| Titel: | FRISCHLUFT ODER ZIRKULATIONSLUFT? | 
| Autor: | Oscar Gerold | 
| Fundstelle: | Band 327, Jahrgang 1912, S. 450 | 
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                        FRISCHLUFT ODER ZIRKULATIONSLUFT?
                        Eine wirtschaftliche Betrachtung der
                           								Entstaubungs-, Heizungs- und Befeuchtungsanlagen in Textilfabriken.
                        Von Consult.-Ingenieur Oscar Gerold,
                           									Berlin.
                        GEROLD: Frischluft oder Zirkulationsluft?
                        
                     
                        
                           Inhaltsübersicht.
                           Es werden zwei Entstaubungsanlagen mit Befeuchtungs- und
                              									Heizungseinrichtungen für eine Flachsspinnerei in wirtschaftlicher Beziehung
                              									verglichen durch Aufstellung der einzelnen Anlage- und Betriebskosten für die
                              									Karderie und Vorspinnerei, wenn die Entstaubung einerseits durch Zyklone und
                              									andererseits durch Filter geschieht. Hierbei wird gefunden, daß bei
                              									Frischluftanlagen (Zyklone) in den Betrieben wohl eine reinere Luft herrscht als wie
                              									bei Zirkulationsluftanlagen (Filter), daß aber die Kosten der erstgenannten Anlagen
                              									die der letztgenannten je nach dem Klima enorm überschreiten, während die Luft in
                              									Zirkulationsluftanlagen aber doch hygienisch einwandfrei ist.
                           ––––––––––
                           Von allen Industrien war es die Textilindustrie, welche als letzte die Notwendigkeit
                              									zweckmäßiger Entstaubungsanlagen erkannte, hauptsächlich wohl aus dem Grunde, weil
                              									der Staub völlig wertlos ist und die Kosten der Anlage, der Amortisation, der
                              									Verzinsung und des Betriebes solcher Anlagen einfach den Unkosten zugezählt werden
                              									müssen, für welche der gesammelte Staub keinerlei Erfolg gewährt. Diese Erhöhung des
                              									Betriebsunkostenkontos wird besonders schwer empfunden in Zeiten einer
                              									Tiefkonjunktur, in welcher die Industrie ohnedies schwer zu kämpfen hat.
                           Es kommt aber noch ein anderer Umstand hinzu. Ist es in der Zerkleinerungsindustrie
                              									zum Beispiel möglich, die Staubquellen annähernd dicht abzuschließen, so daß die
                              									Exhaustoren nur eine relativ sehr geringe Luftmenge zu fördern haben und demzufolge
                              									nur sehr wenig Kraft brauchen, so ist ein solcher Abschluß der Staubquellen in der
                              									Textilindustrie nicht möglich. Man kann wohl mit den Mündungen der Saugrohre dicht
                              									an die Staubquellen herangehen, aber man kann die Staubquellen nicht wie in der
                              									Zerkleinerungsindustrie einkapseln.
                           Wenn nun auch der den Quellen entströmende Staub sofort dem Luftzuge folgend in die
                              									Saugrohre geleitet wird, so läßt es sich doch nicht vermeiden, daß auch die weniger
                              									staubhaltige Raumluft gleichfalls von allen Seiten in die Saugrohre strömt, also
                              									mehr Luft als zum Tragen des Staubes nötig wäre; und so kommt es, daß die
                              									Exhaustoren große Mengen sogen. falscher, d.h. relativ reiner Luft mit zu fördern
                              									haben, was natürlich einen entsprechend hohen Kraftverbrauch bedingt.
                           Die Erfüllung der Forderung der Gewerbeinspektoren legte also dieser Industrie große
                              									Opfer auf, so daß es erklärlich erscheint, wenn man sich mit möglichst billigen
                              									Anlagen zu behelfen suchte.
                           Zu diesem Zweck wurden zunächst Wandventilatoren angebracht, die man noch heute in
                              									den Außenmauern vieler Spinnereien findet; sie sollten die staubhaltige Luft
                              									hinausbefördern. Man erreichte jedoch nur Luftzug ohne Herabminderung des Staubes,
                              									und da die Maschinen immer von neuem Staub erzeugen, wurde dieser Staub durch den
                              									Luftzug an den Atmungsorganen der Arbeiter vorbeigeführt, konnte also reichlich
                              									seine Wirkung tun.
                           Man ging dann dazu über, den Staub nicht in den Arbeitsraum hineingelangen zu lassen
                              									und ihn direkt an den Quellen der stauberzeugenden Maschinen abzusaugen.
                           Es wurden durch die Absaugungsanlagen große Mengen staubhaltiger Luft gefördert, die
                              									man nicht ohne Weiteres ins Freie blasen konnte, so daß sich die Notwendigkeit
                              									herausstellte, die abgesaugte Staubluft vor ihrem Austritt ins Freie zu reinigen.
                              									Hierzu dienen entweder Zyklone oder Stoffilter. Erfahrungsgemäß kann bei Verwendung
                              									von Zyklonen die Staubluft nicht vollständig gereinigt werden, wenn auch die
                              									bleibende Verunreinigung nicht mehr allzu sehr belästigend wirkt, wogegen man bei
                              									der Verwendung von Stoffiltern eine praktisch reine Luft ausblasen kann. Diese
                              									Momente sollen jedoch für die Wahl einer Entstaubungsanlage nicht entscheidend sein;
                              									es kommt noch folgendes hinzu.
                           Die Exhaustoren der Entstaubungsanlagen saugen viel mehr Luft an, als zum Tragen des
                              									Staubes unbedingt notwendig wäre. Und wenn aus rein hygienischen Gründen für die
