| Titel: | Von der niederländischen Schiffahrtsausstellung zu Amsterdam. | 
| Autor: | C. Kielhorn | 
| Fundstelle: | Band 328, Jahrgang 1913, S. 594 | 
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                        Von der niederländischen Schiffahrtsausstellung
                           								zu Amsterdam.
                        Von Konstruktionsingenieur C. Kielhorn in
                           									Zehlendorf.
                        KIELHORN: Von der niederländischen Schiffahrtsausstellung zu
                           								Amsterdam.
                        
                     
                        
                           Auf der Nordseite des Y, gegenüber dem Central-Bahnhof ist die „Eerste
                                 										Nederlandsche Tentoonstelling op Scheepvaartgebied“ aufgebaut, welche
                              									Bezeichnung nach bekannten Mustern zu dem Worte „Entos“ kondensiert ist.
                           Gleich vor dem Bahnhof nach der Stadtseite zu zeigt ein Riesenschild mit der
                              									Aufschrift „Entos“ die Anlegestelle der Fährdampfer an, welche den Verkehr
                              									mit der Ausstellung vermitteln. Hier erhält man auch die Eintrittskarten zur
                              									Ausstellung. Wahrscheinlich um zu verhindern, daß man mit der Konkurrenz
                              									zurückfahre, verkauft man das Hinfahrtsbillet nur mit der Rückfahrkarte zusammen.
                              									Einen halben Gulden kostet der Eintritt, 10 Cents die Hin- und Rückfahrt, macht nach
                              									deutscher Rechnung 60 Cents, nach holländischer aber mehr.
                           Diese Fährdampfer, die sonst wohl mehr Schleppzwecken dienen, stellen der
                              									holländischen Anspruchslosigkeit in der Passagierbeförderung das beste Zeugnis
                              									aus.
                           In dem parkartigen, dem Y zugekehrten Teil, zwischen dem ehemaligen Buiksloter
                              									Veerhaven und dem Noord-Hollandsch-Kanaal liegen der Pavillon der Stadt Amsterdam
                              									und die historische Abteilung, zwischen beiden der Congreß-Saal.
                           
                        
                           A. Der Pavillon der Stadt
                                 									Amsterdam.
                           Er zeigt lediglich die Entwicklung des Amsterdamer Handels. Hier herrscht der
                              									Kaufmann. Der Volkswirtschaftler und der Statistiker findet hier ein reiches
                              									Material zusammengetragen, noch mehr, obwohl es für eine Schifffahrtsausstellung
                              									etwas merkwürdig klingt, der Mediziner. Der Techniker kommt nicht auf seine
                              									Rechnung. Nichtsdestoweniger ist diese Abteilung hochinteressant und lehrreich.
                           Den Eingang, der in der Mitte der Langseite geigen ist, flankieren zwei große
                              									Reliefmodelle, und zwar des Holzhafens zur Linken und des Petroleumhafens zur
                              									Rechten. Wenden wir uns zunächst zur Linken. Ueber dem Modell des Holzhafens finden
                              									wir die Holzeinfuhr aus den verschiedenen Ländern durch entsprechend große Stücke
                              									der betreffenden Holzsorten anschaulich dargestellt. Auf dem Tisch daneben
                              									zeigen Eisenbahnwaggons mit Copra gefüllt die ungeheuere Zunahme der Einfuhr dieses
                              									Artikels in Holland, der den Grundstoff für die Pflanzenbutterfabrikation bildet.
                              									Nun sehe ich mich nach einer Darstellung der Zunahme der Naturbutterproduktion um.
                              									Nichts dergleichen ist in der Nähe. Doch drüben in der anderen Ecke auf einer Tafel
                              									nach Jahreszahlen geordnet immer größer werdendes Rindvieh. Wie ich näher trete, um
                              									einen Vergleich zwischen Natur- und Kunstbutterproduktion anzustellen, sehe ich, daß
                              									das Rindvieh die Häuteeinfuhr darstellen soll. Nach der Copra folgt in Säckchen
                              									dargestellt die Reiseinfuhr, daneben in Bündeln die Chinarinde und in Zuckerhüten
                              									der Rohr- und Rübenzucker.
