| Titel: | Vermeintliche und wirkliche Ueberspannungswirkungen in Hochspannungsanlagen. | 
| Autor: | Felix Finckh | 
| Fundstelle: | Band 329, Jahrgang 1914, S. 36 | 
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                        Vermeintliche und wirkliche
                           								Ueberspannungswirkungen in Hochspannungsanlagen.
                        Von Felix Finckh,
                           									Halensee.
                        (Schluß von S. 20 d. Bd.)
                        FINCKH: Vermeintliche und wirkliche Ueberspannungswirkungen in
                           								Hochspannungsanlagen
                        
                     
                        
                           Wirkliche
                                 									Ueberspannungen.
                           Um nun auf die wahren Ueberspannungen zu kommen, möchte ich zunächst bezüglich ihrer
                              									Größenordnung erwähnen, daß sie beinahe allgemein überschätzt werden, sofern man
                              									wiederum solche Ueberspannungen außer Betracht läßt, die in unmittelbarster Nähe vom
                              									Blitz getroffener Netzbestandteile, gewissermaßen als Blitzverästelungen, auftreten.
                              									Die Anzeichen weisen darauf hin, daß die influenzierten
                              									Ueberspannungen atmosphärischen Ursprungs höchstens 30
                              									bis 40 KV betragen dürften, aber auch dann nur, wenn sie nicht mittels
                              									Ueberspannungsicherungen in ihrer Größe beschnitten werden.
                           Die betriebsmäßigen an Sammelschienen und Leitungen oder sonstigen induktionsarmen Gebilden
                              									auftretenden Ueberspannungen, wie sie beispielsweise durch Schaltmanipulationen und
                              									oszillatorische Erdschlüsse auf Leitungen bedingt sind, ergeben hingegen in der
                              									Praxis meist nur einen Gesamtanstieg auf etwa die doppelte
                                 										Größe der Amplitude der. Betriebsspannung. Es soll zugegeben werden, daß
                              									unter bestimmten Voraussetzungen und unter der Bedingung des strikten harmonischen
                              									Zusammenwirkens einer ganzen Reihe von Zufälligkeiten und noch außerdem des
                              									Vorhandenseins einer ungedämpften Oszillationsfunkenstrecke eine exakte Abstimmung
                              									und dadurch ein Resonanzzustand entstehen kann, der größere, die Betriebsspannung um
                              									ein mehrfaches übersteigende Ueberspannungen, zur Folge haben könnte. Aus meinen
                              									langjährigen Erfahrungen kenne ich indessen keinen einzigen solchen Fall, der mit
                              									Sicherheit auf solche Ueberspannungen schließen ließe, und die Wahrscheinlichkeit
                              									der Entstehung dieser Fälle ist in der Praxis so außerordentlich gering, daß hiermit
                              									nicht gerechnet zu werden braucht, vor allem nicht, wenn die Sammelschienen und
                              									Leitungen durch zuverlässige Ueberspannungssicherungen geschützt sind.
                           Dagegen will ich ausdrücklich hervorheben, daß innerhalb von Wicklungen, also von Gebilden mit hoher Selbstinduktion, erhebliche
                              									Ueberspannungen möglich sind. Es ist mir in dieser Hinsicht eine ganze Reihe von
                              									Fällen bekannt, in denen in Maschinen- und Transformatorenwicklungen örtliche
                              									Ueberspannungen von sehr beachtenswerter Höhe nachgewiesen werden konnten. Ich habe
                              									auch früher in der ETZ. 1903, S. 198, einen solchen Fall veröffentlicht, den ich
                              									wegen seines engen Zusammenhangs mit diesem Aufsatz erwähnen möchte.
                           Die betreffenden Fälle beruhten alle im Wesen darauf, daß Störungen des
                              									elektrostatischen Gleichgewichts vorlagen, und von Maschinen- oder
                              									Transformatorenwicklungen aus „Kapazitätsströme“ nach Erde flossen, die
                              									durch eine ungedämpfte Oszillationsfunkenstrecke beeinflußt waren, wodurch innerhalb
                              									der Wicklung lokale Schwingungskreise entstanden.
