| Titel: | ZUM 75JÄHRIGEN JUBILÄUM DER FIRMA A. BORSIG. | 
| Autor: | F. v. Kleist | 
| Fundstelle: | Band 327, Jahrgang 1912, S. 674 | 
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                        ZUM 75JÄHRIGEN JUBILÄUM DER FIRMA A.
                           								BORSIG.
                        Von F. v. Kleist,
                           								Berlin.
                        v. KLEIST: Zum 75jährigen Jubiläum der Firma A. Borsig.
                        
                     
                        
                           Eine unserer bedeutendsten Maschinenfabriken feierte dieses Jahr im September
                              									das 75jährige Jubiläum ihres Bestehens: „A. Borsig,
                                    											Maschinen- und Lokomotivfabrik in Berlin-Tegel und Berg- und Hüttenwerk Borsigwerk. Gegründet von August Borsig im Jahre 1837.“
                           August Borsig wurde in Breslau am 23. Juni 1804 geboren.
                              									Sein Vater, der Zimmerpolier Johann Georg Borsig, weihte
                              									ihn schon in frühester Jugend in die Geheimnisse seines eigenen Handwerks ein und
                              									schickte ihn dann auf die Kunst- und Bauhandwerkerschule in Breslau. Die Zeugnisse
                              									über seine Schul- und Lehrlingszeit in Breslau sind vorzüglich. Darauf trat der
                              									junge Borsig seine Wanderjahre an, setzte sich aber bald in Berlin fest, um das
                              									Königl. Gewerbeinstitut zu besuchen.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 327, S. 673
                              August Borsig, der Begründer der Firma A. Borsig.
                              
                           Beuth, der Begründer und Leiter dieses Instituts soll
                              									nicht sonderlich von August Borsigs Fähigkeiten im
                              									Maschinenbau überzeugt gewesen sein. Aber auch Lehrer können irren, und der
                              									verkannte Schüler hatte später oft die Genugtuung, seinen früheren Lehrer mit
                              									bevorzugten Zöglingen des Institutes zur Besichtigung der Fabrik A. Borsig anrücken zu sehen. Einem solchen Besuche sah der
                              									Fabrikherr, wie Max Maria
                              									von Weber erzählt, einst gutgelaunt mit den Worten
                              									entgegen: „Da kommt er, der grobe Alte, der mir gesagt hat, ich solle Schuster,
                                 										aber nicht Mechaniker werden, und will seinen Jungens bei mir zeigen, wie eine
                                 										ordentliche Fabrik aussieht.“
                           Nach zweijährigem Besuche des Gewerbeinstitutes trat Borsig in die Maschinenfabrik von Egells in
                              									Berlin ein. Hier zeigte sich bald, daß er auch für den Maschinenbau Sinn hatte, denn
                              									nach 1½ jähriger Tätigkeit hatte er das Vertrauen seines Chefs soweit gewonnen, daß
                              									ihm dieser schon eine Stellung für Ueberwachung auswärtiger Bauten gab, eine
                              									Tätigkeit, die in damaliger Zeit schlechter Verbindungsmittel große Selbständigkeit
                              									verlangte. Daß er diese Stellung auch wirklich zur vollsten Zufriedenheit ausfüllte,
                              									beweist seine bald darauf erfolgte Anstellung als 21 jähriger Betriebschef der Neuen Berliner Eisengießerei Woderb & Egells.
                           Bis zum Jahre 1837 hatte sich der junge Techniker schon soviel erspart, daß er daran
                              									denken konnte, sich selbständig zu machen. Mit einem Kapital von etwa 11000 Talern
                              									erwarb er ein Grundstück an der Chausseestraße in Berlin, stellte dort vorläufig
                              									einige Bretterbuden auf und begann zunächst allerlei Kunst- und Baugußwaren sowie
                              									Schwellen für die
                              									Berlin-Potsdamer Bahn herzustellen. Er fand eifrige Förderer seines Unternehmens in
                              									seinem nun bekehrten früheren Lehrer, Geheimrat Beuth,
                              									und in Hofrat Strack. Als er dann die Bretterbuden durch
                              									feste Gebäude ersetzt hatte, widmete er sich mehr dem eigentlichen Maschinenbau. Es
                              									entstanden Dampfmaschinen, Pressen, Maschinen für Zuckerfabrikation und für die
                              									Textilindustrie. So ging auch die Dampfpumpe zum Betriebe der Wasserwerke in
                              									Sanssouci aus der neuen Fabrik hervor. Nach 53 Betriebsjahren war die Maschine noch
                              									gut brauchbar und mußte dann erst einer modernen, größeren Anlage weichen.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 327, S. 674
                              Eine der ersten von A. Borsig konstruierten Lokomotiven.
