| Titel: | Zum hundertjährigen Bestehen der Gas-Straßenbeleuchtung. | 
| Autor: | A. Sander | 
| Fundstelle: | Band 329, Jahrgang 1914, S. 226 | 
| Download: | XML | 
                     
                        Zum hundertjährigen Bestehen der
                           								Gas-Straßenbeleuchtung.
                        Von Dr.-Ing. A. Sander in
                           									Karlsruhe.
                        SANDER: Zum hundertjährigen Bestehen der
                           								Gas-Straßenbeleuchtung.
                        
                     
                        
                           In der Geschichte des öffentlichen Beleuchtungswesens ist der 1. April des
                              									Jahres 1814 ein Tag von besonderer Bedeutung. An diesem Tage wurden nämlich in
                              									London in dem Stadtteil St. Margareths zum erstenmal die Straßen mit Gas beleuchtet,
                              									nachdem man schon einige Monate vorher auf der Westminsterbrücke versuchsweise die
                              									Oellampen durch Gaslaternen ersetzt hatte. Von London aus eroberte sich das
                              									Leuchtgas die Welt, bald fand es in den anderen Städten des britischen Inselreiches
                              									Eingang, wenige Jahre später wurde es auch auf dem Kontinent eingeführt, und zwar
                              									zunächst in Frankreich, dann in Deutschland, in Oesterreich und den anderen Ländern
                              									Europas. In den Vereinigten Staaten von Amerika wurde die erste Gasgesellschaft im
                              									Jahre 1817 in Baltimore gegründet.
                           Der Uebergang von der Oellampe zum Gaslicht wurde in allen Städten mit lebhafter
                              									Freude begrüßt, und mit nicht geringem Staunen betrachtete man das neue
                              										„dochtlose“ Licht. Wie sehr diese Neuerung die Allgemeinheit
                              									beschäftigte, vermögen wir modernen Menschen nur schwer zu verstehen, die wir die
                              									verschwenderische Lichtfülle in den Hauptstraßen unserer Städte heute als etwas ganz
                              									selbstverständliches betrachten und die weniger glänzende Beleuchtung der
                              									Nebenstraßen gewöhnlich schon als schlecht und unzureichend empfinden.
                           Die Freude und das Interesse, welche sich bei der Einführung der Straßenbeleuchtung
                              									mit Gas in allen Städten und in allen Kreisen der Bevölkerung kundgaben, werden wir
                              									besser zu würdigen wissen, wenn wir uns vergegenwärtigen, wie es im 17. und im 18.
                              									Jahrhundert um die Straßenbeleuchtung der Städte bestellt war. Wohl, keine Stadt
                              									entschloß sich nur mit Rücksicht auf die Bequemlichkeit der Bewohner dazu, die
                              									nächtliche Beleuchtung der Straßen anzuordnen, vielmehr war dies eine bittere
                              									Notwendigkeit, denn trotz der strengen Bewachung der Stadttore trieb sich in den
                              									größeren Städten nach Einbruch der Finsternis allerlei Gesindel umher, und die
                              									Sicherheit der Bürger auf der Straße ließ während der Nacht viel zu wünschen
                              									übrig.
                           Die erste Straßenbeleuchtung, von der wir mit Sicherheit Kunde haben, hatte
                              									Paris. Dort verordnete das Parlament im Jahre 1558, daß an jeder Straßenecke mit
                              									Pech gefüllte Pfannen aufgestellt werden sollen, und daß das Pech von 10 Uhr abends
                              									bis 4 Uhr früh brennen solle. Schon zwei Monate später traten jedoch an die Stelle
                              									dieser Pechpfannen, die durch Regen oder Wind leicht ausgelöscht wurden und daher
                              									ihren Zweck nur sehr schlecht erfüllten, Laternen mit Talglichtern. Da die
                              									Verordnung vom Jahre 1558 nur sehr mangelhaft befolgt wurde, so war Paris zu jener
                              									Zeit der Schauplatz zahlreicher Ueberfälle. Dies veranlaßte König Ludwig XIV. im
                              									Jahre 1662, einem Italiener, Laudati Caraffe, die
                              									Errichtung einer „fliegenden Beleuchtung“ zu genehmigen, die den Bürgern
                              									gegen Entgelt des Nachts zur Verfügung stehen sollte. Der Erlaß, durch den Caraffe die Genehmigung hierzu erteilt wurde, ist recht
                              									interessant und sei deshalb hier im Wortlaut wiedergegebenNach Maréchal,
                                    											L'éclairage à Paris. (Paris 1894.).
