| Titel: | NATÜRLICHER UND KÜNSTLICHER KAUTSCHUK. | 
| Autor: | A. Sander | 
| Fundstelle: | Band 327, Jahrgang 1912, S. 626 | 
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                        NATÜRLICHER UND KÜNSTLICHER
                           								KAUTSCHUK.
                        Von Dr.-Ing. A. Sander,
                           									Karlsruhe i. B.
                        SANDER: Natürlicher und Künstlicher Kautschuk.
                        
                     
                        
                           Inhaltsübersicht.
                           Verfasser bespricht die Gewinnung des Kautschuks in den Urwäldern
                              									Brasiliens sowie in den Plantagen auf Ceylon, seine Verarbeitung zu Kautschukwaren,
                              									die Eigenschaften des rohen und vulkanisierten Kautschuks, ferner die
                              									Fabrikation von Kautschukersatzmassen und Regeneraten und schließlich die
                              									synthetische Gewinnung des Kautschuks.
                           ––––––––––
                           
                           Schon seit langer Zeit nimmt der Kautschuk unter den Rohstoffen der Technik eine
                              									wichtige Stellung ein und sein Verbrauch hat von Jahr zu Jahr stark zugenommen.
                              									Besonders groß ist diese Zunahme in den letzten Jahren gewesen, namentlich infolge
                              									der günstigen Entwicklung der Automobil- und Luftfahrzeugindustrie. Der
                              									Weltverbrauch an Kautschuk ist in den Jahren 1905 bis 1910 von 62500 t auf 76500 t
                              									gestiegen. In ähnlichem Maße stieg der Verbrauch Deutschlands, der im Jahre 1911
                              									mehr als 15000 t im Werte von ungefähr 170 Mill. Mark betrug und somit fast ein
                              									Fünftel des Weltverbrauchs darstellt. An der Einfuhr nach Deutschland sind die
                              									folgenden Länder beteiligt:
                           
                              
                                 Britisch-Ostafrika
                                 mit
                                  171 t
                                 
                              
                                      „     -Westafrika
                                 „
                                  424 „
                                 
                              
                                 Deutsch-Ostafrika
                                 „
                                  602 „
                                 
                              
                                 Kamerun
                                 „
                                 1805 „
                                 
                              
                                 Togo
                                 „
                                  120 „
                                 
                              
                                 Französisch-Westafrika
                                 „
                                   511 „.
                                 
                              
                                 Kongo
                                 „
                                 1914 „
                                 
                              
                                 Mexiko
                                 „
                                 2099 „
                                 
                              
                                 Brasilien
                                 „
                                 6814 „
                                 
                              
                                 Peru
                                 „
                                  416 „
                                 
                              
                                 Britisch-Indien
                                 „
                                  995 „
                                 
                              
                                     „      -Malakka
                                 „
                                  437 „
                                 
                              
                                 Ceylon
                                 „
                                  417 „
                                 
                              
                                 Niederländisch-Indien
                                 „
                                  856 „
                                 