                              
                           Persönlich war August Borsig ein Mann, der in seinem Werke
                              									vollständig aufging. Natürlich verlangte er auch von seinen Angestellten die gleiche
                              									Hingebung zur Arbeit. Er verstand die brauchbaren Leute von den unbrauchbaren bald
                              									zu scheiden, und während er jene zu den höchsten Leistungen anregte, trennte er sich
                              									von den andern in kürzester Zeit. Die Glanzzeit seines Wirkens erreichte er mit
                              									Einführung des Lokomotivbaues. Im Wettbewerb mit den damals im Lokomotivbau schon
                              									erfahrenen Amerikanern und Engländern siegte er glänzend bei der Probefahrt auf der
                              									Berlin-Anhalter Bahn. Für diese erste Lokomotive war die Bauart des Amerikaners Norris gewählt. Es war keine Kopie der amerikanischen
                              									Maschine, sondern eine freie Nachbildung in den Hauptzügen mit vielen eigenen
                              									Verbesserungen.
                           Im Jahre 1843 wurde die Ueberlegenheit der Borsigschen
                              									Lokomotive über die englische auf Probefahrten der Berlin-Stettiner Bahn endgültig
                              									nachgewiesen. Jetzt mehrten sich die Bestellungen, der Aufschwung begann, die Fabrik
                              									mußte vergrößert werden. In sieben Jahren seit der Gründung hatte sich die bebaute
                              									Fläche von 12000 auf 120000 Quadratfuß vergrößert, also verzehnfacht, während die
                              									Zahl der Angestellten von 50 auf 1600 stieg. In den ersten fünf Jahren waren 90
                              									Lokomotiven fertig gestellt worden. Die wachsende Mannigfaltigkeit der
                              									Fabrikation machte es notwendig, noch weitere Grundstücke in Moabit zu erwerben.
                              									Dort wurde ein Hammer-, Walz- und Puddelwerk eingerichtet; damit machte sich die
                              									Firma im Bedarf dieser Halbfabrikate unabhängig.
                           Hier in Moabit errichtete sich Borsig auch einen eigenen
                              									herrlichen Wohnsitz, dessen Parkanlagen bis in die neueste Zeit eine
                              									Sehenswürdigkeit Berlins waren. Paul Meyerheims Gemälde
                              									schmückten die Wände des Wohnhauses, und Hofbaurat Strack
                              									entwarf die bekannten Säulenkolonnaden der architektonisch schön ausgeführten
                              									Fabrikanlagen.
                           Die Lokomotivfabrik befand sich jetzt allein an der Chausseestraße, während der
                              									allgemeine Maschinenbau in Moabit gepflegt wurde und dort einen kräftigen Aufschwung
                              									nahm.
                           Um sich noch weiter vom Markt der Rohmaterialien unabhängig zu machen, pachtete Borsig in Oberschlesien vom Grafen Ballestrem Kohlenfelder auf 50 Jahre. Es war ihm aber nicht mehr vergönnt,
                              									die Erfüllung seiner darauf gegründeten Hoffnungen zu erleben. Am 7. Juli 4854
                              									entriß ein plötzlicher Tod ihn seinen Werken.
                           Sein Sohn Albert trat, 25 Jahre alt, das Erbe an. Albert Borsig war für die große Aufgabe, die ihm damit
                              									gestellt war, aufs Beste vorbereitet. Eine umfassende theoretische und praktisch
                              									technische Ausbildung, eine durch Reisen und Verkehr erworbene tiefe
                              									Menschenkenntnis und weiter kaufmännischer Ueberblick machten ihn zum Nachfolger
                              									seines großen Vaters besonders fähig.