                           
                              „Les vols, meurtres et accidents qui arrivent journellement en nostre bonne ville
                                 										de Paris, faute de clarté suffisante dans les rues, et, d'ailleurs, la plupart
                                 										des bourgeois et gens d'affaire n'ayant pas les moyens d'entretenir des valets
                                 										pour se faire éclairer la nuit pour vaquer à leurs affaires, n'osant pour lors
                                 										se hasarder d'aller et venir par les rues et, sur ce, notre bien aimé le sieur
                                 										Laudati Caraffe nous a fait entendre que, pour la commodité publique, il serait
                                 										nécessaire d'établir en nostre ville et faubourg de Paris et autres villes de
                                 										nostre royaume des porte-flambeaux et portelanternes pour conduire et éclairer
                                 										ceux qui voudront aller et venir par les rues....
                              
                           Diese fliegende Beleuchtung wurde in der Weise organisiert, daß alle 800 Schritte
                              									Fackelträger aufgestellt wurden; sie wurden entweder nach der Zeit oder nach dem
                              									Abbrand ihrer Fackeln entlohnt. Mit dieser Einrichtung war aber das Problem der
                              									öffentlichen Beleuchtung noch lange nicht gelöst, erst fünf Jahre später gelangte eine wesentliche
                              									Verbesserung zur Einführung. Durch einen Polizeierlaß des Jahres 1667 wurde nämlich
                              									den Bürgern eines jeden Stadtviertels die Verpflichtung auferlegt, in den Straßen
                              									vor ihren Häusern Laternen mit Talglichtern anzuzünden. Anfangs sollten diese
                              									Laternen nur während der vier Wintermonate brennen, ein Erlaß des Parlaments
                              									verlängerte jedoch bereits im Jahre 1671 die Dauer der Straßenbeleuchtung auf die
                              									Zeit vom 20. Oktober bis zum 31. März. Der Zeitpunkt, zu welchem die Laternen
                              									angezündet werden sollten, wurde den Bürgern allabendlich dadurch mitgeteilt, daß
                              									Leute mit kleinen Glocken durch die Straßen liefen. Die Laternen mußten nach der
                              									Verordnung bis zwei Uhr früh brennen.
                           Die in dieser Weise organisierte Straßenbeleuchtung bewährte sich recht gut, und es
                              									waren bald gegen 5000 Laternen vorhanden. Dem Beispiel von Paris folgten bald andere
                              									Städte, so Amsterdam 1669, Haag 1678, Hamburg 1675, Berlin 1680 und Wien 1687.
                           Die Talglichte hatten ein Gewicht von ¼ Pfund und sie wurden in einer Nacht völlig
                              									aufgebraucht. In Paris waren gegen Ende des 17. Jahrhunderts 6500 Laternen
                              									vorhanden, für deren Betrieb in jeder Nacht also 1625 Pfund Talglichte verbraucht
                              									wurden; diese Beleuchtung war also nicht gerade billig. Immerhin muß man bedenken,
                              									daß Paris zu jener Zeit schon eine Stadt mit einer halben Million Einwohnern war. Es
                              									hatte 600 Straßen und Plätze und 22000 Häuser. Diese große Ausdehnung der Stadt
                              									zwang bald dazu, die öffentliche Beleuchtung neu zu organisieren. Während bisher die
                              									Bürger für die Straßenbeleuchtung zu sorgen hatten, übernahm im Jahre 1704 der Staat
                              									diese in eigene Regie. Die Straßenbeleuchtung erforderte zu jener Zeit bereits einen
                              									jährlichen Aufwand von 300000 Frcs., welchen Betrag König Ludwig XV. im Jahre 1729
                              									auf 450000 Frcs. erhöhte. Zur Bestreitung dieser erheblichen Kosten wurde von den
                              									Bürgern eine neue Steuer erhoben. Der Beleuchtungsdienst wurde mit großer Sorgfalt
                              									gehandhabt, und namentlich wurden mutwillige Beschädigungen der Laternen streng
                              									bestraft.