                              
                           Wie man aus dieser Zusammenstellung ersieht, ist das Vorkommen kautschukliefernder
                              									Pflanzen nicht auf einen Erdteil beschränkt, sondern man findet solche Bäume und
                              									Sträucher in den heißen Zonen von Süd- und Zentralamerika ebenso wie in Afrika und
                              									Asien. Das Hauptproduktionsland war jedoch von Anfang an Brasilien, dessen
                              									ausgedehnte Wälder im Mündungsgebiet des Amazonenstromes auch heute noch den meisten
                              									und den besten Kautschuk liefern. Ein besonders geschätztes Handelsprodukt ist der
                              									Kautschuk von Para, der wegen seiner Reinheit die höchsten Preise erzielt. Die
                              									Kautschukausfuhr ist für das Wirtschaftsleben Brasiliens von ausschlaggebender
                              									Bedeutung und über die Hälfte des Weltbedarfs wird durch dieses Land allein gedeckt.
                              									Im Jahre 1910 belief sich die Ausfuhr auf über 40000 t im Werte von etwa 380 Mill.
                              									M, ein Wert, der über 40 v. H. der Gesamtausfuhr Brasiliens ausmacht. Auch Peru und
                              									Mexiko haben eine große Kautschukproduktion. Unter den Ländern Afrikas steht der
                              									Kongostaat an erster Stelle und von den kautschukliefernden Gebieten Asiens ist vor
                              									allem Indien zu nennen. Recht beträchtliche Mengen kommen auch von den Inseln
                              									Borneo, Java und Sumatra, ferner von Birma und den Straits Settlements. Der
                              									Kautschuk wird aus dem Milchsaft von Bäumen gewonnen, die zu der Gattung Hevea
                              									brasiliensis, Manihot, Castilloa, Landolphia (Afrika), Ficus (Indien), Kickxia u.a.
                              									gehören.
                           Der Umstand, daß die Bäume, die den „wilden Kautschuk“ liefern, infolge der
                              									stark steigenden Nachfrage einem höchst bedenklichen Raubbau unterworfen werden,
                              									führte schon vor längerer Zeit dazu, den Kautschukbaum auch in Plantagen
                              									anzubauen.
                           Zuerst versuchte man dies auf der Insel Ceylon, wo es gelang, die Hevea
                              									brasiliensis anzubauen, ohne daß Entartung eintrat. Der Ceylon-Kautschuk ist von
                              									sehr guter Beschaffenheit und die Ausfuhr macht infolgedessen rasche Fortschritte.
                              									1905 betrug sie erst 75 t, 1911 dagegen schon 2000 t. Im ganzen lieferte Asien im
                              									Jahre 1911 bereits 13000 t Plantagenkautschuk. Auch in unseren deutschen Kolonien
                              									wurde der Kautschukbau mit großem Erfolg aufgenommen. Wenn diese Plantagen auch
                              									heute noch nicht ihre volle Ertragsfähigkeit besitzen, so läßt sich doch jetzt schon
                              									erkennen, daß namentlich der Plantagenkautschuk von Kamerun, wo 1910 schon eine
                              									Fläche von 4500 ha angepflanzt war, in Zukunft auf dem Weltmarkt eine Rolle spielen
                              									wird. Es wurden in dieser Kolonie zuerst Anbauversuche mit Kickxia gemacht, die
                              									nicht befriedigend ausfielen, dagegen sind mit Hevea brasiliensis schon
                              									ausgezeichnete Resultate erzielt worden. Dies zeigt recht deutlich ein Blick auf die
                              									Ausfuhrstatistik des Jahres 1910. Denn unter den aus Kamerun ausgeführten Produkten
                              									im Gesamtwerte von rund 20 Mill. (1909: 15,4 Mill.) Mark steht Kautschuk mit 11
                              									Mill. (1909: 7,5 Mill.) Mark an erster Stelle. Im Süden des Schutzgebietes finden
                              									sich auch große Bestände von wilden Kautschuk liefernden Bäumen, an denen besonders
                              									auch die neu erworbenen Teile des französischen Kongos sehr reich sind. Um dem
                              									Raubbau in diesen Gebieten zu steuern, sind strenge Schutzvorschriften erlassen
                              									worden, und die Eingeborenen werden über die rationelle Gewinnung des Milchsaftes
                              									durch die Beamten belehrt. Die Kautschukpreise waren in den letzten Jahren sehr
                              									starken Schwankungen unterworfen; sie erreichten im Frühjahr 1910, hauptsächlich
                              									infolge von Spekulation, den außerordentlich hohen Stand von 27,50 M für 1 kg hard
