| Titel: | POLYTECHNISCHE RUNDSCHAU. | 
| Fundstelle: | Band 327, Jahrgang 1912, S. 427 | 
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                        POLYTECHNISCHE RUNDSCHAU.
                        Polytechnische Rundschau.
                        
                     
                        
                           Eine amerikanische Wechselstrom-Vollbahn im
                                 										Hoosac-Tunnel. Durch den 7,65 km langen Hoosac-Tunnel führt eine der
                              									wichtigsten Vollbahnen, welche Boston mit Albany verbindet. Gelegentlich der
                              									Uebernahme dieser Bahnlinie durch die New York-, New Haven- und Hartfordbahn im
                              									Jahre 1910 wurde die Linie elektrisiert, und am 18. Mai 1911 verkehrte der erste elektrische
                              									Zug durch den Tunnel.
                           Zum Betrieb der Strecke wurde ein Kraftwerk von 6000 KW Gesamtleistung erbaut, von
                              									welchem eine 4 km lange Hochspannungsleitung bis an die Eisenbahn herangeführt
                              									wurde. Zur Verwendung gelangt Wechselstrom von 11000 Volt Spannung und 25
                              									Perioden.
                           Da die oben erwähnte Bahn eine der wichtigsten Verkehrslinien ist, so kommt eine
                              									ziemlich dichte Zugfolge in Betracht. Es verkehren täglich etwa 95 bis 100 Züge in
                              									beiden Richtungen. Mit Hilfe elektrischer Streckenblockungen ist es jetzt gelungen,
                              									drei Züge auf einmal hintereinander durch den Tunnel fahren zu lassen und die
                              									Leistungsfähigkeit desselben auf das dreifache zu erhöhen. Die Personenzüge
                              									gebrauchten bisher zum Passieren des Tunnels etwa 12 Minuten, was bei Dampfbetrieb
                              									sehr unangenehm ist, da sich der Tunnel mit Rauch füllt, so daß sämtliche Fenster
                              									geschlossen werden müssen. Da die Rauchbelästigung nun vollkommen fortfällt, ist es
                              									auch möglich geworden, elektrische Blocksignale anzuwenden, welche nun gut sichtbar
                              									sind. Die Durchfahrt durch den Tunnel kann jetzt mit geöffneten Fenstern
                              									erfolgen.
                           Die elektrische Strecke ist bedeutend länger als der Tunnel selbst, nämlich 12,8 km.
                              									Der Betrieb erfolgt in der Art, daß an den Ausgangspunkten des elektrischen Betriebs
                              									eine elektrische Lokomotive vor die Dampflokomotive gelegt wird und dann den ganzen
                              									Zug durch den Tunnel schleppt. Das Feuer der Dampflokomotiven wird dabei derart
                              									instand gehalten, daß es bei Einfahrt in den Tunnel vollkommen durchgebrannt ist und
                              									während der Durchfahrt nicht bedient zu werden braucht, so daß sich keine Rauchgase
                              									entwickeln.
                           Das Kraftwerk zum Betrieb der Vollbahn ist derart angelegt worden, daß es später zum
                              									Betrieb der elektrischen Straßenbahn benutzt werden kann, wenn für die elektrische
                              									Zugförderung ein Wasserkraftwerk auf der anderen Seite des Tunnels errichtet sein
                              									wird. Es enthält im Untergeschoß drei Abteilungen. In der einen davon sind die Worthington-Kesselspeisepumpen und die Ventilatoren für
                              									die Unterwindfeuerung sowie die Aschfalltrichter untergebracht. In der mittleren
                              									Abteilung befinden sich zwei Westinghouse-Leblanc-Strahlkondensatoren, Oelfilter, eine Batterie von 120
                              									Amperestunden, Transformatoren und eine Werkstätte. Die dritte Abteilung enthält die
                              									beiden 60000 Volt Höchststrom-Oelunterbrecher. Das Hauptgeschoß wird eingenommen vom
                              									Kesselraum, in dem vier Wasserrohrkessel mit mechanischer Feuerung stehen, einem Sturtevant-Rippenvorwärmer, zwei Rauchgasabzugrohren,
                              									Meßvorrichtungen, Schüttrümpfe usw. Es ist noch Platz vorhanden, um die Kesselanlage
                              									auf das Doppelte zu vergrößern.
