| Titel: | GESICHTSPUNKTE FÜR DIE INDUSTRIELLE GEWINNUNG VON SAUERSTOFF UND EIN NEUES CHEMISCHES VERFAHREN FÜR SEINE ERZEUGUNG (PLUMBOXAN-VERFAHREN). | 
| Autor: | Georg Kaßner | 
| Fundstelle: | Band 327, Jahrgang 1912, S. 593 | 
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                        GESICHTSPUNKTE FÜR DIE INDUSTRIELLE GEWINNUNG VON
                           								SAUERSTOFF UND EIN NEUES CHEMISCHES VERFAHREN FÜR SEINE ERZEUGUNG
                           								(PLUMBOXAN-VERFAHREN).
                        Von Dr. Georg Kaßner, Professor in
                           									Münster i. W.
                        KASSNER: Gesichtspunkte für die industrielle Gewinnung von
                           								Sauerstoff usw.
                        
                     
                        
                           Inhaltsübersicht.
                           Technische Bedeutung reinen Sauerstoffs. Die Frage besserer
                              									Brennstoffausnutzung mit Anwendung von reinem Sauerstoff verknüpft. Einteilung der
                              									Verfahren zur Gewinnung von Sauerstoff in Klein- und in Großverfahren, in chemische
                              									und in physikalische Verfahren. Baryt-Verfahren von Boussingault-Brin. Seine frühere Anlage zu Berlin (Dr.
                              										Elkan). Vorzüge und Fehler desselben. Desgleichen
                              									Verfahren von Tessié du Motay. Desgleichen Kaßners Calciumplumbat-Verfahren. Verschiedene
                              									Modifikationen desselben unter Benutzung reiner oder verdünnter Kohlensäure.
                              									Physikalisches Verfahren von Linde. Prinzip desselben. Sauerstoff aus flüssiger Luft
                              									durch Destillation. Momente, welche hierbei Verluste bedingen. Grenze der
                              									Leistungsfähigkeit physikalischer Sauerstoffgewinnung. Die Möglichkeit weiteren
                              									Fortschritts liegt auf dem Gebiete der Chemie. Gründe dafür, besonders Unterschiede
                              									zwischen beiden in dem erforderlichen Aufwand an Energie. Ausnutzung direkt
                              									gewonnener Kalorien beim chemischen Verfahren und indirekt erhaltener beim
                              									physikalischen. Aeußere und innere Hemmungen eines Verfahrens. Bedingungen für ein
                              									ideales chemisches Sauerstoffverfahren. Kaßners
                              									Plumboxan-Verfahren. Möglichkeit seiner Anwendung in der Hüttentechnik.
                           ––––––––––
                           Der Wunsch, Sauerstoff in reinem Zustande an Stelle atmosphärischer Luft zu
                              									mancherlei Zwecken der Heilkunde und der Technik zu verwenden, ist fast ebenso alt
                              									als die Kenntnis des Gases selbst.
                           Nachdem es allgemein ins Bewußtsein eingedrungen war, daß nur der Sauerstoff in der
                              									Atmosphäre die eigentliche Lebensluft ist, nachdem man die enormen
                              									Temperatursteigerungen beim Verbrennen mancher Körper in reinem Sauerstoff bestaunt
                              									und die hierbei stattfindenden glänzenden Lichterscheinungen bewundert hatte, lag
                              									eben nichts näher, als der Wunsch, sich des reinen
                              									Sauerstoffs, d.h. frei von dem in der gewöhnlichen Luft beigemischten, das Vierfache
                              									seines eigenen Volums ausmachenden Stickstoff, in allen solchen Fällen zu
                              									bedienen.
                           Durch seine Gegenwart wirkt der Stickstoff lediglich nur als Ballast, verdünnt
                              									unnötig die durch die Vereinigung mit Sauerstoff entstandenen Reaktions- und
                              									Verbrennungsprodukte und vernichtet die beim Verbrennungsakt auftretenden
                              									Kalorien insofern, als er fast ⅘ derselben zur eigenen Erwärmung braucht und somit
                              									das Zustandekommen einer ohne ihn erreichbaren Höchsttemperatur vereitelt.
                           Durch eine derartige Verdünnung und Verbreitung der erzeugten Wärme auf einen großen
                              									Raum wird aber gleichzeitig die Wärmeausnutzung erschwert, da diese um so besser
                              									wird, je größer das Temperaturgefälle zwischen wärmeerzeugendem und
                              									wärmeaufnehmendem Medium ist.
