für die wirtschaftliche Ueberlegenheit der einen
                              									oder anderen Kraftquelle außer der Kraftgröße, über die kein Streit besteht, die
                              									Betriebsstundenzahlen ausschlaggebend sind. Der Vielseitigkeit der Verhältnisse der
                              									Praxis wird dabei nicht in genügendem Maße Rechnung getragen. So wird z.B. in der
                              									Broschüre „Was wähle ich, Gas oder Elektrizität“ von Schuster, die sehr einseitig das Lob der Elektrizität
                              									singt, ein Beispiel mit 1000 Betriebsstunden bei ⅗ Belastung entsprechend 600
                              									Stunden bei Vollbelastung und ein zweites mit 500 Stunden bei ⅗ Belastung
                              									entsprechend 300 Stunden Vollbelastung gerechnet. Ebenso wird in der Broschüre
                              										„Muß der Gasmotor dem Elektromotor weichen? Ja!“ von Hermann Schmitz ein Beispiel mit 600 Stunden bei halber
                              									Belastung entsprechend 300 Stunden bei Vollbelastung und 1000 Stunden bei ⅗
                              									Belastung entsprechend 600 Stunden bei Vollbelastung aufgeführt. Die höheren, für
                              									den Elektromotor ungünstigeren Belastungszeiten sind in den Rechnungen nicht berücksichtigt. Anderseits finden sich in der den
                              									entgegengesetzten Standpunkt vertretenden Broschüre von Brandt: „Bemerkungen über elektrische Ueberlandzentralen“
                              									Betriebskostenberechnungen durchgeführt unter Zugrundelegung von 1500 Stunden; die
                              									kleineren, für den Gasmotor ungünstigen Betriebsstundenzahlen sind hier rechnerisch
                              										nicht berücksichtigt. In einer Broschüre der
                              									Vereinigung der Kleingasmotorenfabrikanten „Elektromotor oder
                                 										Verbrennungskraftmaschine“ ist allerdings das Bestreben zu erkennen, den
                              									verschiedenartigen Verhältnissen mehr Rechnung zu tragen, indem Beispiele für 3000
                              									bis herunter zu 500 Betriebsstunden durchgeführt werden; aber immerhin sind noch
                              									kleinere Betriebsstundenzahlen nicht berücksichtigt,
                              									obgleich diese auch in der Praxis vorkommen.
                           Auch in anderen Punkten laufen in diesen Flugschriften häufig Uebertreibungen
                              									unter. So ist z.B. ein beliebtes, von elektrisch interessierter Seite angewandtes
                              									Verfahren, daß zunächst eine reichliche Summe für Bedienung des Gasmotors in die
                              									Betriebskostenrechnung eingesetzt und außerdem unter den rechnerisch nicht zu
                              									verfolgenden Vorteilen des Elektromotors dessen Bequemlichkeit gerühmt wird; man
                              									darf natürlich nur eins oder das andere tun. Ferner findet man in diesen Broschüren
                              									vielfach die Behauptung, für den Gasmotor müsse für dieselbe Arbeitsleistung eine
                              									höhere Betriebszeit eingesetzt werden, weil man in
                              									kürzeren Betriebspausen ihn nicht abstelle; in der Broschüre: „Keine Gemeinde,
                                 										kein Anwesen ohne Elektrizität“ wird sogar die doppelte Betriebszeit für den
                              									Gasmotor im Vergleich zum Elektromotor eingesetzt; das trifft natürlich heute, wo
                              									das Ingangsetzen durch die Andrehkurbeln so bequem gemacht worden ist, nur noch in
                              									Ausnahmefällen zu, und in diesen hat sich der Inhaber eine solche Vergeudung selbst
                              									zuzuschreiben.
                           Ferner findet man häufig in den Broschüren der Elektriker die Eigenschaft des
                              									Gasmotors, bei geringerer Belastung verhältnismäßig mehr Gas zu gebrauchen,
                              									übertrieben ausgenutzt; so wird in der Broschüre: „Muß der Gasmotor dem
                                 										Elektromotor weichen? Ja!“ erwähnt, daß der Gasmotor bei ¼ Belastung die
                              									Hälfte des Gases bei Vollbelastung verbraucht, was zunächst schon übertrieben ist;
                              									außerdem wird aber verschwiegen, daß der Elektromotor in diesem Falle auch 25 v. H.
                              									mehr Strom für die Pferdekraftstunde gebraucht. Ebenso finden sich unzutreffende
                              									Angaben bezüglich des zugrunde gelegten Strompreises. In der Broschüre: „Was
                                 										wähle ich, Gas oder Elektrizität“, Seite 20, wird gesagt, daß der billige
                              									KW-Stundenpreis, 15 Pf., schon bei 5000 bis 6000 KW/Std. gewährt wird, und es wird
                              									das Beispiel auf Seite 25 mit diesem Werte durchgerechnet, trotzdem nur 2640 KW/Std.
                              									gebraucht werden. In Wirklichkeit müßte, um dieses Vorzugspreises teilhaftig zu
                              									werden, bei ¾ Belastung ein Motor von beispielsweise
                           