                           Das Heranschaffen der Kohle nach einem 68 t haltenden Sammelhochbehälter geschieht
                              									mittels Trichterwagen und Becherkette. Zur Rückkühlung des Kondenswassers dient ein
                              									großer Teich, dem das Kondenswasser mittels zweier über ihn verlegter Sprührohre
                              									zugeführt wird. Diese Sprührohre von je 92 m Länge lassen das Wasser aus 110
                              									Düsen fontänenartig in die Luft austreten. Bei der dadurch stattfindenden feinen
                              									Unterteilung des Wassers wird es sehr gut gekühlt. Als Kondenswasserpumpe dient eine
                              									durch einen 100 pferdigen Induktionsmotor angetriebene Kreiselpumpe, und als Reserve
                              									ist eine weitere Pumpe mit Dampfmaschinenantrieb vorhanden.
                           Der Maschinenraum enthält zwei Drehstromerzeuger von 2750 KW bei 11000 Volt und 25
                              									Pulsen, welche mit Parsons-Westinghouse-Dampfturbinen
                              									gekuppelt sind. Ferner zwei Stück Erregermaschinen von 100 KW mit Dampfturbinen-
                              									bezw. Drehstrommotorenantrieb. Außerdem sind vorhanden ein kleiner Motorgenerator
                              									zum Aufladen der Akkumulatorenbatterie, eine Luftpumpe zum Reinigen der Maschine und
                              									ein 27 t-Laufkran.
                           Von den drei Phasen des Drehstromerzeugers liegt die eine am Fahrdraht, die zweite an
                              									einer Leitung für Licht und Kraft, die dritte ist an die Fahrschienen
                              									angeschlossen.
                           Die Generatoren, welche für die elektrische Zugförderung im Tunnel und die Licht- und
                              									Kraftversorgung der Werkstätte einfachen Wechselstrom liefern, versorgen nebenher
                              									auch die Einankerumformer-Unterwerke der Berkshire-Straßenbahnen mit Drehstrom.
                           Die 3 km lange Fernleitung besteht aus fünf Kupferseilen, von denen zwei die Energie
                              									dem Fahrdrahtnetz, also den Lokomotiven zuführen. Die Leitungen sind auf Türmen
                              									verlegt, welche außerdem noch die Kraft-, Kontroll- und zwei Telephonleitungen
                              									tragen. Im Tunnel sind die Fahrdrahtleitungen im Fels verankert.
                           Die elektrischen Lokomotiven sind von den Baldwinwerken
                              									erbaut, während die elektrischen Einrichtungen von der Westinghouse-Gesellschaft geliefert wurden. Von den Lokomotiven sind drei
                              									Stück vorwiegend für den Güterzugsdienst, die anderen für den Personenzugs- und
                              									leichten Güterzugsdienst bestimmt. Die Güterzugslokomotiven besitzen eine größte
                              									Zugkraft von 30400 kg und eine Geschwindigkeit von 48 km i. d. Std., während die
                              									Personenzugslokomotiven eine größte Zugkraft von 18000 kg und eine Geschwindigkeit
                              									bis zu 80 km i. d. Std. aufweisen. Der Unterschied liegt nur im
                              									Uebersetzungsverhältnis der Zahnräder, und nach Auswechselung derselben würde die
                              									Personenzuglokomotive in eine Güterzuglokomotive umgeändert sein und umgekehrt. Das
                              									Gewicht der Lokomotiven beträgt je 118 t, das Reibungsgewicht 85 t. Sie besitzen bei
                              									11,72 m Gesamtachsstand eine Länge von 19,65 m. Jede Lokomotive ist mit zwei
                              									gekuppelten Drehgestellen ausgerüstet, welche aus je zwei Treibachsen von 1,6 m
                              									Raddurchmesser und einer kurvenbeweglichen Laufachse von 1,6 m Raddurchmesser
                              									bestehen. Der Achsstand der Treibachsen beträgt je 2,14 m. Die Verbindung der beiden
                              									Drehgestelle zu einem Wagen geschieht durch eine sehr kräftige Kuppelstange.
