| Titel: | DIE DRITTE PARISER LUFTFAHRT-AUSSTELLUNG. | 
| Autor: | Victor Quittner, Ansbert Vorreiter | 
| Fundstelle: | Band 327, Jahrgang 1912, S. 132 | 
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                        DIE DRITTE PARISER
                           								LUFTFAHRT-AUSSTELLUNG.
                        Von Dr.-Ing. Dr. Victor Quittner und Ing. Ansbert
                                 										Vorreiter.
                        QUITTNER u. VORREITER: Die dritte Pariser
                           								Luftfahrt-Ausstellung.
                        
                     
                        
                           Inhaltsübersicht.
                           Vorherrschend Flugzeuge (50), nur ein Luftschiff ausgestellt.
                              									Mangel an bedeutenden Neuerungen. Eindecker und Zweidecker gleich vertreten, keine
                              									Dreidecker. Vorherrschen der Form Blériot. Flugzeuge mit tiefliegenden Sitzen.
                              									Bespannte Boote. Bootsquerschnitt. Materialien, Holz, Stahl, Holzrohre, Stützen,
                              									Verspannungen, Drahtseile und Stahlbänder, Verbindungen. Flügelprofile.
                              									Stoffbespannung der Flügel. Fahrgestelle. Flugzeugkarosserien.
                           
                        
                           I. Flugzeuge.
                           Bei der Richtung, die die Entwicklung der Luftfahrt in den letzten Jahren überall und
                              									vor allem in Frankreich genommen hat, ist es nur natürlich, daß auch im Jahre 1911
                              									ebenso wie im Vorjahre die Flugzeuge mit ihrem Zubehör die Ausstellung vollständig
                              									beherrschten. Freiballone, von denen im Vorjahre vier zu sehen waren, waren diesmal
                              									– bis auf einige Ballonkörbe – vollständig verschwunden, und nur das kleine
                              									Luftschiff der „Astra“, zwei Ausschnitte aus Luftschiffgondeln (von
                              										„Astra“ und Clément-Bayard) vertraten das Prinzip „Leichter als
                                 										Luft“ auf der Ausstellung.
                           Was die Flugzeuge betrifft, von denen etwa 50 auf der Ausstellung zu sehen waren, so
                              									war bei einem großen Teil der Besucher – und gerade bei den sachverständigen – eine
                              									gewisse Enttäuschung zu bemerken. Interessante Neukonstruktionen waren in der Tat
                              									kaum irgendwo zu sehen, die meisten Firmen stellten ihre wohlbekannten Typen aus,
                              									und von den wirklich neuen Konstruktionen waren nur wenige, von denen man einen
                              									Erfolg erwarten kann. Daß sich dieser Mangel an großen Neuerungen mit jedem weiteren
                              									Jahr immer mehr bemerkbar machen muß, ist eine selbstverständliche Erscheinung, die
                              									wir in anderen Industrien ganz ebenso sehen; man denke nur an die
                              									Automobil-Ausstellungen, wo nur gute Kenner den Fortschritt von einem Jahr zum
                              									nächsten überhaupt erkennen können! Beim Aeroplan allerdings ist dieselbe Tatsache,
                              									die beim Automobil ein Zeichen einer gesicherten, ruhigen Entwicklung ist, etwas
                              									beunruhigend, denn
                              									die Ueberzeugung ist allgemein, daß unsere heutigen Flugzeuge noch sehr weit von der
                              									wünschenswerten Vollkommenheit entfernt sind, und so vermißt man schmerzlich die
                              									großen Verbesserungen, die sie diesem Ziel etwas näher bringen sollten.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 327, S. 132
                              Fig. 1 bis 3. Albatros-Zweidecker.
                              