                              
                                 
                                 1 PS
                                 4 PS
                                 6 PS
                                 
                              
                                 mindestens
                                 6600–7900
                                 1840–2200
                                 1240–1490
                                 
                              
                           Stunden laufen; Zahlen, die aber nach Angabe der Elektriker
                              									bei Elektromotoren des Kleingewerbes nie erreicht werden.
                           Diesen Unstimmigkeiten auf seiten der von den Elektrikern angestellten Rechnungen
                              									stehen natürlich entsprechende, wenn auch wohl nicht so zahlreiche Unstimmigkeiten
                              									in den von den Gastechnikern angestellten Betriebskostenberechnungen gegenüber. Der
                              									Umstand, daß der Motor im Betriebe meist nicht voll belastet ist und bei geringerer
                              									Belastung verhältnismäßig mehr Gas gebraucht, wird vielfach nicht berücksichtigt.
                              									Ferner wird versäumt, der höheren Reparaturbedürftigkeit des Gasmotors gegenüber dem
                              									Elektromotor Rechnung zu tragen. (Die oben genannte Broschüre der Vereinigung der
                              									Kleingasmotorenfabrikanten vermeidet den ersteren Fehler allerdings, indem sie in
                              									den Beispielen mit halber und ¾ Belastung entsprechende Zuschläge zum Gasverbrauch
                              									macht.)
                           Wenn in den genannten Broschüren aus den Fachkreisen der Elektriker und
                              									Gasmotorenfabrikanten über die Frage der günstigsten Betriebskraft für das
                              									Kleingewerbe keine erschöpfende Auskunft geholt werden kann, hauptsächlich weil nur
                              									bestimmte Betriebszeiten in Rechnung gezogen sind, so liegen allerdings auch
                              									Veröffentlichungen vor, die von unparteiischer Seite den Betriebskräften gerecht zu
                              									werden suchen, indem sie den Vergleich für alle praktisch vorkommenden
                              									Betriebsverhältnisse durchführen. Ich erwähne hier das Werk von Barth
                              									„Die zweckmäßigste Betriebskraft“ und die kleine Schrift von Lauenstein
                              									„Gas oder Elektrizität“. Aber welche Betriebszeiten denn nun wirklich im
                              									Handwerk und Kleingewerbe maßgebend sind, kann man aus diesen Schriften auch nicht
                              									entnehmen. Aus diesem Grunde geben sie wohl eine gute Grundlage für die
                              									Beantwortung, aber keine erschöpfende Antwort auf die Frage, inwieweit Gas und
                              									Elektrizität in der Praxis nun wirklich für die Kraftversorgung in Städten in
                              									Betracht kommen.
                           Nach den Urteilen der Elektriker soll das Nebeneinanderexistieren von Elektromotoren
                              									und Gasmotoren in den Städten fortan nicht möglich sein; da nach den Ergebnissen der
                              									Statistik die Zahl der in Städten laufenden Gasmotoren nicht nur nicht zunehme,
                              									sondern nicht einmal auf der alten Höhe bleibe; während die Zahl der Elektromotoren
                              									riesenhaft zunehme, soll das Aussterben des Gasmotors gewiß sein. Diese Darlegungen
                              									finden sich insbesondere in einem Aufsatz der E. T. Z. von Ross (27. April Heft 17). In der Tat könnten die in diesem Aufsatz auf
                              									umfassendem Material aufgebauten Zahlen die Ansicht von der unbedingten
                              									Ueberlegenheit des Elektromotors stützen, wenn man sich eben nur auf diese Zahlen
                              									verläßt und nicht nach den Gründen für diese notwendige Erscheinung forscht. Aber
                              									der von Ross festgestellte Stillstand in der Vermehrung
                              									der Gasmotoren in dem in Betracht gezogenen Zeitpunkte läßt nicht ohne weiteres
                              									darauf schließen, daß der Gasmotor, wie Ross meint, heute
                              									wirtschaftlich völlig unberechtigt ist. Die Sache liegt vielmehr meines Erachtens
                              									folgendermaßen: Lange vor den Elektrizitätswerken gab es in den Städten die
                              									Gasanstalten und alle kraftbedürftigen Kleinindustrien waren auf die Aufstellung von
                              									Gasmotoren angewiesen. Daß unter diesen Betrieben solche gewesen sind, für die der
                              									Gasmotor sich unter den heutigen Bedingungen nicht mehr eignet, ist ohne weiteres
                              									klar, und ebenso daß daher diese Kraftverbraucher nach Bau des Elektrizitätswerkes
                              									den für ihren Betrieb unwirtschaftlichen Gasmotor abschafften und durch einen
                              									Elektromotor ersetzten. Das wird allerdings nicht sofort nach Begründung des
                              									Elektrizitätswerkes geschehen, sondern erst nach einer Reihe von Jahren wird
                              									gewissermaßen ein Gleichgewichtszustand erreicht sein, da je nach den
                              									wirtschaftlichen Verhältnissen des einzelnen, nach seinen Erfahrungen und seiner
                              									Beeinflussung die Auswechselung der Motoren vor sich gehen wird. Rechnet man dazu,
                              									daß eine Reihe von Betrieben, die vorher überhaupt keine mechanische Betriebskraft
                              									hatten, weil für sie keine andere als Elektrizität in Frage kommen konnte, nun auch
                              									dazu kommen, so ist das starke Anwachsen der Elektromotoren und der Stillstand des
                              									Gasmotorenabsatzes während einer gewissen
                           
