| Titel: | Kolloidchemie. | 
| Autor: | H. F. Baumhauer | 
| Fundstelle: | Band 328, Jahrgang 1913, S. 452 | 
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                        Kolloidchemie.
                        Von Dr. H. F. Baumhauer in
                           									Charlottenburg.
                        BAUMHAUER: Kolloidchemie
                        
                     
                        
                           I.
                           Füllt man eine wässerige Lösung, die z.B. Kochsalz und Leim enthält, in eine
                              									tierische Blase und taucht diese in reines Wasser, so diffundiert das Salz durch die
                              									tierische Membran hindurch, während der Leim zurückgehalten wird. Diese Beobachtung
                              									machte zuerst Graham, der alle die Körper, die von der
                              									Membran zurückgehalten werden, nach seinem ersten Beispiel, dem Leim (ϰόλλα), Kolloide nannte, im
                              									Gegensatz zu den Krystalloiden, die selbst durch die
                              									Membran hindurch das Bestreben haben, aus ihren Lösungen in reines Wasser zu
                              									diffundieren. Die auf diese Weise bewirkte Scheidung von Krystalloiden und Kolloiden
                              									nannte Graham Dialyse.
                           Thomas Graham, der seine Arbeit, die diese interessante
                              									Erscheinung behandelt, im Jahre 1861 veröffentlichte, begründete hiermit die
                              									eigentliche Kolloidchemie, die in neuerer Zeit durch die Mitarbeit vieler Chemiker
                              									zu einem wichtigen Spezialgebiet der Chemie und auch für die Technik von nicht zu
                              									unterschätzender Bedeutung geworden ist. Es sind eine große Anzahl von kolloiden
                              									Stoffen bekannt, und zwar solche, die uns bis jetzt nur im kolloiden Zustand bekannt
                              									sind, und solche, die nach geeigneten Methoden sowohl in den krystalloiden als auch
                              									in den kolloiden Zustand übergeführt werden können. Zu den ersteren gehören der
                              									schon genannte Leim, ferner Stärke, Albumin, Gerbstoffe, Harze usw., während zur
                              									zweiten Gruppe hauptsächlich anorganische Substanzen zählen, wie Kieselsäure,
                              									Wolframsäure, Eisenoxyd und eine ganze Reihe von Metallen. Ich will nun in dieser
                              									Zusammenstellung kurz über die chemischen und physikalischen Eigenschaften
                              									berichten, während ich in einem zweiten Teil auf die technische Bedeutung der
                              									Kolloide eingehen möchte.
                           Das Hauptinteresse beanspruchen die kolloiden Substanzen in der Form ihrer
                              									Lösungen, und zwar durch die Eigenschaften, die sie von den wirklichen Lösungen, wozu z.B. die wässerige Kochsalzlösung gehört,
                              									unterscheiden. Als ältestes Unterscheidungsmerkmal wurde schon in der Einleitung die
                              									Dialyse erwähnt, mit deren Hilfe es gelingt, Krystalloide und Kolloide, die sich in
                              									ein und derselben Lösung befinden, zu trennen. Es sei hier noch folgendes Beispiel
                              									angeführt. Versetzt man eine kozentrierte Lösung von Natriumsilikat (Wasserglas) mit
                              									Salzsäure, so scheidet sich momentan gallertartige Kieselsäure aus. Macht man aber
                              									denselben Versuch mit einer stark verdünnten Wasserglaslösung, so tritt äußerlich
                              									keine Aenderung der Flüssigkeit ein, sie bleibt klar und durchsichtig, obschon sich
                              									Natriumchlorid und „unlösliche“ Kieselsäure gebildet haben. Unterwirft man
                              									diese Lösung aber der Dialyse, so kann man feststellen, daß durch die Membran das
                              									Natriumchlorid (Kochsalz) diffundiert, während Kieselsäure in löslicher kolloider
                              									Form als sogenannte „Pseudolösung“ im Dialysator zurückbleibt. (Läßt man eine
                              									solche Lösung eintrocknen, so hinterbleibt die Kieselsäure als glasige amorphe
                              									Masse.) Auch ohne Hilfe der Dialyse läßt sich leicht zeigen, daß durch den Zusatz
                              									der Salzsäure eine Veränderung in der Lösung stattgefunden hat und sich kolloid
                              									gelöste Teilchen in derselben befinden. Schickt man nämlich durch die Lösung einen
                              									Lichtstrahl, so ist derselbe in der Flüssigkeit deutlich abgegrenzt sichtbar, was
                              									seinen Grund darin hat, daß das Licht an den mit bloßem Auge nicht wahrnehmbaren
                              									Kieselsäureteilchen reflektiert und dadurch diffus zerstreut wird. Eine wirkliche Lösung zeigt dieses sogen. „Tyndallsche Phänomen“ nicht, vorausgesetzt, daß
                              									sie vollständig staubfrei ist, weshalb man sie als „optisch leer“ bezeichnet.
