| Titel: | Die Errungenschaften des Schiffbaues in den letzten 25 Jahren. | 
| Autor: | C. Kielhorn | 
| Fundstelle: | Band 328, Jahrgang 1913, S. 370 | 
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                        Die Errungenschaften des Schiffbaues in den
                           								letzten 25 Jahren.
                        
                           Ein Festbeitrag zum
                              									Regierungsjubiläum Kaiser Wilhelms
                                 										II.
                           
                        Von Konstruktionsingenieur C. Kielhorn in
                           									Zehlendorf.
                        KIELHORN: Die Errungenschaften des Schiffbaues in den letzten 25
                           								Jahren.
                        
                     
                        
                           Von Anbeginn seiner Regierung hat Kaiser Wilhelm II. dem deutschen Schiffbau das
                              									größte Interesse entgegengebracht.
                           „Deutschlands Zukunft liegt auf dem Wasser.“ Dieser Ausspruch war entstanden
                              									aus der Erkenntnis des Kaisers, daß der gesamte Entwicklungsgang Deutschlands zu
                              									einer Betätigung über See drängte und daß der deutsche Ueberseeverkehr sich auf
                              									organischen Grundlagen volkswirtschaftlicher Natur aufbaute. Ein Aufblühen der
                              									deutschen Seeschiffahrt war aber nur denkbar, wenn eine starke Kriegsflotte bereit
                              									war, die deutschen Interessen in allen Meeren zu schützen.
                           Es kann nun nicht Zweck dieser Zeilen sein, die technische Entwicklung des
                              									Kriegsschiffbaues in den letzten 25 Jahren zu schildern. Das Werden und die
                              									Ausgestaltung unserer Kriegsflotte ist so mit dem öffentlichen und politischen Leben
                              									unserer Zeit verwebt, daß diese Zeilen kaum neues bringen könnten.
                           Von den eisernen Kasematt- und Turmschiffen mit ihren Maschinen von 5 bis 6000
                              									Pferden, welche Ende der achtziger Jahre den Kern unserer bescheidenen Seemacht
                              									bildeten, bis zu der Kaiserklasse der heutigen Turbinen-Linienschiffe mit 23 Meilen
                              									Geschwindigkeit, von den Ausfallkorvetten der Badenklasse mit ihrer Maschinenanlage
                              									von 3000 Pferdestärken und 15 Meilen Geschwindigkeit bis zu den
                              									Schlachtschiffkreuzern der Goebenklasse mit Turbinen von über 60000 Pferdestärken
                              									und etwa 29 Meilen Geschwindigkeit, von Schichaus
                              									deutschen Torpedobooten im Jahre 1888 von 23 Meilen Geschwindigkeit bis zu den heute
                              									von ihm gebauten deutschen Zerstörern von 32,5 Meilen, ganz abgesehen von den für
                              									das Ausland gelieferten Schiffen von noch höherer Geschwindigkeit, ist ein so
                              									ungeheuerer Fortschritt der Schiffbautechnik, wie ihn auch nur ähnlich kein
                              									anderer Industriezweig aufweisen könnte.
                           Hierzu kommt, daß bei den hunderten von Schiffsmaschinen eines modernen
                              									Kriegsschiffes die Errungenschaften aller anderen technischen Gebiete, sei es in der
                              									Optik, in der Feinmechanik und nicht zuletzt in der Elektrotechnik in ihrer
                              									vollkommensten Ausführung in Anwendung kommen. Der Kampf zwischen Panzer und Granate
                              									zwingt dazu, das Material in immer vollendeterem Maße herzustellen. Wir geben
                              									nachstehend die Bilder einiger der neuesten Erzeugnisse des deutschen
                              									Kriegsschiffbaues, des Linienschiffs „Oldenburg“ von 28000 PS und 22½ Meilen
                              									Geschwindigkeit, erbaut von F. Schichau in Danzig, sowie
                              									des schnellsten Linienschiffskreuzers der Welt, des von Blohm & Voß in Hamburg erbauten
                              										„Moltke“ von 23000 t Wasserverdrängung und 72000 PS (Abb. 1 und 2).
                           Was aber ebenso wichtig ist wie diese Entwicklung der Kriegsschiffbautechnik, das ist
                              									die Heranbildung einer leistungsfähigen Schiffbauindustrie, die unabhängig vom
                              									Ausland auf der höchsten Stufe der Leistungsfähigkeit steht.
                           Man mag behaupten, die Schaffung einer starken Kriegsflotte war eine politische
                              									Notwendigkeit, die deutsche Kriegsschiffswerft wäre aufgeblüht, auch wenn ein Mann
                              									an der Spitze des Staates gestanden, der nicht, wie Kaiser Wilhelm bei seinem ersten
                              									Besuch des Norddeutschen Lloyd auf dem damaligen Schnelldampfer „Fulda“ sich
                              									selbst bezeichnete, „ein passionierter Seemann“ war.
                           Was indessen der Kaiser für die deutsche Handelsschiffahrt getan, das ist nicht der
                              									politischen Notwendigkeit, das ist seinem eigenen lebhaften Interesse an
                              									Deutschlands Aufschwung zur See entsprungen. Als er im Jahre 1888 zur Regierung kam,
                              									bestand die deutsche Handelsflotte aus 2828 Schiffen von zusammen 1359389 B.-R.-T.,
                              									darunter 696 Dampfer von zusammen 727572 B.-R.-T. und einer Gesamtmaschinenleistung
                              									von 436795 PSi. Aus Deutschland stammten von der
                              									ganzen Handelsflotte nur 61 v. H., die restlichen 39 v. H. waren im Ausland
                              									gebaut.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 328, S. 370
                              Abb. 1.S. M. Linienschiff „Oldenburg“. Erbaut von Schichau
                                 										1912
                              