                           Für die Praxis spielen aber auch diese Fälle keine große Rolle, weil sie selten sind
                              									und meistens auf anfänglich bestehende Fehler oder vorangegangene mechanische
                              									Beschädigungen des Apparates zurückzuführen sind, die ohnehin behoben werden müßten.
                              									Außerdem bleiben dabei die Ueberspannungen auf die Wicklungen beschränkt und sind
                              									nach außenhin nicht fühlbar; sie können daher auch mittels Ueberspannungssicherungen
                              									nicht unterdrückt werden.
                           
                        
                           Oszillatorischer Charakter der
                                 										Ueberspannungen, Ueberspannungsempfindlichkeit und Immunität von Maschinen- und
                                 										Transformatoren Wicklungen.
                           Weitaus wichtiger, als die absolute Größe der Ueberspannungen, ist für die
                              									Beurteilung der Ueberspannungsfrage ihr wellensturmartiger
                                 										hochfrequenter Charakter, der beinahe allen Gattungen von Ueberspannungen
                              									innewohnt. Wenn kein Ueberspannungsschutz vorhanden oder dieser ungenügend ist, so
                              									äußert sich diese bösartige Eigenschaft der Ueberspannungen bekanntlich darin, daß
                              									innerhalb von Maschinen- oder Transformatorenwicklungen an beliebig gelegenen
                              									Stellen, vorherrschend aber an dem in der Nähe der Klemmen gelegenen Wicklungsteil,
                              											„Spulenverbrennungen“ auftreten. Sie
                              									entstehen dadurch, daß zwischen einzelnen Lagen der Wicklung, oder auch zwischen
                              									einzelnen aneinander liegenden Windungen, die unter normalen Umständen nur geringe
                              									Spannung gegeneinander haben, plötzlich Spannungssprünge von mehreren Kilovolt
                              									auftreten. Ein Ueberschlag an solchen Stellen ist alsdann die unausbleibliche Folge.
                              									Im günstigen Falle erlischt der hierbei auftretende
                              									Ueberschlagsfunke beim Verschwinden der Ueberspannung wieder, ohne eine merkbare
                              									Beschädigung der Wicklung zu hinterlassen. Im ungünstigen
                                 										Falle aber kommt es zum Kurzschluß der
                              									überschlagenen Lagen oder Windungen. Dies trifft dann ein, wenn der an der
                              									Ueberschlagsstelle auftretende Funke, der einen verhältnismäßig niedrigen Widerstand
                              									besitzt, einen Ausgleich der zwischen den Lagen oder Windungen herrschenden
                              									betriebsmäßigen Spannung herbeigeführt hat. Die betreffenden Windungen sind alsdann
                              									kurzgeschlossen und werden durch den darin induzierten Strom so heiß, daß die Spule
                              									allmählich verbrennt.
                           Fachmännisch ausgedrückt heißt es in diesem zweiten ungünstig verlaufenden Falle: „Der
                                    											Ueberspannungsfunke hat gezündet und dadurch
                                 										Kurzschlußwindungen eingeleitet“. Diese Gefahr
                              									des „Zündens“ und der dadurch bedingten
                              									Kurzschlußwindungen ist nun sehr verschieden groß; bei manchen Wicklungen ist sie so
                              									minimal, daß sie gar nicht in Betracht kommt, bei andern Wicklungen kann sie dagegen
                              									sehr groß sein. Sie hängt in erster Linie von der Größe derjenigen Spannung ab,
                              									welche innerhalb einer Spule zwischen benachbarten Drähten oder Lagen vorhanden ist, und in
                              									zweiter Linie von der Größe des Abstandes der blanken
                              									Oberflächen dieser Drähte, welcher meistens durch die Drahtisolation gegeben ist,
                              									sofern nicht noch besondere isolierende Zwischenlagen zwischen die Drähte gelegt
                              									sind. Je größer also die Spannung zwischen benachbarten Drähten, und je kleiner der
                              									Abstand zwischen ihren metallenen Oberflächen ist, um so größer ist die Gefahr des
                              										„Zündens“ durch Ueberspannungsfunken oder um einen oben benutzten
                              									Ausdruck zu gebrauchen, um so „überspannungsempfindlicher“ ist die Wicklung. Bei Wicklungen mit
                              									großen Kupferquerschnitten übt noch die abkühlende
                                 										Wirkung der Kupfermasse einen günstigen Einfluß
                              									auf die Löschung des Ueberspannungsfunkens aus, ähnlich wei bei Plattenlöschern.