                           Die Mitte der Schmalseite nimmt das „Bureau voor Handelsinlichtingen“ ein,
                              									oder wie es sich auf deutsch vorstellt, das „Bureau für auswärtige
                                 										Handelsbeziehungen“, unter dem Protektorat Ihrer Majestät der Königin
                              									Mutter. Es hat zum Zweck die Handelsbeziehungen Hollands mit dem Ausland durch
                              									praktische, kostenfreie Aufklärung, Musterausstellungen usw. auszudehnen. Das Bureau
                              									stellt sich ohne jegliche Kommission oder Remuneration zur Verfügung ausländischer
                              									Häuser unter der einzigen Bedingung, daß die anfragenden Firmen empfohlen werden
                              									können. Es würde natürlich zu weit führen, hier auf diese für den holländischen
                              									Handel sehr förderliche Einrichtung des nähern einzugehen. Auch ich erhielt auf
                              									Grund des Ausweises der Verlags von „Dinglers polytechnischem Journal“
                              									bereitwilligst alles statistische Material, welches gedruckt zu haben war, darunter
                              									wertvolle Angaben über den außerordentlichen Aufschwung der holländischen
                              									Rheinschiffahrt in den letzten Jahren. Erfreulicherweise befanden sich unter den
                              									Druckschriften, die das Bureau ausliegen hatte, auch manche deutschen, so ein
                              									Vortrag des Vorsitzenden dieses Bureaus, O. Kamerlingh
                              									Onnes, „Amsterdam als Hafen und Handelsstadt“, gehalten für die Mitglieder
                              									der Vereinigung für staatswissenschaftliche Fortbildung in Berlin.
                           Der übrige Teil der Querseite wird von Darstellungen der Entwicklung des
                              									Amsterdamer Hafens durch Tabellen und Seeschiffsmodelle ausgefüllt. Auch die
                              									rückseitige Längswand beginnt mit einer historischen Uebersicht über einige Ein- und
                              									Ausfuhrartikel, statistischen Tabellen und einer bildlichen Darstellung des alten
                              									Amstelodanum aus dem 17. Jahrhundert.
                           Der nachfolgende Stand ist für den Deutschen wiederum von höchstem Interesse. Er gibt
                              									neben dem jährlichen Betrag des Hafengeldes der Binnenschiffe im Hafen zu Amsterdam,
                              									der von 82000 Gulden im Jahre 1889 auf 190000 Gulden im Jahr 1912 anwuchs, den
                              									Gesamtrheinschiffahrtsverkehr von und nach Amsterdam nach Angabe der Zollstelle in
                              									Lobith in Tabellen und Aakschiffmodellen dargestellt, weil hierfür kein Hafengeld
                              									erhoben wird. Während nun das Hafengeld für die Binnenschiffe von 1889 bis 1912 um
                              									131 v. H. gewachsen ist, ist der Rheinschiffsverkehr Amsterdams von 187556 t im
                              									Jahre 1891 auf 1352680 t im Jahre 1912 angewachsen, d.h. er hat um 621 v. H.
                              									zugenommen. Dabei ist zu bemerken, daß der Amsterdamer Rheinschiffsverkehr 1904 erst
                              									4288591 betrug, sich also in den letzten acht Jahren mehr als verdreifacht hat, in
                              									denselben Jahren, in denen der deutsche Schiffsverkehr über die
                              									deutsch-niederländische Grenze von 16056 Schiffen auf 19957 Schiffe, das sind um nur
                              									24,3 v. H. zugenommen hat. Amsterdam allein 315 v. H. in demselben Zeitraum, in
                              									welchem die deutsche Rheinschiffahrt 24,3 v. H. zugenommen hat, nach den Angaben
                              									derselben holländischen Zollstelle Lobith! Es ist unverständlich, wie angesichts
                              									solcher Verhältnisse auf der außerordentlichen Hauptversammlung des Vereins zur
                              									Wahrung der Rheinschiffahrtsinteressen zu Karlsruhe im Juni d. J. der Syndikus Dr.
                              										Walter Schmitz, Duisburg, in seinem Vortrage über
                              										„die Entwicklung der deutschen Rheinschiffahrt in den letzten
                                 										Jahrzehnten“ zu dem Schluß gekommen ist, daß der deutsche Anteil am
                              									niederländischen Rheingrenzverkehr in den beiden letzten Jahrzehnten als sichtlich
                              									steigend bezeichnet werden dürfe. Die Ausstellung der Stadt Amsterdam gibt uns
                              									Deutschen ein klares Bild, wie unendlich gering unser Fortschritt gegenüber dem
                              									holländischen in der Rheinschiffahrt ist.