                           Im Jahre 1912 waren laut Ausweis des Germanischen Lloyd
                              									auf deutschen Werften 1356 Handelsschiffe mit einem Gesamt-Bruttoraumgehalt von
                              									1306199 Register-Tonnen im Bau, d.h. also, die Jahresproduktion der deutschen
                              									Schiffbauindustrie ist – was den Bruttoraumgehalt der Handelsschiffe allein betrifft
                              									– so groß, wie die ganze deutsche Handelsflotte vor 25 Jahren. Fertiggestellt wurden
                              									im Jahre 1912 auf deutschen Werften 906 Handelsschiffe von 427976 B.-R.-T. gegen 47
                              									Handelsschiffe mit 56043 B.-R.-T. im Jahre 1888, d.h. der heutige deutsche
                              									Handelsschiffbau leistet mehr als das 7½ fache vor 25 Jahren. Wenn nun auch die
                              									Entwicklung keine absolut gleichmäßige war, sondern je nach der Konjunktur die
                              									Beschäftigungsziffern der einzelnen Jahre schwanken, und auch das zum Vergleich
                              									herangezogene Jahr 1912 für die Schiffbauindustrie ein sehr günstiges war, so ergibt
                              									sich, schon was die abgelieferte Schiffsräumte betrifft, ein Aufblühen der
                              									Schiffbauindustrie, wie es nur wenig andere Industriezweige aufzuweisen haben.
                           Ebenso bedeutend wie das äußere Wachstum der deutschen Handelsschiffbau-Industrie ist
                              									die technische Entwicklung derselben. Vor dem Jahre 1888 wurden fast alle größeren
                              									deutschen Schiffe von englischen Werften gebaut. Nur zögernd hatte sich der Norddeutsche
                              									Lloyd im Jahre 1885 entschlossen, auf Grund der
                              									Bedingungen des Dampfersubventionsgesetzes, welches die Bestimmung enthielt, daß das
                              									zu beschaffende Dampfermaterial ausschließlich auf deutschen Werften aus deutschem
                              									Material gebaut werden müßte, die Dampfer „Preußen“, „Sachsen“ und
                              										„Bayern“ sowie die drei kleineren „Stettin“, „Lübeck“ und
                              										„Danzig“ der Werft der A.-G. Vulcan in Stettin
                              									in Auftrag zu geben. Die Schiffe waren in technischer Hinsicht ein glänzender Erfolg
                              									für den deutschen Handelsschiffbau. Die Folge war, daß die Hamburg-Amerika-Linie einen Doppelschrauben-Schnelldampfer, die
                              										„Augusta Victoria“ dem Vulcan in Auftrag gab.
                              									Dieses Schiff ging im Jahre 1888 vom Stapel. Es folgte der Norddeutsche Lloyd mit den Schnelldampfern „Spree“ und
                              										„Havel“, die gleichfalls der Vulcan in Auftrag
                              									erhielt.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 328, S. 370
                              Abb. 2.Linienschiffskreuzer „Moltke“. Erbaut von Blohm & Voß
                                 										1912
                              
