| Titel: | Die Erzeugung von Qualitätsstahl auf elektrothermischem Wege. | 
| Autor: | R. Loebe | 
| Fundstelle: | Band 328, Jahrgang 1913, S. 740 | 
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                        Die Erzeugung von Qualitätsstahl auf
                           								elektrothermischem Wege.
                        Von Privatdozent Dr. R. Loebe a. d.
                           									Kgl. Bergakademie Berlin.
                        (Schluß von S. 724 d. Bd.)
                        LOEBE: Die Erzeugung von Qualitätsstahl auf elektrothermischem
                           								Wege.
                        
                     
                        
                           Die Vorzüge der Stahlerzeugung im elektrischen Ofen gegenüber dem Verfahren im
                              									Martinofen und Konverter beruhen nach Vorstehendem einmal darin, daß infolge der
                              									reduzierenden bzw. neutralen Atmosphäre eine hochgradige Desoxydation des Einsatzes
                              									durchgeführt werden kann, im starken Gegensatz zum Martinofen und Konverter, wo eine
                              									Wärmeerzeugung ohne Oxydationswirkungen nicht möglich ist.
                           Dann aber ist auch die Entschwefelung dank der im elektrischen Ofen herstellbaren
                              									hohen Temperaturen bis auf die geringsten Spuren durchführbar, was in anderen
                              									metallurgischen Oefen wegen der dort herrschenden geringeren Hitzen ausgeschlossen
                              									ist.
                           Weiter sahen wir, daß sich im Martinofen infolge der Oxydationswirkungen stets Oxyde
                              									bilden, die dann mit dem Kohlenstoff des Stahls unter Bildung von Kohlenoxyd
                              									reagieren. Daher findet immer ein schwaches „Kochen“ des Bades, d.h. ein
                              									Aufwallen, statt, was naturgemäß einer Abscheidung der suspendierten Teilchen
                              									hinderlich ist. Ganz anders im elektrischen Ofen, wo dank der neutralen bzw.
                              									reduzierenden Atmosphäre das Bad ruhig bleibt und daher den mechanisch beigemengten
                              									Einschlüssen die Möglichkeit gegeben ist, bereits während des Arbeitsganges sich aus
                              									dem Metallbade abzuscheiden.
                           Endlich aber gestattet die elektrische Beheizung wegen des Fehlens einer oxydierenden
                              									Atmosphäre im Gegensatz zu den gewöhnlichen Apparaten der Stahlfabrikation ein
                              									längeres Abstehen der fertigen Charge. Gerade diese Möglichkeit bedeutet einen ganz
                              									besonderen Vorteil der elektrothermischen Behandlung des Stahls, weil hierdurch auch
                              									die letzten Spuren von Verunreinigungen Zeit und Gelegenheit finden, an die
                              									Oberfläche zu steigen. Von Bedeutung ist schließlich auch, daß bei diesem Abstehen
                              									des Stahlbades eine Aenderung in der chemischen Zusammensetzung der Charge nicht
                              									mehr eintritt, während das Bad im Martinofen einer ziemlich schnellen Veränderung
                              									unterworfen ist.
                           Mit einigen Worten sei noch der Vorzüge der Elektrostahlerzeugung gegenüber der des Tiegelstahls gedacht.
                           Im Tiegel kommt Schweißstahl, der stets größere Mengen von Schlackenteilchen enthält,
                              									oder Flußstahl als Einsatz zur Verwendung. In der Einschmelzperiode bilden sich
                              									durch Oxydationswirkungen Eisenoxyde, die beim Einschmelzen eine sehr oxydreiche
                              									Schlacke liefern. Während der Desoxydation verbrennt nun durch Einwirkung des
                              									Schlackensauerstoffs ein Teil des im Stahl enthaltenen Kohlenstoffs und liefert
                              									Kohlenoxyd, dessen Auftreten ein starkes Wallen des Tiegelinhalts zur Folge
                              									hat. Da beim Tiegelschmelzen eine Entfernung von Phosphor und Schwefel nicht möglich
                              									ist, kann zur Tiegelstahlerzeugung nur ein hochwertiges, phosphor- und
                              									schwefelfreies Einsatzmaterial zur Verwendung kommen,
                           Demgegenüber bietet nun die Elektrostahlerzeugung außerordentliche Vorteile.
                              									Dieselben sind einmal wirtschaftlicher Natur, weil im elektrischen Ofen jedes
                              									Material, auch das minderwertigste, Verwendung finden und zu einem hochwertigen
                              									Erzeugnis raffiniert werden kann, das in bezug auf seine Phosphor- und Schwefelarmut
                              									auch das reinste schwedische Holzkohleneisen noch übertrifft.
                           In technischer Beziehung aber hat das Elektrostahlverfahren noch den Vorzug, daß man
                              									den Silizium- und Mangangehalt, vor allem aber den Kohlenstoffgehalt viel besser
                              									treffen kann als beim Tiegelverfahren, und daß man durch Zusätze jeder Art auch
                              									direkt Legierungsstähle herstellen kann. Dazu kommt noch, daß die Tiegel einen sehr
                              									beschränkten Fassungsraum besitzen und das in den einzelnen Tiegeln erzeugte
                              									Material nicht die gleiche chemische Zusammensetzung aufweist, daß infolgedessen
                              									große Gußstücke, die den Inhalt zahlreicher Tiegel erfordern, nicht durchweg
                              									homogenes Material darstellen, während der elektrische Ofen größere Chargen liefeit,
                              									die zum Guß zahlreicher homogener Stücke ausreichen.
                           Die Erkenntnis dieser Vorzüge des Elektrostahlverfahrens gegenüber dem
                              									Tiegelstahlprozeß hat denn auch dahin geführt, daß bereits eine ganze Anzahl von
                              									Tiegelstahlwerken, wie die von Krupp, Böhler und der
                              									Poldihütte u.a., den elektrischen Ofen eingeführt haben.
                           Die Zunahme des Verbrauchs an Elektrostahl gegenüber dem von. Tiegelstahl wird durch
                              									nachstehende Angaben einer österreichischen Statistik veranschaulicht.
                           