                           Man sieht, es schließt die Frage der Verbrennung in und mit
                                 										reinem Sauerstoff auch die einer besseren Ausnutzung der Brennstoffe oder
                              									mit anderen Worten die der Verhinderung einer Brennstoff Verschwendung ein, ein
                              									Problem, das zu lösen bei der zunehmenden Knappheit der Brennstoffe ohne Zweifel für
                              									die Menschheit immer wichtiger wird.
                           Freilich, die zuletzt hervorgehobene Seite. der Sauerstofffrage ist erst neueren
                              									Datums, ja in manchen Köpfen besitzt sie nur etwa utopistischen Charakter, müßte
                              									doch, um ihr zu genügen, der reine Sauerstoff fast kostenlos dem Heizungstechniker
                              									zur Verfügung stehen.
                           Wer wollte jedoch einer Entwicklung der Sauerstofftechnik auch nach der eben
                              									berührten Seite der rationellen Brennstoffausnutzung alle innere Berechtigung
                              									versagen? Wer wollte ein absprechendes Urteil fällen, heutzutage, wo die Erfahrung
                              									wiederholt gezeigt hat, daß manche Zweige der Technik aller Voraussicht zuwider eine
                              									glänzende Entwicklung genommen haben?!
                           Es lag in der Natur der Sache, daß die ersten nach der Entdeckung des Sauerstoffs
                              									benutzten Verfahren zu, seiner Herstellung rein chemischer Natur waren. Wurde doch
                              									der Sauerstoff von Lavoisier durch Erhitzen von
                              									Quecksilberoxyd zuerst gewonnen. Später folgte die Abscheidung aus Braunstein,
                              									aus chlorsaurem Kali, aus Salpeter, aus konzentrierter Schwefelsäure usw., alles
                              									Substanzen, welche in der Glühhitze unter mehr oder weniger großer Abgabe von
                              									Sauerstoff zerfallen,
                           Heute wissen wir, daß die auf Verwendung dieser und ähnlich sich verhaltender
                              									Substanzen basierenden Verfahren für eine Massenfabrikation des Gases, für seine industrielle Herstellung gar nicht
                              									in Betracht kommen können, und zwar deswegen nicht, weil der nach Abspaltung des
                              									Sauerstoffs verbleibende Rest der Verbindung nicht ohne weiteres wieder in die
                              									ursprüngliche sauerstoffreiche Verbindung aufgearbeitet werden kann.
                           Sie gehören zu den sogen. „Kleinverfahren“, welche
                              									wohl hier und da, wie z.B. in Laboratorien, Schulen usw. bei geringem Bedarf an
                              									Sauerstoff noch eine gewisse Rolle spielen können, welche aber für den Großkonsum
                              									ganz außer acht bleiben müssen. Im Gegensatz zu ihnen stehen die „Großverfahren“. Sie sind es, welche den
                              									Sauerstoff direkt aus dem unerschöpflich uns zur Verfügung stehenden Reservoir, der
                              									atmosphärischen Luft, entnehmen und ihn nach chemischer oder physikalischer, d.h.
                              									meist mechanischer Vorbehandlung uns in reinem Zustande liefern. Daher kann man auch
                              									das elektrolytische Verfahren der Wasserzersetzung, obwohl es in diversen Systemen
                              									noch viel verbreitet und durchgeführt wird, eigentlich nicht zu den Großverfahren
                              									rechnen.
                           Abgesehen von der Herkunft des Sauerstoffs spricht hier schon die Tatsache dagegen,
                              									daß zur Zerreißung der Verbindung H2O ein ganz
                              									gewaltiger Energieaufwand von 285714 Volt-Coulombs oder
                              									68400 kl. Kalorien für das Gramm-Molekül erforderlich ist, während die Trennung des
                              									mechanischen Gemenges der Luftbestandteile theoretisch keinerlei Energieverbrauch
                              									erfordert.
