| Titel: | Ueber die freie Expansion von Gasen und Dämpfen. | 
| Autor: | G. Zerkowitz | 
| Fundstelle: | Band 329, Jahrgang 1914, S. 639 | 
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                        Ueber die freie Expansion von Gasen und
                           								Dämpfen.
                        Von Dr.-Ing. G. Zerkowitz in
                           									München.
                        ZERKOWITZ: Ueber die freie Expansion von Gasen und
                           								Dämpfen.
                        
                     
                        
                           Inhaltsübersicht.
                           
                              1. Mit Hilfe der Helmholtz sehen
                                 										Theorie über die Diskontinuitätsflächen wird der Nachweis für die Möglichkeit
                                 										der freien Expansion erbracht.
                              2. Die Anwendung des Satzes vom Antrieb ergibt, daß für die
                                 										Berechnung der achsialen Endgeschwindigkeit bei freier Expansion die für
                                 										erweiterte Düsen gültige Formel nicht benutzt werden darf. Für einen
                                 										Anfangsdruck von 6 at ergibt sich eine Höchstgeschwindigkeit von etwa 840
                                 										m/Sek.
                              3. Die Theorie zeigt, daß die freie Expansion gegenüber der
                                 										Expansion in einer erweiterten Düse – ganz abgesehen von der Ablenkung der Achse
                                 										des Strahles beim „Schrägabschnitt“ – einen prinzipiellen Verlust ergibt, der aber bei mäßiger Ueberschreitung des
                                 										kritischen Gefälles gering ist.
                              4. Die Anwendung des Wechselwirkungsgesetzes ergibt auch
                                 										unabhängig von unserer Theorie, daß die Reaktionsdruckmessung die bei der freien
                                 										Expansion auftretende Reibung größtesteils nicht berücksichtigt.
                              
                           Im Nachfolgenden möge ein Beitrag zu einem Problem geliefert werden, das sowohl vom
                              									Standpunkt der Strömungstheorie, als auch von dem des praktischen Dampfturbinenbaues
                              									eine gewisse Bedeutung erlangt hat. Es handelt sich um die Expansion von Gasen oder
                              									Dämpfen nach dem Austritt aus einer Düse. Bekanntlich unterscheidet man zwischen
                              									erweiterten Düsen (Lavaldüsen) und nicht erweiterten Düsen oder Mündungen.
                           Für die erweiterten Düsen zeigte Zeuner (Theorie der
                              									Turbinen, Leipzig 1899), daß eine Ueberschreitung der „Schallgeschwindigkeit“
                              									im Innern der Düse stattfindet. Für einfache Mündungen behauptete Zeuner, daß eine höhere Geschwindigkeit als die
                              									Schallgeschwindigkeit nicht erzielt werden könne. Seit den Versuchen von Lewicki (Mitteilungen über Forschungsarbeiten, Heft 12,
                              									sowie Z. d. V. d. I. 1903) ist es jedoch bekannt, daß auch mit Hilfe einer
                              									nichterweiterten Düse Ueberschallgeschwindigkeit erzielt werden kann, sobald der
                              									Gegendruck kleiner wird als der sogenannte „kritische Druck“. Die
                              									Richtigkeit dieser Anschauung wurde durch die Untersuchungen von Prandtl, Mag in und
                              									Th. MeyerPrandtl, Physikalische Zeitschrift 1907; Magin und Th. Meyer,
                                    											Mitteilungen über Forschungsarbeiten Heft 62. bestätigt.
                           Trotzdem wurde die Möglichkeit der freien Expansion wiederholt bezweifelt, anderseits
                              									finden sich in der Literatur mitunter Erklärungen für diese Erscheinung, denen vom
                              									physikalischen Standpunkte nicht beigepflichtet werden kann. Es mögen daher an
                              									dieser Stelle die Möglichkeit und die Bedingungen der freien Expansion auf Grund
                              									physikalischer Erwägungen näher untersucht werden.
                           Betrachtet man zunächst den Strömungsvorgang als eindimensional, so gilt für die
                              									Expansion eines Gases oder Dampfes:
                           \frac{w\,d\,w}{g}=-v\,d\,p-d\,R . . . . . .
                              									(1)
                           wobei w die
                              									Strömungsgeschwindigkeit, v das spezifische Volumen,
                              										p den Druck, R die auf
                              									die Gewichtseinheit des strömenden Mediums bezogene Reibungsarbeit bedeutet. Setzt
                              									man
                           d\,R=\frac{\zeta\,w^2}{g}\,d\,z . . . . . .
                              									(2)
                           worin d z das Wegelement, C einen Widerstandskoeffizienten bedeutet, und benutzt
                              									man außerdem die für eindimensionale Strömung streng
                              									gültige Kontinuitätsbedingung
                           G v = f w. . . . . . . .(3)
                           worin G das sekundlich durch den
                              									Querschnitt ζ strömende Gas- oder Dampfgewicht ist, so
                              									kann man für die etwa auf experimentellem Wege gefundene Zustandsänderung
                           p = ψ (v). . . . . . .(4)
                           für den Druck und den Geschwindigkeitsverlauf die
                              									nachfolgenden
                           