                           Je nach dieser Sachlage kann man unter Berücksichtigung der durch Versuche und die
                              									Erfahrung festgelegten Werte für die Zündgrenzen schon ziemlich sicher im voraus
                              									beurteilen, ob eine Wicklung zu Beschädigungen durch Ueberspannungen besonders
                              									neigt, oder nicht.
                           Ich möchte bei dieser Gelegenheit noch erwähnen, daß vielfach die Ansicht besteht,
                              									daß durch eine verstärkte Isolation der Anfangswindungen die durchbrechende Wirkung
                              									der Ueberspannungswellen verhindert und aus diesem Grunde die Wicklung gegen
                              									Beschädigungen wirkungsvoll geschützt werden könnte. Diese Ansicht ist indessen nur
                              									bedingt richtig. Man kann aus konstruktiven Gründen diese Drahtisolationen nicht
                              									immer derartig verstärken, daß sie von allen in Betracht kommenden Ueberspannungen
                              									nicht durchbrochen werden könnten. Die gute Wirkung der, wenn auch nur mäßig
                              									verstärkten Isolation liegt vielmehr hauptsächlich darin, daß der Abstand zwischen
                              									den Leitern vergrößert ist, wodurch der Widerstand des Ueberspannungsfunkens infolge
                              									seiner größeren Länge erhöht und die Gefahr des Zündens vermindert bzw. aufgehoben
                              									ist.
                           Bei den Wicklungen der neueren Zeit tritt nun die Ueberspannungsfrage aus weiter
                              									unten angegebenen Gründen stärker in den Vordergrund, als in früheren Zeiten. In der
                              									ersten Zeit der Hochspannungsanlagen waren beispielsweise die Transformatoren gegen
                              									Ueberspannungen gewissermaßen immun, und zwar einfach aus dem Grunde, weil bei ihnen
                              									die geschilderten Verhältnisse, welche die Ueberspannungsempfindlichkeit
                              									charakterisieren, überaus günstig lagen. Sowohl die
                              									Windungsspannungen an sich, als auch die höchst vorhandenen Spannungen zwischen den
                              									einzelnen Lagen der Wicklung (Lagenspannungen) waren damals so klein, daß die
                              									Entstehung von Kurzschlußwindungen durch Ueberspannungsfunken so gut wie
                              									ausgeschlossen war. Diese Funken traten damals in den Wicklungen naturgemäß genau so
                              									auf wie heutigentags, sie erloschen aber wieder, ohne gezündet zu haben.
                           Dies ist einer der Hauptgründe, weshalb man früher trotz des
                                 										Fehlens jeglicher Ueberspannungssicherungen nicht belästigt wurde.
                           Die Ueberspannungen traten erst von dem Zeitpunkt ab in fühlbare Erscheinung, als man begann, mit den wachsenden
                              									Betriebsspannungen an Stelle von Primärtransformatoren unmittelbar „Hochspannungsmaschinen“ anzuwenden. Die
                              									Wicklungen dieser Maschinen waren damals in bezug auf die erwähnten
                              									charakteristischen Punkte, durch die der Grad der Ueberspannungsempfindlichkeit
                              									bedingt ist, im Gegensatz zu den damaligen Transformatorenwicklungen ungünstiger
                              									daran. Bei der Disposition ihrer Wicklungen wurden damals häufig die Richtlinien zur
                              									Herabsetzung der Ueberspannungsempfindlichkeit infolge Unterschätzung ihrer
                              									Wichtigkeit nicht genügend berücksichtigt, obgleich das Durchbrechen der Windungen durch Wellenvorgänge
                              									und die Gesichtspunkte zur Beurteilung der Ueberspannungsempfindlichkeit damals
                              									bereits bekannt waren. Ich selbst habe innerhalb des Konzerns, dem ich angehörte,
                              									schon im Jahre 1902 nach Erkennung dieser Sachlage auf ihre große Bedeutung
                              									wiederholt hingewiesen.