                           Wie schon gesagt, gelangt man aus der Luft zu reinem Sauerstoff durch Vorbehandlung
                              									derselben mit Hilfe chemischer, sich in dem Prozeß immer
                                 										wieder ergänzender, regenerierbarer Stoffe oder durch Einwirkung
                              									physikalischer Methoden. In dem Entwicklungsgang dieser Technik war das erste der
                              									als brauchbar erkannten und zu kontinuierlichem Betriebe versuchsweise
                              									herangezogenen Großverfahren dasjenige von Tessié du
                                 										Motay, das sogen. Manganatverfahren, welches auch von anderen Technikern
                              									mit relativ günstigem Resultat in früherer anspruchsloser Zeit erprobt wurde. Dann
                              									folgte die Verwendung des Baryumsuperoxyds zu gleichem Zweck. Noch erinnere ich mich
                              									deutlich, mit welcher Begeisterung mich in meinen ersten Studiensemestern die im
                              									chemischen Universitätskolleg zu BaselEs ist
                                    											das Kolleg über allgemeine anorganische Chemie von Jul. Piccard gemeint. im W.-S. 1879/80 vernommene
                              									schöne Entdeckung von Boussingault hinsichtlich der
                              									beständigen Bildung und Zersetzung von Baryumsuperoxyd beim Erhitzen an der Luft
                              									erfüllte, eine Entdeckung, welche mein wirtschaftlichchemisches Empfinden seitdem
                              									fortdauernd beschäftigte und welche, von anderer Seite bearbeitet, die
                              									Grundlage des späteren Verfahrens von Brinfrères wurde.
                              									Ich will bei diesem Verfahren zunächst etwas stehen bleiben, da es unter den
                              									chemischen Prozessen dasjenige ist, welches sich im Fabrikbetriebe am längsten
                              									erhalten hat.
                           Mitte der 80 er Jahre des vorigen Jahrhunderts gelangte es in diversen Großstädten
                              									zur Einführung und hat sich z.B. in seiner Berliner Anlage, welche ursprünglich von
                              									Dr. Elkan geschaffen war, bis in die letzten Jahre
                              									daselbst im Betriebe erhalten. Noch im Jahre 1910 sah ich denselben Ofen in
                              									Tätigkeit, welcher schon 1889 bei der Einführung des Artikels „komprimierter
                                 										Sauerstoff“ auf dem deutschen Markt zur Produktion dieses Gases diente.
                           Diese Stabilität verdankte das Verfahren trotz mancher inneren Mängel der völlig
                              									selbsttätigen Betriebsweise, bei welcher durch ein Uhrwerk in ganz bestimmten
                              									Zeiträumen die Ventile zur Lufteinfuhr und zur Herausnahme des Sauerstoffs,
                              									wechselweise auf maschinellem Wege, also unabhängig von jeder menschlichen Bedienung
                              									umgestellt wurden. Dazu kam trotz des Umstandes, daß eigentlich nur bei niedriger
                              									Temperatur der Sauerstoff vom Baryumoxyd aufgenommen, dagegen bei höherer erst
                              									wieder abgegeben wird, die für die Praxis so wichtige Innehaltung einer annähernden
                              									Temperaturkonstanz dadurch, daß die kalte Luft unter
                                 										Druck in das Retortensystem eingeblasen, der Sauerstoff dagegen unter Absaugen gewonnen wurde.
                           Hierdurch waren wenigstens Druckgegensätze (bez.
                              									Konzentrationsgegensätze) geschaffen, da Temperaturgegensätze, welche das Verfahren in seiner ursprünglichen Gestalt
                              									besaß und für rationelle Arbeitsleistung eigentlich auch haben mußte, aus
                              									praktischen Gründen nicht, d.h. nicht in wünschenswertem Umfange möglich waren.
                           So vollziehen sich nun hintereinander folgende Reaktionen
                           a) (unter Druck) Ba O + Luft (= rund 4 N + 0)
                                          = Ba O2 + 4 N (ins
                              									Freie),
                           c) (unter Evakuierung) BaO2 =
                              									O + BaO (zum Gasometer),
                           Man sieht gleich, daß bei dieser Einrichtung ein guter Teil des entwickelten reinen
                              									Sauerstoffs wieder verloren gehen muß, nämlich so viel als der beim Beginn des
                              									Absaugens in den Poren des Materials enthaltene Stickstoff zu seiner
                              									Herausbeförderung bedarf.