                              									Ventilation ein etwa dreimaliger Luftwechsel in der Stunde reichlich genügend
                              									erscheint, so erfordert doch die Einsaugung des Staubes an den Staubquellen
                              									Luftmengen, welche in einer Karderie für Flachs z.B. einen etwa zwanzigfachen
                              									Luftwechsel in der Stunde bedingen.
                           Die enormen Mengen geheizter und befeuchteter Luft werden ins Freie geblasen und
                              									müssen künstlich dadurch ersetzt werden, daß frische Außenluft außerhalb des
                              									Arbeitssaales in besondere Heizkammern erwärmt und mit dem für das Gespinnst nötigen
                              									Feuchtigkeitsgehalt versehen wird, und daß diese erwärmte und befeuchtete Luft dann
                              									in einem besonderen Rohrnetz gleichmäßig über den ganzen Arbeitssaal verteilt
                              									wird.
                           Bei der Benutzung von Filtern kann die gereinigte Luft wieder in den Arbeitsraum
                              									zurückgeleitet werden, wobei man der filtrierten Luft so viel Frischluft beimengt,
                              									in der Regel 15 v. H., daß der aus hygienischen Gründen etwa dreimalige Luftwechsel
                              									gewahrt bleibt. In warmer Jahreszeit kann man natürlich auch die gesamte aus den
                              									Arbeitsräumen abgesaugte und dann filtrierte Luft ins Freie gehen lassen, zu deren
                              									Ersatz durch die überall geöffneten Fenster genügend Frischluft einströmt, doch ist
                              									ein solcher Luftwechsel nachteilig für das Gespinst.
                           Vorstehende Gründe haben die brennende Frage auftreten lassen: Frischluft oder
                              									Zirkulationsluft, Zyklone oder Filter?
                           Die Maschinenfabriken, welche ihre Frischluftanlagen mit Zyklonen empfehlen, machen
                              									ihren Gegnern den Vorwurf, daß die Luft im Arbeitsraum durch zurückkehrenden Staub
                              									und Kohlensäure verunreinigt werde. Und die Maschinenfabriken, welche ihre Anlagen
                              									mit Zirkulationsluft und Stoffiltern empfehlen, machen ihren Gegnern wieder zum
                              									Vorwurf, daß es unmöglich sei, ohne ganz unverhältnismäßig hohe Betriebskosten eine
                              									den Arbeitern angenehme Temperatur und einen für den Spinnprozeß nötigen
                              									Feuchtigkeitsgehalt der Luft zu erhalten.
                           Was den ersten Vorwurf, nämlich den der verunreinigten Luft anbetrifft, so ist durch
                              									einwandfreie Untersuchung des vereideten Gerichtschemikers Dr. Götting in Breslau, die auf Veranlassung des Sonderingenieurs Röder, Breslau, vorgenommen wurden, nachgewiesen, daß es
                              									in bezug auf den Staubgehalt der Luft ganz gleich ist, ob Frischluft oder
                              									Zirkulationsluft verwendet wird und daß auch der Kohlensäuregehalt der Luft bei
                              									beiden Systemen die gleiche untergeordnete Rolle spielt. Es wurde hierbei nämlich
                              									festgestellt, daß sowohl in Betrieben mit Frischluft wie in solchen mit
                              									Zirkulationsluft der Staubgehalt auf rund 3 mgr f. d. cbm sank, und daß eine
                              									Luftprobe aus einem Betriebe mit Zirkulationsluft früh um 6 Uhr auf 1000 Teilen
                              									0,499 Teile Kohlensäure und abends um 6 Uhr 0,849 Teile Kohlensäure enthielt.
                           Es bleibt also noch übrig, die Anlage- und Betriebskosten beider Systeme zu
                              									betrachten. Dies geschehe an Hand praktischer Unterlagen für die Anlage einer
                              									Entstaubung und Staubsammlung mit der nötigen Heizung und Befeuchtung einer
                              									Vorspinnerei und Karderie für Flachs.
                           Zu entstauben sind: zwei Vorspinnsäle von je 1800 cbm Rauminhalt und etwa 250 qm
                              									Außenmauern; zwei Kardensäle von je 1930 cbm Rauminhalt und etwa 300 qm
                              									Außenmauern.
                           Zur Bewältigung des von den Maschinen erzeugten Staubes müssen gefördert werden:
                              									aus jedem Vorspinnsaale etwa 17300 cbm Luft i. d. Std.; aus jedem Kardensaale etwa
                              									30000 cbm Luft i. d. Std.
                           Je ein Vorspinn- und ein Kardensaal soll nun in der Weise entstaubt werden, daß die
                              									Staubluft durch Exhaustoren abgesaugt und in Zyklone gedrückt wird, in denen sich
                              									der Staub mit oder ohne Hilfe von Wasser- und Dampfdüsen abscheidet, während die
                              									Luft ins Freie entweicht.
                           Die abgesaugten Luftmengen sollen durch Frischluft ersetzt werden, welche auf
                              									Raumtemperatur vorgewärmt und mit dem für dem Spinnprozeß nötigen
                              									Feuchtigkeitsgehalte versehen in die Säle gedrückt wird.
                           Vorhanden ist eine Saalheizung, welche bei tiefster Außentemperatur von – 20° C noch
                              									einen dreimaligen Luftwechsel i. d. Std. bei Erhaltung der Saaltemperatur auf + 20°
                              									C genügt. Vorzubemerken ist, daß man, um einen günstigen Effekt zu erzielen, für
                              									einen, wenn auch nur geringen Ueberdruck im Saale sorgen muß, und deshalb mindestens
                              									10 v. H. mehr Frischluft eingeführt werden muß, als an Staubluft abgesaugt wird.
                           Es muß deshalb an Frischluft hineingedrückt werden:
                           