                           Damals lieferte die Fabrik Eisenbahnmaterial, Schiffsmaschinen, Schiffschrauben,
                              									Pumpmaschinen, Dampfmaschinen, Maschinen für Schwemmkanalisation und anderes. 1870
                              									lieferte sie auch Torpedos, Seeminen sowie Stahllafetten für die Artillerie.
                           Albert Borsig führte die schon von seinem Vater
                              									entworfenen Pläne in Oberschlesien aus. Es wurden dort Kohlengruben eröffnet, zwei
                              									Hochöfen in Betrieb gesetzt, in Borsigwerk ein Puddelhammer und Walzwerk gebaut,
                              									1871/72 in großem Stil ein Siemens-Martinwerk eingerichtet. Nebenbei fand Albert Borsig noch Zeit, sich als Berliner
                              									Stadtverordneter eifrigst zu betätigen. Sein liebenswürdiges Wesen, die Sorge für
                              									seine Angestellten, die Pflege, die er dem jungen Nachwuchs zuteil werden ließ,
                              									erwarben ihm viel Verehrung und Liebe bei seinen Zeitgenossen und Mitarbeitern. Die
                              									Feier der 1000sten Lokomotive war ein Fest nicht nur für die Borsigwerke, sondern
                              									auch für ganz Berlin, ein wahres Volksfest!
                           1878, am 10. April, starb Albert Borsig im 50sten
                              									Lebensjahre an einem Herzleiden. Seine Werke hinterließ er seinen drei Söhnen, die
                              									noch nicht volljährig waren, weshalb der Nachlaß durch ein Kuratorium verwaltet
                              									werden mußte. Den Vorsitz dieses, aus Direktoren des Werkes bestehenden Kuratoriums
                              									übernahm der Justizrat Riem.
                           Für den Lokomotivenbau war diese Zeit nicht günstig. Die starke Einschränkung im
                              									Bedarf nach der Verstaatlichung der preußischen Bahnen wirkte derart entmutigend auf
                              									die Fabrikation, daß von dem wohl zu vorsichtigen Kuratorium beschlossen wurde, sich
                              									auf Herstellung von Sekundär- und Straßenbahnlokomotiven zu beschränken. Die
                              									Grundstücke an der Chausseestraße wurden verkauft, die Lokomotivfabrik aufgelöst. Zu
                              									diesem Zeitpunkt hatte die 4190ste Lokomotive die Borsigschen Werkstätten verlassen,
                              									eine von keiner anderen europäischen Fabrik damals erreichte Zahl. Glücklicherweise
                              									ging es in anderen Fabrikationszweigen besser, namentlich erfolgreich war der
                              									Pumpenbau, der infolge des Ausbaues zahlreicher städtischer Wasserwerke und
                              									Kanalisationsanlagen blühte.
                           Albert Borsigs Söhne hatten von ihrer Mutter eine überaus
                              									sorgfältige Erziehung erhalten, wobei die ihrer wartende bedeutungsvolle Aufgabe
                              									maßgebend war. Arnold Borsig, der älteste, war 11 Jahre
                              									alt, als sein Vater starb. Er studierte Berg- und Hüttenwesen, arbeitete praktisch
                              									als Steiger und ging schließlich nach Borsigwerk, um sich über seinen zukünftigen
                              									Wirkungskreis zu unterrichten. Ernst Borsig studierte in
                              									Bonn und an der Technischen Hochschule zu Charlottenburg, er arbeitete praktisch in
                              									der eigenen Maschinenfabrik. Conrad Borsig, der jüngste,
                              									wurde kaufmännisch ausgebildet, arbeitete im Bankfach und in zahlreichen auswärtigen
                              									Exportgeschäften. In ihrer Ausbildung ergänzten sich die drei Brüder aufs
                              									glücklichste, so daß ein harmonisches Zusammenarbeiten zu erwarten war. Unterdessen
                              									waren die Zustände unter dem Kuratorium unhaltbar geworden, so daß sich die beiden
                              									älteren Brüder nunmehr entschlossen, an die Spitze des Unternehmens zu treten,
                              									während der jüngste die kaufmännische Leitung übernehmen sollte.