                           Der Hauptfehler des Verfahrens ist eben der, daß sich in dasselbe zwischen Stickstoff
                              									und Sauerstoff keine weitere indifferente Gasphase, etwa z.B. Einblasen von
                              									Wasserdampf einschieben läßt. Das Baryumoxyd bezw. Baryumsuperoxyd verträgt solches
                              									nicht, da es sofort in völlig unwirksames Baryumhydrat übergeführt würde. Ebenso muß
                              									jede Spur von Kohlensäure und auch von Staub in der Luft, welcher beim Verbrennen in
                              									den Retorten Kohlensäure liefern würde, ausgeschlossen sein.
                           Wenn sich nun trotz dieser Mängel und trotz jedesmaliger nur kleiner Ausbeute an
                              									Sauerstoff das Boussingaultsche, von Brin frères verbesserte Verfahren bis auf unsere Tage
                              									lebensfähig erhalten hat, so ist das eben nur, von der besonders guten schwammförmig
                              									porösen Beschaffenheit des Materials abgesehen, der ingeniösen
                              									maschinell-selbsttätigen Betriebsweise zu verdanken.
                           Was die zur Anwendung kommende Temperatur anbelangt, so ist sie auf etwa 700°C zu
                              									beziffern.
                           Sehr vieler Bemühungen, es lebensfähig zu erhalten, hatte sich auch fernerhin das mit
                              									dem Namen Tessié du Motays verbundene, sogen. Manganatverfahren zu erfreuen. Und mit Recht. Ist doch
                              									der Kern desselben die außerordentlich leicht zu vollziehende Bildung von
                              									Alkalimanganat, und wird doch ferner die Entwicklung des Sauerstoffs durch Einblasen
                              									von Wasserdampf bewirkt.
                           Aber freilich alle die vorgeschlagenen Verbesserungen haben die Ursache der Hemmungen
                              									und Widerstände der einfach und glatt erscheinenden Reaktionen nicht zu beseitigen
                              									vermocht, weil solche bis dato unbekannt waren oder nicht beachtet wurden. Wie ein
                              									jedes System für seine Durchführung gewissen, je nach der Natur des Systems
                              									verschiedenartigen und verschieden großen Widerstanden begegnet, bei mechanischen
                              									Apparaten und Maschinen ist es zumeist der Reibungswiderstand der gleitenden Kolben,
                              									sich drehenden Achsen usw., bei chemischen Verfahren sind es innere Hemmungen,
                              									Nebenreaktionen oder Zersetzungen der Masse, welche den Erfolg beeinträchtigen, so
                              									liegen gerade bei dem schönen Verfahren von Tessié du
                                 										Motay Hemmungen besonderer Art vor.
                           Von ihnen wird später noch die Rede sein.
                           Um dieselbe Zeit etwa wie das Boussingaultsche Verfahren
                              									in der Verbesserurig von Brin Eingang in die Industrie
                              									fand, hatte ich selbst als Frucht der darauf gerichteten Bemühungen, welche ihren
                              									Ursprung von der Baseler Anregung aus nahmen, ein neues Verfahren zur Verwertung des
                              									Luftsauerstoffs aufgefunden.
                           Ich habe es im Jahre 1889 in D. p. J. veröffentlicht unter dem Titel „Ein neues
                                 										Verfahren zur Nutzbarmachung des Sauerstoffs der Luft und die demselben zu
                                 										Grunde liegenden Verbindungen“.
                           In der Absicht, die Sauerstoffaufnahmefähigkeit des Bleioxyds, wie sie z.B. in der
                              									Bildung der Mennige sich dokumentiert, auszunutzen und mit der des Baryumoxyds zu
                              									kombinieren, unternahm ich zahlreiche Versuche und ermittelte so die Existenz der
                              									Erdalkaliorthoplumbate, des schwarzen Ba2 Pb O4, des braunen Sr2
                              									Pb O4 und des fleischfarbenen Ca2 Pb O4.
                           Von diesen Verbindungen ist die letzterwähnte, das Kalziumorthoplumbat oder kurz auch
                              									bleisaurer Kalk genannt, die wichtigste, weil sie sehr leicht und rasch bei
                              									mittlerer Rotglut aus ihren Komponenten entsteht. So z.B. aus Aetzkalk (Ca O) oder
                              									sogar aus Kalziumkarbonat nach der Gleichung
                           PbO + 2CaCO3 + O (Luft) = Ca2PbO4 + 2CO2.
