| Titel: | Das Lokomobilkraftwerk Wiborg in Finnland. | 
| Fundstelle: | Band 329, Jahrgang 1914, S. 83 | 
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                        Das Lokomobilkraftwerk Wiborg in
                              									Finnland.
                        Das Lokomobilkraftwerk Wiborg in Finnland.
                        
                     
                        
                           Die Anwendung des überhitzten Dampfes für Lokomobilen, der R. Wolf in Magdeburg-Buckau als Erster seit dem Jahre 1895
                              									eingehende Versuche widmete, hat die Möglichkeit geschaffen, die Leistungen der
                              									Industrielokomobile bis zur unteren wirtschaftlich vorteilhaften Leistungsgrenze der
                              									Dampfturbinen zu steigern. Die heute von deutschen Firmen gelieferten
                              									Großlokomobilen stellen beachtenswerte Erzeugnisse des Dampfmaschinen- und
                              									Kesselbaues dar. Besonders auch in Elektrizitätswerken und Fabrikzentralen haben
                              									diese Maschinen infolge ihrer hohen Wirtschaftlichkeit und der Möglichkeit, ohne
                              									Beeinträchtigung der Oekonomie des Gesamtbetriebes die Unterteilung des
                              									Kraftbedarfes so vorzunehmen, daß den wechselnden Belastungsverhältnissen der
                              									verschiedenen Tagesund Jahreszeiten in günstigster Weise Rechnung getragen werden
                              									kann, großen Eingang gefunden.
                           Die größte bisher für elektrische Kraft- und Lichtversorgung gelieferte
                              									Lokomobilanlage ist diejenige des von der Allgemeinen Straßen-
                                 										und Eisenbahngesellschaft, Berlin, erbauten Elektrizitäts- und Straßenbahnkraftwerkes in Wiborg (Finnland). Die Anlage
                              									besteht aus drei in Leistung und Bauart völlig gleichen je 500 bis 650
                              									pferdigen Heißdampf-Verbundlokomobilen der Maschinenfabrik R. Wolf in Magdeburg-Buckau mit direkt gekuppelten
                              									Drehstromgeneratoren der Allgemeinen
                                 										Elektrizitäts-Gesellschaft. Das Maschinenhaus war von vornherein so auf
                              									Vergrößerung angelegt, daß dem zuerst aufgestellten Aggregat rasch das zweite und
                              									dritte folgen konnten, so daß heute nach Aufstellung des letzteren das Kraftwerk zu
                              									einem gewissen Abschluß gekommen ist.
                           Der elektrische Teil der Anlage besteht aus 3 A. E. G. Drehstromgeneratoren: 380 KW,
                              									cos φ = 0,8, 3000 Volt, 50 Perioden, 170 Umdrehungen in
                              									der Minute. Jeder Generator ist mit der Welle der ihn antreibenden
                              									Heißdampflokomobile direkt gekuppelt; die Kupplung selbst ist eine flexible
                              									Bandkupplung (System Zodel-Voith), die gegenüber einer
                              									gänzlich starren Kupplung den Vorteil hat, bei Parallelschaltung mehrerer
                              									Maschinensätze gefährliche Stöße im zugeschalteten Generator zu vermeiden und
                              									Pendelungen zu dämpfen.
                           Als Antriebsmaschinen dienen, wie bereits erwähnt, Wolfsche Heißdampf-Verbundlokomobilen mit Kondensation Der Dampf wird in
                              									ausziehbaren Röhrenkesseln mit Spiralüberhitzern erzeugt Zur Reinigung der
                              									Siederohre und Ueberhitzerschlangen ist in jedem Kessel eine selbsttätige
                              									Dampfausblasevorrichtung angeordnet. Die Verbundmaschine ist auf dem Kessel selbst
                              									montiert, wodurch eine stets gleiche Lage aller Maschinenteile zueinander verbürgt
                              									ist. Die Dampfverteilung jedes der beiden Zylinder wird von nur einem einfachen
                              									Kolbenschieber mit schmalen federnden Dichtungsringen der bekannten Wolfschen Bauart bewirkt, die Regulierung erfolgt durch
                              									einen mit dem Exenter des Hochdruckkolbenschiebers verbundenen Achsenregulator.
                              									Jedes Aggregat ist für die Parallelschaltung mit einer Vorrichtung versehen, die
                              									mittels Handrades verstellbar ist, und durch welche man eine Erhöhung oder
                              									Erniedrigung der normalen Umdrehungszahl durch Festhalten des Achsenregulators in
                              									gewissen Grenzen erzielen kann.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 329, S. 84
                              Abb. 1 bis 3. Elektrizitätswerk
                                 										Wiborg, Schnitt und Grundriß des Maschinenhauses. Drei Wolfsche
                                 										Heißdampf-Verbundlokomobilen mit Kondensation, 1950 PS Gesamtleistung, direkt
                                 										mit den Generatoren gekuppelt; Rohrleitungen; a= Kühlwasserzuleitung, b =
                                 										Kühlwasserableitung; c = Vakuumleitung, d = Kesselablaßleitung; e =
                                 										Speisewassersaugleitung, f = Oberflächenkondensator, g = Kühlwasserpumpe, h =
                                 										Dampfentöler; i = Wasserentöler.
                              