                              									cure fine Para. Bald trat aber ein starker Rückschlag ein, und heute kostet 1 kg
                              									Para, der bekanntlich die beste Sorte ist, 10 bis 12 M. In einigen Jahren, wenn die
                              									Plantagen ihre vollen Erträge auf den Markt bringen, werden die Preise wohl noch
                              									weiter heruntergehen.
                           Die Gewinnung des Milchsaftes („Latex“) erfolgt in der Regel durch Anzapfen
                              									der Bäume, indem mittels eines langen Messers oder einer Axt in der Rinde mehrere
                              									spiralige oder fischgrätenartige Schnitte angebracht werden; der hervorquellende
                              									Milchsaft wird in untergehaltenen Blechgefäßen aufgefangen. Die ersten Schnitte
                              									werden in einer Höhe von mehreren Metern angebracht, die folgenden immer tiefer, und
                              									zwar wird das Anzapfen im Laufe des Jahres mehrmals wiederholt. Den Zapfgeräten
                              									wendet man in neuerer Zeit besondere Aufmerksamkeit zu und gibt ihnen eine
                              									hobelartige Form, die bewirkt, daß der Baum nicht tiefer angeschnitten wird als
                              									nötig ist. Der Milchsaft wird aus den kleinen Sammelgefäßen in ein größeres geleert
                              									und dann sofort auf Kautschuk verarbeitet. Bei längerem Stehenlassen des Saftes
                              									scheidet sich der Kautschuk zwar infolge von Verdunstung von selbst ab, jedoch ist
                              									das so gewonnene Produkt minderwertig.
                           In Brasilien, wo der Milchsaft von den Eingeborenen seit alters gesammelt und
                              									verarbeitet wird, hat sich eine sehr primitive Gewinnungsart des Kautschuks bis heute
                              									erhalten. Es wird dort eine dünne Schicht des Milchsaftes auf eine flache Holzstange
                              									von der Form eines Ruders gegossen und diese unter beständigem Drehen in den Rauch
                              									eines Feuers gehalten, das meist aus den Nüssen der Urukuripalme entzündet wird.
                              									Durch das Räuchern wird der Milchsaft zum Gerinnen gebracht („koaguliert“),
                              									dann wird eine frische Schicht des Saftes auf das Ruder aufgetragen, diese ebenso
                              									behandelt und so fort, bis sich am Ende des Holzes ein dicker, oft bis zu 50 kg
                              									schwerer Kautschukklumpen gebildet hat. Er wird vom Holz heruntergenommen, indem man
                              									ihn der Länge nach durchschneidet. So kommt es, daß die bei uns eingeführten
                              									Rohkautschukbrote außen schwarz sind und innen aus mehreren braunen Schichten
                              									bestehen. Nach dem Aussehen der Schnittfläche kann der Fachmann bereits die Qualität
                              									des Kautschuks beurteilen.
                           Neben diesem Koagulationsverfahren, das übrigens auch bei dem Plantagenkautschuk noch
                              									vielfach Anwendung findet, bedient man sich auch einer größeren Zahl von chemischen
                              									Mitteln, namentlich der Essigsäure, um den Milchsaft zum Gerinnen zu bringen. Zur
                              									Koagulation des Milchsaftes der afrikanischen Lianen verwendet man Salzwasser, nach
                              									dessen Zusatz sich der Kautschuk in langen Fäden abscheidet, die dann zu Spindeln
                              									oder kugelförmigen Ballen, sogenannten Twists, aufgewickelt werden. Auch Alaun und
                              									der Saft gewisser Früchte dienen zu dem gleichen Zweck. Von neueren Verfahren sei
                              									noch das Präparat „Purub“ (D. R. P. 189235) erwähnt, das Flußsäure enthält
                              									und dem Kautschuk besonders guten Nerv und gutes Aussehen verleihen soll. Dieses
                              									neue Mittel soll namentlich bei dem Ceylon-Kautschuk besser wirken als die
                              									Essigsäure. Ein recht aussichtsreiches Verfahren wurde von W. Pahl angegeben (D. R. P. 237789). Dabei wird gasförmige Kohlensäure in den
                              									Milchsaft eingeleitet, die eine augenblickliche Abscheidung des Kautschuks bewirkt
                              									und ein starknerviges Produkt von bleibender weißer Farbe liefert. Pahl ist der Ansicht, daß die Gerinnung des Kautschuks
                              									beim Räuchern ebenfalls lediglich auf die Einwirkung der Kohlensäure zurückzuführen