                              
                                 in den
                                 Vorspinnsaal
                                 17300 + 1700 = 19000
                                 cbm
                                 i. d. Std.,
                                 
                              
                                 „
                                 Kardensaal
                                 30000 + 3000 = 33000
                                 „
                                 „
                                 
                              
                           Damit wird erreicht:
                           
                              
                                 im
                                 Vorspinnsaal
                                 ein
                                 \frac{19000}{1800}=10\,1/2facher
                                 Luftwechsel,
                                 
                              
                                 „
                                 Kardensaal
                                 „
                                 \frac{33000}{1930}=17\,1/2facher
                                 „
                                 
                              
                           Hieraus ergeben sich folgende Berechnungen:
                           
                        
                           I. Anlagekosten für den
                                 									Kardensaal.
                           
                              A. Heizung.
                              Um 33000 cbm Luft von – 20° auf + 20° zu erwärmen, braucht man i. d. Std.:
                              
                                 
                                    
                                    33000 × 40 × 0,31
                                    =
                                    409200
                                    WE,
                                    
                                 
                                    Ausstrahlung der    Außenmauern
                                        300 ×   2 × 40
                                    =
                                      24000
                                    „
                                    
                                 
                                    einmaliger Luftwechsel    durch Fenster u.
                                       												Türen
                                      1900 × 40 × 0,31
                                    =
                                      23900
                                    „
                                    
                                 
                                    
