| Titel: | Die Bedeutung des Experimentes im physikalischen und chemischen Unterricht. | 
| Fundstelle: | Band 329, Jahrgang 1914, S. 514 | 
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                        Die Bedeutung des Experimentes im physikalischen
                           								und chemischen Unterricht.
                        Von Ingenieur Otto
                              									Friedrich in Berlin-Siemensstadt.
                        FRIEDRICH: Die Bedeutung des Experimentes im physikalischen und
                           								chemischen Unterricht.
                        
                     
                        
                           Die Zeit liegt so weit noch nicht zurück, da man im physikalischen Unterricht
                              									den Hauptwert auf theoretische Behandlung der Lehrsätze legte und deren
                              									mathematische Fassung durch eine größere Zahl rechnerischer Aufgaben dem Gedächtnis
                              									einzuprägen suchte. Ein Experiment wurde nur gelegentlich ausgeführt und diente
                              									lediglich zur Bestätigung eines schon mathematisch abgeleiteten Satzes. Diese Art
                              									des Unterrichtes hatte nur bei verhältnismäßig wenig Schülern Erfolg; bei vielen
                              									verdarb er für das ganze Leben das Interesse an Wissensgebieten, die von der
                              									Schulzeit her mit unangenehmen Erinnerungen unlösbar verknüpft waren. Heutigentages
                              									geht man von dem Satze aus, daß die Anschauung die Grundlage der Erkenntnis ist, und
                              									beginnt deshalb mit dem Experiment. Im chemischen und physikalischen Unterricht
                              									sieht der Schüler das Experiment, erlebt den Vorgang selbst, erst dann wird das
                              									Gesehene durchgesprochen, und durch vorsichtiges Verallgemeinern der Lehrsatz
                              									abgeleitet.
                           Mit den Ansichten über Methodik haben sich auch die über Ziel und Zweck des
                              									Unterrichtes vollkommen umgestaltet. Der Schüler soll in erster Linie lernen,
                              									richtig zu beobachten und aus den Beobachtungen Schlüsse zu ziehen. Es ist durchaus
                              									unnötig, daß er eine große Menge einzelner Daten weiß, er soll aber Verständnis für
                              									den Zusammenhang der Erscheinungen, offenen Blick für das Wesentliche und eine
                              									Fülle auf eigener Anschauung beruhender Erfahrungen aus der Schule ins Leben
                              									mitbringen.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 329, S. 513
                              Abb. 1. Moderner Chemiehörsaal mit Experimentierschalttafel
                              
                           Dieses Resultat der Erziehung ist aber nicht nur für den einzelnen, sondern für die
                              									Zukunft eines ganzen Volkes wichtig. So ist z.B. das wirtschaftliche Gedeihen eines
                              									Landes davon abhängig, daß in möglichst weiten Kreisen der Bevölkerung Verständnis
                              									für die Aufgaben und Leistungen der Technik geweckt wird. Denn nur dann, wenn es
                              									vorhanden ist, werden die von der Industrie erzeugten technischen Hilfsmittel Verbreitung finden
                              									und zweckentsprechend ausgenutzt werden. Das.Verständnis zu wecken, ist Sache der
                              									Schule im naturwissenschaftlichen, speziell technischen Unterricht. Sie hat die
                              									Schüler anzuregen, die Werke der Technik und Erzeugnisse der Industrie zu verstehen,
                              									sie kritisch zu beobachten und ihre Entwicklung aufmerksam zu verfolgen. In Ländern
                              									mit hochentwickelter Industrie wird das längst gebührend gewürdigt, es ist jedoch
                              									von weitaus größerer Bedeutung für Länder mit wenig Industrie. Je weniger der
                              									Schüler im täglichen Leben Anschauungen sammeln kann, desto mehr muß die Schule
                              									aushelfen, desto mehr muß demonstriert und experimentiert werden.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 329, S. 514
                              Abb. 2. Starkstrom-Influenzmaschine mit Motorantrieb 
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 329, S. 514
                              Abb. 3. Demonstration der Lichtbrechung mittels der Liliputlampe und
                                 										Zusatzapparale nach Grimsehl
                              