                              									ist; es scheint jedoch, daß die durch die trockene Destillation des Holzes
                              									gebildeten organischen Säuren hierbei von größerem Einfluß sind. Schließlich kann
                              									die Abscheidung des Kautschuks auch durch Zentrifugieren des Milchsaftes bewirkt
                              									werden.
                           Welches von den genannten Fällungsmitteln das beste ist, läßt sich nicht ohne
                              									weiteres entscheiden, denn ein und dasselbe Mittel liefert bei den einzelnen
                              									Kautschuksorten ganz verschiedene Resultate. Sowohl die Gewinnung wie die
                              									Verarbeitung des Kautschuks bieten dem Chemiker noch eine ganze Reihe schwieriger
                              									Aufgaben, an deren Lösung in den letzten Jahren eifrig gearbeitet wurde. Zur Lösung
                              									dieser wissenschaftlichen Aufgaben und zugleich zur Förderung des Kautschukbaues in
                              									unseren Kolonien wurde im Jahre 1910 in Berlin von verschiedenen privaten
                              									Pflanzungsgesellschaften und unter Mitwirkung des Kolonial-Wirtschaftlichen Komitees
                              									eine Kautschukzentralstelle für die Kolonien gegründet; ebenso haben die
                              									Kaiserliche Versuchsstation für Landeskultur in Viktoria (Kamerun) und das
                              									Biologisch-Landwirtschaftliche Institut in Amani (Deutsch-Ostafrika) durch ihre
                              									Arbeiten in den letzten Jahren wesentlich zur Hebung des Kautschukplantagenbaues in
                              									den Schutzgebieten beigetragen.
                           Der Milchsaft enthält durchschnittlich 40 bis 50 v. H. Kautschuksubstanz, die nach
                              										Henri in Form von Kügelchen von etwa 1 μ ∅ im Milchsaft verteilt ist, daneben Wasser,
                              									Eiweißstoffe, Zucker, Fette, Harze und noch andere Stoffe. Auch der aus dem
                              									Milchsaft niedergeschlagene Rohkautschuk enthält diese Produkte in größerer oder
                              									geringerer Menge und muß deshalb vor der weiteren Verarbeitung einer gründlichen
                              									Reinigung unterzogen werden. Es ist klar, daß der Wert des Rohkautschuks durch den
                              									Gehalt an Verunreinigungen in hohem Maße beeinflußt wird; der Para-Kautschuk ist
                              									fast frei davon.
                           Von diesen Nebenbestandteilen haben auch die Harze in jüngster Zeit industrielle
                              									Bedeutung gewonnen. Sie werden von dem Rohkautschuk getrennt, indem man ihn mit
                              									Lösungsmitteln, wie Azeton oder Alkohol, behandelt; dabei werden nur die Harze
                              									gelöst, während der Kautschuk unangegriffen bleibt. Der Harzgehalt beträgt bei
                              									Parakautschuk nur 1 bis 3 v. H., dagegen z.B. bei Borneokautschuk 8 bis 13 v. H. Bei
                              									der Höhe der heutigen Kautschukverarbeitung werden somit auch beträchtliche Mengen
                              									Harz erzeugt. Zum Teil erfolgt die Extraktion der Harze sogar in besonderen Fabriken
                              									und man verwendet sie zur Herstellung von Lacken und Wachstuch.
                           Zur Reinigung des Rohkautschuks knetet man ihn längere Zeit zwischen geriffelten
                              									Walzen durch unter ständiger Berieselung mit Wasser. Hierbei werden die mechanischen
                              									Verunreinigungen, wie Holzteile, Sand und kleine Steine, fast vollkommen entfernt
                              									und von dem abfließenden Wasser mitgenommen. Der Kautschuk erleidet dabei einen
                              										„Waschverlust“ von durchschnittlich 18 bis 20 v. H. Schließlich wird der
                              									Kautschuk zu einem ganz dünnen „Fell“ ausgewalzt, das bei mäßiger Temperatur
                              									sehr sorgfältig getrocknet wird. Bisweilen wendet man zur Beschleunigung des
                              									Trockenprozesses evakuierbare Schränke an.
                           Ein sehr wichtiger Vorgang ist das Vulkanisieren, das sich an das Trocknen der Felle
                              									anschließt. Erst hierdurch erhält der Kautschuk seine wertvollen Eigenschaften. 1839
                              									fand der Amerikaner Goodyear, daß Kautschuk durch
                              									Beimengen von Schwefel und nachfolgendes Erhitzen bis über die Schmelztemperatur des