                           Trotz allem genügte das schwache Licht der Talgkerzen den steigenden Anforderungen
                              									bald nicht mehr; auch bedeutete die Notwendigkeit, den Docht häufig abzuschneiden,
                              									einen weiteren Nachteil dieser Beleuchtungsart. Aus diesem Grunde wurde ein
                              									Preisausschreiben für die Verbesserung der Straßenbeleuchtung erlassen. Die
                              									eingehenden Vorschläge sollte die Akademie der Wissenschaften prüfen und bestimmen,
                              									wem der Preis von 2000 Livres zuzuerkennen sei. Als Sieger ging Chateaublanc aus diesem Preisausschreiben hervor, er
                              									konstruierte im Jahre 1765 eine Oellaterne, die denn auch bald zur Einführung
                              									gelangte. Der Regiebetrieb wurde nunmehr wieder verlassen und die Straßenbeleuchtung
                              									verpachtet. Im Jahre 1769 erhielt Segrain die Konzession,
                              									die zu jener Zeit vorhandenen 8000 Talglichtlaternen durch Oellaternen mit einem
                              									oder mehreren Brennern zu ersetzen. Wegen der größeren Lichtstärke der Oellaternen
                              									war eine weniger große Zahl als früher erforderlich, aber trotzdem ging die
                              									Auswechslung der Laternen nur langsem vor sich, und im Jahre 1782 waren erst
                              									1200 Oellaternen vorhanden.
                           Die Bürger waren mit der neuen Beleuchtung sehr zufrieden, wie man aus einem Bericht
                              									ersehen kann, den der Polizeileutnant de Sartine damals
                              									dem König erstattete. Er schrieb darin: „es ist kaum anzunehmen, daß man jemals
                                 										etwas Besseres als diese Beleuchtung erfinden kann“. Dieses Urteil, das
                              									zeigt, welch geringe Ansprüche man damals an die Beleuchtung stellte, erwies sich
                              									schon wenige Jahre später als unrichtig, denn durch die Erfindung des Argand-Brenners wurde die Oelbeleuchtung sehr erheblich
                              									verbessert. Dieser Brenner, bei dem zum erstenmal die Flamme mit einem Glaszylinder
                              									umgeben war, lieferte nicht nur ein stärkeres, sondern auch ein viel ruhigeres
                              									Licht. Er wurde daher zunächst für die häusliche Beleuchtung verwendet, zu Beginn
                              									des 19. Jahrhunderts gelangte er jedoch auch bei der Straßenbeleuchtung zur
                              									Einführung.
                           Inzwischen waren jedoch schon von verschiedenen Seiten Versuche angestellt worden,
                              									das bei der Destillation von Steinkohlen entstehende Gas
                              									zur Beleuchtung zu verwenden. Der Engländer Murdoch war
                              									der erste, dem auf diesem Gebiete ein technischer Erfolg beschieden war. Nachdem es
                              									ihm im Jahre 1792 gelungen war, sein Haus in regelmäßigem Betriebe mit Gas zu
                              									beleuchten, siedelte er im Jahre 1798 nach Soho bei Birmingham über, um in
                              									Gemeinschaft mit James Watt, dem berühmten Erfinder der
                              									Dampfmaschine, das Problem der Gasbeleuchtung weiter zu bearbeiten. Er machte sich
                              									zunächst daran, in der Fabrik Watts die Gasbeleuchtung
                              									einzuführen. Im Jahre 1802 wurden dort zur Feier des Friedens von Amiens zum
                              									erstenmal zwei große mit Gas gespeiste Flammensonnen (bengal-lights) entzündet, und
                              									ein Jahr darauf wurden in der Fabrik die Oellampen durch Gasbrenner ersetzt. Auf
                              									diese Weise war es möglich geworden, die Arbeitszeit in der Fabrik erheblich zu
                              									verlängern, und so kam es, daß Murdoch auch von mehreren
                              									anderen Fabriken, namentlich Spinnereien, beauftragt wurde, in diesen Betrieben die
                              									Gasbeleuchtung einzurichten.