                           Jede Lokomotive besitzt vier Stück Wechselstrommotoren von je 380 PS, welche mit den
                              									Drehgestellrahmen verschraubt sind, also vollständig zu den abgefederten Massen
                              									gehören. Die Bewegungsübertragung auf die Treibachsen erfolgt durch zwei ebenfalls
                              									abgefederte Zahntriebe, welche auf beiden Seiten gleiche Umfangskräfte besitzen und
                              									dadurch den Anlauf der Motoren unter voller Last gestatten. Die Zahnräder treiben
                              									zunächst eine hohle Achse an. welche mit einem Spiel von 38 mm um die Treibachse
                              									greift, und deren Lager am Motorwagen befestigt sind. Die Verbindung der Hohlwelle
                              									mit der Treibachse erfolgt durch ein System von Wickelfedern, welche dem Rad
                              									ziemliche Bewegungsfreiheit gegenüber den verschiedenen Gleisunebenheiten geben,
                              									ohne daß eine Rückwirkung auf den Motor eintreten würde. Außer den obenerwähnten
                              									vier Wechselstrommotoren von je 380 PS besitzen die Lokomotiven noch folgende
                              									Ausrüstungsteile:
                           Ein Autotransformator mit Gebläsewindkühlung; zwei durch Druckluft gesteuerte
                              									Scherenstromabnehmer für 11000 V; einen 11000 V-Ausschalter; drei
                              									Ueberspannungs-Schutzdrosselspulen; vier druckluftgesteuerte Einfachschalter; zwei
                              									zehnpferdige Einphasenmotoren zum Kompressorantrieb; einen selbsttätigen Anlasser
                              									für diese Motoren; zwei siebenpferdige Gebläsemotoren; zwei Sammlerbatterien (20 V)
                              									für den Steuerstrom; einen Motorgenerator zum Laden der Sammler; ein
                              									Höchstgeschwindigkeitsrelais; zwei Fahrschalter; zwei Temperaturanzeiger für die
                              									Hauptmotoren und die erforderlichen Ausschalter, Steckdosen und Hüpfschalter für die
                              									Vielfachsteuerung.
                           Der Autotransformator besitzt zwölf Anzapfstellen, so daß für das Anfahren und die
                              									Geschwindigkeitsregelung eine hinreichende Abstufung der Motorspannung erzielt
                              									werden kann. Es ist ferner ein Geschwindigkeitsrelais vorgesehen, das die Motoren
                              									bei einer bestimmten Höchstgeschwindigkeit selbsttätig abschaltet. Dadurch wird
                              									verhütet, daß die Lokomotive den Zug auf eine Geschwindigkeit beschleunigt, die den
                              									Motorankern schädlich sein würde. Dagegen verhindert diese Einrichtung nicht das
                              									Fahren mit hoher Geschwindigkeit im Gefälle bei stromloser Lokomotive. Das Relais
                              									besteht aus zwei Spulen, deren Kerne an einem zweiarmigen Hebel, der eine
                              									Kontaktscheibe dreht, angelenkt sind. Die eine Spule wird von dem Motorstrom über
                              									einen Reihentransformator durchflössen, die andere steht unter der Wirkung der
                              									Ankerquerspannung. Die Kontaktscheibe steht in der Regel außer Kontakt und zwar
                              									durch den stärkeren Zug der Motorspule; läuft indessen der Motor so schnell, daß die
                              									Ankerquerspannungsspule die andere durch den kleiner gewordenen Motorstrom
                              									durchflossenen in ihrer Wirkung übertrifft, so schließt die Kontaktscheibe einen
                              									Stromkreis, der vermöge eines Hilfsrelais den Steuerstrom zu dem Motorhauptschalter
                              									öffnet. [Elektrische Kraftbetriebe und Bahnen, 24. III. 12.]
                           ––––––––––
                           Ueber die Versorgung der Berliner Bahnhöfe mit Oelgas
                              									hielt Regierungsbaumeister F. Landsberg einen längeren
                              									Vortrag im Verein deutscher Maschineningenieure.
                           Der Vortragende wies darauf hin, daß die Güte der Beförderung hinsichtlich der
                              									Wirtschaftlichkeit und Bequemlichkeit zunehmend höheren Ansprüchen genügt. Dies
                              									trifft auch auf die Beleuchtung der Personenwagen zu. Früher wurde in
                              									Schnittbrennern (offene Flamme) ein Gemisch aus ¾ Oelgas und ¼ Azetylengas verwandt.