                              									Die Größe der Teilchen ist bei den verschieden kolloidgelösten Stoffen sehr ungleich. Da man die
                              									kolloiden Teilchen gewissermaßen als eine Zwischenstufe zwischen den Teilchen, den
                              									Molekülen, wirklich gelöster Stoffe und den sogen. Suspensionen betrachten muß, so
                              									neigen sich auch ihre Eigenschaften – je nach der Größe der Teilchen – mal der einen
                              									und mal der anderen Grenze zu. Bei dem Tyndallschen
                              									Phänomen lassen sich natürlich nicht die einzelnen Teilten unterscheiden, sondern es
                              									tritt nur ein gleichmäßiger Lichtkegel in der Flüssigkeit auf. Mit gewöhnlichem
                              									Mikroskop lassen sich nur Teilchen sichtbar machen, die nicht kleiner als ¼ μ1 μ (Mikron) = 0,001 mm, 1 μμ = 0,000001 mm. sind. Will man
                              									kleinere Teilchen beobachten, so muß man sich des sogen. Ultramikroskopes bedienen,
                              									mit dem man Teilchen bis zu 5 bis 10 μμ Achtbar machen
                              									kann. Die Wirkung des Ultramikroskopes beruht darauf, daß die zu untersuchende
                              									Lösung unter das Mikroskop gebracht, von intensiven nur
                                 										schräg Anfallenden Lichtstrahlen beleuchtet wird, so daß kein strahl das
                              									Auge direkt treffen kann, und das Gesichtsfeld dunkel erscheint. An den kleinen
                              									Teilchen erfährt nun das Licht eine Beugung, so daß Beugungsscheibchen entgehen, die
                              									durch das Mikroskop beobachtet werden können. Die Teilchen erscheinen als kleine,
                              									leuchtende Sterne auf dunklem Grunde, die in unaufhörlicher, lebhafter Hin- und
                              									Herbewegung sind. Diese Bewegung der Teilchen wird nach ihrem Entdecker R. Brown die Brownsche Bewegung
                              									genannt. Je kleiner die Teilten sind, um so intensiver ist ihre Bewegung, so daß sie
                              									oft blitzschnell zickzackförmig das Gesichtsfeld durchkreuzen. Teilchen von 5 bis 6
                              										μμ sind nur bei hellstem Sonnenlicht wahrnehmbar,
                              									15 μμ bei starkem Bogenlicht, 22 bis 28 μμ sind leicht sichtbar zu machen. Jedoch außer von der
                              									Größe hängt es auch vor allem vom Reflexinosvermögen ab, ob die Teilchen sichtbar
                              									werden. Bei einer Größe von 75 μμ nimmt die
                              									Beweglichkeit sehr ab, die Teilchen halten sich nicht in Lösung, sinken vielmehr
                              									langsam zu Boden. Aber auch Teilchen von 250 μμ, die
                              									schon mit gewöhnlichem Mikroskop zu erkennen sind, zeigen noch Bewegung – die Brownsche Bewegung wurde gerade an ihnen zuerst (1827)
                              									bedachtet – bis bei einem Durchmesser von 3 bis 5 μ die
                              									Bewegung ganz aufhörtVergl. v. Pöschl, Einführung in die Kolloidchemie (Dresden
                                    											1911) S. 13 und 56..
                           Die kolloidgelösten Teilchen tragen entweder positive oder negative elektrische
                              									Ladung. Doch ist diese Ladung für ein und dieselbe Substanz nicht immer dieselbe,
                              									d.h. sie kann positiv oder negativ werden, und zwar hängt die Ladungsrichtung ab
                              									erstens von kleinen Elektrolytbeimengungen und zweitens von der Flüssigkeit (Dispersionsmittel), in der das Kolloid gelöst ist.
                              									Kolloide Teilchen, die in Wasser positiv geladen sind, können einem anderen
                              									Lösungsmittel entgegengesetzte Ladung tragen, wie es z.B. beim Terpentin als
                              									Dispersionsmittel der Fall ist. Man kann nämlich kolloide Lösungen nicht nur in
                              									Wasser herstellen, sondern unter anderem auch in Alkohol, Benzol, Glyzerin, Eisessig
                              									oder Terpentin. Von der Art des Dispersionsmittels werden auch andere
                              									Eigenschaften der Kolloide beeinflußt, so hängt die Lebhaftigkeit der Brownschen Bewegung sehr von der Dichte des
                              									Lösungsmittels ab. Die Ladungsrichtung läßt sich leicht feststellen, wenigstens bei
                              									den gefärbten Lösungen wie den prächtig rot und blau gefärbten Goldlösungen oder bei
                              									der weinroten Silberlösung. Füllt man nämlich eine solche elektrolytfreie Lösung in
                              									eine ∪-förmige Glasröhre und schickt den elektrischen
                              									Strom hindurch, so wandern die positiv geladenen Teilchen zur Kathode, die negativen
                              									zur Anode. Es wird dadurch, je nachdem die Teilchen positiv oder negativ geladen
                              									sind, die Flüssigkeit an der einen Seite des ∪-Rohres
                              									immer intensiver gefärbt, während die andere Seite farblos wird. Auch bei den in der
                              									Durchsicht (in der Aufsicht opalisieren die meisten Lösungen) tiefbraun gefärbten
                              									Lösungen wie denen des Wolframs, Molybdäns, Zirkons und Thoriums läßt sich dieser
                              									Versuch schön ausführen. – Interessant sind die radioaktiven Eigenschaften des
                              									kolloiden ThoriumsVergl. Wedekind und Baumhauer, Zeitschr. für Chemie und Industrie der Kolloide 1909, Band
                                    											V, Heft 4.. Es zeigte sich nämlich, daß dieses Thorium bei weitem
                              									radioaktiver ist als das metallische Thorium; 0,0235 g kolloidales Thorium
                              									entsprechen in bezug auf Emanationsabgabe 0,111 g metallischem Thorium, was wohl in
                              									der viel günstigeren Oberflächenentwicklung seinen Grund hat.