                              									Schwefels seine Klebrigkeit verliert, dagegen an Elastizität gewinnt. Man setzt
                              									daher heute allgemein dem Kautschuk 6 bis 12 v. H. Schwefelpulver und zugleich auch
                              									noch andere Füllmittel zu, wie z.B. Bleiglätte, Zinksulfid, Kreide oder Harze, die
                              									seine Widerstandskraft erhöhen sollen. Das Mischen erfolgt ebenfalls mittels
                              									Mahlgängen und geheizten Walzen, das gut durchgeknetete Gemisch wird dann in einem
                              									Kalander oder Mastikator zu Platten ausgewalzt. Diese Platten werden in die
                              									gewünschte Form gebracht und vulkanisiert, indem sie mit der Form in mit Dampf
                              									geheizten Kesseln längere Zeit auf etwa 135° erwärmt werden. Ein anderes Verfahren, das im
                              									Jahre 1846 von Parkes erfunden wurde, gestattet das
                              									Vulkanisieren bei gewöhnlicher Temperatur vorzunehmen. In diesem Falle wendet man
                              									nicht Schwefel als solchen, sondern eine Lösung von Schwefelchlorür in
                              									Schwefelkohlenstoff an. Auch nach diesem Verfahren wird heute vielfach gearbeitet,
                              									namentlich werden die Ballonstoffe und die für Bekleidungszwecke bestimmten Gewebe
                              									meist „kalt vulkanisiert“. Die chemischen Vorgänge, die sich bei dem
                              									Vulkanisieren abspielen, sind noch nicht völlig aufgeklärt. Die bisherigen Arbeiten
                              									auf diesem Gebiete haben zur Aufstellung mehrerer Theorien über den Verlauf des
                              									Vulkanisationsprozesses Veranlassung gegeben (chemische Reaktion oder Adsorption),
                              									jedoch ist es noch nicht gelungen, die Richtigkeit der einen oder anderen Hypothese
                              									endgültig zu beweisen. Der Vulkanisationsprozeß wird daher heute vielfach noch ganz
                              									empirisch ausgeführt und wohl jede Fabrik hat ihr eigenes Verfahren, das streng
                              									geheim gehalten wird. Den nach dem einen oder anderen der beiden genannten Verfahren
                              									vulkanisierten Kautschuk bezeichnet man als „Weichgummi“ im Gegensatz zu dem
                              										„Hartgummi“ (Ebonit), den man erhält, wenn man den Rohkautschuk mit 25
                              									bis 50 v. H. Schwefel zusammenmengt und dann längere Zeit auf etwa 140°C erhitzt
                              										(Goodyear 1851). Hartgummi ist ein wichtiges
                              									Rohmaterial für die Fabrikation von Kämmen und Isolationsmaterialien für
                              									elektrotechnische Zwecke.
                           Der Weichgummi, dessen außerordentlich vielseitige Verwendung allgemein bekannt ist,
                              									hat eine Reihe sehr bemerkenswerter Eigenschaften. Er ist löslich in Benzin, Benzol,
                              									Schwefelkohlenstoff, Terpentinöl und noch einigen anderen Lösungsmitteln; er
                              									verbrennt mit rußender Flamme, wobei ein sehr charakteristischer Geruch auftritt. Er
                              									bewahrt seine Elastizität auch bei hohen und niedrigen Temperaturen, wogegen der
                              									unvulkanisierte Rohkautschuk bei etwa 50°C plastisch wird und bei etwa 100° zu einer
                              									klebrigen Masse schmilzt. Bei niedriger Temperatur dagegen wird er spröde und
                              									schließlich hart wie Holz. Alle diese unangenehmen Eigenschaften, die die
                              									Anwendbarkeit des Kautschuks namentlich in der Technik sehr beeinträchtigen würden,
                              									werden durch das Vulkanisieren fast beseitigt. Bei der trockenen Destillation wird
                              									der Kautschuk wie alle hochmolekularen organischen Stoffe zersetzt; es entstehen
                              									dabei eine Reihe von flüssigen Kohlenwasserstoffen, von denen das Isopren, eine bei 37° C siedende Verbindung von der
                              									Formel C5 H8, in der
                              									letzten Zeit für die Gewinnung des künstlichen Kautschuks große Bedeutung erlangt
                              									hat. Von besonderem wissenschaftlichen Interesse ist eine Verbindung des Kautschuks
                              									mit Ozon, mit deren Hilfe es im Jahre 1905 dem Kieler Professor Harries gelang, die chemische Konstitution des Kautschuks
                              									zu ergründen.