                           Im Chemieunterricht ist das wohl von jeher geschehen. Einmal ist hier das Experiment
                              									unumgänglich notwendig zum Verständnis. Chemische Reaktionen müssen vorgeführt
                              									werden, aus Schilderungen allein kann sich niemand ein klares Bild dieser Vorgänge
                              									machen. Außerdem aber sind chemische Experimente leicht und elegant auszuführen; sie
                              									bedürfen weder vieler Vorbereitungen, noch besonders umfangreicher Apparaturen. Nur
                              									ein Zweig der Chemie kommt noch heute oft zu kurz, und das ist um so
                              									unangenehmer, als beim Schüler sich dadurch leicht die Vorstellung festsetzt, es sei
                              									das ein nebensächlicher Zweig der Chemie; und dabei ist es gerade dieser Zweig, die
                              									Elektrochemie, die in der Praxis und für die moderne Technik die allergrößte
                              									Bedeutung erlangt hat.
                           Der Physikunterricht konnte vor einigen Jahrzehnten ohne Experimente und mit
                              									spärlichen Demonstrationen immerhin noch einigermaßen zufriedenstellende Resultate
                              									erzielen. Seitdem aber die Wissenschaft der neueren Zeit uns mit einer solchen Fülle
                              									neuer Erscheinungen bekannt gemacht hat, deren Verständnis aus bloßen Beschreibungen
                              									und Bildern unmöglich erreicht werden kann, mußte das Experiment auch im
                              									physikalischen Unterricht der Ausgangspunkt werden.
                           Wohl die wichtigste dieser neuen Erscheinungen ist die Elektrizität. Sie hat sich
                              									einen unermeßlichen Einfluß im praktischen Leben errungen, ihre Verwendung nimmt in
                              									allen Ländern der Welt täglich zu, besonders da, wo natürliche Kraftquellen irgend
                              									welcher Art vorhanden sind, wie Brennstoffe, Wasserkräfte usw. Deswegen nimmt die
                              									Elektrizitätslehre im Unterricht einen breiten Raum ein, zumal da sie nicht etwa ein
                              									für sich abgeschlossenes Gebiet darstellt, sondern in engem Zusammenhang steht mit
                              									den verschiedensten anderen Gebieten der Physik und Chemie. Aus diesem Grunde soll
                              									im nachstehenden gezeigt werden, was die Elektrizität uns an Hilfsmitteln zum
                              									Experimentierunterricht an die Hand gibt, und was durch moderne Experimentier- und
                              									Demonstrationsapparate erreicht werden kann (Abb.
                                 									1).
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 329, S. 514
                              Abb. 4. Demonstrations-Strommodell nach Lippmann
                              
                           Daß man in der Elektrizität eine vielseitig, bequem und leicht verwendbare Energie
                              									ständig zur Qrimsehi Verfügung hat, wirkt auf den ganzen Unterricht befruchtend ein.
                              									Man kann die Elektrizität in mechanische Energie umwandeln: ein kleiner Motor wird
                              									an eine Steckdose angeschlossen, und mühelos lassen sich Schwungmaschine zur
                              									Demonstration der Zentrifugalkraft, Farbenkreisel zur Erzeugung von Mischfarben und
                              									Weiß aus Komplementärfarben, Luftpumpe, Influenzmaschine (Abb. 2) und anderes mehr betreiben. Man benutzt sie zur Erzeugung von
                              									Licht: eine kleine Universalbogenlampe nach Prof. Dr. Classen oder eine Liliputbogenlampe nach Professor Grimsehl schaffen ganz neue Möglichkeiten, optische
                              									Gesetze zu demonstrieren. Die Abb. 3 zeigt eine
                              									Versuchsanordnung der Liliputbogenlampen zur Vorführung der Lichtbrechung, die
                              									Strahlen sind durch Zigarrenrauch sichtbar gemacht. Erst derjenige, der einmal damit
                              									gearbeitet hat, wird den Fortschritt schätzen können, den diese Apparatur bedeutet
                              									gegenüber der alten optischen Bank mit einer Kerze oder gar mit Sonnenlicht, das
                              									durch einen Spalt in den verdunkelten Hörsaal geleitet wurde, und die Vorführung von
                              									Tageslicht und Wetter abhängig machte. Reflexion von Hohl- und Konvexspiegel,
                              									Strahlengang durch Linsen sind so mit Hilfe der Grimsehlschen Modelle und des intensiven Lichtes einer Bogenlampe sinnfällig
                              									und klar zu zeigen, während doch gerade diese Gesetze sonst ausschließlich
                              									mathematischer Behandlung vorbehalten waren: ein besonders deutliches Beispiel für
                              									das, was man mit Anwendung moderner Hilfsmittel erreichen kann.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 329, S. 515
                              Abb. 5. Stromzeiger mit Ferraris-System
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 329, S. 515
                              Abb. 6. Demonstrations-Instrument (Drehspulsystem) Rückseitige Skala mit
                                 										feiner Unterteilung
                              
                           Der Vortrag der Wärmelehre wird durch Anwendung elektrischer Apparate um eine
                              									Reihe sehr interessanter Vorführungen bereichert. Mit Hilfe eines Thermoelementes
                              									aus Platin-Platinrhodium, eines sogen, elektrischen Pyrometers, lassen sich z.B. die
                              									Temperaturen der Flamme eines Bunsenbrenners messen, und durch die Verschiedenheit
                              									der Temperatur an der Spitze, am Rande und im Kern läßt sich die Struktur einer
                              									Flamme zeigen. Späterhin kann dieselbe Apparatur dazu dienen, die Erscheinungen der
                              									Thermoelektrizität zu erläutern.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 329, S. 515
                              Abb. 7. Demonstrations-Spiegelgalvanometer
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 329, S. 515
                              Abb. 8. Einsatzsystem zum Demonstrations-Spiegelgalvanometer
                              