                           Diese Verbindung hat inzwischen mancherlei Anwendungen in der
                              									Praxis erfahren, z.B. als Glasurmittel, als Zusatz zu Zündmischungen, vor allem aber
                              									war sie geeignet, die Grundlage eines neuen Verfahrens zur Abscheidung von
                              									Sauerstoff aus der Luft zu bilden.
                           Gemäß der besonderen Natur dieser Verbindung war es aber nicht möglich, sie durch
                              									bloßes Erhitzen zu einer technisch brauchbaren Abgabe von Sauerstoff zu bringen, wie
                              									es bei dem einfachen Körper BaO2 der Fall ist. Die
                              									salzartige Verbindung zwischen Kalk und Bleisäure bezw, Bleisäureanhydrid, wie sie
                              									nebenstehende Formulierung Ca2PbO4 = 2CaO ∙ PbO2
                              									zeigt, mußte erst durch eine andere Säure gespalten werden.
                           So gelangte ich zur Verwendung von Kohlensäure als der für den Zweck billigsten und
                              									geeignetsten Säure, da sie beim Regenerierprozeß immer wieder gasförmig ausgetrieben
                              									werden kann.
                           Von den beiden Möglichkeiten, nämlich entweder verdünnte
                              									Kohlensäure wie sie in den Rauchgasen kostenlos zur Verfügung steht, oder aber
                              									konzentrierte reineZuerst von Peitz benutzt.
                              									Kohlensäure zu verwenden, hat sich letztere in der Praxis am besten bewährt.
                           Denn die Benutzung verdünnter Kohlensäure erheischt einen beständigen Wechsel der
                              									Temperatur in der Behandlung der Masse, um den Stickstoff der Rauchgase ausscheiden
                              									zu können. Das hierbei bei niedriger Temperatur nach der Gleichung a, Ca2PbO4 + Rauchgase (=
                              									rund 2CO2 + 8N2) =
                              										2CaCO3 ∙ PbO2 +
                              										8N2 erhaltene Gemisch von 2 Ca CO3 + Pb O2 kann eben
                              									nur bei höherer Temperatur seines Sauerstoffs beraubt und erst dann an der Luft
                              									regeneriert werden gemäß den Gleichungen
                           b) (2 Ca CO3 + Pb O2) = 0 (zum Gasometer)
                                                         + (2 Ca CO3 + Pb O),
                           c) (2 Ca CO3 + Pb O) + Luft (O
                              									+ 4 N)
                                                     = 2 CO2 +
                              									4 N + Ca2 Pb O4.
                           Bei Anwendung reiner Kohlensäure verlaufen dagegen Austreibung
                              									von Sauerstoff und Regenerierung bei derselben
                              									Temperatur
                           a) Ca2 Pb O4 + 2 CO2 = O (zum
                              									Gasometer)
                                                               + (2 Ca CO3 ∙ Pb O).
                           b) (2 Ca CO3 ∙ Pb O) + Luft (O
                              									+ 4N)
                                                     = Ca2 Pb
                              										O4 + 4 N + 2 CO2
                              									ins Freie.
                           Der mit Gleichung b verbundene Verlust von Kohlensäure kann aber durch Einschiebung
                              									einer Dampfphase größtenteils vermieden werden, indem mäh vor dem! Einblasen von
                              									Luft mit Wasserdampf die gebundene Kohlensäure austreibt und für sich zurückgewinnt.
                              									Es ist dann
                           a1) (2 Ca CO3 ∙ Pb O) + Wasserdampf = (2 Ca O ∙ Pb O)
                                             + 2 CO2 (in den
                              									Gasometer) + Wasserdampf.
                           Die Gleichung b wird dann zu b1, nämlich
                           b1) (2 Ca O ∙ Pb O) + Luft
                              									(O + 4 N)
                                                   = Ca2 Pb
                              										O4 + 4 N (ins Freie).
                           Die Regenerierung vollzieht sich unter diesen Umständen mit außerordentlicher
                              									Leichtigkeit, wozu hoch kommt, daß durch die Einwirkung des Dampfes die wirksame
                              									Materie ganz erheblich aufgelockert worden ist.
                           Für den Prozeß der Sauerstoffgewinnung aus Kalziumplumbat bedeutet es allen anderen
                              									chemischen Proyessen gegenüber einen großen Vorteil, daß beständig hintereinander zwei Gase in die Substanzeintreten, nämlich Sauerstoff und
                              									Kohlensäure, wodurch eine weitgehende Auflockerung
                              									erfolgt, und daß schließlich durch Wasserdampf jeglicher Stickstoff aus der Masse
                              									ausgetrieben werden kann.