                                    
                                    
                                    ––––––––––––
                                    
                                 
                                    
                                    
                                    
                                    457100
                                    WE.
                                    
                                 
                              Da jedoch durch die vorhandene Saalheizung einem dreifachen Luftwechsel genügt
                                 										ist, so kommen in Abzug 3 × 1900 × 40 × 0,31 = 71800 WE, so daß zur Erzeugung
                                 										noch übrig bleiben 385300 WE.
                              Da 1 qm Dampfkessel-Heizfläche etwa 10000 WE liefert, von denen etwa 10 v. H.
                                 										verloren gehen, so bedarf es zu nutzbarer Erzeugung von 385300 WE eines
                                 										Dampfkessels von \frac{385300}{9000}=43 qm Heizfläche.
                              Für die Heizschlangen sei unter Zugrundelegung des gegebenen
                                 										Dampfkessel-Ueberdrucks von 14 at ein Ueberdruck von 12 at angenommen, dann
                                 										ergibt sich folgende Berechnung:
                              
                                 
                                    Temperatur des Dampfes
                                    190°,
                                    der einströmenden Luft
                                    – 20°
                                    
                                 
                                        „ d. Kondenswassers
                                    100°,
                                    der abströmenden     „
                                    + 20°
                                    
                                 
                                    
                                    ––––
                                    
                                    –––––
                                    
                                 
                                        mittlere Temperatur
                                    145°
                                    mittlere Temperatur
                                    + 0°,
                                    
                                 
                              
                              mithin mittlere Differenz zwischen Dampf und Luft 145° – 0° = 145°.
                              Durch 1 qm eiserne Heizschlangen gibt Dampf an Luft ab für 1° = 19 WE, mithin für
                                 										145° Temperaturdifferenz 145 × 19 = 2755 WE. Zur Uebertragung von 385300 WE wird
                                 										also gebraucht \frac{385300}{2755}=140 qm Heizschlange.
                              
                           
                              B. Befeuchtung.
                              
                                 
                                    1
                                    cbm
                                    Luft
                                    enthält
                                    bei
                                    – 20°
                                    max.
                                    0,00106
                                    kg
                                    Wasserdampf
                                    
                                 
                                    1
                                    „
                                    „
                                    „
                                    „
                                    + 20°
                                    „
                                    0,01718
                                    „
                                    „
                                    
                                 
                              Wird nun gesättigte Luft von – 20° auf + 20° erwärmt, so müssen ihr bis zur
                                 										vollen Sättigung zugeführt werden 0,01612 kg/cbm und bis 75 v. H. Sättigung
                                 										0,01612 × 0,75 = 0,01209 kg/cbm Wasserdampf.
                              Da nun i. d. Std. hineingedrückt werden 33000 cbm, wozu noch kommt der dreimalige
                                 										Luftwechsel durch Türen usw. = 1930 cbm, so ist insgesamt zu befeuchten eine
                                 										Luftmenge von rd. 35000 cbm. Dazu gebraucht man 35000 × 0,01209 = 423 kg
                                 										Wasserdampf i. d. Std.
                              Um 1 kg Wasser von 0° zu verdampfen, sind nötig 637 WE, mithin für 423 kg
                                 										Wasser 423 × 637 = rund 270000 WE. Um diese zu erzeugen, bedarf es eines
                                 										Dampfkessels von \frac{270000}{9000}=30 qm Heizfläche.
                              Den Anlagekosten mußte die tiefste Außentemperatur von – 20° zugrunde gelegt
                                 										werden, weil die Anlagen doch für eine Temperaturdifferenz von 40° ausreichen
                                 										müssen. Den jetzt folgenden Betriebskosten sei jedoch zur Berechnung eine
                                 										Durchschnittstemperatur zugrunde gelegt, welche bei einer angenommenen
                                 										Heizperiode von 180 Tagen im Jahre zu + 0° angenommen sei, so daß sich die
                                 										Betriebskosten für eine Temperaturdifferenz von nur 20° berechnen. – Dagegen
                                 										müssen die Gesamtkosten für die Heizung des Saales in die Rechnung eingestellt
                                 										werden und dürfen die für den Betrieb der vorhandenen Saalheizung entstehenden
                                 										Kosten nicht in Abzug gebracht werden.
                              (Fortsetzung folgt)