                           Am 28. V. 1902 schrieb ich u.a. auf Grund der Untersuchung von
                              									Maschinenbeschädigungen in einer elsässischen Ueberlandzentrale an die interessierte
                              									Stelle im Auszuge: „Die Wellen, welche durch eine im Netz
                                    											bestehende oszillatorische Ladungsfunkenstrecke bedingt waren, durchbohrten
                                    											innerhalb der Maschinenspulen die Isolationen aneinander liegender Lagen und
                                    											führten einen Ausgleich der zwischen ihnen herrschenden Spannung herbei,
                                    											wodurch die Spulen verbrannten. Ich empfehle zur Herabsetzung dieser Gefahr
                                    											durch Aenderung der Wicklungsanordnung die Spannung zwischen sich
                                    											berührenden Lagen kleiner zu halten, und dadurch die Maschinen
                                    											unempfindlicher, zu machen.“
                           Die Folge dieser vorhin erwähnten Unterschätzung der Ueberspannungen war, daß man von
                              									dem wiederholten Auftreten von Spulenverbrennungen in unerwartetem Maße überrascht
                              									wurde, und es stellte sich von diesem scharf begrenztem Zeitpunkt ab plötzlich das
                              									Bestreben ein, gegen die Ueberspannungen, deren unangenehme Nebenwirkung man bis
                              									dahin nur vereinzelt kannte, mittels geeignet erscheinender Schutzvorrichtungen
                              									anzukämpfen.
                           Dies gelang trotz der ziemlich erheblichen Ueberspannungsempfindlichkeit der
                              									damaligen Maschinen schon bei den ersten Bemühungen überraschend gut, indem die
                              									Spulenverbrennungen sofort und dauernd aufhörten, ohne daß an den Wicklungen selbst etwas geändert
                              									wurde.
                           Dieser offensichtliche Erfolg ist auch teilweise der
                              									Grund, weshalb viele elektrotechnische Firmen an dem damals verwendeten und
                              									inzwischen vervollkommneten Schutzsystem heute noch vorherrschend festhalten, und
                              									andere noch nicht genügend erprobte Systeme mißtrauisch betrachten.
                           Eine Herabsetzung der kritischen für die Ueberspannungsempfindlichkeit maßgebenden
                              									Spannungen innerhalb von Hochspannungswicklungen läßt sich bis zu einem gewissen
                              									Grade durch geeignete Wicklungsanordnungen (Querwicklung, Spiralwicklung usw.) und
                              									durch möglichst weitgehende Spulenunterteilung erreichen. Trotz dieser bekannten
                              									Maßnahmen und trotz der Anordnung möglichst großer Isolationsabstände zwischen den
                              									Drähten an den kritischen Stellen der Wicklungen läßt es sich indessen bei vielen
                              									neuzeitlichen Typen von Hochspannungsmaschinen und Transformatoren nicht immer
                              									ermöglichen, daß die Wicklung unter allen Umständen gegen die Einwirkung von
                              									Ueberspannungen immun wird, wie es aus geschildertem Grunde einst bei den alten
                              									Transformatoren der Fall war. Man muß vielmehr, zuweilen aus wirtschaftlichen
                              									Gründen, einen mäßigen Grad von Ueberspannungsempfindlichkeit in Kauf nehmen,
                              									weshalb es heutigentags unerläßlich ist, etwaigen Beschädigungen durch
                              									Ueberspannungen mittels geeigneter Schalt- und Ueberspannungsschutzapparate
                              									vorzubeugen und die Betriebsführung sinngemäß zu regeln.
                           Diese Sachlage ist im Entwicklungsgang der Elektrotechnik
                                 										begründet. Einesteils sind die Einheiten von Transformatoren und Maschinen
                              									in bezug auf ihre nominelle Leistung in ungeahnter Weise gestiegen und andernteils
                              									ist es durch die Einführung der legierten Bleche ermöglicht worden, die
                              									Kraftliniendichte ohne zu große Verluste im Eisenkörper nahezu auf das Vierfache zu
                              									steigern und dadurch zugleich in Gemeinschaft mit besseren Wärmeabführungsmethoden,
                              									die Ausnutzung des Materials, gegenüber früher, zu vervielfachen. Dies bedingt aber
                              										höhere Windungs- und Lagenspannungen.