                              									Durch Einführung der Glühstrumpfbeleuchtung wurden bessere Lichteffekte bei
                              									sparsamem Gasverbrauch erzielt. Der Uebergang zur reinen Oelgasbeleuchtung hatte zur
                              									Folge, daß die Oelgaserzeugung um ¼ gesteigert werden mußte, da allmählich die
                              									Azetylenbereitung eingestellt wurde. Für Berlin, als die
                              									größte Zugbildungsstation wurde bei dieser Gelegenheit die Gasversorgung sämtlicher
                              									Bahnhöfe in großzügiger Weise ausgebaut. Alle Gasanstalten und Bahnhöfe wurden durch
                              									ein Leitungsnetz aus Stahlrohren verbunden; dieses wird von einigen größeren Anlagen
                              									gespeist, die stets gut ausgenutzt werden und daher wirtschaftlich arbeiten. Mehrere
                              									kleinere Anstalten konnten dauernd oder wenigstens für den Sommer, d. i. die Zeit
                              									geringen Bedarfs, geschlossen werden. Die Leitungsanlage, die in diesem Umfange
                              									bisher noch nicht ausgeführt ist, verläuft längs den Gleisen des Nord- und Südrings
                              									und besitzt Zweigleitungen nach den einzelnen Bahnhöfen und Gasanstalten.
                           Der Vortragende erläuterte an Hand von Lichtbildern ihre Eigentümlichkeiten und die
                              									Schwierigkeiten bei der Herstellung, ferner ein neues Verfahren der Oelgasbereitung,
                              									das von der Firma Julius Pintsch in zwei der größten
                              									Gasanstalten mit Erfolg eingeführt ist; bei diesem werden die bekannten Retortenöfen
                              									durch Apparate ersetzt, die mit dem als Nebenprodukt erhaltenen Teer geheizt werden
                              									und infolge ihrer Bauart (stehende Zylinder) auf kleinem Grundriß eine große
                              									Leistungsfähigkeit gestatten.
                           Die Gestaltung des Betriebes mit allen Eigenheiten und Hilfseinrichtungen wurde im
                              									einzelnen besprochen. Zum Schlusse bemerkte der Vortragende, daß die oben erläuterte
                              									plötzliche Steigerung des Gasbedarfs mit den besprochenen Einrichtungen ohne Störung
                              									bewältigt werden konnte.
                           ––––––––––
                           Die 53. Hauptversammlung des Vereins Deutscher Ingenieure
                              									wurde am 10. Juni in der Hauptstadt Württembergs eröffnet.
                           Eine besondere Ehrung ließ der König von Württemberg dem Verein zuteil werden, indem
                              									er, von der Versammlung freudig begrüßt, um 11 Uhr persönlich erschien und dem
                              									Vortrag des Wirklichen Geheimen Oberbaurat Dr.-Ing. Veith, Berlin, beiwohnte.
                           Der Redner sprach unter Benutzung von reichem Anschauungsmaterial über neuere
                              									Kriegsschifftypen.
                           Das Geschoß und die Abwehrvorrichtungen gegen seine Wirkungen bilden die
                              									hauptsächlichste Grundlage für die Konstruktion der Kriegsschiffe. Im Kampf ist das
                              									stark armierte und gut geschützte Schlachtschiff, das Linienschiff, mit einer
                              									Höchstgeschwindigkeit von etwa 21 Seemeilen i. d. Std., der geeignetste Typ und
                              									daher der Kern der Schlachtflotte. Neben dem Linienschiff ist für den Aufklärungs-
                              									und Sicherheitsdienst, für Nachrichten und Befehlübermittlung, sowie für das
                              									Heranführen von Torpedobootverbänden der Kreuzer notwendig. Er hat auch in der Schlacht
                              									mitzuwirken und bei der Verfolgung des geschlagenen Feindes wie der Deckung des
                              									eigenen Schiffes Dienste zu leisten. Diese Aufgaben bedingen eine Teilung in einen
                              									zu offensiven Vorstößen geeigneten Typ, den großen Kreuzer, der zwar nicht die
                              									vollwertige Linienschiffstärke besitzt, aber den Linienschiffen erheblich an
                              									Geschwindigkeit und Aktionsradius überlegen ist, und in den kleinen Kreuzer, dem
                              									großen Kreuzer an Geschwindigkeit und Aktionsradius möglichst gleich, an
                              									Gefechtskraft dagegen erheblich geringer. Der große Kreuzer besitzt im allgemeinen
                              									eine noch größere Wasserverdrängung als das Linienschiff, ist daher teuer und kann
                              									deshalb nur in beschränkter Zahl gebaut werden. Der kleine Kreuzer besitzt eine
                              									erheblich geringere Verdrängung – etwa den vierten bis sechsten Teil des großen
                              									Kreuzers. Da seine Hauptwaffe die Geschwindigkeit ist, so bleibt für seine
                              									Bewaffnung und seinen Schutz verschwindend wenig übrig. Sein Geschütz dient nur zur
                              									Torpedobootsabwehr. Infolge seines geringen Deplacements ist er billig und kann ohne
                              									Beeinträchtigung der Mittel für die Schlachtschiffflotte in der notwendigen Anzahl
                              									zur Verfügung stehen.