                              
                                 Jahr
                                 Tiegelstahl
                                 Elektrostahl
                                 
                              
                                 1907
                                 23215 t
                                 –
                                 
                              
                                 1908
                                 19659 t
                                   4333 t
                                 
                              
                                 1909
                                 16083 t
                                   9048 t
                                 
                              
                                 1910
                                 17586 t
                                 20028 t
                                 
                              
                           In Tab. 3 ist weiter die chemische Zusammensetzung einiger Stähle verzeichnet, welche
                              									den Einfluß der elektrothermischen Raffination insbesondere auf den Gehalt an
                              									Phosphor und Schwefel erkennen läßt und zeigt, daß diese Elemente im elektrischen
                              									Ofen bis auf wenige tausendstel Prozente eliminiert werden können.
                           
                           Tabelle 3.
                           Chemische Zusammensetzung verschiedener Flußeisenerzeugnisse.
                           
                              
                                 Nr.
                                 Erzeugnis
                                 Kohlenstoff
                                 Silizium
                                 Phosphor
                                 Schwefel
                                 Mangan
                                 Mitgeteilt vonbzw. Analytiker
                                 
                              
                                 
                                 
                                    Flußeisen
                                    
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 
                              
                                   1
                                 Siemens-Martin
                                 0,21
                                   0,018
                                   0,021
                                 0,05
                                 0,47
                                 Simmersbach
                                 
                              
                                   2
                                 Thomas
                                 0,20
                                   0,003
                                   0,067
                                   0,150
                                 0,31
                                 do.
                                 
                              
                                   3
                                 Bessemer
                                 0,37
                                 –
                                   0,056
                                   0,090
                                 0,54
                                 Ledebur
                                 
                              
                                 
                                 
                                    Elektroeisen
                                    
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 
                              
                                   4
                                 (Girodofen)
                                 0,28
                                   0,208
                                 
                                      0,010
                                    
                                 
                                      0,014
                                    
                                   0,430
                                 Borchers
                                 
                              
                                 
                                 
                                    Flußstahl
                                    
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 
                              
                                   5
                                 Siemens-Martin
                                 0,62
                                 0,35
                                   0,035
                                   0,032
                                 0,67
                                 Krupp
                                 
                              
                                   6
                                 Thomas
                                 0,48
                                 0,01
                                 0,10
                                 0,05
                                 0,95
                                 Simmersbach
                                 
                              
                                   7
                                 Bessemer
                                 0,63
                                 0,36
                                   0,062
                                   0,029
                                 0,63
                                 Krupp
                                 