                           Die Gesamtanlage weist eine Reihe von Anordnungen auf, die durch ihre Neuartigkeit
                              									und Zweckdienlichkeit besonders bemerkenswert sind. Der Raum vor den Kesseln ist
                              									durch eine massive Wand getrennt (Abb. 1, 3), die in gleicher
                              									Front mit den Kesselstirnseiten gezogen ist (in Abb. 1 nicht
                              									angegeben), und erhält somit den Charakter eines geschlossenen Kesselhauses (Abb. 4). Aus dieser Wand sind in Höhe der
                              									Kesseloberkanten breite Bogenfenster ausgespart, die zusammen mit einer
                              									darüberliegenden Reihe kleinerer Fenster reichlich Licht in das Maschinenhaus
                              									einlassen.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 329, S. 85
                              Abb. 4. Elektrizitätswerk Wiborg, Raum vor den Kesseln. Drei Wolfsche
                                 										Heißdampf-Verbundlokomobilen, zus. 1950 PS leistend
                              
                           Jeder Lokomobilkessel hat eine selbsttätige Rostbeschickung. Die angefahrenen Kohlen
                              									werden durch trichterförmige Oeffnungen in Lagerräume unter dem Maschinenhausboden
                              									geschüttet und von dort durch elektrisch betriebene Aufzüge etwa 5 m hoch
                              									Transportschnecken zugebracht, die sie nach Schurren über den Trichtern der Feuerung
                              									befördern. Zur Beschickung der Roste dienen Wurffeuerungen, die von den
                              									Lokomobilwellen aus angetrieben werden. In gleicher Höhe mit der Kesseloberkante und
                              									den Kurbelwellenlagern ist eine durch das ganze Maschinenhaus führende,
                              									freitragende, mit Täfelung versehene Decke gelegt (Abb. 2, 3 und 5), die Kessel und Maschinen räumlich trennt und die
                              									freie Zugänglichkeit der Maschinen in bester Weise ermöglicht. Unterbrochen wird
                              									diese Decke in der unmittelbaren Umgebung der Maschinen durch gußeiserne
                              									Abdeckplatten, die leicht abnehmbar sind und die ganze Lokomobile ringsherum
                              									bequem zu den regelmäßigen Reinigungen und Revisionen zugänglich machen, ferner
                              									durch Einsteigöffnungen mit Treppen bzw. Leitern zum unteren Raum. Dieser bietet
                              									durch seine Geräumigkeiten freien Zugang zu den Kesseln und sämtlichen
                              									Rohrleitungen. Trotz dieser Trennung der Maschinen- und Kesselräume ist der
                              									Charakter der Lokomobilbauart, der innige Zusammenbau von Kessel und Maschine und
                              									der hierin begründete Vorzug der Vermeidung aller Wärmeverluste zum Vorteil höchster
                              									Wirtschaftlichkeit des Betriebes in vollem Umfange gewahrt.
                           Einen Teil des Raumes unter der Decke des Maschinenhauses nimmt die
                              									Kondensationsanlage ein. Diese zeigt gegenüber den normalen Ausführungen die
                              									Neuerung, daß nicht jede Lokomobile mit einer eigenen Einspritzkondensation versehen
                              									ist, sondern daß gemeinsam für die drei Maschinensätze eine von der Maschinenbau-A.-G. Balcke in Bochum ausgeführte
                              									Zentralkondensation angeordnet ist. Die wichtigsten Teile sind in Abb. 2 und 3 mit Buchstaben
                              									bezeichnet.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 329, S. 85
                              Abb. 5. Elektrizitätswerk Wiborg, Maschinenraum. Drei Wolfsche
                                 										Heißdampf-Verbundlokomobilen mit Kondensation, 1950 PS leistend, direkt mit den
                                 										Generatoren gekuppelt
                              
