| Titel: | Ueber die Reibung von Leder auf Eisen. | 
| Autor: | R. Skutsch | 
| Fundstelle: | Band 329, Jahrgang 1914, S. 273 | 
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                        Ueber die Reibung von Leder auf
                           								Eisen.
                        Von Professor Dr.-Ing. R. Skutsch.
                        SKUTSCH: Ueber die Reibung von Leder auf Eisen
                        
                     
                        
                           In der 11. Auflage seiner Maschinenelemente gibt von
                                 										Bach eine interessante Zahlenreihe für das Ansteigen der Reibungsziffer von
                              									Leder auf Eisen mit der Geschwindigkeit. Andeutungen solcher Zusammenhänge finden
                              									sich auch sonst in der Literatur; für Holz auf Eisen hatte schon Coulomb ganz allgemein ausgesprochen: „le frottement
                                 										augmente avec la vitesse de la manière la plus sensible“Mémoires des savans étrangers T. X. (1785). p.
                                    											211, 219, 232.. Leider wurde diese Feststellung 50 Jahre später
                              									von Morin, der sich der Unterstützung Poncelets rühmen durfte, kurzerhand ins Reich der Fabel
                              										verwiesenNouvelles expériences
                                    											sur le frottement, Paris 1852, 34 und 35, auch in den
                                    												genannten„Mémoires“ erschienen (T. IV. u. VI. einer späteren
                                    											Folge)., und das Morinsche Gesetz,
                              									wonach die Reibungsziffer von Geschwindigkeit und Flächendruck unabhängig sein
                              									sollte, wurde in einem von Poisson, Arago und Navier erstatteten Gutachten der Pariser Akademie als
                              										„une loi exactement conforme aux effets naturels et non plus une règle
                                 										approchée pour les arts“ zum Dogma erhoben. Wie sehr haben sich die
                              									wissenschaftlichen Anschauungen seitdem gewandelt! Wer würde heute noch hoffen, so
                              									verwickelte Vorgänge, wie die der Reibung, durch ein einfaches Gesetz genau
                              									beschreiben zu können?
                           Morin will sein Naturgesetz auch bei Versuchen mit Leder
                              									auf Metall bestätigt gefunden haben. Die wenigen Versuche in dieser Richtung mag er
                              									wohl erst zu einer Zeit angestellt haben, wo er seiner Sache sich schon allzu sicher
                              										fühlteSo ließ er z.B. von
                                    											einem gewissen Zeitpunkt ab die Kraftmessungen fort und beschränkte sich auf
                                    											Beschleunigungsmessungen, während er zuerst zur gegenseitigen Kontrolle
                                    											beide nebeneinander durchgeführt hatte. (Mém. I, p. 33.), und der
                              									Analyse seiner Versuche diente überdies ein zeichnerisches Verfahren, das
                              									Trugschlüssen recht günstig war. Von den allerdings sehr schönen, selbsttätig
                              									aufgezeichneten Schaulinien, denen er die Reibungsziffern entnahm, hat er leider
                              									keine, die sich auf Leder bezöge, veröffentlicht; wohl aber hat er einige
                              									solche bei der Akademie der Wissenschaften niedergelegt, und es verlohnte wohl einer
                              									Nachforschung, ob diese Blätter heute noch vorhanden sind.
                           Denn spätere Untersuchungen haben gerade für Leder auf Eisen ganz auffällige
                              									Abweichungen von dem Morinschen Gesetz ergeben, die auch
                              									dem voreingenommenen Beobachter nicht leicht entgehen durften.
                           So erzielte Leloutre, als er 25 Jahre später die Reibung
                              									von Riemen auf eisernen Scheiben mit großer Sorgfalt untersuchte, seine ziemlich
                              									einheitlichen Ergebnisse nur dadurch, daß er die Gleitgeschwindigkeit planmäßig auf
                              									äußerst geringe Werte etwa von der Größenordnung einiger Millimeter in der Minute
                              									beschränkte. Er gelangt so zu Reibungsziffern von überraschender Kleinheit bis
                              									herunter zu 0,09, ein Ergebnis, das wenigstens theoretisch von großem Interesse
                              										ist.Nach neueren
                                    											physikalischen Forschungen nimmt auch die Reibungsziffer metallischer
                                    											Flächen aufeinander, sofern sie sorgfältig gereinigt und getrocknet sind,
                                    											mit abnehmender Geschwindigkeit immer mehr ab, derart, daß sich eine untere
                                    											Grenze überhaupt nicht angeben läßt, und alles von der Schärfe der
                                    											mikroskopischen Beobachtung abhängt. So beobachtete Frl. Jakob 1911 nach ihrer Königsberger Dissertation
                                    												„Ueber gleitende Reibung“ Geschwindigkeiten bis herunter zu
                                    											0,0006 mm/Sek. und fand dabei für Messing auf Messing μ = 0,056. Im übrigen ergaben diese Versuche
                                    											für die Abhängigkeit der Reibung von der Geschwindigkeit „zwar stets
                                       												denselben allgemeinen Verlauf, aber trotz der sorgfältigsten Behandlung
                                       												der reibenden Flächen erhebliche Schwankungen in den
                                       											Absolutwerten“. Daß er freilich der Praxis empfahl, mit so
                              									vorsichtigen Werten zu rechnen, zeigt, daß er bezüglich der physikalischen Zuordnung
                              									von Geschwindigkeit und Reibungsziffer noch nicht klar sah. Denn wenn er auch seine
                              									Empfehlung sehr verständig mit der wirtschaftlichen Ueberlegung begründet, daß ein
                              									kaum merkliches Gleiten doch im Verlauf mehrerer Stunden schon einen beträchtlichen
                              									Schlupfverlust ausmache, so findet man doch anderseits bei ihm keinen klaren
                              									Hinweis, daß die Sicherheit des Betriebes eben infolge der erwähnten Zuordnung auch bei viel
                              									höherer Inanspruchnahme der Reibung keineswegs in Frage gestellt wird.
                           Leloutres Bericht,Les
                                    											transmissions par courroies, Lille 1883. Die Versuche über Reibung, welche
                                    											etwa den vierten Teil des umfangreichen von der Société industrielle du nord
                                    											de la France preisgekrönten Werkes ausmachen, datieren aus den Jahren 1867
                                    											bis 1875. der nur Reibungsziffern für sehr geringe
                              									Gleitgeschwindigkeiten enthält, wird durch Radingers
                              									bekannte KampfschriftUeber Riementriebe,
                                    											D. p. J. 1878 S. 385. aufs glücklichste ergänzt. Radinger bezieht sich auf die Versuchsergebnisse einer
                              									amerikanischen Riemenfabrik, und wenn sich auch aus den mitgeteilten Zahlen weder
                              									Geschwindigkeiten noch Reibungsziffern im einzelnen entnehmen lassen, so bringen sie