                           Kautschukwaren werden nach längerem Gebrauche meist unelastisch, hart und brüchig. Um
                              									dies zu verhüten, sind schon zahlreiche Mittel vorgeschlagen worden, so wird z.B. in
                              									dem D. R. P. 243346 empfohlen, die Waren nach dem Vulkanisieren mit kleinen Mengen
                              									Anilin, Pyridin oder Chinolin zu imprägnieren, wobei jedoch ein Ueberschuß
                              									dieser Stoffe durch Trocknen oder Abdunstenlassen sorgfältig entfernt werden
                              									muß.
                           Schon früh begann man Ersatzstoffe für den Kautschuk
                              									herzustellen, die jedoch nur in den seltensten Fällen genügende Elastizität
                              									besitzen, um einen wirklichen Ersatz für den wertvollen Kautschuk zu bieten. Von
                              									diesen Ersatzstoffen haben sich noch am besten bewährt die sogen. Faktis, die aus Leinöl, Rizinus- oder Rüböl durch
                              									Erhitzen mit Schwefel hergestellt werden. Je nach dem Ausgangsmaterial und der
                              									Mischung erhält man dabei braune bis schwarze elastische Massen, die entweder als
                              									Füllmittel für Kautschuk oder auch für sich als Isoliermaterial für
                              									elektrotechnische Zwecke (Kabel) Verwendung finden. Statt des Schwefels kann man
                              									auch ebenso wie beim Kautschuk Schwefelchlorür in der Kälte den Oelen, z.B.
                              									Sonnenblumenöl, zusetzen, man erhält dann die weißen Faktis, die als Zusatz zum
                              									Kautschuk noch besser geeignet sind. Auch durch Behandeln von Sojabohnenöl mit
                              									Salpetersäure bei einer Temperatur von 75 bis 100°C soll man ein brauchbares
                              									Kautschukersatzmittel erhalten (D. R. P. 228887). Außerdem werden seit einer Reihe
                              									von Jahren Ersatzstoffe in den Handel gebracht, die durch Behandeln von Gelatine
                              									oder Leim mit Glyzerin unter Zusatz von Chromsäure, Tannin oder Formaldehyd
                              									hergestellt sind. Es wurde wiederholt auch versucht, solche Massen an Stelle von
                              									Luft als Füllung für die Luftschläuche von Fahrrädern zu verwenden, es gelang jedoch
                              									nicht, mit diesen Stoffen einen Erfolg zu erzielen.
                           Von viel größerer Bedeutung für die Kautschuk verbrauchenden Industrien ist der aus
                              									Altgummi hergestellte regenerierte Kautschuk. Zwar hatten
                              									die Bemühungen, aus dem vulkanisierten Kautschuk auf chemischem Wege den darin
                              									enthaltenen Schwefel vollkommen zu entfernen und ein dem Rohkautschuk entsprechendes
                              									Produkt wieder zu gewinnen, bisher keinen Erfolg; jedoch ist es auf verschiedene
                              									Weise gelungen, die chemischen und mechanischen Beimengungen, wie Füllstoffe, Gewebe
                              									usw., aus dem vulkanisierten Kautschuk zu entfernen und die Kautschuksubstanz wieder
                              									plastisch zu machen. Zu diesem Zweck kann man das zerkleinerte Altmaterial bei
                              									erhöhter Temperatur mit Säuren behandeln, wobei Gewebe und andere Zusätze sowie der
                              									freie Schwefel beseitigt werden, oder man kann umgekehrt die Kautschuksubstanz in
                              									Lösung bringen und diese Lösung von den zurückbleibenden Geweben usw. trennen. In
                              									beiden Fällen erhält man jedoch ein Produkt, das zum Unterschiede von reinem
                              									Rohkautschuk noch chemisch gebundenen Schwefel enthält, der von der Vulkanisation
                              									des ursprünglichen Materials herrührt. Wenn die Regenerate reich an
                              									Kautschuksubstanz sind, lassen sie sich wie Rohkautschuk verwenden, enthalten sie
                              									dagegen nur wenig Kautschuksubstanz und viel Schwefel, so können sie nur als Zusatz
                              									zum Rohkautschuk Verwendung finden. Als Spezialfirma für die Herstellung von
                              									Gegenständen aus regeneriertem Kautschuk sei hier nur die Firma Max Fränkel & Runge in Spandau genannt, deren
                              									Erzeugnisse im Jahre 1910 auf der Weltausstellung in Brüssel allgemeine Beachtung
                              									fanden.
                           