                           Für andere Zwecke als für die Beleuchtung von Fabriken war das Gas zu jener Zeit noch
                              									nicht geeignet, denn man verstand es damals noch nicht, das Gas von Teer und anderen
                              									schädlichen Verunreinigungen zu befreien, so daß die Gasflammen einen unangenehmen
                              									Geruch verbreiteten und die Atmungsorgane reizten; auch traten öfters Verstopfungen
                              									der Rohrleitungen ein. Erst im Jahre 1808 gelang es Clegg, einem Mitarbeiter Murdochs, das Gas durch
                              									Waschen mit Kalkmilch. von den hauptsächlichsten Verunreinigungen zu befreien, und
                              									hiermit war ein großer Schritt vorwärts getan. Clegg war
                              									es auch, der im Jahre 1815 die erste Gasuhr konstruierte.
                           Während Murdoch und seine Mitarbeiter nur eine
                              									Verbesserung der Fabrikbeleuchtung erstrebten und wohl kaum daran dachten, daß die
                              									Einführung der Gasbeleuchtung auf den Straßen und namentlich in den Wohnungen
                              									gegenüber der damaligen mangelhaften Beleuchtung mit Talglichtern und Oellampen
                              									ein Kulturfortschritt von höchster Bedeutung sein würde, machten sich andere Leute
                              									daran, die neue Erfindung geschäftlich auszubeuten. Winzler, ein aus Mähren stammender Mann, hatte in Paris, wo Lebon sich mit ähnlichen Versuchen wie Murdoch, jedoch mit nur geringem Erfolg, beschäftigte,
                              									gesehen, wie man aus Steinkohlen Gas gewinnen kann. Er kam im Jahre 1803 nach
                              									London, änderte dort seinen Namen in Winsor und hielt im
                              									Lyceum-Theater Vorträge, wobei er die Herstellung und Anwendung des Gases durch
                              									Versuche vorführte. Ungefähr zur gleichen Zeit verbreitete sich in London die
                              									Nachricht, daß es Murdoch in Birmingham gelungen sei, die
                              									Fabrik von Watt mit Gas zu beleuchten. Winsor hatte weit Größeres im Sinne, er wollte die ganze
                              									Stadt London mit Gas beleuchten und suchte durch seine Vorführungen Kapitalisten für
                              									dieses große Projekt zu gewinnen. Er brachte es auch in der Tat dahin, daß im Jahre
                              									1807 eine Gesellschaft gegründet wurde, die über ein Kapital von 50000 Pfund
                              									Sterling verfügte. Allein die mangelnde Sachkenntnis Winsors in Fragen der Gasfabrikation führte dazu, daß das ganze Kapital
                              									für die Vorarbeiten nutzlos ausgegeben wurde. Hierdurch hatte sich Winsor nicht nur den Mißmut der Aktionäre zugezogen,
                              									sondern auch die öffentliche Meinung war nach diesem kostspieligen Versuch für die
                              									Gasbeleuchtung wenig eingenommen, und es gelang nur mit Mühe, im Jahre 1810 die
                              									behördliche Genehmigung zur Gründung einer neuen Gesellschaft zu erhalten. Diese
                              									Gesellschaft, die im Jahre 1812 von der Regierung das Privileg zur Versorgung der
                              									Stadt London mit Gas erhielt, nannte sich Chartered Gaslight
                                 										and Coke Company; sie nimmt auch heute noch unter den Londoner
                              									Gasgesellschaften eine führende Stellung ein und besitzt in ihrem Beckton-Work im
                              									Osten von London das größte Gaswerk der Welt. Die neue Gesellschaft, an deren Spitze
                              									wieder Winsor stand, geriet jedoch bereits im Jahre 1813
                              									in neue Schwierigkeiten und hätte abermals aufgelöst werden müssen, wenn es nicht
                              									gelungen wäre, den schon erwähnten Clegg, einen
                              									Mitarbeiter Murdochs und anerkannten Fachmann, als
                              									leitenden Ingenieur zu gewinnen. Er arbeitete unermüdlich an der Verbesserung der
                              									Gaserzeugung und der Reinigung und durch seine erfolgreiche Tätigkeit gelang es in
                              									erster Linie, am 1. April 1814 in dem Stadtteil St. Margareths die Gasbeleuchtung
                              									einzuführen und die alten Oellampen endgültig von den Straßen zu verbannen.