                              									doch den Unterschied zwischen langsamer und schneller Gleitung recht deutlich zum
                              									Ausdruck. Es ergibt sich daraus, daß das Spannungsverhältnis der Riementrümer für
                              									glatte eiserne Scheiben bei ausgesprochener und dauernder Gleitung fünf- bis
                              									sechsmal so groß ausfällt wie bei eben beginnender Gleitung.
                           Die volle Kenntnis des Sachverhalts finden wir bereits in mehreren amerikanischen
                              									Veröffentlichungen der damaligen Zeit klar ausgesprochen.
                           A. S. KimballThe
                                    											american journal of science and arts 1877, erster Halbjahrsband, S. 353 bis
                                    											359. legte einen Riemen über eine schmiedeeiserne Scheibe mit
                              									wagerechter Achse, befestigte das eine Ende desselben an einer Federwage und
                              									belastete das andere durch ein Gewicht. Wurde nun die Scheibe in solcher Richtung
                              									gedreht, daß die Reibung das Gewicht anzuheben suchte, so wurde die Federwage um so
                              									mehr entlastet, je größer die Umfangsgeschwindigkeit der Scheibe war. Aus einer der
                              									veröffentlichten Zahlenreihen läßt sich berechnen, daß die Reibungsziffer von 0,27
                              									bei v = 0,002 m/Sek. auf 0,62 bei v = 1,21 m/Sek. stieg, und eine andere zeigt, daß die
                              									Reibungsziffer auch bei einer Steigerung der Geschwindigkeit bis 3 oder 4 m/Sek.
                              									noch zunahm, bei einer weiteren Steigerung bis auf 16 m/Sek. allerdings dann wieder
                              									um fast ein Drittel herunterging. Indessen sind Versuche bei so hohen
                              									Geschwindigkeiten vermutlich mancherlei störenden Einflüssen unterworfen, so daß der
                              									letzteren Erscheinung vielleicht weniger Gewicht beizulegen ist. Uebrigens dürften
                              									wohl Gleitgeschwindigkeiten von mehreren Metern zwischen Leder und Eisen praktisch
                              									auch kaum vorkommen.
                           Ebenso folgte aus Versuchen, die S. W. Holman 1882
                              									anstellte und über die Gaetano Lanza im 7. Band der
                              									Transactions of the American Society of Mechanical Engineers berichtetCooper, Use of
                                    											belting, 5. Auflage, S. 318., daß die Reibungsziffer bei ganz
                              									geringer Geschwindigkeit – man denke an Leloutres
                              									Versuche – 0,12 betrug, bei 1,5 cm Gleitgeschwindigkeit pro Sekunde dagegen schon
                              									0,27 und bei 1 m Gleitgeschwindigkeit etwa 0,53. Lanza
                              									zieht auch schon die Folgerung, daß die Wahl der Reibungsziffer beim Entwerfen eines
                              									Riementriebes davon abhängen muß, welchen Schlupf man zulassen will. Er ist der
                              									Meinung, daß man etwa bei 7,5 m/Sek. Riemengeschwindigkeit nicht mehr als 2 cm/Sek.
                              									Schlupf zulassen sollte, und spricht sich aus diesem Grunde gegen Briggs und T o w n
                              									e aus, die auf Grund ihrer Versuche 1868 empfohlen hatten, mit μ = 0,42 zu rechnen. Towne
                              									hat dann in einer Zuschrift den Gründen Lanzas für eine
                              									vorsichtigere Berechnung im wesentlichen beigepflichtet.
                           Auch Wilfred LewisCooper, Use of belting, 5. Auflage, S.
                                    										315. bestätigt kurz darauf an derselben Stelle das Ansteigen der
                              									Reibungsziffer von Leder auf Eisen mit der Gleitgeschwindigkeit und bringt weiteres
                              									Zahlenmaterial auf Grund von Versuchen von Sellers
                                 										Bancroft bei, das sich besonders durch die hohen Werte der Reibungsziffern
                              									von Lanzas Feststellungen unterscheidet. Sie stiegen bei
                              									Anwendung eines damals verbreiteten Riemenfetts bis auf 1,37 und 1,44, was, wie man
                              									leicht nachrechnen kann, bei halbumfaßten Scheiben einem Verhältnis der freien
                              									Trumkräfte k = 92 entspricht. Vermutlich waren sehr
                              									geringe Flächendrucke angewendet worden, und ebenso ist anzunehmen, daß Kimball und Holman mit sehr
                              									trockenen Riemen gearbeitet haben.Lewis sagt u.a.: „The velocity of sliding,
                                       												which may be assumed in selecting a proper coefficient, is directly
                                       												proportional to the belt speed, and may be safely estimated at 0,01 of
                                       												that speed.“
                                    											„The conclusion to be drawn from this series of experiments is the great
                                       												importance of high speed in the economy of belt transmission. The
                                       												friction of belts on pulleys is evidently dependent of the velocity of
                                       												sliding, and, as a general rule, the greater the velocity the greater
                                       												the friction“.Bedeutsam ist noch eine ganz anspruchslose
                              									Mitteilung von F. GessertD. p. J. Bd. 291, S. 216. Die Beziehung des
                                    											Reibungskoeffizienten zur Geschwindigkeit., die 1894 in dieser
                              									Zeitschrift erschien und so recht zeigt, daß wissenschaftlicher Sinn und induktiver
                              									Forschergeist mit den allereinfachsten Hilfsmitteln zu wichtigen Erkenntnissen
                              									vorzudringen vermag.
                           Gessert ist wohl der erste, der den Einfluß der
                              									Gleitgeschwindigkeit auf das Spannungsverhältnis gewickelter Zugorgane in eine
                              									mathematische Formel brachte, übrigens in eine Formel, die mit von Bachs und den unten mitgeteilten Zahlen leidlich übereinstimmt. Seine
                              									Gerätschaften bestanden in einem festgelegten Zylinder, einem darum geschlungenen
                              									Wollfaden und einigen kleinen Gewichten, ein Instrumentarium, das ihm genügte, um
                              									folgendes festzustellen: „Bei einer bestimmten Ueberlastung auf der einen Seite
                                 										gleitet der Faden mit zunehmender Geschwindigkeit über den Zylinder, bis eine
                                 										gleichförmige Bewegung dadurch eintritt, daß der Reibungswiderstand dem
                                 										Uebergewicht gleich geworden ist. Vergrößert man das Uebergewicht, so wächst die
                                 										Geschwindigkeit der gleichförmigen Bewegung.“ Er findet, daß die
                              									Geschwindigkeit etwa mit der vierten Potenz des Uebergewichtes steigt, und schließt
                              									mit den Worten: „Bei einer genauen Angabe eines Reibungskoeffizienten ist deshalb
                                 										die Mitteilung der Geschwindigkeit erforderlich, bei der der Versuch
                                 										stattfand“.
                           