                           Im allgemeinen Bau der Flugzeuge sind größere Aenderungen kaum zu erkennen. Eindecker und Zweidecker
                              									beherrschen nach wie vor ausschließlich das Feld, und auch in dem Verhältnis beider
                              									Systeme zueinander ist keine Aenderung eingetreten. Die Dreidecker, von denen anläßlich des Militärwettbewerbes wieder etwas mehr
                              									gesprochen wurde, sind auf der Ausstellung nicht vertreten. Beim Eindecker herrscht
                              									– wenigstens in Frankreich – noch immer die klassische Form von Blériot und Antoinette weitaus
                              									vor, nur ganz vereinzelt finden sich auch Apparate mit tiefliegendem Führersitz (Vinet, Train, Limousine von Blériot usw.). Bei den Zweideckern verschwindet immer mehr das breite und
                              									hohe Verbindungsgerüst zwischen Haupt- und Schwanzzelle, das so viel Luftwiderstand
                              									verursacht, und macht einem schlanken Boot Platz, das hinten die Steuer trägt (Albatros, Astra, Breguet, Clément-Bayard, Voisin usw.).
                              									Die Boote werden jetzt bei Ein- und Zweideckern fast stets ihrer ganzen Länge nach
                              									mit Stoff bespannt, um den Luftwiderstand zu verringern, nachdem man erkannt hat,
                              									daß dadurch die Abtrift durchaus nicht verstärkt und die Steuerfähigkeit eher
                              									günstig beeinflußt wird.
                           Das Boot des neuen Zweideckers der deutschen Albatros-Werke ist teilweise mit Holzfournieren gedeckt. Hierdurch ist der
                              									Bootskörper sehr glatt, was günstig bezüglich des Luftwiderstandes ist. Das Aussehen
                              									gewinnt auch überhaupt war dieses Flugzeug wohl das schönste der Ausstellung und das
                              									erstmalige Auftreten der deutschen Konkurrenz machte sichtlich Eindruck (Fig. 1 bis
                              										4).
                           Bezüglich des Querschnitts des Bootes ist zu bemerken, daß der rechteckige
                              									Querschnitt vorherrscht. Von bekannteren Marken macht nur Esnault-Pelterie eine Ausnahme, dessen Boot unten einen dreieckigen
                              									Querschnitt besitzt (Fig. 5).
                           Sehr zu beachten sind die in England sehr beliebten und jetzt auch in Frankreich
                              									aufkommenden schwanzlosen oder „umgekehrten“
                              									Flugzeuge, die man in Frankreich nach dem Voisinschen Wasserflugzeug, der ersten französischen
                              									Maschine dieser Art, allgemein als „Type Canard“
                              									bezeichnet. Gerade die Flugzeuge dieser Bauart, denen noch vor kurzem viele
                              									Theoretiker und Praktiker jede Stabilität absprachen, haben sich als äußerst stabil
                              									erwiesen, und die besonders leichte Erlernung des Fliegens auf ihnen wird allgemein
                              									gerühmt. Ein neuer Eindecker dieser Art war von Marcel-Besson ausgestellt (Fig. 6).
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 327, S. 132
                              Fig. 4. Albatros-Zweidecker.
                              
                           Im Wettbewerb der Baumaterialien für Flugzeuge gewinnt der Stahl immer mehr
                              									Verbreitung. Zu den Firmen, die ihn schon seit langer Zeit ausschließlich oder
                              									vorwiegend verwenden (Bréguet, REP, Voisin usw.), sind
                              									eine Reihe von andern hinzugekommen (Sommer, Train (Fig. 7), Clément-Bayard,
                                 										Poucheet Primard, Borel, Morane usw.). Beachtenswert ist die eine Bootsform
                              									von Marcel. Das Boot hat Torpedo form und ist aus zwei miteinander vernieteten gepreßten
                              									Stahlblechen hergestellt. Die Form ist bezüglich des Luftwiderstandes sehr günstig,
                              									auch die Festigkeit ist bedeutend. Ein Nachteil ist das hohe Gewicht dieses Stahlbootes (Fig. 9), Anderseits halten erste Firmen, wie Farman, Blériot, Nieuport, Deperdussin, Albatros,
                                 									Aviatik, am Holz fest, und es ist durchaus noch, nicht sicher, ob der Stahl das
                              									Holz wirklich ganz verdrängen wird, besonders nachdem es jetzt gelungen ist, Rohre
                              									aus Holzband herzustellen, die den Stahlrohren an Festigkeit und Formbeständigkeit
                              									kaum nachstehen und sie an Leichtigkeit weit übertreffen. (Holzbandröhren System Mutter
                              									Fig. 8).
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 327, S. 133
                              Fig. 5. Eindecker „Rep“ von Esnault-Pelterie.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 327, S. 133
                              Fig. 7. Eindecker Train.
                              