                           Mit der Entwicklung des automobilen Torpedos, trat ein besonderer Schifftyp, das
                              									Torpedoboot, in die Erscheinung. Die Torpedoboote sind die Begleiter der
                              									Schlachtschiffe in der Schlacht, und zwar ist der Torpedoangriff bei Nacht die
                              									ureigenste Aufgabe des Torpedobootes. Bei Tage wird der Torpedobootangriff nur unter
                              									besonders günstigen Umständen wirkungsvoll werden. Für den Erfolg ist in beiden
                              									Fällen eine hohe Geschwindigkeit und eine große Schußweite des Torpedos sowie das
                              									gleichzeitige Heranführen einer größeren Zahl Boote an den Feind notwendig. Um die
                              									hohe Bootgeschwindigkeit zu erreichen, ist möglichst geringes Gewicht jedes
                              									einzelnen Konstruktionsteiles besonders geboten.
                           Außer den Torpedobooten führt das Unterseeboot den Torpedo als Hauptwaffe. Von einer
                              									feststehenden Taktik kann bei der' jungen, sehr in der Entwicklung begriffenen
                              									Schiffsklasse noch nicht gesprochen werden. Aus Ueberlegungen und Versuchen gelangte
                              									das Tauchboot als günstigster Unterseeboottyp zur Ausführung.
                           Die Formen der einzelnen Schifftypen, ihre hauptsächlichsten artilleristischen und
                              									maschinellen Einrichtungen sowie die moderne Torpedokonstruktion wurden im Vortrage
                              									eingehend behandelt und durch Lichtbilder erläutert.
                           Den zweiten Vortrag hielt Geheimrat Prof. Kammerer-Berlin,
                              									der über „Anschauliches Denken in Berufsarbeit und Unterricht“ sprach. Er
                              									führte hierbei aus, daß alle wissenschaftliche Arbeit – mag sie juristischer,
                              									mathematischer, technischer oder sonstwelcher Art sein – eines festen Gerüstes
                              									bedarf, an das sich die Ranken der Schlußfolgerungen anklammern können. Juristische
                              									Arbeiten benutzen als Gedankengerüst bestimmte Begriffe, die ein für allemal
                              									gebildet worden sind, und bestimmte Rechtsgrundsätze, die als allgemein gültig
                              									aufgefaßt werden. Darum ist scharfe Begriffsbildung für den Juristen etwas so
                              									unbedingt Notwendiges; seine Arbeit beruht auf begrifflichem Denken.
                           Den äußersten Gegensatz zu dieser Art des Denkens bildet die geistige Arbeit des
                              									Ingenieurs. Diese sucht bei der Untersuchung eines Problems eine möglichst
                              									naturgetreue Vorstellung der räumlichen Anordnung, der Bewegung, der Kräftewirkung,
                              									des Arbeitsvorganges zu gewinnen: die technisch-wissenschaftliche Arbeit beruht auf
                              									anschaulichem Denken.
                           Das begriffliche Denken haftet an der Sprache, das anschauliche Denken an der
                              									Zeichnung.
                           Die Art des Denkens, – begrifflich oder anschaulich – ist kennzeichnend für
                              									Kulturepochen. Anschaulich war das Denken der Hellenen: es spiegelt sich in dem
                              									wundervollen Rhythmus ihrer Tempelbauten, in dem lebenden Marmor ihrer Statuen und
                              									auch in ihren technischen Erfindungen, zumal in dem wohl durchdachten Aufbau ihrer
                              									Linienschiffe, denen die athenische Staatsmacht ihr Werden verdankte.
                           Meister des begrifflichen Denkens dagegen waren die Römer: mit ihm schufen sie die
                              									Grundlagen der Rechtswissenschaft und des Staatsgefüges.