                           Vor nunmehr zwanzig Jahren beginnt dann wenigstens in Deutschland der Tiefstand
                              									der Riemenforschung einzusetzen, der von einer um so weitschichtigeren
                              									phantastischen Literatur begleitet wird. Aus dem unbefangenen Bekenntnis des
                              									tonangebenden Händlers, daß er seinerseits keinen Grund einsehe, warum man mit der
                              									Riemengeschwindigkeit nicht auf 500 m/Sek. heraufgehen solleMitteilungen des Verbandes der
                                    											Ledertreibriemenfabrikanten Deutschlands 1912, S. 108.), ist in
                              									einem von der Göttinger Akademie der Wissenschaften herausgegebenen Sammelwerk
                              									bereits die Behauptung geworden, daß „die durch einen Riemen übertragbare
                                 										Leistung ... bei gelegentlichen Versuchen mit Geschwindigkeiten bis zu 500
                                 										m/Sek. auch noch nicht Null wurde“Encyklopädie der mathematischen Wissenschaften, Bd. 4, 10, R. v. Mises, Dynamische Probleme der Maschinenlehre, S.
                                    											304.. In diesen Zeitraum fallen denn auch die reich
                              									subventionierten Charlottenburger Versuche, die bekanntlich mehrfach μ = ∞ ergeben haben.D. p. J. 1913, S. 685, 687 und
                                    									767.
                           –––––
                           In einem Vortrag vor dem Verband der Treibriemenfabrikanten Rheinlands und Westfalens
                              									hatte ich am 11. März v. J. den in Abb. 1
                              									dargestellten Apparat vorgeführt. Er zeigt sehr überraschend, daß ein beledertes
                              									Gewicht auf einer schiefen Ebene abwärts gleitend bei nicht allzu großen Neigungen
                              									sehr schnell eine Beharrungsgeschwindigkeit annimmt, und daß die
                              									Beharrungsgeschwindigkeiten mit den Neigungen wachsen. Natürlich muß aber die
                              									schiefe Ebene für jede zu erreichende Beharrungsgeschwindigkeit eine gewisse
                              									Mindestlänge haben, und so reichte denn die Beweiskraft des Apparates in Abb. 1, dessen Bahn eine sogen. Ziehklinge von 26 cm
                              									Länge bildete, nicht sehr weit, denn nur insofern Beharrung eintritt oder die
                              									Beschleunigung doch wenigstens vernachlässigt werden kann, ist die Neigung der Bahn
                              									ein unmittelbares Maß für die Reibung, nur in diesem Fall gilt natürlich die aus der
                              									Statik bekannte Beziehung
                           μ = tg α.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 329, S. 275
                              Abb. 1.
                              