                           In der Tat, ich kenne keine Materie, welche, mit der
                                 										Eigenschaft der Regenerierbarkeit behaftet, auf so kleinem Raum eine
                              									derartig große Menge Sauerstoff zu fixieren und in der Entwicklungsphase auch quantitativ abzugeben vermag, wie das
                              									Kalziumorthoplumbat.
                           Aber ein Nachteil der Substanz und des Verfahrens ist die Notwendigkeit, reine
                              									Kohlensäure verwenden zu müssen. Außerdem ist die bei dem Prozeß ähnlich wie beim
                              										Brinschen erforderliche hohe Temperatur von 700 bis
                              									800°C ein weiterer Uebelstand.
                           Innere Hemmungen sind bei dieser Reaktion unter der Voraussetzung, daß das
                              									Temperaturmaximum von 800° C nicht überschritten wird, kaum vorhanden.
                           So erklärt es sich, daß dieses Verfahren in unmittelbarer Nähe einer natürlichen
                              										KohlensäurequelleZu Herste bei
                                    											Driburg i. W. etwa zwei Jahre im Betriebe war; ich bin überzeugt,
                              									daß es noch heute Sauerstoff auf den Markt bringen würde, wenn die das Verfahren
                              									seiner Zeit ausbeutende Firma sich entschlossen hätte, einen sachgemäßen und auf die
                              									Betriebserfahrungen gegründeten Umbau der viele Mängel zeigenden Ofenanlage
                              									vorzunehmen.
                           Nicht zum wenigsten ist freilich die damals notwendig gewordene, aber unterbliebene
                              									Reorganisation der Anlage durch die immer drohender gewordene Konkurrenz der
                              									physikalischen Verfahren veranlaßt worden.
                           Es war im Jahre 1896, als die alle Welt verblüffende Erfindung Lindes und die seiner mit ihm konkurrierenden Fachgenossen bekannt wurden,
                              									welche dahin gingen, auf eine einfache maschinelle Betriebsweise flüssige Luft zu
                              									erzeugen, woran sich dann die Versuche schlössen, diese flüssige Luft durch ein
                              									rationelles Siede- und Dephlegmationsverfahren in möglichst reinen Sauerstoff und
                              									möglichst reinen Stickstoff mit möglichst geringen Verlusten zu zerlegen.
                           In kurzen Zügen ist das Verfahren Lindes und seiner
                              									Partner bekanntlich folgendes:
                           Atmosphärische Luft, welche man vorher von jeder Spur
                                 										Feuchtigkeit und Kohlensäurebefreien muß, falls der Erzeugungsapparat sich
                              									nicht binnen Kurzem durch feste Kohlensäure und Eis verstopfen soll (was einen Teil
                              									der inneren Hemmungen dieser mechanischen Verfahren darstellt), wird durch
                              									Kompressoren auf einen Druck von 125 bis 200 at gebracht und alsdann mit Hilfe
                              									sorgfältig einzustellender Ventile entspannt.
                           Es findet hierbei nach der Formel von Thomson-Kelvin eine
                              									von dem Druckunterschied der Luft vor und hinter dem Ventil abhängige
                              									Temperaturerniedrigung statt, welche nun unter sinnreicher Anwendung des
                              									bekannten Wärme- bezw. Kälteregenerativprinzips von Friedr.
                                 										Siemens fortwährend kumuliert wird, indem die abziehende entspannte und
                              									dadurch abgekühlte Luft in konzentrischem Rohre um die im Kernrohr dem Ventil
                              									zuströmende hochgespannte Luft herum und zwar nach dem Gegenstromprinzip nach außen
                              									geführt wird, so daß die Temperatur der zu entspannenden Luft fortwährend sinkt, bis
                              									dann schließlich der letzte Entspannungs-Temperatursturz die Verflüssigung der Luft
                              									bewirkt.
                           Dieselbe findet bei etwa – 193° statt. Da nun reiner Sauerstoff bei etwa – 182°,
                              									reiner Stickstoff bei etwa – 195° siedet, so haben Mischungen beider flüssigen Gase
                              									Siedepunkte, welche zwischen – 182° und – 195° liegen.
