| Titel: | WASSERKRAFTWERK, HEIZUNGSKRAFTWERK UND LICHTWERK. | 
| Autor: | Ludw. Schneider | 
| Fundstelle: | Band 327, Jahrgang 1912, S. 40 | 
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                        WASSERKRAFTWERK, HEIZUNGSKRAFTWERK UND
                           								LICHTWERK.
                        Von Dr.-Ing. Ludw. Schneider,
                           									München.
                        (Schluß von S. 24 d. Bd.)
                        SCHNEIDER: Wasserkraftwerk, Heizungskraftwerk und
                           								Lichtwerk.
                        
                     
                        
                           Zum Schluß seien noch ein paar Worte über die Einrichtung der Heizungskraftwerke
                              									gestattet.
                           In der Regel kommen als Krafterzeuger Dampfkraftmaschinen in Frage. Es ist jedoch
                              									auch möglich, in besonderen Fällen das Kühlwasser und die Abgase von
                              									Gasmaschinen und Diesel-Motoren für Heizzwecke zu
                              										verwerten.s. Fußnote 1 (S.
                                    											11).
                           
                           Die Dampfkraftmaschinen werden ausgeführt als Einzylinder-Auspuffmaschinen,
                              									Gegendruck-Einzylindermaschinen, Verbundmaschinen mit schlechtem Vakuum oder mit
                              									Zwischendampfentnahme, Auspuffturbinen, Gegendruckturbinen oder Anzapfturbinen.
                           Die Frage, ob Kolbenmaschine oder Turbine, muß im allgemeinen zugunsten der ersteren
                              									entschieden werden.
                           Die Kolbenmaschine hat den Vorteil besserer Dampfausnutzung im Druckgebiet über 1 at,
                              									d.h., mit einer gewissen Heizdampfmenge läßt sich in der Kolbenmaschine eine
                              									erheblich größere Arbeitsausbeute erzielen als in der Turbine. Je höher der
                              									Heizungsdruck ist, desto vorteilhafter arbeitet die Kolbenmaschine im Vergleich zur
                              									Turbine. Das rührt hauptsächlich daher, daß die erstere im Hochdruckgebiet, letztere
                              									im Niederdruckgebiet den besseren Wirkungsgrad hat. Einige Zahlen mögen den
                              									Unterschied der beiden Maschinengattungen etwas erläutern.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 327, S. 41
                              Fig. 17. Blick in das Maschinenhaus eines Heizungskraftwerkes.
                              2 Tandem-Verbundmaschinen à 1050
                                 											PSmax. 2 Oberflächenkondensatoren von je 285
                                 										qm Niederschlagsfläche. 2 Großwasserraumvorwärmer von je 50 cbm Inhalt.
                              