                           Für die freistehenden Holzstangen (Fahrgestellstützen, Stiele der Zweidecker) wird
                              									jetzt allgemein zum Zwecke der Verringerung des Luftwiderstandes ein tropfenförmiger
                              									Querschnitt mit abgerundeter Vorderkante gewählt. Es hat den Anschein, daß man damit
                              									vielfach zu weit geht, denn alle bisherigen Versuche haben gezeigt, daß zwar eine
                              									scharfe vordere Zuspitzung unnötig ist, daß aber eine gar zu starke Abrundung doch
                              									den Luftwiderstand nicht unbedeutend erhöht. Sommer
                              									stellt bei seinem Zweidecker je zwei Stahlrohre, von denen das vordere etwas stärker
                              									ist, in geringem Abstand hintereinander; der Luftwiderstand dieser Kombination
                              									dürfte wohl geringer sein als der des vorderen Rohres allein, aber doch sicher viel
                              									größer als der eines passend gewählten flachen Profils.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 327, S. 133
                              Fig. 6. Eindecker von Marcel Besson.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 327, S. 133
                              Fig. 8. Holzbandrohr System Mutter.fghi einzelne Bandschichten.
                              
                           Sehr erfreulich ist es, daß der Klaviersaitendraht immer mehr verschwindet; man
                              									findet ihn jetzt mit wenigen Ausnahmen nur mehr in den Innenverspannungen der Boote
                              									oder in anderen nicht sehr stark beanspruchten Konstruktionsteilen. Bei den
                              									Flügelverspannungen ist der Draht fast ganz verschwunden – in Deutschland leider
                              									noch nicht –, und auch die von Blériot und anderen
                              									Konstrukteuren früher viel benutzten Stahlbänder treten
                              									gegenüber den sich allgemein einführenden Drahtseilen
                              									immer mehr zurück. Die Seile werden in Stärken bis zu 10 mm ∅ verwendet und sind
                              									teils einfach gewundene (Nieuport), teils Litzenseile.
                              									Die für die Festigkeit angegebenen Zahlen sind wohl oft stark übertrieben; nach
                              									unseren Erfahrungen trägt ein biegsames verzinktes Seil von 6 mm ∅ höchstens 2000
                              									kg, ein wenig biegsames aus Spezialstahl bis 4000 kg. Die Verbindung der Seilenden
                              									geschieht meist durch Klemmen mit Schrauben, seltener durch Spleißung (Blériot-Limousine, Clément-Bayard usw.). Die Spleißung
                              									ist unzweifelhaft die solideste und sicherste Verbindung, sie ist aber bei harten
                              									Seilen nicht leicht herzustellen, und der Ersatz eines Seiles ist schwieriger und
                              									zeitraubender als bei Anwendung von Klemmen. Als ein Fortschritt ist es auch zu
                              									bezeichnen, daß die Seilenden jetzt fast stets über Rollen geschlungen sind, deren
                              									Durchmesser so groß ist, daß das Seil in seiner Festigkeit durch die Biegung nicht
                              									geschädigt wird. Die Spannschlösser, die im Vorjahre im
                              									Verhältnis zu den starken Kabeln meist viel zu schwach gehalten waren, erscheinen
                              									jetzt richtiger bemessen, freilich oft unförmlich groß und mit ihren vielfachen
                              									Gelenken und Kardans unnötig kompliziert (Clément-Bayard). Durch weitgehendere Anwendung von hochwertigem Stahl und
                              									sorgfältige Konstruktion wäre da noch einiges zu verbessern.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 327, S. 134
                              Fig. 9. Bootskörper aus Stahl von Morane.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 327, S. 134
                              Fig. 10. Blick in das Boot des neuen Renneindeckers von Blériot mit
                                 										tiefliegendem Sitz.
                              
                           Was die Flügelprofile betrifft, so werden jetzt nach den
                              									großen Erfolgen von Nieuport vielfach solche angewendet,
                              									die den von ihm angenommenen ähneln. Charakteristisch an dem Nieuport-Profil ist die Aufbiegung der Vorderkante, die so stark
                              									ausgeprägt ist, daß man vielfach an der Unterseite am vorderen Holm eine deutliche
                              									Kante bemerkt, sowie die schwach nach oben konkave Form nahe der Hinterkante. Ob
                              									diese Form den bisher gebräuchlichen wirklich überlegen ist, erscheint trotz der
                              									Erfolge von Nieuport durchaus nicht erwiesen (die
                              									Versuche von Eiffelsprechen eher dagegen), sicher ist es
                              									aber, daß die von manchen Konstrukteuren beliebten Uebertreibungen dieser Form nicht
                              									günstig wirken können.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 327, S. 134
                              Fig. 11. Limousine-Karosserie des großen Eindeckers von Blériot.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 327, S. 134
                              Fig. 12. Boots-Karosserie des neuen Zweideckers von Bréguet.
                              