                           Das hauptsächlichste Anwendungsgebiet elektrischer Apparate und Einrichtungen ist
                              									natürlich Elektrizitätslehre und Elektrotechnik. So mannigfaltig die Menge der
                              									Erscheinungen ist, so vorzüglich sind auch die Demonstrationsapparate durchgebildet.
                              									So ist das Demonstrations-Strommodell nach Oberlehrer Dipl.-Ing. A. Lippmann (Abb. 4) ein
                              									ganzes physikalisches Kabinett im kleinen; es lassen sich mit ihm so ziemlich alle
                              									Eigenschaften des elektrischen Stromes zeigen; infolgedessen stellt es besonders für
                              									kleinere Schulen ein vorzügliches Lehrmittel dar. Das Strommodell wird an ein
                              									Gleichstromnetz unter Vorschaltung eines Widerstandes angeschlossen, kann aber auch
                              									durch eine kleine Batterie von etwa 8 Volt Spannung gespeist werden, wenn die Schule
                              									keinen elektrischen Anschluß besitzen sollte.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 329, S. 515
                              Abb. 9. Stöpselmeßbrücke in Wheatstonescher Schaltung
                              
                           Bei der ungeheuren Ausdehnung, die heutigentags die Leitungsnetze elektrischer
                              									Zentralen erreicht haben, sind aber die meisten Lehranstalten schon des Lichtes wegen angeschlossen:
                              									sollte das nicht der Fall sein, so läßt sich wohl überall mit leichter Mühe und
                              									geringen Kosten wenigstens für den Physikalsaal ein Anschluß herstellen. Und daß
                              									dann der Unterricht auf eine ganz andere Stufe gehoben wird, wenn man statt
                              									kümmerlicher Behelfe elektrischen Starkstrom benutzen kann, wie er in der Praxis
                              									vorkommt, bedarf wohl kaum der Erwähnung.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 329, S. 516
                              Abb. 10. Demonstrations-Meßdrahtbrücke
                              
                           Zu Experimenten mit elektrischem Strom sind in erster Linie Meßinstrumente nötig.
                              									Diese müssen ausreichend große Skala und entsprechenden Zeiger haben, um auch von
                              									den letzten Plätzen des Hörsaales aus ein bequemes Ablesen zu ermöglichen. Sehr
                              									praktisch sind die Demonstrationsmeßinstrumente der Siemens
                                 										& Halske A.-G. Sie besitzen 180 mm lange Zeiger, und durch ihre unten
                              									verjüngte Form (Abb. 5) nehmen sie nicht allzuviel
                              									Raum des Experimentiertisches in Anspruch. Ihr Gehäuse ist vorn und hinten mit Glas
                              									abgedeckt, so daß sie zugleich zu Demonstrationen der Konstruktion und Wirkungsweise
                              									des Meßsystems benutzt werden können. Ihr Hauptvorzug ist aber der, daß sie eine
                              									zweite, rückwärtige Skala besitzen (Abb. 6), auf
                              									welcher der Zeigerausschlag im gleichen Sinne erfolgt wie auf der großen Skala.
                              									Dadurch wird der Dozent der Notwendigkeit überhoben, sich die Zeigerstellung durch
                              									Aufstellen von Spiegeln und ähnliche umständliche Maßnahmen sichtbar zu machen. Da
                              									diese zweite Skala eine feinere Unterteilung besitzt, kann das Instrument auch zu
                              									Messungen im Praktikum verwendet werden.
                           Für feinere Ablesungen kommen dann die Spiegelgalvanometer in Frage. Das
                              									Demonstrations-Spiegelgalvanometer der Abb. 7 und
                              										8 besitzt ein besonders breites Glasfenster, um
                              									das Meßsystem beobachten zu können, und einen sehr großen Planspiegel von 20 mm
                              									Durchmesser. Dadurch wird die Lichtstärke des reflektierten Bildes erheblich
                              									gesteigert, auch kann man mit größerem Winkel zwischen ein- und ausfallendem
                              									Lichtstrahl arbeiten; die Aufstellung kann im Hörsaal also auch seitwärts, unter
                              									beliebigem Winkel erfolgen.
                           Widerstandsmessungen führt man im Laboratorium meist mit einer Stöpselmeßbrücke (Abb. 9) aus; für Demonstrationen im Hörsaal eignet
                              									sich aber weit besser die Demonstrations-Meßdrahtbrücke (Abb. 10), an der man auch das Ohmsche Gesetz ableiten kann. Sie besitzt
                              									einen 1 m langen Meßdraht aus Konstanten und eine weithin sichtbaren Skala mit
                              									großen Zahlen, über der sich ein der Schieberstellung entsprechender Zeiger bewegt.
                              									Außerdem ist für genauere Messungen, etwa beim Gebrauch zu Schülerübungen im
                              									Laboratorium, eine feinere Skala angebracht.
                           
                              (Fortsetzung folgt.)