                           Nach diesem ersten Erfolge machte die Gasindustrie rasch weitere Fortschritte. Im
                              									Jahre 1823 bestanden schon 62 Gasgesellschaften und schon in 52 englischen Städten
                              									war die Gasbeleuchtung eingeführt. Es war daher nicht zu verwundern, daß
                              									unternehmungslustige Ingenieure den Plan faßten, auch im Ausland Gasanstalten zu
                              									errichten. Zu diesem Zweck wurde die Imperial Continental Gas
                                 										Association gegründet, die es sich zur Aufgabe machte, zunächst in den
                              									Hauptstädten des Kontinents die Gasbeleuchtung einzuführen. Das Unternehmen wurde,
                              									wie Schilling berichtet, sehr geschickt angefaßt,
                              									denn in dem Komitee befanden sich die Gesandten fast aller Staaten des Kontinents,
                              									so daß ein Erfolg von vornherein ziemlich sicher war. In Paris war zu jener Zeit
                              									schon eine Gasanstalt vorhanden, denn nachdem eine von Winsor im Jahre 1817 dort gegründete Gesellschaft sich hatte auflösen
                              									müssen und eine zweite, von anderer Seite gegründete Gesellschaft dasselbe Schicksal
                              									hatte, war die Regierung selbst für die Sache der Gasbeleuchtung eingetreten, und
                              									der damalige Seine-Präfekt Graf von Chabrol ließ im Jahre
                              									1818 eine kleine Mustergasanstalt errichten, durch die zunächst das St.
                              									Ludwigs-Hospital mit Gas beleuchtet wurde. Auf Kosten des Königs wurde dann im Jahre
                              									darauf eine größere Gasanstalt erbaut, mit der von 1820 an das Luxembourg-Palais und
                              									das Odeon-Theater beleuchtet wurden. Die Straßenbeleuchtung mit Gas wurde jedoch
                              									erst im Jahre 1829 eingeführt, und zwar zuerst in der Rue de la Paix.
                           In Deutschland war der Boden für die Abgesandten der Imperial
                                 										Continental Gas Association viel günstiger, denn hier war noch nirgends
                              									eine Gasanstalt vorhanden. Zwar hatte schon im Jahre 1811 in Freiberg in Sachsen
                              									Prof. Lampadius einen Teil der Fischergasse von seinem
                              									Hause aus mit Gas beleuchtet und auch in den Freiberger Amalgamierwerken in einigen
                              									Räumen die Gasbeleuchtung eingeführt, doch waren dies nur Versuche, die keine
                              									nachhaltige Wirkung hatten. Vor allem kannte man in den größeren Städten, auch in
                              									Berlin, die Gasbeleuchtung damals nur vom Hörensagen.
                           Wie hatte sich nun die öffentliche Beleuchtung in Berlin bis zum Beginn des 19.
                              									Jahrhunderts entwickelt? Zu der Zeit, wo Paris schon eine große Stadt war und
                              									mehrere Hunderttausend Einwohner hatte, war Berlin noch ein Dorf; erst nach dem
                              									dreißigjährigen Kriege erhob es sich zu einiger Bedeutung.