                           Nach der Rheinschiffahrt kommen die Aufwendungen Amsterdams für den Nordseekanal,
                              									durch den sich Amsterdam den direkten Zugang zur Nordsee geschaffen hat zur
                              									Veranschaulichung. Hierbei kommen dem Deutschen gar eigene Gedanken an den
                              									Rheinseekanal, besonders wenn er in der Denkschrift der Handelskammer von Amsterdam,
                              									die auf der Ausstellung in deutscher Sprache zur Verfügung des Besuchers ausliegt
                              									den Schluß liest: „Die Unentbehrlichkeit dieses Seeweges ist denjenigen am
                                 										deutlichsten, die sich die Lage, als ob der Kanal gar nicht da wäre,
                                 										vorzustellen vermögen. Das materielle Interesse, die moralische Kraft der Nation
                                 										selbst würden in empfindlichster Weise getroffen werden.“
                           Die gleißenden Goldrollen, die auf dem Tisch die Summen darstellen, die man für
                              									Kanalzwecke bewilligt hatte, sind holländische 10 Guldenstücke, bis 1912 rund
                              									51828000 Gulden = 88 Millionen Mark.
                           Nach der Kanalstatistik folgen Angaben über die Zahl der angekommenen Schiffe
                              									und deren Nationalität. Interessant ist dabei, daß die deutschen Schiffe 1900/01 die
                              									Zahl 1150 erreicht hatten, dann 1904 bis auf 880 fielen und jetzt erst wieder 1100
                              									erreicht haben. Schiffsmodelle der verschiedensten Typen zeigen nach ihrer Größe die
                              									Zunahme der Amsterdamer Kauffahrteiflotte.
                           An die Hafen- und Schiffahrtstatistik reihen sich figürlich, tabellarisch und
                              									graphisch dargestellt die Einfuhr von Tee in Teekannen entsprechender Größe, von
                              									Kaffee durch Ladungsarbeiter mit Säcken entsprechender Größe, von Häuten durch
                              									Rinder in zunehmender Größe. Lehrreich ist dann der folgende Stand mit Darstellungen
                              									über die Gewinnung, die Einfuhr und den Handel mit Kapok. In einem großen
                              									Schaukasten hat die Firma Gebr. van der Vies die
                              									Kapokfrucht mit dem feinen seidigen Haar, das die Samen umgibt, in den verschiedenen
                              									Stadien bis zum fertigen Polstermaterial ausgestellt. Bekanntlich trägt gepreßter
                              									Kapok bei Schwimm- und Rettungsgürteln das 36- bis 37-fache des eigenen
                              									Gewichts.
                           Den Beschluß macht die Tabakeinfuhr durch Ballen entsprechender Größe dargestellt und
                              									verschiedene Einfuhrartikel Ostindiens nebst Bildern der früheren ostindischen
                              									Kompagnie aus dem Gemeindearchiv. Hiermit sind wir wieder an dem Reliefmodell des
                              									Petroleumhafens, über dem die Wappen der Hauptproduktionsländer des Petroleums
                              									hängen, und somit zum Eingang zurückgelangt.
                           Die ganze Mitte des Raumes nimmt die Ausstellung des öffentlichen Gesundheitsdienstes
                              									ein. Hier findet der Mediziner reiches Material. Eine Abteilung ist der Vertilgung
                              									der Schiffsratten als den Uebertragern der Pest gewidmet; eine weitere zeigt an
                              									Modellen, Bildern usw. die Bedeutung von Bilge- und Ballastwasser für die Hygiene an
                              									Bord. Unwillkürlich steigen dem Fremden dabei die mephitischen Dünste der
                              									Amsterdamer Grachten in der Julihitze in der Erinnerung auf, und er segnet im
                              									Stillen all die Vorsichtsmaßregeln des öffentlichen Gesundheitsdienstes.
                           In der letzten Abteilung sind die verschiedenen Lebensmittel, ihre Verfälschung und
                              									die Mittel, die Verfälschungen als solche zu erkennen, ausgestellt.