                           Die kolloid gelösten Stoffe hat man mit dem Namen Sole belegt, und zwar nennt man die wassergelösten –
                              									Hydrosole. Mischt man zwei Lösungen mit entgegengesetzten Ladungen, so fällen sich
                              									die Kolloide gegenseitig aus, d.h. sie gehen in Gele
                              									über, wie Graham die ausgefällten Kolloide zuerst nannte.
                              									Aus wässerigen Lösungen ausgefällte also wasserhaltige Gele nennt man entsprechend
                              									den Hydrosolen Hydrogele, alkoholische – Alkogele. Die Ausfällung oder Ausflockung
                              									kann aber auch auf andere Weise bewirkt werden, so werden manche Kolloide durch
                              									starkes Erhitzen, andere wieder durch Gefrierenlassen der Lösung abgeschieden. Die
                              									wichtigsten Fällungsmittel sind die Elektrolyte, die Säuren, Basen und Salze. Doch
                              									nur in ganz bestimmter Konzentration wirken die Elektrolyte ausfällend, während sie
                              									in sehr starker Verdünnung eine Lösung sogar beständiger machen; so wirkt auf die
                              									Haltbarkeit einer Wolframlösung eine minimale Spur Chlorammonium günstig ein,
                              									während eine etwas größere Menge desselben Salzes ein momentanes Ausflocken des
                              									Wolframs bewirkt. Interessant ist die Wirkung von Salzsäure auf die rubinrote
                              									Goldlösung, die durch einen Tropfen dieser Säure blau gefärbt wird. Es haben sich
                              									hierbei durch Zusammenschließen mehrerer Teilchen die größeren blaugefärbten
                              									gebildet, die sich aber nicht lange in Lösung halten, sondern allmählich als
                              									Goldgele zu Boden fallen. Eine geringe Spur Alkali hingegen macht die rote
                              									Goldlösung haltbarer.
                           Die Kolloide kann man einteilen in reversible und irreversible Kolloide, d.h. in solche, die sich nach dem
                              									Ausflocken in ihrem ursprünglichen Dispersionsmittel ohne weiteres wieder auflösen
                              									lassen, und in solche, die unlöslich geworden sind. Zu ersteren gehören z.B.
                              									Gelatine, Leim, Gummi, und von anorganischen Substanzen Wolfram- und Molybdänmetall,
                              									zu den unlöslichen gehören u.a. die Metalle Gold, Silber und Platin. – Die kolloiden
                              									Lösungen sind nun nicht unbegrenzte Zeit über haltbar. Ihre Beständigkeit ist ganz
                              									verschieden, so sind die anorganischen Kolloide für gewöhnlich weniger lange haltbar
                              									als die organischen. Man kann aber die anorganischen beständiger und auch gegen die
                              									fällende Wirkung der Elektrolyte unempfindlicher machen, wenn man sie mit einem
                              									organischen Kolloid versetzt. Von dieser Tatsache wird häufig praktisch Gebrauch
                              									gemacht. Als solche sogenannten Schutzkolloide wirken
                              									besonders gut Gelatine, Leim und Eiweiß.
                           Die Wirkung dieser organischen Stoffe als Schutzkolloide beruht darauf, daß sie
                              									die allen Kolloiden eigene Adsorptionsfähigkeit in
                              									besonders reichem Maße besitzen. Sie adsorbieren das anorganische Kolloid und
                              									schützen es dadurch gegen die fällende Wirkung der Elektrolyte, und sie machen
                              									dieselben, da sie selbst reversible sind, mit zu reversiblen Kolloiden. Die
                              									organischen Kolloide, die zu den sogenannten Emulsionskolloiden gehören, deren Teilchen flüssig sind, während die
                              									anderen als Suspensionskolloide fest sind, unterscheiden
                              									sich noch in manchem von den anorganischen. So zeigen sie nur sehr schwache
                              									elektrische Ladung, und im Ultramikroskop tritt nur eine allgemeine Erhellung auf,
                              									während einzelne Teilchen nur selten sichtbar werden. Sie treten auch nicht in allen
                              									Flüssigkeiten als Kolloide auf, in manchen zeigen sie die Eigenschaften wirklicher
                              									Lösungen.