                           Differentialgleichungen aufstellen:Vgl.
                                    												Stodola, Die Dampfturbinen IV. S. 75. Zerkowitz, Z. f d. ges Turbinenwesen 1912, S.
                                    											395, sowie „Thermodynamik der Turbomaschinen“, München
                                    										1913.
                           \frac{d\,p}{d\,z}=\left(\frac{\zeta-\frac{d\,f}{f\,d\,z}}{w^2-{w_{\mbox{s}}}^2}\right)\,\frac{w^2\,{w_{\mbox{s}}}^2}{g\,v}
                              									. . . . . . (5)
                           \frac{d\,w}{w\,d\,z}=\frac{{w_{\mbox{s}}}^2\,\frac{d\,f}{f\,d\,z}-\zeta\,w^2}{w^2-{w_{\mbox{s}}}^2}
                              									. . . . . . (6)
                           In beiden Gleichungen bedeutet ws die Schallgeschwindigkeit für die
                              									Zustandsänderung p = Ψ'(v), und es ist
                           w_{\mbox{s}}=\sqrt{g\,\frac{d\,p}{d\,\gamma}} .
                              									. . . . . .(7)
                           wobei γ das spezifische Gewicht
                              									des strömenden Mediums bedeutet.
                           Wenn w = ws ist, wird der Nenner in Gleichung (6)
                              									gleich Null, es muß daher, da eine unendlich große Beschleunigung physikalisch nicht
                              									möglich ist, in diesem Falle auch der Zähler verschwinden, mithin wird
                           \frac{d\,f}{f\,d\,z}=\zeta . . . . . . .(8)
                           Darnach kann die Schallgeschwindigkeit nur im Innern divergenter Rohre auftreten,
                              									d.h. im Innern nichterweiterter Düsen kann die
                              									Schallgeschwindigkeit nicht überschritten werden, es sei denn, daß eine Ablösung des
                              									Strahles von den Wänden stattfindet. Es bleibt aber die Möglichkeit bestehen, höhere
                              									Geschwindigkeiten mittels der Expansion im freien Außenraum zu erreichen.
                           HelmholtzMonatsberichte der
                                    											Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1868. hat in seiner Schrift
                              										„Ueber diskontinuierliche Flüssigkeitsbewegung“ zum ersten Male eine neue
                              									Bewegungsform der Flüssigkeiten untersucht. Während man früher der Ansicht war, daß
                              									die Geschwindigkeit nur eine stetige Funktion des Ortes sein kann, zeigte Helmholtz, daß endliche Geschwindigkeitsunterschiede
                              									benachbarter Flüssigkeitsschichten physikalisch möglich sind. Die Fläche, längs der
                              									zwei aneinander grenzende Flüssigkeitsschichten mit endlicher relativer
                              									Geschwindigkeit vorbeiströmen, heißt „Diskontinuitäts-
                                 										oder Trennungsfläche“.
                           Die Strömungsbilder von Prandtl u.a. (a. a. O.) haben nun
                              									gezeigt, daß der Strahl nach dem Verlassen der Düse oder Mündung auf einem
                              									beträchtlichen Wege noch geschlossen bleibt. Hierbei entstehen (Stodo1a a. a. O. S. 85 und Prandtl) Schwingungen des freien Strahles, indem zunächst eine Expansion
                              										unter den äußeren Druck p2 stattfindet, worauf eine
                              									Rückverdichtung erfolgt. Die Schwingungen klingen allmählich ab.
                           Der Grund für die Möglichkeit einer derartigen freien Expansion ist nun in der Bildung von Helmholtzschen Trennungsflächen am
                              									Strahlrande zu suchen. Andernfalls wäre eine geordnete Strömung des ungeführten,
                              									freien Strahles nicht möglich, es müßte vielmehr eine Streuung des Dampfstrahls nach
                              									Verlassen der Mündung erfolgen.
                           Daß eine weitere Expansion im freien Raum auch wirklich stattfindet, wird vor
                              									allem durch die Prandtlschen Versuche bestätigt. Schon
                              									eine oberflächliche Betrachtung der Strahlbilder, von denen eine schematische
                              									Darstellung im weiteren Verlauf dieser Arbeit wiedergegeben wird, lehrt aber, daß
                              									die freie Expansion ein grundsätzlich anderes Strömungsbild liefert gegenüber der
                              									Expansion in einer erweiterten Düse.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 329, S. 640
                              Abb. 1.
                              