                           Während beispielsweise in der ersten Zeit der Hochspannungsanlagen ein Transformator
                              									für eine nominelle Leistung von 300 KVA schon als groß galt, ist heute ein solcher
                              									für 20000 KVA keine Seltenheit mehr. Den Unterschied in den die Ueberspannungsfrage
                              									berührenden Eigenschaften ersieht man daraus, daß der erstere Transformator einst
                              									mit einer Windungsspannung von vielleicht 3 V arbeitete, während es sich beim Bau
                              									des letzteren Transformators schwerlich ermöglichen ließe, die Spannung jeder
                              									Windung kleiner als 100 V zu halten.
                           Dasselbe gilt auch von großen Turbomaschinen, deren Windungsspannungen ebenfalls
                              									nicht selten 150 V und darüber hinaus betragen, ohne daß daran etwas geändert werden
                              									könnte.
                           Wie die Erfahrung gezeigt hat, ist jedoch mit solchen Apparaten trotz ihrer relativ
                              									hohen Windungsspannungen ein vollkommen sicherer Betrieb möglich, wenn für geeignete
                              									und zweckentsprechend angeordnete Schutzvorrichtungen Sorge getragen wird.
                              									Freilich ist dabei vorausgesetzt, daß die Ueberspannungsempfindlichkeit eine
                              									bestimmte zulässige Höhe nicht überschreitet, denn sonst helfen unter Umständen die
                              									besten Ueberspannungssicherungen nichts.
                           Den treffendsten Beweis hierfür geben diejenigen Anlagen, welche mit den höchsten heute angewandten Betriebsspannungen arbeiten,
                              									und welche schon seit Jahren ohne jegliche Störungen durch Ueberspannungen im
                              									Betriebe sind, sofern bei ihnen die Anordnung des Ueberspannungsschutzes sinngemäß
                              									getroffen und der Betrieb fachmännisch geführt wurde.
                           Gerade diese Anlagen mit sehr hohen Betriebsspannungen
                              									sind zu einer kritischen Betrachtung aller Ueberspannungsfragen und
                              									Ueberspannungsschutzfragen ganz besonders geeignet und am maßgebendsten, weil bei
                              									ihnen Ueberspannungswirkungen eine weitaus größere Rolle spielen, als bei Anlagen
                              									mit niedrigeren Betriebsspannungen. Es steht dies zwar in schroffem Gegensatz zu
                              									einer vielverbreiteten Meinung, daß die Anlagen mit sehr hohen Betriebsspannungen
                              									sich gewissermaßen selbst schützen und daher überhaupt
                              									keinen Ueberspannungsschutz nötig hätten. Diese Ansicht wäre indessen höchstens dann
                              									richtig, wenn es sich nur um Ueberschläge an Isolatoren
                              									oder Isolationsoberflächen infolge von influenzierten atmosphärischen Vorgängen
                              									handeln würde. In diesem Falle könnte vielleicht mit Recht angenommen werden, daß
                              									die Höhe dieser verhältnismäßig niedrigen atmosphärischen Ueberspannungen im
                              									Vergleich zu der Höhe der Betriebsspannung nicht wesentlich in Betracht kommt.
                           Anders liegen aber die Verhältnisse, wenn man die Gefahr der Entstehung von „Kurzschlußwindungen“ ins Auge faßt. Es ist klar,
                              									daß in dieser Beziehung die Sachlage um so ungünstiger wird, je höher die
                              									Betriebsspannung ist. Die Windungs- und Lagenspannungen in Transformatoren sind bei
                              									hohen Betriebsspannungen zwar nicht größer als bei kleineren Betriebsspannungen, es
                              									kommt aber als ungünstiges Moment hinzu, daß bei hohen Betriebsspannungen die Energie der betriebsmäßigen Ueberspannungen,
                              									beispielsweise bei oszillatorischen Erdschlüssen, mit der Höhe der Betriebsspannung
                              									wächst, weil sie von dem Produkt aus Betriebsspannung und Netzausdehnung abhängt,
                              									und die Höhe der Betriebsspannung in der Regel nach der Netzausdehnung gewählt
                              									wird.