                              
                                   8
                                 Tiegelstahl
                                 0,63
                                 0,36
                                   0,049
                                   0,023
                                 0,32
                                 Wedding
                                 
                              
                                 
                                 
                                    Elektrostahl
                                    
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 
                                 
                              
                                   9
                                 (Girodofen)
                                 0,60
                                   0,198
                                 
                                      0,005
                                    
                                 
                                      0,017
                                    
                                   0,302
                                 Borchers
                                 
                              
                                 10
                                 (Heroultofen)
                                 0,96
                                   0,337
                                 
                                      0,004
                                    
                                 
                                      0,017
                                    
                                 0,22
                                 Loebe
                                 
                              
                                 11
                                 (do.)
                                 1,36
                                   0,188
                                 
                                      0,006
                                    
                                 
                                      0,013
                                    
                                 0,26
                                 Loebe
                                 
                              
                                 12
                                 
                                 1,19
                                   0,065
                                 
                                      0,003
                                    
                                 
                                      0,004
                                    
                                   0,110
                                 Guillet
                                 
                              
                           Die Ueberlegenheit des Elektroeisens spiegelt sich auch in seinen
                              									Festigkeitseigenschaften wieder, wie folgender Vergleich lehrt:
                           Tabelle 4.
                           Festigkeitszahlen für Thomas- und Elektroeisen nach Rodenhauser. (Zeitschr. f. angew. Chemie 1911, 2301.)
                           
                              
                                 
                                 Festig-keitkg
                                 Dehnungv. H.
                                 Elastizi-tätsgrenzekg
                                 Kon-traktionv. H.
                                 
                              
                                 Thomaseisen
                                 38–44
                                 22–24
                                 28
                                 50
                                 
                              
                                 Röchlings Elektroeisen
                                 61–65
                                 17–18
                                 41,6–45,4
                                 43,6–52
                                 
                              
                                 Marine-Vorschrift
                                 50–52
                                 16
                                 32
                                 –
                                 
                              
                           Noch anschaulicher aber wird sie durch folgende Angaben gemacht:
                           Tabelle 5.
                           Festigkeitseigenschaften von Stahl nach Engelhardt. (Neumann, Stahl und Eisen
                              									1911.)
                           
                              
                                 Bei einem Auflagerabstand von 1 mW = 19 cm3, Q = 10,3 cm3, G = 8 kg/m
                                 Thomasstahl-schiene
                                 Elektrostahl-schiene
                                 
                              
                                 Zulässige Belastung                          kg
                                 910
                                 1430
                                 
                              
                                 Tragkraft                               kg/qmm
                                 38
                                 45–47
                                 
                              
                                 Bruchkraft                                    „
                                 65
                                 80
                                 
                              
                            
                           
                              
                                 
                                 Träger aus
                                 
                              
                                 Thomas-material
                                 Elektro-material
                                 
                              
                                 Bei gleicher Belastung
                                 N. P. 22W = 278 cm3
                                 N. P. 18W = 161 cm3
                                 
                              
                                 Q                        qcm
                                 39,5
                                 27,9
                                 
                              
                                 G                       kg/m
                                 30,8
                                 21,7
                                 
                              
                                 Tragkraft      kg/qmm
                                 30
                                 45–47
                                 
                              
                                 Bruchkraft          „
                                 40
                                 80
                                 
                              
                           Bei gleicher Belastung verhält sich der Durchmesser von Thomasrundeisen zu
                              									Elektrorundeisen wie 15 : 8. Besonders groß ist die Ueberlegenheit des
                              									Elektrostahls im Widerstand gegen Schlag (etwa 100 v. H.) und bezüglich der Dehnung
                              									(10 bis 15 v. H.).
                           Nach alledem stellt der Elektrostahl ein hochwertiges Produkt dar. Er zeichnet sich
                              									dadurch aus, daß er praktisch frei ist von Schwefel und Phosphor, frei von
                              									Schlackenteilchen und oxydischen Verunreinigungen, und daß er auch frei ist von
                              									Gaseinschlüssen, daher dicht und homogen, und daß er daher höher als die Erzeugnisse
                              									der gewöhnlichen metallurgischen Oefen beansprucht werden kann.
                           Bei der Einführung des Elektrostahlverfahrens ist die deutsche Industrie den anderen
                              									Ländern bahnbrechend vorangegangen. Es sei nur der großen Verdienste der Lindenbergschen Stahlwerke in Remscheid gedacht, die den
                              									ersten Heroultofen in Deutschland errichteten, und der Röchlingschen Stahlwerke, die bei der Durchbildung des Induktionsofens
                              									große Erfolge erzielt haben. Heute wird bereits auf zahlreichen Stahlwerken wie
                              									denen von Krupp, Böhler u.a. Qualitätsstahl im
                              									Elektroofen erzeugt. Die Tab. 6 läßt den großen Aufschwung erkennen, den diese
                              									Industrie allein in den drei Jahren von 1909 bis 1911 in den einzelnen Ländern,
                              									insbesondere aber in Deutschland, genommen hat.
                           Tabelle 6.
                           Elektrostahlerzeugung in t.
                           