                           Es wurde deshalb alsbald eine Vorrichtung ähnlicher Art in erheblich größerem Maßstab
                              									hergestellt, bei der statt der Ziehklinge ein sauber geschlichtetes eisernes Lineal
                              									von 2590 mm Länge und 70 mm Breite verwendet wurde, das auf einem hölzernen
                              									Balken lag. Die kreisförmige Lederscheibe von 60 mm ⌀ war in eine Messingplatte
                              									eingelassen, und auf dem Mittelpunkt dieser Platte ruhte mittels eines kleinen
                              									Kugelgelenks ein Bügel mit zwei seitlichen Bleigewichten, durch deren Auswechslung
                              									der Druck der reibenden Flächen sehr bequem in weiten Grenzen verändert werden
                              									konnte. Der Bügel war bei den zunächst beschriebenen Versuchen noch mit einem
                              									Schwanz versehen, der mit zwei kleinen Laufrädern auf dem Lineal lief, so daß die
                              									Last in drei Punkten unterstützt wurde und nicht ausschließlich auf das Kugelgelenk
                              									wirkte.
                           Mit diesem Apparat fanden H. Wöllmer und ich z.B. am 1.
                              									April 1913 bei 4 kg Belastung folgende Zahlenreihe:
                           
                              
                                 Neigung
                                 Fallraum
                                 Fallzeit
                                 Mittl. Geschwindigkeit
                                 
                              
                                 α =
                                 tg α =
                                 S =
                                 T =
                                 
                                    \frac{\mbox{S}}{\mbox{T}}=
                                    
                                 
                              
                                 12°
                                 0,213
                                     50 mm
                                 176  Sek.
                                     0,28 mm/Sek.
                                 
                              
                                 15°
                                 0,268
                                   200   „
                                 266    „
                                     0,75      „
                                 
                              
                                 20°
                                 0,364
                                 2160   „
                                 560    „
                                     3,9        „
                                 
                              
                                 25°
                                 0,466
                                 2160   „
                                 283    „
                                     7,6        „
                                 
                              
                                 30°
                                 0,577
                                 2160   „
                                   98    „
                                   22           „
                                 
                              
                                 35°
                                 0,700
                                 2160   „
                                   43,3 „
                                   50           „
                                 
                              
                                 40°
                                 0,839
                                 2160   „
                                   22,0 „
                                   98           „
                                 
                              
                                 45°
                                 1,000
                                 2160   „
                                   10,2 „
                                 212           „
                                 