                           Der Abdampf strömt durch die Rohrleitung c, die als
                              									Sammelleitung für die drei Lokomobilen ausgebildet ist, durch den Dampfentöler h nach dem Obenflächenkondensator f. Das stark ölhaltige erste Kondensat aus dem
                              									Dampfentöler wird durch eine kleine Zentrifugalpumpe, die direkt mit einem
                              									Drehstrommotor gekuppelt ist, abgesaugt. Auf dem anderen Wellenende dieses Motors
                              									sitzt eine zweite kleine Zentrifugalpumpe, die das Hauptkondensat vom
                              									Oberflächenkondensator f zum Speisewasserbassin
                              									befördert. Das Kühlwasser wird dem Kondensator von der Kühlwasserpumpe g durch die Rohrleitung a
                              									zugeführt. Der die Kühlwasserpumpe treibende, direkt gekuppelte Motor betätigt auf
                              									seiner anderen Seite eine zweite Kreiselpumpe, die Luftpumpe zur Erzeugung des Vakuums im
                              									Kondensator. Das Kühlwasser verläßt den Kondensator durch die Leitung b.
                           Die Kesselspeisung erfolgt für jede Lokomobile einzeln durch die von den
                              									Lokomobilwellen mittels Exzenter angetriebenen Speisepumpen. Diese saugen das
                              									Speisewasser vom Bassin aus durch die Wasserentöler i
                              									und die Rohrleitungen e an und drücken es in den
                              									Kessel. Als zweite Speiseeinrichtung besitzt jede Lokomobile einen mit Kesseldampf
                              									zu betätigenden Injektor.
                           Abgelassen werden die Kessel durch die an jedem Kessel einzeln verlegte Ablaßleitung
                              										d.
                           Die der Fensterwand gegenüberliegende Längsseite des Maschinenhauses wird von der
                              									Schalttafel eingenommen. Ein das Maschinenhaus in seiner ganzen Ausdehnung
                              									überstreichender, von Hand zu bedienender Kran ermöglicht die leichte Beförderung
                              									schwerer Maschinenteile.
                           Das Elektrizitätswerk bildet ein bemerkenswertes Beispiel, wie bei einer
                              									Lokomobilanlage dieser Größe bei voller Wahrung der Lokomobilbauart für beste
                              									Bequemlichkeit, Uebersichtlichkeit und Zugänglichkeit gesorgt und mehrere derartige
                              									Aggregate unter Festhaltung der Möglichkeit beliebiger Unterteilung der Kraftabgabe
                              									zu einem äußerst wirtschaftlichen Ganzen zusammengeschlossen werden können.
                           Die Kraftabgabe an das Netz der Stadt Wiborg wird in folgender Weise durchgeführt: In
                              									der Entfernung von einigen Kilometern von der Zentrale befindet sich noch eine
                              									kleine Wasserturbinenanlage, mit der die Lokomobilen parallel arbeiten. Tagsüber
                              									arbeitet im allgemeinen eine Lokomobile mit der Wasserkraft zusammen und hat deren
                              									Schwankungen aufzunehmen. Ihre Belastung variiert zwischen 450 und 600 PS, d.h.
                              									zwischen einer noch in der Grenze wirtschaftlichen Brennstoffverbrauches liegenden
                              									Belastung und der Dauerleistung der Lokomobilen. Bei Eintritt der Dämmerung wird
                              									Lokomobile 2 parallel geschaltet. Die Belastung beider
                              									Lokomobilen steigt im Laufe des Abends auf etwa 1200 PS, so daß jede Lokomobile mit
                              									ihrer wirtschaftlich günstigsten Leistung, der Dauerleistung, beansprucht ist. Um
                              									die Lokomobile Nr. 1 und 2 nicht zu überlasten, steht während dieser Stunden
                              									Lokomobile Nr. 3 zum Eingreifen in den Betrieb unter
                              									Dampf bereit. Gegen Mitternacht kann die Lokomobile 1 oder 2 wieder still gelegt werden. Der
                              									erzeugte Strom dient zur Beleuchtung der Stadt (Straßen- und Innenbeleuchtung), zur
                              									Energieversorgung zu kleinindustriellen Zwecken und zum Betriebe der elektrischen
                              									Straßenbahn.
                           Es ist bemerkenswert, daß auch an anderen Plätzen in den nordischen Ländern trotz
                              									ihres großen Reichtums an Wasserkräften die Großlokomobile durch ihre
                              									Wirtschaftlichkeit rasch Eingang gefunden hat. Die Zentrale der Lekomberger Gruben
                              									(Schweden), des Eisen- und Stahlwerkes „Hoesch“ in Dortmund bilden ebenfalls
                              									drei je 600 pferdige, direkt mit den Generatoren gekuppelte Wolf sehe
                              									Heißdampflokomobilen in einer Maschinenanlage vereinigt, und eine Lokomobile
                              									gleicher Größe mit direkt gekuppeltem, von einer schwedischen Elektrizitätsfirma
                              									gebautem Generator bildet die elektrische Zentrale der Hochofenwerke Norberg
                              									(Schweden) des Eisenwerkes „Kraft“, Stolzenhagen-Kratzwieck bei Stettin.
                           Die in Wiborg aufgestellten Maschinen zeigten bei den amtlichen Abnahmeversuchen auf
                              									dem Prüffelde der Herstellerin folgende beachtenswerten Ergebnisse:
                           