                           Außer der Regeneration des alten Kautschuks und dem Plantagenbau kennen wir
                              									heute noch einen dritten Weg, der es ermöglicht, den von Jahr zu Jahr steigenden
                              									Kautschukbedarf zudecken; dies ist der künstliche
                                 										Kautschuk. Nachdem über die chemische Zusammensetzung der Kautschuksubstanz
                              									durch die grundlegenden Arbeiten von Harries einige
                              									Klarheit geschaffen worden war, konnte man daran denken, die Herstellung dieses
                              									wertvollen Naturproduktes auch auf künstlichem Wege und auf wissenschaftlicher
                              									Grundlage zu versuchen. Diese Bestrebungen hatten im Jahre 1909 den ersten
                              									greifbaren Erfolg, indem es den beiden Chemikern Fr. Hofmann und C. Couteile der Farbenfabriken
                              									vorm. Fr. Bayer & Co. in Elberfeld gelang, das
                              									Isopren, den schon erwähnten flüssigen Kohlenwasserstoff (C5 H8), durch
                              									Polymerisation in einen Körper zu überführen, der alle Eigenschaften des natürlichen
                              									Kautschuks besaß. Kurze Zeit darauf gelang es dann auch Harries, ebenfalls aus Isopren, aber auf einem anderen Wege, künstlichen
                              									Kautschuk zu erhalten. Er erhitzte Isopren zusammen mit konzentrierter Essigsäure
                              									(Eisessig) in einem geschlossenen Rohr längere Zeit auf eine etwas über 100°C
                              									liegende Temperatur und erhielt hierbei einen elastischen Körper von weißer bis
                              									hellbrauner Farbe, dessen Identität mit Kautschuk er mit Hilfe der früher von ihm
                              									aufgefundenen Reaktionen (Ozonverbindung u.a.) unzweifelhaft nachweisen konnte.
                              									Schon im Jahre 1882 beschrieb Tilden einen
                              									kautschukähnlichen Körper, den er durch Behandeln von Isopren mit Salzsäuregas
                              									erhalten hatte, aber es gelang weder Harries noch anderen
                              									Forschern, nach der von Tilden gegebenen Vorschrift
                              									diesen Körper wieder darzustellen, so daß die Vermutung berechtigt ist, daß Tilden seinerzeit nur durch einen Zufall zu einem
                              									kautschukähnlichen Produkt gelangte. Im weiteren Verlauf seiner Untersuchungen
                              									gelang es dann Harries im Jahre 1910, ein noch
                              									einfacheres Verfahren zur Gewinnung von Kautschuk ausfindig zu machen. Er erhitzte
                              									Isopren zusammen mit metallischem Natrium in Drahtform auf 60°C und konnte auch
                              									hierbei die Bildung von Kautschuk beobachten. Der Natriumdraht übt hierbei offenbar
                              									nur eine katalytische Wirkung aus, denn er wird in keiner Weise verändert. Diese
                              									Erfolge veranlaßten in der Folge eine große Zahl von Chemikern, sich dieses bisher
                              									nur wenig bearbeiteten Gebietes der organischen Chemie anzunehmen, und es ergab
                              									sich, daß nicht nur das Isopren, sondern auch die mit ihm nahe verwandten
                              									Kohlenwasserstoffe Butadien und Dimethylbutadien in ganz analoger Weise in Kautschuk
                              									übergeführt werden können. Außer durch Natriummetall und sein Amalgam kann die
                              									Polymerisation der genannten flüssigen Kohlenwasserstoffe zu Kautschuk, wie
                              									neuerdings gefunden wurde, auch durch Albumin, Glyzerin u.a. indifferente
                              									Substanzen, ferner durch ganz geringe Mengen organischer oder anorganischer Säuren
                              									und auch durch Schwefel bewirkt werden.
                           Waren diese Ergebnisse auch höchst erfreulich, so hatten sie bis hierhin doch nur
                              									wissenschaftliches Interesse, weil das Isopren und seine Homologen nur schwierig und
                              									infolgedessen nur mit großen Kosten hergestellt werden konnten. Es handelte
                              									sich also nunmehr darum, einfachere und billigere Herstellungsverfahren für diese
                              									Kohlenwasserstoffe zu finden, um ihre industrielle Gewinnung zu ermöglichen. Wenn
                              									dieses Ziel auch heute noch nicht erreicht ist, so ist man ihm doch gerade im
                              									letzten Jahre erheblich näher gerückt, wie die folgenden Ausführungen zeigen
                              									mögen.
                           Tilden beobachtete bei seinen Versuchen im Jahre 1882, daß
                              									die Dämpfe von Terpentinöl beim Durchleiten durch eine rotglühende Eisenröhre
                              									zersetzt werden und daß sich unter den Zersetzungsprodukten auch Isopren, allerdings
                              									nur in geringer Menge, findet. Harries und Gottlob verbeserten dieses Verfahren, indem sie die
                              									Dämpfe über eine Platinspirale leiteten, die durch den elektrischen Strom zum Glühen
                              									erhitzt wurde. Außer Terpentinöl wurden hierbei auch Dipenten und Limonen verwendet
                              									und die Ausbeute an Isopren war befriedigend. Eine weit bessere Ausbeute läßt sich
                              									jedoch hierbei erzielen, wenn man, wie Silberrad sowie
                              										Staudinger und Klever
                              									neuerdings zeigten, die Erhitzung in einem Vakuum von 20 bis 30 mm vornimmt. Da nun
                              									das TerpentinölIn Paris wurde vor
                                    											einiger Zeit mit einem Kapital von 2½ Mill. Frcs. die Cie. genérale du caoutchouc de térébenthine gegründet.
                              									großen Preisschwankungen unterworfen ist, scheint es als Ausgangsmaterial für die
                              									Gewinnung von Isopren wenig geeignet und man war deshalb bestrebt, billigere
                              									Ausgangsmaterialien zu finden. Harries war bemüht,
                              									landwirtschaftliche Erzeugnisse hierzu zu verwenden, und es gelang ihm in der Tat,
                              									vom Alkohol ausgehend, ein neues Verfahren zur Isoprengewinnung zu finden. Fast zur
                              									gleichen Zeit wurde dann auch von Hofmann ein Verfahren
                              									ausgearbeitet, das vom Parakresol, einem Bestandteil des Steinkohlenteeres, ausgeht
                              									und sehr reines Isopren liefert. Aehnliche Verfahren führen zum Butadien und
                              									Dimethylbutadien. Für diese Verbindung fanden die Farbenfabriken in Elberfeld ein besonders einfaches und billiges
                              									Herstellungsverfahren: Azeton, das bei der Holzdestillation gewonnen wird, läßt sich
                              									auf einfache Weise zu Pinakon reduzieren und dieses liefert beim Ueberleiten über
                              									erhitztes Kaliumbisulfat in guter Ausbeute Dimethylbutadien. Wenn diese Arbeiten in
                              									der nächsten Zeit mit demselben günstigen Ergebnis fortgesetzt werden, so wird der
                              									synthetische Kautschuk wohl bald mit dem Naturprodukt in Wettbewerb treten können.
                              									Es ist somit in wenigen Jahren ein Preiskampf zwischen dem natürlichen, dem
                              									synthetischen und dem Plantagenkautschuk zu erwarten, der die Kautschuk
                              									verarbeitende Industrie in die Lage versetzen wird, ihr Rohmaterial zu wesentlich
                              									niedrigeren Preisen einzukaufen als es bisher der Fall war. Eine Ueberproduktion an
                              									Kautschuk ist indessen nicht zu befürchten, da der Verbrauch immer noch beträchtlich
                              									zunimmt, und da sicherlich bei niedrigeren Preisen auch eine ganze Reihe neuer
                              									Anwendungsmöglichkeiten für dieses Material noch gefunden wird.
                           Eine Frage von großer Bedeutung nicht nur für den Konsumenten, sondern auch für den
                              									Produzenten ist die
                           