                           Fassen wir den Eindruck kurz zusammen, so zeigt uns der Pavillon der Stadt Amsterdam
                              									das Bild einer mächtigen Handelsstadt, die in wirtschaftlich günstigen Verhältnissen
                              									und im Hinblick auf eine stolze kaufmännische Vergangenheit kein Mittel der modernen
                              									Wirtschaftspolitik verabsäumt, um den Verkehr zu heben, die Industrie zu fördern,
                              									dem Handel zu dienen und neue Beziehungen anzuknüpfen. Sie kann unseren rheinischen
                              									Handelsstädten, von denen so manche stolzere Ueberlieferungen aus der Zeit der
                              									deutschen Hanse aufweist, in vielem als Vorbild dienen.
                           
                        
                           B. Die historische
                                 									Abteilung.
                           Es war ein glücklicher Gedanke auf der Schiffahrtsausstellung, die sonst nur das
                              									Neueste auf dem Gebiete der Schiffahrt, des Seewesens und des Schiffbaues zeigen
                              									soll, auch der Vergangenheit zu gedenken. Die historische Abteilung gibt nun nicht
                              									etwa eine chronologisch geordnete Darstellung der Fahrzeuge von den Zeiten der Bataver bis zu den
                              									modernen Riesendampfern der Holland-Amerika-Linie. Sie stellt nur einen Abschnitt
                              									von der Mitte des 16. bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts dar.
                           Den überwiegenden Teil bilden Darstellungen aus Hollands großer Zeit. An den Wänden
                              									und auf den Tischen die Bilder von de Ruyter, van Tromp,
                                 										Cornelis Evertsen, Johann de Liefde, Egbert Meeuwsz. Kortenaer und wie alle
                              									die holländischen Seehelden heißen, dann die Gemälde der Seeschlachten; das ist
                              									keine Ausstellung, das ist Hollands Ruhmeshalle. Dieser Eindruck überkommt zuerst
                              									den Besucher.
                           Und doch wieder, trotz der wuchtigen Größe in den farbenreichen Gemälden, in den zum
                              									Teil wunderbar gearbeiteten Schiffsmodellen eine so eigenartige Zusammenstellung,
                              									daß man glauben könnte, man sei in einer Kunstausstellung, wo an Gemälden und
                              									Holzbildwerken das beste einer großen Zeitepoche mit feinem Verständnis
                              									zusammengetragen sei.
                           Aber auch der Technik ist hier ihr Recht geworden. „Meetkundige
                                 										voorstellingen“, wie die alten technischen Werke über Schiffbau sich
                              									benennen, mit zum Teil wunderbar ausgeführten Zeichnungen finden wir in großer Zahl;
                              									dahinter an der Längswand seltene Karten und Atlanten zum Teil von hohem
                              									Altertumswert.
                           Geschichte, Kunst und Wissenschaft hat hier in der historischen Abteilung eine
                              									glückliche Hand zu einem harmonischen Ganzen vereint.
                           Es trifft sich glücklich, daß Hollands große Zeit auch große Maler gefunden hat, die
                              									Taten der Nachwelt zu überliefern. Da sind vor allem Werke Willem van de Veldes des Jüngeren, des Raffaels
                              									der Seemalerei (1633 bis 1707) Kriegsrat am 24. Mai 1665 vor Texel an Bord der
                              										„Eendracht“. Ein Bild voll Leben und Beweglichkeit und prächtiger
                              									Komposition. Von seinem Vater, Willem van de Velde dem
                              									Aelteren, eine Federzeichnung: Kriegsrat am 10. Juni 1666 an Bord von „de Zeven
                                 										Provincien“ unter Admiral de Ruyter. Dann die
                              									Darstellung des Glanzpunktes holländischer Machtentfaltung zur See, Schellinks Gemälde „De tocht naar Chatham“ 1667.
                              									Die Zerstörung der Docks dieses englischen Kriegshafens durch de Ruyter, nachdem er die englische Flotte in drei Seeschlachten besiegt
                              									hatte.
                           Natürlich fehlen auch Bilder, die Amsterdam bzw. das Y in jener Zeit darstellen,
                              									nicht. Darunter das berühmte Gemälde von W. van de Velde
                              									dem Jüngeren, „Het IJ voor Amsterdam 1686“ aus dem Reichsmuseum mit
                              									wunderbaren Spiegelungen, und Backhuysens gleich
                              									betiteltes Gemälde, das den Meeresarm bei bewegter See darstellt.
