| Titel: | Von der diesjährigen Sommerversammlung der Institution of Naval Architects in Glasgow vom 23. bis 25. Juni. | 
| Autor: | C. Kielhorn | 
| Fundstelle: | Band 328, Jahrgang 1913, S. 547 | 
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                        Von der diesjährigen Sommerversammlung der
                           								Institution of Naval Architects in Glasgow vom 23. bis 25. Juni.
                        Von Konstruktionsingenieur C. Kielhorn in
                           									Zehlendorf.
                        (Fortsetzung und Schluß von S. 465 d.
                           								Bd.)
                        KIELHORN: Von der diesjährigen Sommerversammlung der Institution of
                           								Naval Architects usw.
                        
                     
                        
                           B) Ein Urteil über die neuen
                                 										englischen Sicherheitsvorschriften auf Passagierdampfern.
                           Der zweite Vortrag auf der Sommerversammlung der englischen Schiffbautechnischen
                              									Gesellschaft handelte über die Sicherheit zur See. „On Safety of Life at
                                 									Sea“. Der Vortragende war Percy A. Hillhouse. Dieses
                              									Thema hat auch für uns großes Interesse, zittert doch noch bei allen
                              									seefahrenden Nationen die Erregung über die „Titanic“-Katastrophe nach, die
                              									in England den Anlaß zu einer gründlichen Reform der Unfallverhütungsvorschriften
                              									gegeben hat (vergl. Heft 8 S. 121 dieses Bandes „Englands Lehren aus der
                                 										„Titanic“-Katastrophe“), und die auch bei uns Regierung und Reeder zu
                              									Erhebungen über etwaige Verbesserungen der Sicherheitsvorschriften veranlaßt hat. Im
                              									kommenden Herbst sollen ja auf einer internationalen Konferenz diese Fragen endlich
                              									einheitlich geregelt werden.
                           Der Vortragende führte aus, daß die größten Katastrophen durch Strandung, Wegsinken,
                              									Kentern oder Kollision herbeigeführt würden. Es sei Aufgabe des Schiffbauers und des
                              									Reeders alle Mittel anzuwenden, damit einmal von vornherein solche unglücklichen
                              									Vorkommnisse vermieden werden können, dann aber für Rettungsmöglichkeiten zu sorgen
                              									für den Fall, daß sich doch ein solches Unglück ereigne.
                           Am meisten Sicherheit gebe es noch gegen die Gefahr des Wegsinkens durch Unterteilung
                              									in eine entsprechende Anzahl wasserdichter Abteilungen und durch Anordnung einer
                              									genügend großen Reserveschwimmfähigkeit (vergl. D. p. J. Heft 6 S. 92 d. Bd.).
                              									Erhöhte Sicherheit könne man durch Verwendung von wasserdichten Querschotten und
                              									Längsschotten erreichen, wobei letztere, wenn sie als Seitenbunkerwände dienten,
                              									gewissermaßen eine doppelte Außenhaut darstellten, die nicht einmal eine Vermehrung
                              									des Schiffseigengewichts bedeuteten, doch müsse man darauf achten, daß sie nicht die
                              									Querstabilität schädlich beeinflußten. (Bekanntlich sind die Längsbunkerwände des
                              									neuen Riesendampfers „Imperator“ der Hamburg-Amerika-Linie wasserdicht
                              									genietet worden, so daß sie als Innenhaut im Falle einer Kollision dienen könnten).
                              									Auch wasserdichte Deckbeplattungen seien eine vorzügliche Art der wasserdichten
                              									Unterteilung.
                           Am interessantesten wird der Vortrag, wo er zur Kritik der neuen Vorschriften des
                              									Board of Trade über Boote und Rettungsgeräte übergeht, die wir in Heft 8 d. Bd. zum
                              									Gegenstand einer eingehenden Besprechung gemacht hatten. Der Vortragende faßt sein
                              									Urteil in die Worte zusammen: „Bootsraum für alle“ (an Bord befindlichen
                              									Menschen) ist ausgezeichnet in der Theorie, aber außerordentlich schwierig in der
                                 										Praxis zu verwirklichen“. Das Problem, genügend Decksraum für die große Zahl
                              									der Boote zu finden, sei sehr schwierig und werde nur noch übertroffen durch die
                              									Schwierigkeit, diese Boote richtig zu bemannen und heil zu Wasser zu bringen.
                              									Er kommt dann zu dem Schluß, daß die Vorschläge der „Boots- und
                                 										Davits-Commission“ noch weit von der Lösung dieser Aufgabe entfernt
                              									seien.
                           In der Diskussion tritt Baronet Sir Archibald Denny für
                              									die großen unsinkbaren gedeckten Rettungsboote ein. Die drei großen
                              									Sicherheitsfaktoren auf See seien die drahtlose Telegraphie, die wasserdichten
                              									Schotte und die Boote. Namentlich auch für den Fall, daß auf hoher See Feuer an Bord
                              									zum Ausbruch käme, könne man doch nicht von vornherein einen Teil der Passagiere dem
                              									Flammentode überliefern. Es müsse eben unbedingt für alle an Bord befindlichen
                              									Menschen Bootsraum vorgesehen sein.
                           Im weiteren Verlauf wendet sich H. M. Napier gegen die
                              									neuen englischen Unfallverhütungsvorschriften, indem er darauf hinweist, daß die
                              										„Aquitania“, Englands größtes Schiff, das zurzeit in der Ausrüstung
                              									begriffen ist (Länge über alles 275,110 m, Breite auf Spanten 29,59 m, Tiefgang
                              									10,370 m), also etwa von der Größe des „Imperator“, 92 Boote haben müsse.
                              									Darunter seien 88 offene Rettungsboote und 2 Motorboote. Die Besatzung dieses
                              									Schiffes beträgt 972 Mannschaften und Offiziere, 660 Passagiere erster Klasse, 698
                              									Passagiere zweiter Klasse und 1900 Passagiere dritter Klasse, zusammen 4230
                              									Personen. Wieviel glückliche Zufälle müßten zusammenwirken, wenn all diese Boote
                              									wirklich zur Verwendung kommen sollten. Zurzeit sei es absolut unmöglich, schwere
                              									Boote nach der dem Wasserspiegel zugeneigten Seite des Schiffes hinüberzubekommen,
                              									oder sie von der aufragenden Seite zu Wasser zu lassen und die Schiffe hätten doch
                              									in der Regel, wenn ein Unglück geschehe, Schlagseite. Das wesentlichste sei, erst
                              									einmal Mittel zu finden, wie man die Boote von einer Seite zur anderen
                              									hinüberbringen könne.
                           Die Verhandlungen zeigten also, daß auch in England zurzeit noch viele Fachleute
                              									Zweifel sowohl an der Durchführbarkeit wie an der Wirksamkeit der vom Board of Trade
                              									aus Veranlassung der Titanic-Katastrophe erlassenen Vorschriften hegen.