                           Prüfung des Kautschuks,
                              									die sowohl auf chemischem wie auf physikalisch-mechanischem Wege zu erfolgen hat.
                              									Die chemische Prüfung erstreckt sich in der Hauptsache auf die Untersuchung des
                              									Rohkautschuks, die Ermittlung der Reinkautschuksubstanz in den fertigen
                              									Kautschukwaren, ferner auf die Bestimmung des Schwefels und der zugesetzten
                              									anorganischen sowie organischen Füllstoffe. Die mechanische Prüfung umfaßt zunächst
                              									die Ermittlung der Festigkeitseigenschaften, der Dehnung und Abnutzung, wozu bei den
                              										Ballonstoffenvgl. Sander, Neue Materialien für den Luftschiffbau,
                                    											D. p. J. 1911 Bd. 326 S. 517, 538. noch die Ermittlung der
                              									Zerplatzgrenze und der Gasdurchlässigkeit hinzukommt. Um die Ausarbeitung von
                              									hierzu geeigneten Verfahren und die Konstruktion der zugehörigen Apparate haben sich
                              									namentlich die Mitglieder des Königlichen Material
                                 										prüfungsamtes in Groß-Lichterfelde verdient gemacht. Eine Beschreibung der
                              									gebräuchlichen Untersuchungsmethoden und der Prüfungsapparate findet sich in den
                              									letzten Bänden der „Mitteilungen des Königlichen Materialprüfungsamts“,
                              									ferner in den Schriften von Hinrichsen und Memmler, „Der Kautschuk und seine Prüfung“
                              									(Leipzig 1910), und Martens, „Ueber die technische
                                 										Prüfung des Kautschuks und der Ballonstoffe im Königlichen Materialprüfungsamt
                                 										zu Groß-Lichterfelde“.