                              
                           Damals war auch eine einfache Registrierung vorgesehen, derart, daß der Schlitten
                              									oder Wagen einen Morsestreifen hinter sich herzog, der in regelmäßigen Zeitabständen
                              									von 0,6 Sekunden eine Marke erhielt; die Absicht war dabei, nicht nur die mittlere
                              									Geschwindigkeit festzustellen, sondern auch den Verlauf der Bewegung zu verfolgen.
                              									Indessen erwies sich diese Registrierung einerseits als zu roh für den
                              									beabsichtigten Zweck und andrerseits wohl auch als überflüssig. Im nachstehenden
                              									wird nämlich gezeigt, daß eine Zahlenreihe wie die vorstehende wenigstens in ihrem
                              									Zusammenhang doch bereits recht genaue Schlüsse über den Verlauf auch der
                              									schnelleren Bewegungen ermöglicht. Die einzigen Voraussetzungen, die dabei gemacht
                              									werden müssen, sind die, daß erstens jeder Geschwindigkeit eine bestimmte
                              									Reibungsziffer entspricht, wenn sie sich auch in gewissen Gebieten noch so schnell
                              									verändern mag, und zweitens, daß nirgends zu einer höheren Geschwindigkeit eine
                              									niedrigere Reibungsziffer gehört. Aus diesen Voraussetzungen folgt, daß die
                              									Geschwindigkeit während des ganzen Verlaufs der Bewegung nie abnehmen, und die
                              									Beschleunigung nie wachsen kann, Nehmen wir noch hinzu, daß die Beschleunigung
                              									selbstverständlich nie größer sein kann, als sie es bei fehlender Reibung sein
                              									würde, so können wir schon eine ganze Reihe von Aussagen über die Bewegung auf der
                              									schiefen Ebene machen und zwar wollen wir sie, insoweit das bequemer scheint,
                              									geometrisch einkleiden, indem wir die noch unbestimmte Bewegung durch eine
                              									sogenannte Zeit-Geschwindigkeits-Linie dargestellt denken, in welcher die Abszissen
                              									die Zeiten seit Beginn der Bewegung, die Ordinaten die erlangten Geschwindigkeiten,
                              									die Steigungen der Tangenten die Beschleunigungen und die mit der Abszissenachse
                              									eingeschlossenen Flächen die Fallräume darstellenTaschenbuch der Hütte, 1. Band. Phoronomie, Bewegung eines
                                    										Punktes.. Diese Linie hat in unserem Fall jedenfalls folgende
                              									Eigenschaften: sie geht durch den Koordinatenanfang, ist nirgends nach oben konkav
                              									und nirgends fallend, und zwischen ihr, der Abszissenachse und der Ordinate bei t = T ist ein Flächenstück
                              										S eingeschlossen. Endlich ist die Steigung der
                              									Tangente \frac{d\,v}{d\,t} im Koordinatenanfang jedenfalls nicht
                              									größer als g sin a. Die
                              									Fragestellung ist dann: welche Tangentensteigung kann bei einer solchen Linie zu
                              									einer gegebenen Ordinate v höchstens gehören?
                           Zunächst ist ohne weiteres einzusehen, daß die höchste überhaupt mögliche
                              									Geschwindigkeit auftritt, wenn die Fläche S die Gestalt
                              									eines Dreiecks annimmt. Dann ist die Bewegung während des ganzen Verlaufs
                              									gleichförmig beschleunigt, die Endgeschwindigkeit \frac{2\,S}{T}
                              									und die Beschleunigung \frac{2\,S}{T^2}. Noch unmittelbarer ist
                              									einzusehen, daß die erreichte Endgeschwindigkeit unter allen Umständen größer sein
                              									muß, als die mittlere Geschwindigkeit \frac{S}{T} der ganzen
                              									Bewegung. Wir können also die Fragestellung von vornherein auf Geschwindigkeiten
                              									zwischen \frac{S}{T} und \frac{2\,S}{T}
                              									beschränken. Ferner ist klar, daß man die größte Beschleunigung, die bei einer
                              									solchen Geschwindigkeit aufgetreten sein kann, unter der Voraussetzung erhält, daß
                              									bis zu dieser Geschwindigkeit die Bewegung gleichförmig beschleunigt war. Die obere
                              									Grenze für die Beschleunigung entsteht nämlich dadurch, daß bis zur Erreichung der
                              									betreffenden Geschwindigkeit nicht etwa schon ein so großer Weg zurückgelegt sein
                              									darf, daß selbst ohne weitere Geschwindigkeitszunahme der gesamte Fallraum S in einer kürzeren Zeit als der beobachteten Fallzeit
                              										T durchmessen sein würde. Während nun eine
                              									zunehmende Beschleunigung durch die theoretischen Voraussetzungen ausgeschlossen
                              									ist, kann auf der andern Seite auch ein Abnehmen der Beschleunigung vor Erreichung
                              									der betreffenden Geschwindigkeit nicht der gesuchten Bewegung entsprechen. Denn
                              									alsdann wäre es möglich, die betreffende Geschwindigkeit zur nämlichen Zeit bei
                              									einer konstanten mittleren Beschleunigung zu erreichen, und es würde also im
                              									Augenblick, wo die Geschwindigkeit erreicht wird, eine höhere Beschleunigung
                              									vorhanden sein, als bei der oben angenommenen Bewegung. Zugleich wäre aber sogar der
                              									bis dahin zurückgelegte Weg noch kleiner, als bei der oben angenommenen Bewegung, so
                              									daß der Verwendung der übrig bleibenden Zeit auf den übrig bleibenden Weg nichts
                              									entgegenstände.
                           Steht somit fest, daß die größte Beschleunigung bei irgend einer Geschwindigkeit v durch einen Bewegungsverlauf ermöglicht wird, bei dem
                              									sie von Anfang an vorhanden ist, so ist nunmehr auch ihr Wert und der ganze
                              									Bewegungsverlauf durch eine einfache Betrachtung zu erhalten: diese Beschleunigung
                              									darf nämlich, wie bereits angedeutet, höchstens so groß sein, daß bei weiterhin
                              									konstant beibehaltener Geschwindigkeit der gesamte Fallraum S schließlich gerade in der beobachteten Zeit T zurückgelegt ist. Die Zeit-Geschwindigkeits-Linie besteht also bei der
                              									gesuchten besonderen Bewegung aus zwei geraden Stücken, deren eines durch den
                              									Koordinatenanfang geht, während das zweite parallel der Abszissenachse ist, und für
                              									den Knickpunkt A der so entstehenden gebrochenen Linie
                              										OAB (Abb. 2),
                              									liefert der Umstand, daß das Viereck OABCO den
                              									gegebenen Flächeninhalts S haben muß, einen
                              									geometrischen OrtDiese Abbildung
                                    											konnte einem früheren Aufsatz des Verfassers in den Verhandlungen des
                                    											Vereins zur Beförderung des Gewerbfleißes 1899 „Ueber Bemessung von
                                       												Motoren usw.“ entnommen werden, wo es ebenfalls galt, „zur
                                       												Grundlage der Berechnung ein Zeitmaß zu machen, innerhalb dessen die
                                       												Bewegung ausgeführt sein soll“. Dort traf dasselbe zu wie hier:
                                    												„an eine Periode gleichmäßig beschleunigter Bewegung, die
                                       												Anlaufperiode, schließt sich eine zweite mit gleichbleibender
                                       												Geschwindigkeit, die Beharrungsperiode, und die Unbestimmtheit der
                                       												Bewegungsform bezieht sich nur auf die Einteilung der gesamten
                                       												Bewegungsdauer in diese beiden Perioden.“. Nennt man die
                              									Koordinaten des Knickpunktes t1 und v1 so ist
                           