                           Die Einzylinder-Auspuffmaschine braucht gegen die Einzylinder-Kondensationsmaschine
                              									für die gleiche Leistung um etwa 20 v. H. mehr Dampf, die
                              									Zweizylinder-Auspuffmaschine gegen die Zweizylinder-Kondensationsmaschine um etwa 30
                              									v. H., die Auspuffturbine jedoch gegenüber der normalen Kondensationsturbine um etwa
                              									110 v. H. Bei 3 at Gegendruck braucht die Einzylindermaschine um 90 v. H., die
                              									Turbine aber um 290 v. H. mehr Dampf als die normale Kondensationsmaschine bezw.
                              									Turbine.
                           Als Vorteil der Turbine ist der ölfreie Abdampf anzuführen. Der Abdampf der
                              									Kolbenmaschine kann nur dann vollständig entölt werden, wenn die Anfangsüberhitzung
                              									mäßig hoch (270–280°) gewählt wird. Die Turbine erlaubt die Anwendung höherer
                              									Ueberhitzung, was ihrem Dampfverbrauch wieder etwas zugute kommt. Der Abdampf
                              									der Gegendruck- und der Anzapfturbinen ist meistens noch überhitzt, was je nach Lage
                              									des Falles als Vorteil oder als Nachteil empfunden werden kann. Gleichwohl hat die
                              									Turbine mit Abdampfverwertung große Verbreitung erlangt. Dafür sprechen aber nicht
                              									nur die bekannten Vorzüge des Systems, wie geringer Raumbedarf, leichte
                              									Ausführbarkeit großer Leistungen in einer Einheit usw., sondern auch das Bedürfnis
                              									der Turbinenfabriken, neue Absatzgebiete zu finden, nachdem die alten in kurzer Zeit
                              									durch eine riesenhafte Fabrikation gesättigt waren. Das ureigenste Feld der Turbine
                              									ist die Ausnutzung des hohen Vakuums. Mit der Abdampfturbine wird keine
                              									Kolbenmaschine konkurrieren. Umgekehrt muß aber auch konstatiert werden, daß die
                              									Kolbenmaschine sich für Gegendruckbetrieb wesentlich besser eignet als ihre jüngere
                              									Schwester, die TurbineEs sei hier noch
                                    											einmal auf den prinzipiellen Punkt hingewiesen: Bei der Heizungskraftanlage
                                    											handelt es sich darum, mit einer gewissen Dampfmenge die größtmögliche
                                    											Leistung zu erzielen. Hierin liegt ja gerade der wirtschaftliche Effekt
                                    											einer derartigen Kombination, und in dieser Hinsicht ist die Auspuff-,
                                    											Gegendruck- und Entnahmemaschine der Turbine überlegen. Bei gewerblicher
                                    											Verwendung des Abdampfes kann es wohl vorkommen, daß der Abdampfbedarf eines
                                    											Betriebes im Verhältnis zum Kraftbedarf ein sehr hoher ist. In diesem Fall
                                    											bleiben zwei Wege offen: entweder Aufstellung einer Kolbenmaschine mit
                                    											geringer Abdampflieferung und Ergänzung der fehlenden Abdampfmenge aus
                                    											eigenen Kesseln oder Aufstellung einer Dampfturbine, welche bei Entwicklung
                                    											der gleichen Leistung in der Lage ist, den ganzen oder fast den ganzen
                                    											Abdampfbedarf zu decken. Die Wahl des einen oder des anderen Weges hängt vom
                                    											Einzelfall ab, besonders von der Dauer des großen Dampfbedarfes und der
                                    											Krafterzeugung. Jedenfalls kann aber unter Umständen auch die Turbine der
                                    											Kolbenmaschine vorzuziehen sein..
                           Als Maschine mit teilweiser Abdampfausnutzung, d.h. mit Zwischendampfentnahme eignet
                              									sich ebenfalls am besten die Kolbenmaschine, und zwar in der Tandem-Verbundbauart,
                              									da sie sich größeren Schwankungen im Zwischendampfbedarf besser fügt als die
                              									Turbine. Bei beiden
                              									Maschinengattungen wird die Belastung durch zwei Regler beherrscht. Der eine ist ein
                              									Druckregler, der vom Zwischendampfdruck beeinflußt wird und beim Sinken desselben
                              									unter eine gewisse Grenze die Füllung des Niederdruckteiles verkleinertD. R. P. Nr. 152256.. Der Dampf muß
                              									sich also im Aufnehmer anstauen, wodurch der Aufnehmerdruck wieder steigt. Der
                              									andere Regler ist ein Zentrifugalregler, der auf gewöhnliche Weise die Füllung bezw.
                              									Beaufschlagung des Hochdruckteils beeinflußt. Diese Art der Regulierung hat sich
                              									unter schwierigen Verhältnissen, z.B. Parallelarbeiten, auf ein Drehstromnetz
                              									bestens bewährt.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 327, S. 42
                              Fig. 18. Heizungskraftmaschine mit Widnmann-Steuerung.
                              Füllungsänderung im
                                 										Hochdruckzylinder durch den Fliehkraftregler. Füllungsänderung im
                                 										Niederdruckzylinder durch den Druckregler.
                              