                           Beim Stehenlassen flüssiger Luft, wodurch von selbst Wärmezufuhr von außen
                              									stattfindet, gerät die flüssige Luft ins Sieden und zeigen sich die ersten
                              									abgehenden Dämpfe, entsprechend dem niedrigeren Siedepunkte des Stickstoffs, sehr
                              									reich an diesem Gase; bei weiterem. Verdampfen werden die Anteile an
                              									mitentwelchendem Sauerstoff größer und am Schluß der Verdampfung kommt fast reiner
                              									Sauerstoff.
                           Die in dem Unterschiede der Siedepunkte liegende Möglichkeit einer rationellen
                              									Trennung der beiden Gase für wirtschaftliche Zwecke galt es nun durch Konstruktion
                              									geeigneter Dephlegmationskolonnen zur Wirklichkeit werden zu lassen.
                           Man muß sagen, daß wohl eine weitgehende Trennung der Gase in den oft komplizierten
                              									und mit minutiöser Sorgfalt gebauten Rektifikationsapparaten bewirkt werden kann.
                              									Aber es wäre ein Irrtum, anzunehmen, daß es dem technischen Betriebe gelänge, aus
                              									100 cbm Luft glatt rd. 20,8 cbm Sauerstoff und 79,2 cbm Stickstoff zu erhalten.
                           Eine derartige Leistung kann allenfalls nur ein chemisches Verfahren geben. Man muß
                              									schon froh sein, wenn es gelingt, dem entwelchenden Stickstoff nicht mehr als 8 bis
                              									9 v. H. Sauerstoff zu belassen, während die Sauerstoffausbeute dabei, den Gewinn von
                              									95prozentigem Sauerstoff vorausgesetzt, auf etwa 12 bis 13 v. H. von 100 Teilen Luft
                              										kommt.Vergl. den
                                    											beachtenswerten Aufsatz von Dipl.-Ing. Ph. Borchardt in Heft 1 der Zeitschrift für Sauerstoff- und
                                    											Stickstoff-Industrie 1911, betitelt: „Maßgebende Gesichtspunkte für die
                                       												Beurteilung eines Sauerstoffapparates“.
                           Daß bei derartigen, in der Praxis noch als gut geltenden Ausbeuten der mit dem
                              									Stickstoff entwelchende Sauerstoff rein umsonst durch die
                              									verschiedenen Stufen des Verfahrens: Reinigung der Luft, Kompression, Entspannung,
                              									Rektifikation hindurchgeschleppt worden ist, sei zunächst nebenbei bemerkt.
                           Neuerdings soll (vergl. Borchardt l. c.) es nunmehr,
                              									freilich mit Hilfe einer zweistufigen, also durch den Mehrbedarf an Apparatur
                              									jedenfalls noch komplizierteren Rektifikation, möglich sein, den Sauerstoffgehalt
                              									des entwelchenden Stickstoffs auch noch unter 7 v. H. (nach Angaben der Gesellschaft
                              									Linde auf 3 bis 4 v. H.) herunterzudrücken.
                           
                           Immerhin bleibt ein unnützes und daher verlustbedeutendes
                                 										Hindurchschleppen verlorengehenden Sauerstoffs, der in einem
                              									wirkungsvollen, rein chemischen Verfahren nicht verloren zu gehen braucht.
                           Auch das Linde sehe Verfahren ist noch etwas verbessert worden. So kann z.B. die von
                              										Georges Claude bewirkte erfolgreiche Durchführung
                              									einer alten Siemens sehen Idee als eine gewisse Verbesserung bezeichnet werden,
                              									deren Kern die Tatsache ist, daß sich die Entspannung in einem geeigneten System
                              									unter Rückgewinn eines Teils der zur Kompression aufgewendeten Arbeit
                              									bewerkstelligen läßt. Man spricht dann von Luftverflüssigung unter Leistung äußerer
                              									Arbeit. Ob aber der dabei zu erzielende Gewinn die Mehrumstände des Verfahrens, den
                              									Aufwand an Ergänzungsapparaten, die Zunahme des Gewichts und Volumens der
                              									Verflüssigungsapparatur, im Verhältnis zu denen auch die Kälteverluste wachsen und
                              									andere Uebelstände mehr reichlich aufwiegt, erscheint doch einigermaßen
                              									fraglich.
                           
                              (Schluß folgt.)