                              S=\frac{v_1\,t_1}{2}+v_1\,(T-t_1)
                              
                           und
                           
                              v_1=\frac{2\,S}{2\,T-t_1}
                              
                           die Gleichung einer gleichseitigen Hyperbel A'AA'', deren eine Asymptote die Abszissenachse
                              									ist.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 329, S. 276
                              Abb. 2.
                              
                           Um also zu entscheiden, welche größte Beschleunigung oder welche kleinste
                              									Reibungsziffer mit einer gegebenen Geschwindigkeit v1 zwischen v=\frac{S}{T} und
                              										v=\frac{2\,S}{T} etwa mit
                              										v_1=\frac{S}{T}\,(1+\varepsilon) verträglich ist, suchen wir
                              									den Punkt mit der Ordinate \frac{S}{T}\,(1+\varepsilon) auf
                              									dieser Hyperbel und finden für ihn:
                           
                              \frac{S}{T}\,(1+\varepsilon)=\frac{2\,S}{2\,T-t_1}
                              
                           t_1=\frac{2\,T\,\varepsilon}{1+\varepsilon} . .
                              									. . (1)
                           und die Beschleunigung, mit welcher die Geschwindigkeit
                              										\frac{S}{T}\,.\,(1+\varepsilon) erreicht wird,
                           p_1=\frac{S}{T}\,(1+\varepsilon)\,:\,\frac{2\,T\,\varepsilon}{1+\varepsilon}=\frac{2\,S}{T^2}\,.\,\frac{(1+\varepsilon)^2}{4\,\varepsilon};\
                                 										(0\,<\,\varepsilon\,<\,1) . . (2)
                           