                           Je nach dem Zylinderverhältnis ist es möglich, den Anzapfmaschinen bis zu 90 v. H.
                              									der zugeführten Dampfmenge zu entnehmen. Dampfkraftmaschinen mit Zwischen- und
                              									Abdampfverwertung sind bis zu den größten Abmessungen ausführbar. Der Heizungsdruck
                              									kann bis zu 5 at Ueberdruck betragen. Gegendruckmaschinen sind bereits mit 9 at
                              									Gegendruck und 18 at Anfangsdruck ausgeführt.
                           Bei Verwertung des Abdampfes mit Vakuumspannung dient als Kondensationsanlage
                              									eine Oberflächenkondensation oder eine Lufterhitzungsanlage.
                           Eine Innenansicht des Heizungskraftwerkes Schwabing der Stadt München zeigt Fig. 17.
                           Die Tandem-Verbundmaschinen von je 1050 PS Maximalleistung arbeiten mit einem Vakuum
                              									von 50 v. H. und unter Zwischendampfentnahme von 4 at Ueberdruck. Der Abdampf wird
                              									teils in zwei Oberflächenkondensatoren von je 285 qm Kühlfläche zur Bereitung des
                              									Warmwassers für die Fernwarmwasserheizung niedergeschlagen, teils zur Bereitung von
                              									warmem Brauchwasser in zwei Vorwärmern von je 50 cbm Inhalt verwendet, der
                              									Zwischendampf zur Fernheizanlage (Niederdruckdampfheizung) fortgeleitet.
                           Maschinen, Kondensatoren und Vorwärmer sind in einem
                              									Gebäude aufgestellt.
                           Das Maschinenhaus macht einen durchaus sauberen und eleganten Eindruck. Je ein
                              									Kondensator und ein Boiler sind an eine elektrisch angetriebene Luftpumpe
                              									angeschlossen. Dieser Teil der Anlage steht im Keller und ist vom Maschinenhaus aus
                              									durch einen großen Lichtschacht überblickbar. Die Boiler ragen weit in das
                              									Maschinenhaus herauf und sind mit naturlackiertem Holz verkleidet.
                           Die Maschinen haben Widnmann-Ventilsteuerung. Ein Tolle-Federregler beeinflußt die Hochdruckfüllung. Die
                              									Niederdruckfüllungsregler sind in Fig. 18, welche
                              									die Steuerung im Detail zeigt, in gerader Linie hinter den Mollerup-Schmierapparaten ersichtlich.
                           
                           Endlich zeigt Fig. 19 noch einen
                              									Oberflächenkondensator. Da derselbe als Warmwasserbereiter dient, erhielt er eine
                              									Wärmeschutzdecke mit Verkleidung, die des eleganteren Aussehens halber aus
                              									Hochglanzstahlblech mit blanken Eisenbändern ausgeführt ist. Das zu erwärmende
                              									Wasser tritt links unten ein, durchfließt in Rohrbündeln mehrmals den Dampfraum und
                              									verläßt den Kondensator mit einer Temperatur von 80° links oben. Elektrische
                              									Fernthermometer sind am Wassereintritt und Austritt vorgesehen. Der Dampfeiniritt
                              									liegt oben in der Mitte, der Kondensatabzug unten.
                           In bezug auf die Wahl des Betriebsdruckes der Heizungskraftanlagen ist zu sagen, daß
                              									der Anfangsdruck um so höher gewählt werden muß, je höher der Heizungsdruck liegt.
                              									Die Niederdruckdampfheizung wird mit etwa 0,1 at Ueberdruck betrieben. Ist die
                              									Heizstelle weit vom Maschinenhaus entfernt, so wird man höher gespannten Dampf
                              									fortleiten. Für die Warmwasserheizung und -Versorgung genügt in der Regel eine
                              									Wassertemperatur von 80°C. Diese Temperatur kann bei Auspuffbetrieb, ja sogar bei
                              									Betrieb mit schlechtem Vakuum erreicht werden. Die Ueberhitzung wähle man bei
                              									Kolbenmaschinen nicht hoch, etwa 270 bis 280°, weil sonst die Entölung des Zwischen-
                              									und Abdampfes Schwierigkeiten macht. Vom hoch überhitzten Dampf wird nämlich ein
                              									Teil des Zylinderschmieröles verdampft und ist dann nicht mehr abscheidbar. Eine
                              									geringere Ueberhitzung wird übrigens im ganzen Betrieb als Vereinfachung empfunden
                              									werden.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 327, S. 43
                              Fig. 19. Oberflächenkondensator als Warmwasserbereiter für die
                                 										Warmwasserheizung.
                              