                           Tabelle 1.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 327, S. 9
                              Elektromotoren; Gasmotoren;
                                 										Gewerbe; Pferdestärken; Jahresstromverbrauch; Jahresbetriebsstund.; Metzgerei;
                                 										Bäckerei (Zwieback- und Brotfabr.); Sonstige Nahrungsmittel; Textilindustrie;
                                 										Schreinerei (inkl. Möbelfabr.); Metallbearbeitung; Schmiede;
                                 										Mineralwasserfabriken; Sonstige Holzbearbeitung; Wäschereien; Seifenfabrik;
                                 										Schleiferei (Glas-Marmor); Druckerei (inkl. Buchbinder); Schuhmacher (inkl.
                                 										Schäftefabrik); Wagenbau (inkl. Stellmacher); Lederwaren (Sattler,
                                 										Portefeuiller); Chemische Fabriken; Kl. W. = Kleinster Wert, Gr. W. = Größter
                                 										Wert, M. W. = Mittel-Wert
                              
                           Zeit nach Eröffnung eines Elektrizitätswerkes ohne weiteres zu
                              									erklären. Aber die Zukunft wird lehren, wie nach erfolgtem Ausgleich die weitere
                              									Entwicklung der beiden Kraftmaschinen vor sich geht.
                           Die folgenden Betrachtungen sollen feststellen, ob etwa jetzt im allgemeinen ein
                              									solcher Ausgleich stattgefunden hat, indem etwa schon jetzt in denjenigen Fällen, wo
                              									der Gasmotor an seiner Stelle geblieben ist, er wirtschaftlich berechtigt ist, und
                              									ob er demnach auch in Zukunft sich unter bestimmten, in der Praxis wirklich
                              									vorkommenden Betriebsverhältnissen weiter ausbreiten muß.
                           Wie oben schon dargetan, ist für die Beantwortung dieser Frage außer der Kraftgröße
                              									maßgebend die Betriebsstundenzahl.
                           Um in diese für die Entscheidung der hier zu behandelnden Frage wichtige Sache Licht
                              									zu bringen, habe ich mich an die Gas- und Elektrizitätswerke mehrerer Städte
                              									gewandt, von denen mir Offenbach, Duisburg und Mainz Material zur Verfügung gestellt
                              									haben. Die gefundenen Zahlen haben sich so ergeben, daß die für das Jahr
                              									verbrauchten Betriebsmittelmengen (in cbm bezw. KW-Stunden gemessen) durch die für
                              									die Motoren in einer Stunde benötigten Betriebsmittelmengen geteilt werden. Dabei
                              									ist angenommen, daß die Motoren mit ¾ Belastung arbeiten. Für den Gas- bezw.
                              									Stromverbrauch für die PS-Stunde sind die Tabellen des Werks von Barth
                              									„Die zweckmäßigste Betriebskraft“ zugrunde gelegt, und zwar sind die
                              									Gasverbrauchszahlen, weil es sich um z. T. ältere Motoren mit ungünstigerer
                              									Wärmeausnutzung handelt, um 5 v. H. erhöht worden und der so gefundenen, den