                           Führen wir noch das Verhältnis σ des beobachteten
                              									Fallraumes zu demjenigen ein, der in der gleichen Zeit auf derselben Neigung bei
                              									fehlender Reibung zurückgelegt wird, so haben wir
                           p_1=g\,\sin\,\alpha\,.\,\frac{\sigma\,.\,(1+\varepsilon)^2}{4\,\varepsilon}
                              									. . . (3)
                           wo natürlich auch σ ein echter
                              									Bruch ist. Da übrigens die Beschleunigung keinesfalls größer als g sin a sein kann, so sind
                              										σ und ε durch die
                              									Ungleichung
                           
                              \frac{\sigma\,(1+\varepsilon)^2}{4\,\varepsilon}\,<\,1
                              
                           verbunden, die für ε einen
                              									kleinsten Wert liefert, und nur zwischen diesem Wert und ε = 1 hat die Hyperbel tatsächliche Bedeutung. Kleinere Geschwindigkeiten,
                              									als diesem ε entsprechen, können nicht
                              									Höchstgeschwindigkeit der unbestimmten Bewegung sein. So war z.B. am 1. April 1913
                              									bei a = 45°
                           
                              \sigma=\frac{2,160\,m}{360,8\,m}=0,006,
                              
                           woraus sich εmin = 0,0015 und νmin = 1,0015 . 212 mm/Sek. ergibt.
                           Der Zusammenhang zwischen Beschleunigung und Reibungsziffer ist nun bekanntlich
                           \mu=\mbox{tg}\,\alpha\,\left(1-\frac{p}{g\,\sin\,\alpha}\right)
                              									. . . . (5)
                           und wir erhalten also mittels der Gleichung (3) als
                              									kleinstmögliche Reibungsziffer bei einer Geschwindigkeit
                              										\frac{S}{T}\,.\,(1+\varepsilon)
                           \mu=\mbox{tg}\,\alpha\,\left[1-\sigma\,\frac{(1+\varepsilon)^2}{4\,\varepsilon}\right]
                              									. . . . (6)
                           Für den eben erwähnten Versuch ergibt sich z.B. wegen σ
                              									= 0,006
                           
                              
                                 mit
                                 ε = 1
                                 ν = 424
                                 mm/Sek.,
                                 μ = 0,994,
                                 
                              
                                 
                                 ε = ⅕
                                 ν = 254
                                 „
                                 μ = 0,989,
                                 
                              
                                 
                                 ε = 1/25
                                 ν = 220
                                 „
                                 μ = 0,960.
                                 
                              
                           Eine obere Grenze für die Reibungsziffer läßt sich in diesen Fällen freilich nicht
                              									angeben. Bei Geschwindigkeiten unter 1,0015 . 212 mm/Sek. kann umgekehrt eine untere
                              									Grenze für μ aus den vorstehenden Betrachtungen nicht
                              									abgeleitet werden, dagegen ist bei ihnen eine Ueberschreitung des Wertes μ = 1 ausgeschlossen. Bei höheren Geschwindigkeiten als
                              									212 mm/Sek. könnte es verwunderlich erscheinen, daß trotz der. Unsicherheit, ob die
                              									betreffende Geschwindigkeit überhaupt erreicht wurde, dennoch ein bestimmter
                              									Mindestwert für die ihr entsprechende Reibungsziffer aus dem Versuch abgeleitet
                              									wird. Man muß aber überlegen, daß die Voraussetzungen für
                              										alle Geschwindigkeiten gemacht wurden.
                           Indessen kann man die. Bewegung bei irgend einer Neigung der schiefen Ebene noch viel
                              									genauer analysieren, wenn man auch die Daten zu. Hilfe nimmt, die sich bei den
                              									geringen Neigungen ergeben haben. So folgt z.B. aus dem ersten Versuch vom 1. April
                              									1913, daß die Reibungsziffer bis zu v = 0,28 mm/Sek.
                              									nicht über 0,213 hinausgegangen sein kann, aus dem zweiten, daß sie bis zu v = 0,75 mm/Sek. 0,268 nicht überschritten haben
                              									kann usw. Daraus folgt dann aber, daß die Geschwindigkeit v = 0,28 mm/Sek., v = 0,75
                              									mm/Sek. usw. bei dem letzten Versuch innerhalb gewisser Zeiten t0,28, t0,75 usw. erreicht
                              									sein müssen, die sich folgendermaßen schrittweise berechnen
                           
                              t_{0,28}=\frac{0,00028}{9,81\,.\,0,707\,(1-0,213)}=0,00005\mbox{
                                 										Sek.}
                              
                           
                              t_{0,75}=0,00005+\frac{0,00075-0,00028}{0,81\,.\,0,707\,(1-0,268)}=0,00014\mbox{
                                 										Sek.}
                              