                           In der Flügel- und Bootbespannung ist der Kautschukstoff
                              									von dem mit Azetylzellulose-Lack imprägnierten Stoff
                              									stark verdrängt worden. Die Vorteile des imprägnierten Stoffes sind die vollständige
                              									Wasserundurchlässigkeit, die glattere Oberfläche und die bedeutende Erhöhung der
                              									Festigkeit. Durch die Zusammenziehung des Stoffes beim Imprägnieren legt sich
                              									derselbe so glatt und faltenfrei an wie es mit anderem Stoff nicht möglich ist.
                              									Vereinzelt sah man auch öl- und harzimprägnierte Stoffe; diese Imprägnierungsmittel
                              									erreichen – abgesehen von der Feuergefährlichkeit – die Azetylzellulose in
                              									ihrer Wirkung bei weitem nicht. Manche dieser Flugzeuge, die in der Ausstellung
                              									wunderschön aussahen, würden wohl im Freien sich nicht lange so erhalten.
                           In bezug auf die Fahrgestelle gehen die Ansichten noch
                              									immer sehr auseinander. Die selbstlenkenden Räder sind
                              									von vielen Konstrukteuren aufgegeben worden, da man dem Führer die Fähigkeit zutraut
                              									genau gegen den Wind zu landen. Auch die Kufen werden von
                              									manchen Konstrukteuren nicht sehr hoch bewertet, so hat sie z.B. Sommer in seinen neuesten Typen ganz fortgelassen. Bei
                              									Schulmaschinen sind lange ungefederte Kufen eher schädlich als nützlich, da sie bei
                              									steiler Landung das Flugzeug leicht zum Kippen bringen können; deshalb verwendet
                              									z.B. Deperdussin bei seinen Lehrapparaten zwei vordere
                              									Räder an Stelle der Kufen. Auch der Wert der Abfederung
                              									wird verschieden beurteilt; während man einerseits die Federung immer mehr zu
                              									verbessern sucht, hat andererseits Morane sein neuestes
                              									Flugzeug ganz ohne Federung gebaut; zu einer solchen Maschine gehört aber unbedingt
                              									ein besonders geschickter Flieger, der es versteht, außerordentlich sanft zu
                              									landen.
                           Daß man, wie selbstverständlich, die Boote mit Rücksicht auf geringsten
                              									Luftwiderstand formt, wurde schon erwähnt. Man sucht zu diesem Zwecke möglichst
                              									alles in das Innere
                              									des Bootes zu verlegen. Beim Führer läßt sich das entweder durch besonders große
                              									Höhe des Bootes erreichen (REP. Clément-Rayard), oder
                              									auch dadurch, daß man den Sitz sehr tief, fast auf den Boden des Bootes legt, so daß
                              									gerade nur der Kopf des Führers aus dem Boote heraussieht (Blériot (Fig. 10), Deperdussin u.a.). Diese Stellung ist wohl etwas weniger bequem, gestattet
                              									aber eine sehr wirksame Bedienung des Fußsteuers. Auch die Motoren sucht man
                              									vielfach in das Boot einzuschließen, natürlich nur bei wassergekühlten Typen
                              									(Breguet, Clément-Bayard). Im Innern bemüht man sich, den
                              									Raum von dem Gewirr von Drähten, Hebeln usw. freizuhalten, das man bei älteren
                              									Konstruktionen antrifft, und vielfach findet man schon einen gewissen Komfort
                              									(wenigstens in der Ausstellung!). Einige Flugzeuge besitzen bereits eine richtige
                              										Karosserie, so außer der bekannten Limousine von
                              										Blériot (Fig. 11) vor
                              									allem der Zweidecker von Breguet (Fig. 12). Die
                              									verschiedenen Hebel für den Motor usw. sind möglichst bequem und übersichtlich
                              									angeordnet, sehr oft am Steuerrad oder -Hebel, wobei die Betätigung durch biegsame
                              									Bowdenkabel erfolgt. Die meisten Motoren besitzen Doppelzündung mit Magnet und
                              									Batterie, so daß das Anlassen vom Führersitz aus ohne Anwerfen des Propellers
                              									erfolgen kann – ein großer Vorteil bei Ueberlandflügen.
                           Ganz allgemein ist jetzt die Ausstattung der Flugzeuge mit einer Reihe von
                              									Instrumenten: Tachometer, Kompaß, Barometer fehlen fast
                              									nie. Daneben finden sich bisweilen noch besondere Instrumente zur Messung der
                              									Neigung gegen den Boden, der Geschwindigkeit und der Abtrift.