                              									mittleren Verbrauch bei voller Belastung darstellenden Zahl nochmals 10 v. H. für
                              									den Mehrverbrauch infolge verminderter Belastung zugeschlagen worden. Für den
                              									Elektromotor konnten beide Zuschläge unterbleiben, da der Stromverbrauch der
                              									Elektromotoren in der in Betracht kommenden Zeit sich nicht wesentlich geändert hat
                              									und der Verbrauch für die PS-Stunde bei Abnahme der Belastung um 25 v. H. sich
                              									unwesentlich ändert.
                           So ist die Tab. 1 entstanden, bei der für die verschiedenen Gewerbe die Leistungen
                              									der Motoren und die Betriebsstunden eingetragen sind, und zwar in ihrem geringsten,
                              									größten und mittleren Wert.
                           Man erkennt nun sofort, daß die Größe und Kraftleistung der Kraftmaschinen innerhalb
                              									desselben Gewerbes verschieden groß ist, je nachdem elektrischer oder Gasbetrieb
                              									gewählt ist. Und zwar finden sich bei denjenigen Betrieben, welche Elektrizität
                              									verwenden, in der Mehrzahl der Fälle kleinere Motoren und immer wesentlich kleinere
                              									Betriebsstundenzahlen als in denjenigen Betrieben desselben Gewerbes, welche
                              									Gaskraft verwenden. Man erkennt ferner, daß die mittleren Betriebsstundenzahlen,
                              									welche den Elektromotoren verwendenden Betrieben angehören, zwischen 95 und 1200
                              									schwanken und zum Teil gut übereinstimmen mit denjenigen Betriebsstundenzahlen, die
                              									auch sonst von den Elektrikern für die betreffenden Gewerbe angegeben werden (z.B.
                              									in der Zeitschrift „Elektrische Bahnen und Betriebe“ 1910, S. 292); daß
                              									ebenso die Betriebsstundenzahlen der mit Gas betriebenen Anlagen diejenigen höheren
                              									Werte haben, welche im allgemeinen von den Gasmotorenfabrikanten in ihre Rechnungen
                              									eingesetzt werden. Aber ein Fehler ist es, wenn man, wie es bisher meist in den
                              									Werbeschriften der einen oder anderen Seite gemacht worden ist, für ein bestimmtes
                              										Gewerbe eine
                              									bestimmte mittlere Betriebsstundenzahl einsetzt, für diese Betriebsstundenzahl
                              									ermittelt, ob Gas oder Elektrizität vorteilhafter ist, und das Ergebnis dann für das
                              									ganze Gewerbe verallgemeinert. Vielmehr gibt es in fast allen Gewerben Betriebe mit
                              									kleiner Betriebskraft und kleiner Betriebsstundenzahl und solche mit größerer
                              									Kraft und größerer Betriebsstundenzahl. Die ersteren sind zum Elektromotor
                              									übergegangen, die anderen beim Gasmotor geblieben.
                           
                              (Schluß folgt.)