                           
                        
                           Indirekte Beeinflussung von
                                 										Transformatorenwicklungen und Herauftransformierung von
                                 									Ueberspannungen.
                           Ich möchte nun noch zwei Möglichkeiten von Transformatorenbeschädigungen durch
                              									Ueberspannungen erwähnen. Es sind solche, bei denen weniger die Oberspannungsseiten,
                              									als die Unterspannungsseiten von atmosphärischen Stößen
                              									getroffen und auf indirekte Weise Beschädigungen der
                              									Wicklungen herbeigeführt werden.
                           
                           Diese Fälle beschränken sich auf solche Transformatoren, deren
                              									Unterspannungsseiten auf oberirdisch verlegte und in der Regel mit geerdetem
                              									Neutralleiter ausgebildete Ortsnetze arbeiten. Die Erfahrung hat gezeigt, daß die
                              									oberirdischen Ortsnetze, auch wenn sie noch so geringe Ausdehnung besitzen, bei
                              									Gewittern sehr häufig von influenzierten atmosphärischen Stößen getroffen werden,
                              									was u.a. aus den allbekannten unliebsamen Beschädigungen von Zählern, Glühlampen und
                              									Installationssicherungen, ferner aus dem Ansprechen der Blitzableiter, in den
                              									betreffenden Ortsinstallationen zur Genüge hervorgeht.
                           Die eine Beschädigungsmöglichkeit ist nun dadurch gegeben, daß häufig unmittelbar an
                              									die Unterspannungssammelschienen der Ortstransformatoren „Blitzableiter“
                              									angeschlossen sind, denen unvorsichtigerweise keine
                                 										Dämpfungswiderstände vorgeschaltet sind. Ein atmosphärischer Stoß des
                              									Ortsnetzes bringt alsdann diese Blitzableiter zum Ansprechen und führt dadurch einen
                              									zwar kurz andauernden aber kräftigen Kurzschluß des betreffenden Transformators
                              									herbei, dessen Kurzschlußstromstärke, sofern es sich um neuzeitliche und demgemäß
                              									auf möglichst kleinen Spannungsabfall hinzielende Bauart
                              									handelt, so groß werden kann, daß die Wicklung in vielen Fällen deformiert wird und
                              									auf mechanische Weise „Kurzschlußwindungen“ erhält. Diese Art von
                              									Beschädigungen konnte in vielen Fällen einwandfrei festgestellt werden.
                           Die andere Möglichkeit von Transformatorenbeschädigungen bezieht sich darauf, daß die
                              									erwähnten atmosphärischen Stöße der Ortsnetze in den Ortstransformatoren auf die Oberspannungsseiten transformiert werden. Ich konnte dies
                              									bei mehreren hochgelegenen und atmosphärisch besonders exponierten Ortsnetzen des
                              									Schwarzwaldes und der Vogesen mittels besonderer Versuchsanordnungen einwandfrei
                              									nachweisen. Die atmospärischen Stöße der Ortsnetze spiegeln sich in
                              									hochtransformierter Form im Innern der Oberspannungswicklungen der
                              									Ortstransformatoren wieder und können diese beschädigen, wobei anzunehmen ist, daß
                              									die Anfangsspulen der Unterspannungswicklung und die mit diesen magnetisch am
                              									nächsten verketteten Spulen der Oberspannungswicklung in erster Linie diesem
                              									Vorgange ausgesetzt sind. Diese Oberspannungsspulen sind in der Regel ebenfalls
                              									Anfangsspulen, weshalb es im Falle von Beschädigungen solcher Anfangsspulen bei
                              									Gewittern nicht ohne weiteres festzustellen ist, von
                              									welcher Transformatorseite aus hauptsächlich die Beschädigung verursacht wurde.
                           Man könnte einwenden, daß bei Anwendung von Niederspannungsblitzableitern in den
                              									Transformatorenstationen derartige atmosphärische Stöße für die Transformatoren
                              									unschädlich gemacht werden. Bei den bisher üblichen Konstruktionen dieser
                              									Blitzableiter ist dies indessen nicht erreichbar, da ihre Wirkungsweise fast
                              									durchweg auf dem Prinzip des Ueberschlages von Luftstrecken beruht, und die hierfür
                              									in Betracht kommende Ueberschlagsspannung trotz sehr enger Einstellung der
                              									Luftstrecke immer noch eine Größe besitzt, die die normale Betriebsspannung um
                              									mindestens das Zehnfache übersteigt.