                           
                              t_{3,9}=0,00014+\frac{0,0039-0,00075}{9,81\,.\,0,707\,(1-0,364)}=0,00084\mbox{
                                 										Sek.}
                              
                           und man findet so schließlich, daß die Geschwindigkeit ν = 98 mm/Sek. spätestens nach 0,124 Sek. erreicht sein
                              									muß, und ähnlich, daß der Fallraum, der bei Erreichung dieser Geschwindigkeit
                              									durchmessen ist, höchstens 16,7 mm betragen kann.
                           Man kann nun für den letzten Teil der Bewegung von ν =
                              									98 mm/Sek. an genau dieselbe Betrachtung anstellen, wie sie oben an Hand der Abb. 2 erfolgte. Die Abb.
                                 										2 verliert nämlich keineswegs ihre Bedeutung, wenn die
                              									Anfangsgeschwindigkeit von 0 verschieden ist, und weiterhin in einer gegebenen Zeit
                              										\overline{T} eine gegebene Strecke
                              										\overline{S} zurückgelegt werden soll. Man kann einfach davon
                              									ausgehen, daß bei Fortbestehen der Anfangsgeschwindigkeit v0 in der Zeit
                              										\overline{T} ein Weg ν0
                              									\overline{T} zurückgelegt werden würde, und braucht also an der
                              										Abb. 2 überhaupt nichts zu ändern, als daß man
                              									den die Hyperbel bestimmenden- Flächenraum gleich
                              										\overline{S}-v_0\,\overline{T} macht, im vorliegenden Fall
                              									also (2160 – 16,7) – 98 . (10,2 – 0,124) = 1156 mm. Somit wird hier
                           
                              \sigma=\frac{2\,.\,1,156}{9,81\,.\,10,08^2}=0,0023
                              
                           und infolgedessen mit den Annahmen
                           ε = 1 ν =
                              									98+ (212 – 98) (1 + 1) = 326 mm/Sek.;
                           μ = 0,998
                           ε = ⅕; ν
                              									= 98 + (212 – 98) (1 + ⅕) = 235 mm/Sek.;
                           μ = 0,996
                           ε = 1/25; ν = 98
                              									+ (212 – 98) (1 + 1/25) = 217 mm/Sek.;
                           μ = 0,984
                           Es würde also bei dieser Berechnung die Unsicherheit über die Art des
                              									Bewegungsvorganges nur noch einen recht geringen Einfluß auf das Ergebnis haben, und
                              									die Versuche auf den geringeren Neigungen liefern den Beweis, daß kein Bedenken
                              									besteht, bei einer Fallzeit von etwa 10 Sekunden die trigonometrische Tangente der
                              									Bahnneigung als die Reibungsziffer bei der mittleren Geschwindigkeit
                              										\frac{S}{T} anzusehen.
                           Bei kürzeren Fallzeiten bleibt freilich der Verlauf der Bewegung unbestimmt, und es
                              									erschien deshalb doch eine selbsttätige Aufzeichnung des Vorganges sehr erwünscht,
                              									um so mehr, als wohl nur auf diesem Wege Störungen und Ungleichmäßigkeiten auch der
                              									langsamen Bewegungen, die ab und zu wahrnehmbar waren, quantitativ festgestellt
                              									werden konnten. Ich habe schließlich für diese Aufzeichnungen ein Verfahren
                              									angewendet, das bei seiner Einfachheit und Genauigkeit gewiß auch über den Zweck
                              									der vorliegenden Arbeit hinaus Interesse finden wird.
                           Ich befestigte an dem gleitenden Körper, dem „Läufer“, eine kleine
                              									Kohlenfadenlampe für 2,5 Volt und 0,3 Amp., die durch einen von der Decke
                              									herabhängenden dünnen Draht gespeist wurde. Im Stromkreis befand sich ein
                              									Unterbrecher in Gestalt einer an einem Ende eingespannten wagerechten Feder, die in
                              									lotrechte Schwingungen versetzt wurde und bei jeder Ausschwingung nach unten während
                              									einer halben Periode einen Quecksilberkontakt schloß. Die Lampe leuchtete
                              									infolgedessen bei der Bewegung strichweise auf, und es erübrigte nur, die
                              									Erscheinung photographisch festzuhalten. Zur bequemen Auswertung der Aufnahmen war
                              									die Bahn mit einem Maßstab versehen, der schließlich bei unverrückter Kamera und
                              									geeigneter Beleuchtung besonders aufgenommen wurde. Das Verfahren bot bei zehn
                              									Unterbrechungen in der Sekunde noch so wenig Schwierigkeiten, daß seine
                              									Verwendbarkeit auch für größere Geschwindigkeiten und Genauigkeiten, als ich sie
                              									brauchte, außer Frage stehen dürfte.
                           
                              (Fortsetzung folgt.)