                           Die Anlage derartiger Heizungskraftwerke bietet für große und für kleine Städte
                              									Vorteile.
                           Elektrizitätswerke, die ausschließlich auf Licht arbeiten, sind in der Minderheit.
                              									Meistens setzt sich die Netzbelastung aus Beleuchtungs- und Kraftstrom zusammen.
                              									Während der Stromverbrauch für den Straßenbahnbetrieb bei einigermaßen großem
                              									Bahnnetz und dichter Wagenfolge stündlich und monatlich sehr gleichmäßig bleibt, ist
                              									der Kraftbedarf der an ein gemeindliches Elektrizitätswerk etwa angeschlossenen
                              									Gewerbebetriebe von Fall zu Fall verschieden. Je mehr und je verschiedenartigere
                              									Betriebe am Strombezug beteiligt sind, desto weniger wird sich die schwankende
                              									Kraftentnahme des einzelnen Betriebes geltend machen. Der Stromverbrauch
                              									landwirtschaftlicher Konsumenten richtet sich nach der Kampagne, in Getreidegegenden
                              									z.B. nach der Dreschzeit (August bis Dezember). Selbstredend ist es in jedem
                              									einzelnen Fall Sache der Leitung eines Elektrizitätswerkes (wozu hier auch die
                              									Heizungskraftwerke gerechnet seien), die nötige Uebereinstimmung zwischen Belastung
                              									des Netzes und Stromerzeugungsmöglichkeit durch tarifarische und andere
                              									Verwaltungsmaßnahmen herzustellen.
                           Zur Anlage von Heizungskraftwerken eignen sich städtische und staatliche Kranken- und
                              									Versorgungshäuser, Kasernen, Badeanstalten, große Schulhäuser und Bureaugebäude,
                              									Schlachthöfe usw. In Nordamerika beziehen oft mehrere Privat- und Geschäftshäuser
                              									ihren Heizdampf aus einer gemeinsamen Heizzentrale. Auch bei uns, die wir mit viel
                              									höheren Kohlen- und Kokspreisen zu rechnen haben, wäre es sehr zu begrüßen, wenn
                              									außer der Versorgung mit elektrischem Strom und mit Leuchtgas auch die Lieferung von
                              									Heizdampf Gegenstand einer auf breiterer Basis stehenden Unternehmung werden würde.
                              									Das Heizungskraftwerk dieses Stiles würde nicht nur eine Kraftstation mit
                              									unübertrefflichem wirtschaftlichen Wirkungsgraddarstellen, sondern auch eine
                              									erhebliche Anzahl rauchender und rußender Herdstellen aus unserem Städtebild
                              									bannen.
                           Welche Unmengen von Ruß mit den Heizgasen in die Atmosphäre gelangen, darüber
                              									herrscht selten eine richtige Vorstellung. Trotz sorgfältiger Feuerbedienung sind in
                              									den Heizgasen aus 1 t verbrannter Kohle durchschnittlich enthalten:
                           5,8 kg Ruß bei Feuerung von schlesischer Kohle im
                              									Kachelofen,
                           5,5 kg Ruß bei Feuerung von oberbayerischer Kohle im
                              									Kachelofen,
                           3,2 kg Ruß bei Feuerung von böhmischer Kohle im Kachelofen.
                           Da in einem der letzten Jahre der Bedarf an Hausbrandkohle in München etwa 450000 t
                              									betrug, so berechnet sich unter der günstigen Annahme, daß nur böhmische Kohle
                              									verfeuert wurde und daß die Rostbebedienung immer richtig war, die mit den Heizgasen
                              									in die Luft gelangte Rußmenge zu nicht weniger als 1440 t, bei Annahme von
                              									oberbayerischer Kohle aber zu 2480 t.
                           Schlußwort. Die Verbindung der Heizung mit der Krafterzeugung
                                 										ist als technischer Fortschritt zu begrüßen, weil sie geeignet ist, der
                                 										rationellen und hygienischen
                              									Zentralheizung das Feld zu ebnen, sie ist aber auch als ein
                                 										nicht minder großer volkswirtschaftlicher Fortschritt anzusehen, weil sie uns
                                 										die Möglichkeit gibt, mechanische oder elektrische Energie mit äußerst geringen
                                 										Gestehungskosten zu erzeugen. Für die Wasserkräfte der Alpen und ihres Vorlandes
                                 										bilden die Heizungskraftwerke die natürlichen Reserveanlagen. Die durch das
                                 										Beleuchtungsbedürfnis hervorgerufene Spitzenbelastung unserer
                              									Elektrizitätswerke wird von der Heizungskraftanlage in
                                 										sehr vollkommener Weise aufgenommen. So stellt das Heizungskraftwerk einen
                                 										wichtigen Erfolg dar unserer Bestrebungen die Krafterzeugung zu verbilligen und
                                 										reiht sich den Gichtgaskraftwerken, Torfkraftwerken, Müllkraftwerken usw. nicht
                                 										nur ebenbürtig an, sondern wird sie zweifellos in kurzer Zeit an Bedeutung
                                 										übertreffen.