                           Wurden die Schiffe nun auch in Deutschland gebaut, so wurden für den Bau die Regeln
                              									der französischen Klassifikationsgesellschaft Bureau
                                 										Veritas zu Grunde gelegt, die fast den gesamten deutschen Handelsschiffbau
                              									überwachte, daneben wurden noch Schiffe nach den Bauvorschriften des Englischen Lloyd gebaut. Es gab zwar auch schon eine
                              									nationale Schiffsklassifikationsgesellschaft, den Germanischen
                                 										Lloyd, doch waren dessen Vorschriften nicht auf der Höhe, auch fehlte
                              									seiner Klasse die Anerkennung der Versicherungsgesellschaften, so daß noch nicht 30
                              									v. H. der deutschen Schiffe seine Klasse hatten. Dabei war die Bauweise nach den
                              									Regeln des Bureau Veritas als nicht genügend stark
                              									verrufen, und es war üblich geworden, die besseren Handelsschiffe über die
                              									Vorschriften des Bureau Veritas hinaus zu bauen.
                           Erst mit der Umwandlung des Germanischen
                              									Lloyd im Jahre 1889 in eine Aktien-Gesellschaft und der
                              									Berufung des Generalsekretärs Ulrich als Vertreter der
                              									Versicherungsgesellschaften und Friedrich Ludwig
                                 										Middendorfs als technischer Direktor in den Vorstand des Germanischen Lloyd begannen die Werften sich dem
                              									nationalen Institut zuzuwenden. Durch Middendorf wurden
                              									deutsche Bauvorschriften geschaffen, welche bei geringerem Eigengewicht eine größere
                              									Festigkeit und Sicherheit der Schiffe gewährleisteten als nach den französischen und
                              									englischen Regeln. Vor allem erzielten die deutschen Vorschriften eine genügende
                              									Versteifung der wasserdichten Schotten, so daß sie bei Vollaufen eines Raumes auch
                              									wirkliche Sicherheit gegen Wegsinken boten. Indessen führten sich die deutschen
                              									Vorschriften nur langsam ein. Namentlich die Hamburger Reeder hielten noch
                              									ausschließlich zum Bureau Veritas.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 328, S. 371
                              Abb. 3.Schnelldampfer „Kaiser Wilhelm II“ des Norddeutschen Lloyd.
                                 										Erbaut von A.-G. Vulkan 1903
                              
                           Da kam im Januar 1895 das „Elbe“-Unglück. Der Schnelldampfer „Elbe“ des
                              										Norddeutschen Lloyd wurde im Nebel von dem englischen
                              									Dampfer „Crathie“ am hinteren Maschinenschott angerannt und sank mit dem Heck
                              									voran in die Tiefe. Da das Wegsinken des Schiffes vermieden worden wäre, wenn die
                              									wasserdichten Schotten sinngemäß angeordnet gewesen wären, gab der Unfall dem
                              									Reichskanzler Veranlassung, eine nähere Verbindung zwischen dem Germanischen Lloyd und der Seeberufsgenossenschaft in die
                              									Wege zu leiten, indem letztere den Germanischen Lloyd zu
                              									ihrem technischen Beirat erwählte. In der Plenarsitzung des Reichstages vom 9.
                              									Februar 1895 sprach der Reichskanzler die Ueberzeugung aus, daß sich auf diesem Wege
                              									die Einführung der von gewissen Kreisen geforderten staatlichen Aufsicht über den
                              									Handelsschiffbau voraussichtlich als unnötig erweisen würde.
                           So konnte sich der deutsche Handelsschiffbau unabhängig von dem Eingreifen der
                              									Behörden frei weiter entwickeln. Durch das Zusammengehen der Seeberufsgenossenschaft
                              									mit dem Germanischen Lloyd wurde der größte Teil der bis
                              									dahin auf Seiten des Bureau Veritas stehenden Hamburger
                              									Reeder veranlaßt, mit seinen Schiffen zum Germanischen
                                 										Lloyd überzugehen. Seit dieser Zeit haben wir also einen Handelsschiffbau
                              									nach eigenen Regeln.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 328, S. 371
                              Abb. 4.Fünfmast-Vollschiff „Preußen“, das größte Segelschiff der
                                 										Welt. Erbaut von Tecklenborg A.-G.
                              