                           Infolgedessen finden wir auch die Anfänge der öffentlichen Beleuchtung in Berlin
                              									erheblich später als in Paris. Wie LuxH. Lux, Die
                                    											öffentliche Beleuchtung von Berlin (Berlin 1896). berichtet,
                              									erließ gegen Ende des Jahres 1680 der große Kurfürst ein Edikt, in dem die Einwohner
                              									aufgefordert wurden, „eine Laterne, dadrinnen ein brennend Licht steckt, aus
                                 										jedem dritten Haus herauszuhängen, also daß die Lampen von den liebden Nachbarn
                                 										abwechselnd besorgt werden“. Die Veranlassung zu dieser Verordnung waren
                              									ebenso wie seinerzeit in Paris sicherheitspolizeiliche Gründe. Die so geschaffene
                              									Straßenbeleuchtung erwies sich jedoch schon sehr bald als nicht ausreichend, so daß
                              									der große Kurfürst noch in dem gleichen Jahre Laternen auf Pfählen errichten ließ,
                              									und zwar auf Kosten der Bürger, die sich hiergegen heftig sträubten. Da die Laternen
                              									jedoch nur in der Zeit von September bis Mai brannten, waren die Unterhaltungskosten
                              									verhältnismäßig niedrig, sie betrugen 3000 Taler jährlich. Später wurde die Sorge um
                              									die öffentliche Beleuchtung genau wie in Paris einem Privatunternehmer übertragen,
                              									und zwar dem Bürger Andreas Mast in der Dorotheenstadt.
                              									Durch mutwillige Beschädigung und durch Diebstahl von Laternen wurde zu jener Zeit viel
                              									Schaden angerichtet, so daß strenge Strafen angedroht wurden. So wurde im Jahre 1715
                              									auf die Beschädigung von Laternen eine Buße von 50 Talern gesetzt, im
                              									Unvermögensfalle Staupenschläge und Landesverweisung. Da man hierdurch den Unfug
                              									keineswegs abstellen konnte, wurde die Strafe im Jahre 1720 auf 200 Taler erhöht.
                              									Unter der Regierung Friedrichs des Großen erfuhren Handel und Verkehr in Berlin
                              									einen bemerkenswerten Aufschwung, so daß der König sich entschloß, zur Verbesserung
                              									der Straßenbeleuchtung auf eigene Kosten 2400 neue Oellaternen errichten zu lassen.
                              									Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gelangten dann größere Laternen zur Einführung, die
                              									zum Teil an quer über die Straße gespannten Stricken befestigt wurden, die
                              									Helligkeit auf den Straßen entsprach jedoch nach wie vor nur sehr geringen
                              									Anforderungen, und mit der Sicherheit auf den Straßen war es recht schlecht
                              									bestellt.
                           So ist es denn zu verstehen, daß die Allgemeinheit an einer Verbesserung der
                              									Straßenbeleuchtung das größte Interesse hatte und daß man alle Berichte über die
                              									Fortschritte der Gasbeleuchtung im Ausland aufmerksam verfolgte. Indessen gab es
                              									auch Leute, die die Gasbeleuchtung nicht als einen Kulturfortschritt gelten lassen
                              									wollten und die die herkömmliche, primitive Oelbeleuchtung erhalten wissen wollten.
                              									So ließ sich in der Kölnischen Zeitung vom 28. März 1819 eine warnende Stimme
                              									vernehmen „Ueber die Schädlichkeit der Straßenbeleuchtung“.Journ. f. Gasbeleuchtung 1906, S.
                                    										879. Wegen ihres kulturgeschichtlichen Interesses möge diese
                              									Aeußerung hier folgen; sie lautete:
                           
                              „Jede Straßenbeleuchtung ist verwerflich: 1. aus theologischen Gründen, weil sie
                                 										als Eingriff in die Ordnung Gottes erscheint. Nach dieser ist die Nacht zur
                                 										Finsternis eingesetzt, die nur zu gewissen Zeiten vom Mondlicht unterbrochen
                                 										wird. Dagegen dürfen wir uns nicht auflehnen, den Weltplan nicht hofmeistern,
                                 										die Nacht nicht in Tag verkehren wollen. 2. aus juristischen Gründen, weil die
                                 										Kosten der Beleuchtung durch indirekte Besteuerung aufgebracht werden sollen.