                              
                                 
                                 Lokomobile
                                 
                              
                                 Nr. 1
                                 Nr. 2
                                 Nr. 3
                                 
                              
                                 Garantierte Normalleistung
                                 PS
                                 500
                                 500
                                 500
                                 
                              
                                 Garantierte Dauerleistung
                                 „
                                 600
                                 600
                                 600
                                 
                              
                                 Belastung beim Versuch
                                 „
                                 556
                                 530
                                 525
                                 
                              
                                 Garantierter Brennstoffverbrauch für   die PSe und
                                    											Stunde
                                 kg
                                 0,55
                                 0,55
                                 0,55
                                 
                              
                                 Beim Versuch ermittelter Brennstoff-   verbrauch für die
                                    											PSe und Stunde
                                 „
                                 
                                    
                                    0,505
                                    
                                 
                                    
                                    0,492
                                    
                                 
                                    
                                    0,486
                                    
                                 
                              
                                 Garantierter Dampfverbrauch für die   PSe und
                                    											Stunde
                                 „
                                 4,4
                                 4,4
                                 4,4
                                 
                              
                                 Beim Versuch erzielter Dampf verbrauch   für die PSe und
                                    											Stunde
                                 „
                                 4,2
                                 4,16
                                 4,2
                                 
                              
                                 Dauer des Versuches
                                 std
                                 4,1
                                 4,2
                                 3
                                 
                              
                           Die Tourenschwankungen blieben unter den garantierten Grenzwerten. Die sachgemäße
                              									Berechnung der Leistungsverteilung der Aggregate hat auch bezüglich der
                              									Wirtschaftlichkeit der Anlage im praktischen Betriebe die an sie geknüpften
                              									Erwartungen erfüllt.