                           Von sonstigen Trophäen finden wir in dieser Ruhmeshalle Hollands noch zwei
                              									Gegenstände, die ein Zeugnis von der Verehrung des Volkes für seine Seehelden
                              									ablegen. Das eine ist ein abgenutztes Reepschlägerrad aus altgebräuntem Holz, an dem
                              										Michiel de Ruyter
                              									in Vlissingen in seiner Jugendzeit gearbeitet hat, das andere im Glaskasten
                              									wohlverwahrt, „het klokje“ eine kleine auf kunstvoll gearbeitetem Unterbau
                              									stehende Glocke, die Pieter Pietersz Hayn, oder wie ihn
                              									die Holländer nennen, Piet Hein, bei der Eroberung der
                              									spanischen Silberflotte in der Bay von Matanca 1628 erbeutete und nachher stets auf
                              									seinem Schiff mitführte.
                           Den Hauptteil der Ausstellung bilden die Schiffsmodelle aus der Zeit von der Mitte
                              									des 16. Jahrhunderts bis zum Niedergang des Holzschiffbaues in der Mitte des vorigen
                              									Jahrhunderts. Nicht vom technisch-historischen Standpunkt aus sind die Modelle
                              									ausgewählt, sondern hier hat die Kunst den Ausschlag gegeben. Jedes der
                              									ausgestellten Modelle ist ein Kunstwerk für sich.
                           Namentlich um eines drängt sich die Zahl der Besucher zusammen. Es steht ziemlich in
                              									der Mitte und ist wohl das größte auf der Ausstellung, ein Amsterdamer Orlogschiff
                              									von 1665, ein Modell aus Hollands Heldenzeit. Das Volk drängt sich auf der
                              									Backbordseite des Modells zusammen. Da fällt mein Blick auf das Schild am Boden des
                              									hohen Glaskastens, in welchem das Modell steht, und ich lese: „Ingezonden door S.
                                 										M. den Duitschen Keizer“. Der einzige Deutsche, der einzige nicht
                              									holländische Aussteller in der historischen Abteilung. „Honi soit qui mal y
                                 										pense“ lautet die Inschrift auf dem Wappen am Heck des mit wunderbarer
                              									Genauigkeit gearbeiteten Modells, das in künstlerischer Hinsicht wohl als das
                              									schönste der ausgestellten Modelle zu bezeichnen ist.
                           Ich vermeide grundsätzlich, vorher einen Katalog zu studieren, um das Ausgestellte
                              									unbeeinflußt auf mich einwirken zu lassen. In diesem Falle griff ich aber danach,
                              									denn die großen Firmen Deutschlands hatten sich mit geringen Ausnahmen sämtlich der
                              									Beschickung der Ausstellung enthalten, also mußten hier eigene Gesichtspunkte
                              									gegolten haben. Schon das Vorwort des Vorstandes der Vereinigung „Historische
                                 										Afdeeling van Entos“ klärte mich auf, und man kann die Stimmung des
                              									Holländers auf der Ausstellung nicht treffender wiedergeben als in dem erwähnten
                              									Vorwort: „Eerbiedigen dank brengen wij inzonderheit an Zijne Majesteit den
                                 										Duitschen Keizer. die bij het in bruikleen geven van een hoogst merkwaardig en
                                 										kostbaar scheepsmodel van Nederlandschen, bepaaldelijk van Amsterdamschen
                                 										oorsprong, tegelijk weder heeft getoond, hoezeer hij prijs stelt of sijn
                                 										verwantschap met het Huis van Oranje.“
                           Die Stammverwandtschaft der Herrscherhäuser hat hier ihren offiziellen Ausdruck
                              									gefunden. Die Stammverwandtschaft der Völker nicht. Das fühlt der Holländer auf der
                              									Ausstellung, und der Deutsche sucht vergebens nach einem Ausdruck derselben,
                              									besonders drüben in den Hauptgebäuden, neben denen in einem prächtigen Sonderbau die
                              									British Section steht.