                           Arnold Borsig, der ein Abbild seines Großvaters war, ging
                              									nun mit größtem Eifer ans Werk. Mit weitschauendem Blick erkannte er, daß im
                              									Bergwerk der Anfang der Verbesserungen gemacht werden müsse. Auch im Hüttenbetrieb
                              									traf er vorbereitende Maßnahmen. Diesem tatenfrohen Schaffen setzte das Schicksal
                              									ein jähes Ende. Bei Untersuchung eines Grubenbrandes wurde Arnold mit seinem Chefchemiker durch eine Explosion getötet.
                           Seinen Brüdern gelang es erst nach einem Jahr den Mann zu finden, der Arnold Borsigs Wirkungskreis ausfüllen konnte. Es war der
                              									Kommerzienrat Adolf Märlin.
                           Die Leitung des Berliner Werks übernahm Ernst Borsig am
                              									23. April 1894 erst allein, von 1897 ab teilte er sich in der Geschäftsführung mit
                              									seinem Bruder Conrad. Man beschloß vor allem, den
                              									Lokomotivenbau wieder aufzunehmen, sowie den anderen Zweigen eine neue, zeitgemäße
                              									Einrichtung zu geben. Zu diesem Zweck wurde das am Tegeler See gelegene große
                              									Grundstück vollständig neu bebaut, so daß der Lokomotivbau und der allgemeine
                              									Maschinenbau dort vereinigt werden konnten. Im Herbst 1898 waren die neuen
                              									Werkstätten betriebsfähig. Nur wenige der in Berlin benutzten Werkzeugmaschinen
                              									wurden in Tegel aufgestellt, der größte Teil mußte neu angeschafft werden.
                           Conrad Borsig stellte die kaufmännische Organisation auf
                              									eine moderne Basis, errichtete zahlreiche auswärtige Vertretungen und eine
                              									literarische Organisation, um der zunehmenden Konkurrenz gewachsen zu sein.
                           Die Gebäude des Tegeler Werkes bedecken rund 28 ha, ihr Rauminhalt beträgt über
                              									700000 cbm. Die Nähe des Wasserweges erleichtert den Materialientransport bedeutend.
                              									Im Jahre 1902 wurde die 5000ste Lokomotive geliefert, und jetzt ist die Zahl auf
                              									8500 gestiegen, bei einer jährlichen Produktionsfähigkeit von 450 Stück.
                           Ueber 20000 Dampfkessel und Dampfmaschinen sind fertiggestellt worden, dazu kommen
                              									zahlreiche Pumpen, Kompressoren, Kältemaschinen, hydraulische Pressen, Apparate für
                              									die chemische Industrie, sowie Guß- und Schmiedestücke.
                           Das Borsigwerk in Schlesien erzeugt jährlich 80000 t Roheisen, 115000 t Rohstahl und
                              									106000 t Koks. Die Gruben fördern über 1500000 t jährlich. Davon verbraucht das
                              									Borsigwerk 450000 t. In den letzten Jahren wurden in Borsigwerk Ankerketten aus
                              									Borsig-Schweißeisen nach einem neuen patentierten Verfahren hergestellt, die in der
                              									Kriegs- und Handelsmarine ausgedehnte Verwendung finden.
                           In Wohlfahrtseinrichtungen für Arbeiter und Angestellte ging die Firma weit über das
                              									gesetzlich vorgeschriebene Maß hinaus. Es bestehen: Eine Invalidenkasse, die
                              									Louise-Borsigstiftung, die Beamten-Pensionskasse, die Arbeiterkolonien, eine
                              									Einkaufsvereinigung, Spielplätze, Parkanlagen, Schulen und Beihilfen zum Besuch
                              									höherer Schulen.
                           Anläßlich der Feier der 5000sten Lokomotive ernannte der Kaiser die beiden Brüder zu
                              									Kommerzienräten und verlieh ihnen an seinem fünfzigsten Geburtstage den erblichen
                              									Adel. Die Tatkraft und die Schaffensfreude, mit der die heutigen Inhaber der Firma
                              									die Erfüllung ihrer großen Aufgaben in Angriff genommen und bisher durchgeführt
                              									haben, berechtigen zu der Hoffnung auf fernere dauernde Erfolge.