                                 										Warum soll dieser und jener für eine Einrichtung zahlen, die ihm gleichgültig
                                 										ist, da sie ihm keinen Nutzen bringt oder ihn gar in manchen Verrichtungen
                                 										stört? 3. aus medizinischen Gründen: Die Oel- und Gasausdünstung wirkt
                                 										nachteilig auf die Gesundheit schwachleibiger und zartnerviger Personen und legt
                                 										auch zu vielen Krankheiten den Stoff, indem sie den Leuten das nächtliche
                                 										Verweilen auf den Straßen leichter und bequemer macht und ihnen Schnupfen,
                                 										Husten und Erkältung auf den Hals zieht. 4. aus philosophisch-moralischen
                                 										Gründen; die Sittlichkeit wird durch Gassenbeleuchtung verschlimmert. Die
                                 										künstliche Helle verscheucht in den Gemütern das Grauen vor der Finsternis, das
                                 										die Schwachen von mancher Sünde abhält. Die Helle macht den Trinker sicher, daß
                                 										er in Zechstuben bis in die Nacht hinein schwelgt, und sie verkuppelt verliebte
                                 										Paare. 5. aus polizeilichen Gründen; sie macht Pferde scheu und Diebe kühn. 6.
                                 										aus staatswirtschaftlichen Gründen; für den Leuchtstoff, Oel oder
                                 										Steinkohlen, geht jährlich eine bedeutende Summe ins Ausland, wodurch der
                                 										Nationalreichtum geschwächt wird. 7. aus volkstümlichen Gründen; öffentliche
                                 										Feste haben den Zweck, das Nationalgefühl zu erwecken. Illuminationen sind
                                 										hierzu vorzüglich geschickt. Dieser Eindruck wird aber geschwächt, wenn derselbe
                                 										durch allnächtliche Quasi-Illumination abgestumpft wird. Daher gafft sich der
                                 										Landmann toller in dem Lichtglanze als der lichtgesättigte Großstädter.“
                              
                           Dieser Mahnruf verhallte ungehört, denn die Mehrzahl der Stadtbewohner war einsichtig
                              									genug, um die Gasbeleuchtung als einen großen Fortschritt zu erkennen. So hatten es
                              									denn die Vertreter der Imperial Continental Gas
                                 										Association nicht gerade schwer, in Deutschland festen Fuß zu fassen. Die
                              									beiden ersten deutschen Städte, die mit dieser Gesellschaft Verträge über die
                              									Gasversorgung abschlössen, waren Berlin und Hannover. In Berlin wurde durch den im
                              									Jahre 1825 abgeschlossenen Vertrag der englischen Gesellschaft die Beleuchtung der
                              									öffentlichen Straßen und Plätze innerhalb der Ringmauer auf die Dauer von 21 Jahren
                              									übertragen; es wurde bestimmt, daß die Gasbeleuchtung zuerst „Unter den
                                 										Linden“ vom Brandenburger Tor bis zur Schloßbrücke eingerichtet werden
                              									sollte. Die Gasanstalt wurde vor dem Halleschen Tore in der heutigen
                              									Gitschinerstraße erbaut und im Herbst 1826 in Betrieb genommen. Sie war für einen
                              									jährlichen Verbrauch von 50000 preußischen Tonnen bemessen und beschäftigte 140
                              									Menschen.