                           Diese Fragen sind indessen noch nicht in ihrem vollen Umfange aufgeklärt, auch nicht
                              									wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, daß durch solche Herauftransformierungen von
                              									Ueberspannungen Beschädigungen eintreten. Es sei indessen bemerkt, daß es sich,
                              									allen Anzeichen nach zu schließen, der hohen elektrischen Eigenschwingungszahl der
                              									Ortsnetze entsprechend, um sehr rasch verlaufende Vorgänge handelt, die sich
                              									wahrscheinlich mittels Niederspannungskondensatoren, oder noch einfacher und
                              									billiger, durch Vorschaltung kleiner Drosselspulen vor die Niederspannungsklemmen
                              									der Transformatoren unschädlich machen lassen.
                           Ich möchte noch beiläufig hinzufügen, daß gefährliche Herauftransformierungen
                              									atmosphärischer wie betriebsmäßiger Ueberspannungen auch in Spannungsreglern (Zusatztransformatoren) stattfinden, sofern ihre
                              									Wicklungen metallisch zusammenhängend und ohne Zwischentransformatoren direkt am Hochspannungsnetz liegen. Den Nachweis habe ich
                              									bei einer württembergischen Kraftübertragungsanlage erbracht, und auch daran
                              									anschließende Laboratoriumsversuche deckten sich vollkommen mit den dortigen
                              									Erscheinungen. Bis zur Erstellung eines nach besonderen Gesichtspunkten angeordneten
                              									Ueberspannungsschutzes war seiner Zeit ein regulärer Betrieb mit diesen
                              									Zusatztransformatoren nicht möglich, während sie seither
                              									bereits zwei Jahre lang ohne jegliche Störungen im Betriebe sind.
                           
                        
                           Zusammenfassung.
                           Es wird darauf hingewiesen, daß es bei überspannungsverdächtigen Vorkommnissen in
                              									bestehenden Hochspannungsanlagen nicht immer ohne weiteres möglich ist.
                              										„Ueberspannungen“ von andern Erscheinungen zu unterscheiden. Nur
                              									fachmännisch vorgenommene Untersuchungen können einwandfreie Aufschlüsse darüber
                              									geben, ob es sich wirklich um Ueberspannungen handelt oder nur um
                              									überspannungsähnliche Erscheinungen.
                           Besonders dem Auftreten von Kurzschlußwindungen bei Maschinen- und
                              									Transformatorenwicklungen können sehr verschiedene Ursachen zugrunde liegen. Bevor
                              									Schritte zur Vorbeugung von Wiederholungsfällen unternommen werden, muß völlige
                              									Klarheit über die wirkliche Ursache der Vorfälle herrschen.
                           Bei der Behandlung dieser Fälle ist es unbedingt nötig, die Eigentümlichkeiten der
                              									Konstruktionen, insbesondere den Empfindlichkeitsgrad der Wicklungen, genau zu
                              									kennen, um danach alle weiteren Vorkehrungen treffen und die Ausgiebigkeit der
                              									anzuwendenden Schutzmaßregeln bestimmen zu können. Dasselbe gilt auch für die
                              									Projektierung der Schutzvorrichtungen für Neuanlagen.
                           Diese Einzelheiten der Konstruktionen sind naturgemäß nur den liefernden und
                              									projektierenden Elektrizitätsfirmen bekannt, aus welchem Grunde es im Interesse der
                              									Besitzer und Besteller von Hochspannungsanlagen liegt, daß auf diesem sehr
                              									schwierigen Gebiete den Elektrizitätsfirmen möglichst freie Hand gelassen wird,
                              									zumal da sie ja auch in der Regel für das gute Funktionieren der von ihnen
                              									erstellten Anlagen aufkommen müssen, und da sie andernfalls wahrscheinlich einen
                              									großen Teil ihrer Verantwortung ablehnen würden.