                           Die nächste Folge des Zusammengehens von Seeberufsgenossenschaft und Germanischem Lloyd war die Herausgabe der Vorschriften
                              									über wasserdichte Schotten in Passagierdampfern der außereuropäischen Fahrt, die für
                              									die deutschen Passagierdampfer einen Grad der Sicherheit schufen, wie ihn kein
                              									anderer der europäischen Seeuferstaaten kennt. Das Jahr 1895 fand den deutschen
                              									Handelsschiffbau vor Aufgaben, denen damals nur die allerwenigsten englischen
                              									Werften hatten gerecht werden können. Der Norddeutsche
                                 										Lloyd bestellte nicht weniger als vier Passagierdampfer von je über 10000
                              									B.-R.-T., die zu den größten Schiffen der damaligen Zeit zählten, ja er konnte es
                              									wagen, auf deutschen Werften Schiffe zu bestellen, die den Engländern das blaue Band des
                              									schnellsten Ozeandampfers entreißen sollten. Wenn etwas die beispiellose Entwicklung
                              									der deutschen Schiffbauindustrie beleuchten kann, so ist es ein Vergleich zwischen
                              									den Jahren 1885 und 1895; in jenem gibt der Lloyd
                              									zweifelnd die ersten Postdampfer der deutschen Schiffbauindustrie in Auftrag, und
                              									1895 beginnt dieselbe deutsche Schiffbauindustrie mit dem Bau von Dampfern, wie sie
                              									in gleicher Größe und von gleicher Geschwindigkeit noch keine englische Werft gebaut
                              									hatte. In rascher Reihenfolge schuf jetzt die heimische Industrie die
                              									Schnelldampfer, die noch heute trotz der „Lusitania“ und „Mauretania“
                              									zu den beliebtesten Schiffen im Weltverkehr zählen (Abb.
                                 										3).
                           Wenn auch durch die Ungunst der Zeitläufte bisweilen zurückgedämmt, hat sich die
                              									deutsche Schiffbauindustrie stetig weiter entwickelt, in allen Phasen ermuntert
                              									durch das außerordentliche Interesse, das der Kaiser ihr entgegenbringt. Die
                              									Einführung der Tiefladelinie, der Bau der großen Segelschiffe, der Erwerb des ersten
                              									Motorschiffes für die transatlantische Fahrt, wie der Stapellauf der modernen
                              									Riesendampfer geben ihm Veranlassung sein außerordentliches Interesse zu bekunden,
                              									wie er andererseits durch die Förderung des Segelsports den Sinn der weitesten
                              									Kreise für die großen Aufgaben zu wecken weiß, zu deren Lösung die deutsche Flotte,
                              									sei es unter der Kriegs- oder der Handelsflagge, berufen ist (Abb. 4).
                           Mächtiger denn je regt heute der deutsche Unternehmungsgeist seine Schwingen, wieder
                              									weht die deutsche Flagge über dem größten der neuen Ozeanriesen, und andere von noch
                              									größeren Abmessungen gehen ihrer Vollendung entgegen, bestimmt, das blaue Band des
                              									Ozeans, das uns seit dem Jahre 1907 die Mauretania und Lusitania entrissen, der
                              									deutschen Flagge wieder zu gewinnen.
                           Und wenn heute sich die Aussichten auf eine weitere Erhaltung des Friedens gefestigt
                              									haben, und die deutsche Industrie ruhigen Zeiten entgegensehen kann, so hat sie es
                              									vor allem dem Kaiser zu danken, der in den 25 Jahren seiner Regierung unablässig
                              									bemüht war, Deutschland Seegeltung zu verschaffen.