                           Am 19. September 1826 wurden die „Linden“ zum erstenmal mit Gas beleuchtet,
                              									und die Bevölkerung nahm an diesem großen Ereignis lebhaften Anteil, wie aus dem
                              									folgenden Bericht der „Vossischen Zeitung“ vom 20. September 1826
                              									hervorgeht;
                           
                              „Gestern abend sahen wir zum erstenmal die schönste Straße der Hauptstadt, die
                                 										zugleich unser angenehmster Spaziergang ist, die Linden, im hellsten Schimmer
                                 										der Gasbeleuchtung. Eine große Menge Neugieriger war durch dieses Schauspiel
                                 										herbeigelockt worden, und alle schienen überrascht; denn heller haben wir selbst
                                 										bei glänzender Illumination die Linden nicht gesehen. Nicht in dürftigen
                                 										Flämmchen, sondern in handbreiten Strömen schießt das blendende Licht hervor,
                                 										das so rein ist, daß man in einer Entfernung von 20 bis 25 Schritten von den
                                 										größeren Laternen einen Brief recht gut lesen konnte. Einige Privathäuser haben
                                 										schon Gebrauch von der Gasbeleuchtung gemacht; vor dem Hotel de Rome stehen zwei
                                 										helle Fackelträger und vor Beiermann s Café Royal hängt ein Feuerzeichen, wie
                                 										auf einem Leuchtturm, so daß man den Hafen nicht verfehlen kann. Bald werden
                                 										auch die andern Hauptstraßen auf gleiche Weise erleuchtet werden, und Berlin,
                                 										das wegen seines erfreulichen Eindrucks, den es bei Tage macht, berühmt ist,
                                 										wird auch bei Nachtzeit den Fremden angenehm überraschen.“
                              
                           In der Tat machte die Gasbeleuchtung in Berlin rasche Fortschritte. Im Jahre 1833
                              									waren bereits 6289 Gasflammen vorhanden, davon 1789 öffentliche und 4500 private.
                              									1838 mußte bereits eine zweite Gasanstalt errichtet werden. Am 1. Januar 1847
                              									eröffnete dann auch die Stadt Berlin zwei eigene Gaswerke und übernahm die Gasversorgung für
                              									alle die Stadtteile, die bisher von der englischen Gasgesellschaft noch nicht mit
                              									Gas versorgt waren.
                           Im übrigen Deutschland ging die Einführung des Gases weniger rasch von statten. Nur
                              									Hannover erhielt im gleichen Jahre wie Berlin ein Gaswerk, und dieses wurde
                              									ebenfalls von der englischen Gesellschaft betrieben. 1828 wurde in Dresden die
                              									Gasbeleuchtung eingeführt, wo Blochmann schon seit 1816
                              									mit Versuchen hierüber beschäftigt war. Auch andere deutsche Ingenieure gingen nun
                              									daran, mit den unternehmungslustigen Engländern den Wettbewerb aufzunehmen, so
                              									errichteten Knoblauch und Schiele im Jahre 1828 eine Gasanstalt in Frankfurt a. M. und auch in
                              									München wurde das Projekt einer Gasanstalt lebhaft erörtert. Allein der Mangel an
                              									geeigneten Kohlen und die unzulänglichen Verkehrsmittel jener Zeit waren die
                              									Ursachen, daß in Süddeutschland die Gasbeleuchtung erst verhältnismäßig spät zur
                              									Einführung gelangte. Bis zum Jahre 1849 waren erst 35 Gasanstalten auf dem ganzen
                              									Kontinent vorhanden, also erheblich weniger als in England. In den fünfziger
                              									und sechziger Jahren setzte aber dann eine lebhaftere Entwicklung ein und heute
                              									haben wir in Deutschland nahezu 1400 Gaswerke. Diese großartige Entwicklung der
                              									Gasindustrie hat erst die gewaltige Steigerung des Lichtbedürfnisses in den letzten
                              									Jahrzehnten zu Wege gebracht. Zwar schien es gegen Ende der achtziger Jahre des
                              									vorigen Jahrhunderts, als die elektrische Beleuchtung ihre ersten Triumphe feierte,
                              									als sei das Ende der Gasbeleuchtung nun gekommen, die bedeutsamen Verbesserungen der
                              									letzten Jahre haben aber gezeigt, daß die Gasindustrie den Kampf mit dem
                              									elektrischen Licht sehr wohl aufnehmen kann. Am deutlichsten spricht hierfür die
                              									Tatsache, daß sich in Deutschland der Gasverbrauch seit Beginn des 20. Jahrhunderts
                              									von 1,2 Milliarden auf 2,5 Milliarden Kubikmeter gehoben, also mehr als verdoppelt
                              									hat. So darf man denn wohl erwarten, daß auch in Zukunft beide Beleuchtungsarten
                              									nebeneinander wohl bestehen können.