                           Das anschauliche Denken schlief Jahrhunderte hindurch: die Scholastik kannte nur
                              									begriffliches Denken und zwar in leblos gewordenen Begriffen.
                           Erst mit der Renaissance erwachte das anschauliche Denken wieder und erreichte
                              									höchste Vollendung in der Persönlichkeit von Leonardo da
                                 										Vinci, dem Künstler und Ingenieur.
                           Um die Wende und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts herrschte in Deutschland
                              									begriffliches Denken vor: alle Wissenschaften gingen damals mehr oder weniger von
                              									philosophisch-begrifflichen Gesichtspunkten aus. Als der Meister des begrifflichen
                              									Denkens dieser Zeit muß Kant bezeichnet werden.
                           Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts brachte in Deutschland mehr und mehr
                              									anschauliches Denken zur Geltung: Naturwissenschaften und technische Wissenschaften,
                              									die beide vorherrschend auf anschaulichem Denken beruhen, gaben dieser Zeit ein
                              									ausdrucksvolles Gepräge.
                           Die technischen Wissenschaften haben das anschauliche Denken besonders gefördert
                              									durch die Ausbildung von graphischen Darstellungen. Unter anderem können durch diese
                              									Darstellungsverfahren Vorgänge, die nacheinander stattfinden, nebeneinander
                              									veranschaulicht werden. Aber die graphischen Darstellungen verlangen ein geschultes
                              									Auge, sind also gerade für die Einführung in die technischen Wissenschaften nur
                              									bedingt verwendbar. Auf dem scharfen Erfassen des Einflusses von mehreren
                              									Veränderlichen auf einen Vorgang beruht aber gerade das anschauliche Denken. Es
                              									liegt also das Bedürfnis vor, solche Einflüsse und Vorgänge, die sich nebeneinander
                              									nicht mehr darstellen lassen, nacheinander zu veranschaulichen.
                           Dieses Bedürfnis tritt zunächst auf bei der Einführung in mathematische Vorgänge. Wie
                              									lebendig solche veränderlichen Gebilde zur Anschauung gebracht werden können, das
                              									lassen die kinematographischen Arbeiten von Münch in
                              									Darmstadt erkennen.
                           
                           Schwieriger noch als mathematische Veränderungen sind die Bewegungsvorgänge, mit
                              									denen sich die technische Wissenschaft zu beschäftigen hat, dem Darstellungsvermögen
                              									zugänglich, weil sie außer dem räumlichen Gebilde noch Kräfte, Geschwindigkeiten und
                              									Beschleunigungen als veränderliche Größen aufweisen.
                           Die technisch-wissenschaftlichen Kinematogramme veranschaulichen Ueberlegungen, die
                              									bei dem Entwurf einer Maschine angestellt werden müssen. Eine zweite Art von
                              									lebenden Lichtbildern stellen die kinematographischen Aufnahmen ausgeführter
                              									Maschinen dar. Sie ermöglichen es, Arbeitsverfahren und fertige Maschinen
                              									gewissermaßen in den Hörsaal zu verpflanzen.
                           Auf anschaulichem Denken beruht unsere ganze industrielle und künstlerische
                              									Berufsarbeit, also die Tätigkeiten, die dem Gegenwartsleben die wirtschaftlichen
                              									Mittel einerseits und die kulturellen Werte andererseits schaffen. Der
                              									Unterricht in den Volksschulen und in den Hochschulen pflegt das anschauliche
                              									Denken; in den Mittelschulen aber herrscht, von vereinzelten rühmlichen Ausnahmen
                              									abgesehen, unumschränkt das begriffliche Denken: man lernt dort fast alles aus
                              									Büchern und nur sehr wenig aus eigener Beobachtung. Wenn es gelingen würde, dem
                              									anschaulichen Denken in der Mittelschule zu seinem Recht zu verhelfen, dann würde
                              									manche schlechte Zensur mit ihren oftmals erschütternden Folgen unterbleiben, weil
                              									der jungen Generation dann das geboten würde, wonach sie zumeist hungert: das
                              									anschauliche Denken.
                           Die allgemein interessanten Ausführungen des Redners wurden durch kinematische
                              									Darstellungen aus dem Gebiete der Mathematik (Lehrsatz von Pythagoras) und der
                              									Technik erläutert.