                           Wir wollen hier kein Urteil fällen über die Vorgänge, die zu dem fast völligen Fehlen
                              									Deutschlands auf der Niederländischen Schiffahrtsausstellung geführt haben, aber
                              									über die Folgen können wir nicht stillschweigend hinweggehen, namentlich bei
                              									Besprechung der Ausstellung in den Hauptgebäuden. Welchen Wert die Leiter der
                              									historischen Abteilung auf das von S. M. dem Kaiser ausgestellte Modell legen, geht aus
                              									dem Katalog hervor, der den sämtlichen ausgestellten Modellen im ganzen drei Seiten
                              									Text widmet, davon mehr als die Hälfte dem Modell des Kaisers. Hier erfahren wir,
                              									daß der Kurfürst von Brandenburg mit seinem damals 15 jährigen Neffen, Prinz Wilhelm
                              									von Oranien, und mit anderen Fürsten am 16. Mai 1666 die vor Texel liegende Flotte
                              									besuchte. Dabei ist dem jungen Prinzen ein Schiffsmodell durch die Admiralität
                              									Amsterdams versprochen worden. Dieses, augenscheinlich eine getreue Nachbildung von
                              										de Ruyters Admiralschiff, kam nach dem Tode Wilhelms
                              									von Oranien bei Verteilung der Nachlassenschaft an die Vorfahren des Kaisers. In
                              									Berlin stand das Modell bislang im Hohenzollernmuseum.
                           Doch sehen wir weiter die Reihe der Modelle durch, so finden wir als hervorragend
                              									schöne Exemplare drei von Schiffen der Ostindischen Compagnie aus dem 18.
                              									Jahrhundert stammend. Aus der gleichen Zeit sehen wir reich verzierte Modelle einer
                              									Staatsjacht des bayerischen Kurfürsten Carl Albert und eine Jacht der Kaiserin Maria
                              									Theresia.
                           Von Kauffahrteischiffen aus dem 18. Jahrhundert fällt ein Hökerschiff aus dem
                              									Niederländischen Museum auf, ferner das Modell eines Beurtschips, ähnlich den
                              									heutigen Kuffen, und eines Snauwschiffes, letzteres mit zwei vollgetakelten Masten.
                              									Einen ganz merkwürdigen Eindruck macht das Modell eines „Haringbuis“ aus dem
                              									17. Jahrhundert mit drei Masten, ohne jede Aehnlichkeit mit den heutigen hölzernen
                              									Heringsloggern, während die Modelle von Galjoten und Kuffen wenig von den heute noch
                              									üblichen verschieden sind. Von den besonderen Typen, die sich wieder in die Nord-
                              									und Südholländischen unterscheiden, müssen wir hier des Raumes wegen absehen.
                              									Unter den übrigen Modellen erregt unser Interesse noch das einer alten holländischen
                              									Fregatte aus dem vorigen Jahrhundert „der Batavier“.
                           Interessant und von hohem Wert ist die Ausstellung der Atlanten, Karten und Journale,
                              									nach Zeit und Ländern geordnet. Da finden wir alte Handzeichnungen der Küsten zum
                              									Teil perspektivisch, Karten nach der ptolemäischen Manier, in denen die Gebirge mit
                              									sägeartigen Segmenten dargestellt sind, dann eine ziemlich vollständige Sammlung
                              									Atlanten Mercators, darunter der große von ihm selbst in Kupfer gestochene
                              										„Atlas, sive cosmographicae meditationes de fabrica mundi et fabricate
                                 										figura“, Duisburg 1594. Man staunt über die ausgestellten außerordentlich
                              									vollständigen Karten Afrikas aus dem 17. Jahrhundert. Allerdings scheinen sie nicht
                              									ganz zuverlässig zu sein, finden wir doch auf einer derselben an Stelle der
                              									Hererowüste große Seen angegeben. Auch die Nilquellenfrage war für die Kartographen
                              									des 17. Jahrhunderts auf dem Papier gelöst. Eine Karte von Nieuwe-Nederland in
                              									ptolemäischer Manier und darunter das Bild Nieuwe-Amsterdams aus dem Jahre 1656
                              									stellt uns Staat und Stadt New-York vor mehr als 250 Jahren vor Augen.
                           Geht man aus den großen Sammlungen der Museen und Bibliotheken mit dem Gefühl, daß
                              									dort alles wohlgeordnet jederzeit zur Verfügung des Wißbegierigen bleibt, so
                              									überkommt einen beim Verlassen der historischen Abteilung unwillkürlich ein
                              									Bedauern, daß alle diese Werke, die hier in dieser Vereinigung einen seltenen Schatz
                              									an Wissen darstellen, und gerade in dieser Zusammenstellung so manche noch
                              									unbeantwortete Frage lösen könnten, in kurzer Zeit in alle Winde zerflattern
                              									sollen.
                           
                              
                                 (Fortsetzung folgt.)