                              
                                 
                                 1909
                                 1910
                                 1911
                                 
                              
                                 Deutschland
                                 17,773
                                 36,188
                                 66,654
                                 
                              
                                 Vereinigte Staaten
                                 13,762
                                 52,141
                                 29,105
                                 
                              
                                 Oesterreich
                                   9,048
                                 20,028
                                 22,105
                                 
                              
                                 Frankreich
                                   6,456
                                 11,759
                                 13,850
                                 
                              
                           Die Anwendungsmöglichkeiten des Elektrostahls sind so
                              									vielseitig, daß sie hier nicht einzeln aufgezählt werden können. Bekannt ist seine
                              									Verwendung als
                              									Werkzeugstahl. Weiche Elektroeisensorten bilden einen wertvollen Ersatz für das
                              									schwedische Holzkohleneisen, das wegen seiner Reinheit in großen Mengen jährlich
                              									nach Deutschland eingeführt wird (im Jahre 1905 für 2 Mill. M). Konstruktionen aus
                              									Elektromaterial können wegen der hohen Festigkeitseigenschaften leichter und
                              									gefälliger hergestellt werden als mit anderen Erzeugnissen. Der Elektrostahl eignet
                              									sich für alle Zwecke des Schiffbaues und des Eisenbahnbaues, für die Herstellung von
                              									Kriegsmaterial, im einzelnen ferner zur Herstellung von Sonderstählen, silizierten
                              									Dynamoblechen, Preßluftwerkzeugen, von Draht und nahtlosen Rohren und dergleichen
                              									mehr. Zu erwähnen ist noch, daß er sich gut schweißen und im Einsatz härten läßt,
                              									und daß diese Härtung sehr gleichmäßig und tief erfolgt.
                           Es ist sicher, daß die Bedeutung der elektrothermischen Stahlerzeugung im gleichen
                              									Sinne zunimmt, wie bei der steigenden Entwicklung der modernen Technik die
                              									Anforderungen an die Festigkeitseigenschaften des Stahls wachsen.
                           
                        
                           Literatur.
                           Rodenhauser. Elektrostahl und seine Verwendbarkeit.
                              									Zeitschrift f. angew. Chemie 1911, 2300.
                           Rodenhauser und Schönawa.
                              									Elektrische Oefen in der Eisenindustrie. Leipzig 1911.
                           Héroult. Die jüngste Entwicklung des Elektrostahlofens.
                              									Stahl und Eisen 1913, S. 123.
                           Eichhoff. Ueber die Fortschritte in der
                              									Elektrostahldarstellung. Stahl und Eisen 1907, S. 81.
                           Sommer. Allgemeines über Elektrostahlerzeugung.
                              									Montanistische Rundschau 1912, S. 110, 206.
                           Neumann. Das Arbeitsgebiet des elektrischen Ofens. Stahl
                              									und Eisen 1910, 1074.
                           Amberg. Die Rolle der Schlacke in der
                              									Elektrostahlraffination. Zeitsch. f. Elektrochemie 1912, S. 901.
                           Hutton. Elektrische Oefen in ihrer Anwendung zur Erzeugung
                              									von Eisen und Stahl. Stahl und Eisen 1907, S. 503.
                           Walker. Elektroofen und hochwertiger Stahl. Stahl und
                              									Eisen 1912, S. 1119.
                           Eilander. Elektostahl. Stahl und Eisen 1913, S 585.
                           Thallner. Kongreß Düsseldorf 1910.
                           Howe. Das Abstehenlassen des Elektrostahls. Ref. Neumann.
                              									Stahl und Eisen 1910, S. 474.
                           Geilenkirchen. Ueber Stahlformguß. Gießereizeitung 1913,
                              									S. 437 und 478.