                           Zur näheren Einsicht führt folgende Ueberlegung: Sieht man zunächst von der
                              									Wandreibung ab, so werden in der erweiterten Düse (Abb.
                                 										1) alle Strahlen gleichartig expandieren. Nach Zurücklegung des Weges z nehmen z.B. die Strahlen den Druck p an, wobei pm > p > p2
                              									ist. Ganz anders gestalten sich das Strömungsbild und der Druckverlauf bei freier
                              									Expansion. Denkt man sich nämlich in Abb. 1 den
                              									divergenten Teil der Wandungen entfernt, so kann der Strahl nicht in gleicher Weise
                              									aufrecht erhalten werden; denn Dampfteilchen vom Druck p; (veränderlich in den Grenzen pm bis p2) stünden unmittelbar
                              									mit dem Außenraum in Berührung, in dem der Druck p2 herrscht. Ein solcher Zustand erscheint aber nicht
                              									denkbar, da an den Trennungsflächen wohl endliche Geschwindigkeitsunterschiede,
                              									nicht aber so große, unter Umständen mehrere Atmosphären betragende Druckstürze
                              									vorkommen können. Zum Glück zeigen auch schon die photographisch aufgenommenen
                              									Strömungsbilder, daß der Vorgang ganz anders verläuft.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 329, S. 640
                              Abb. 2.
                              
                           Wie Th. Meyer (a. a. O.) bemerkt, erfährt ein Gasstrahl,
                              									der um eine Ecke A strömt, eine von der Ecke ausgehende
                              									Störung, wobei auf jedem durch A gelegten Fahrstrahl
                              									überall derselbe Zustand herrscht (Abb. 2). Dabei
                              									betrachtet Meyer zunächst die durch zwei zueinander
                              									geneigte Wände gebildete Ecke, bemerkt aber, daß sich der gleiche Vorgang bei der
                              									Expansion ins Freie vollzieht. Wenn z.B. der Strahl längs einer Wand mit der
                              									Ueberschallgeschwindigkeit w1 strömt (Druck p1) und im Außenraum ein Druck p2 < p1
                              									herrscht, so geht im keilförmigen Raum zwischen den Fahrstrahlen A 1 und A 2 die
                              									Expansion vor sich. Es ist
                           \sin\,\alpha_1=\frac{a_1}{w_1},
                              										\sin\,\alpha_2=\frac{a_2}{w_2},
                           wobei a1 und a2 die
                              									dem jeweiligen Gaszustande entsprechenden Werte der Schallgeschwindigkeit bedeuten.
                              									Nach der vollzogenen Expansion auf den Druck p2 strömt der Strahl mit der Geschwindigkeit w2 weiter. a1 und a2 sind die sogen.
                              											„Machschen Winkel“. Bei der von
                           
                           Th. Meyer aufgestellten Theorie ist widerstandsfreie
                              									Strömung angenommen.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 329, S. 641
                              Abb. 3.
                              
                           Wie schon Stodola durch wissenschaftliche Versuche
                              									festgestellt hat, entstehen beim Ausströmen aus einer Düse ins Freie
                              									Druckschwankungen. Ganz besonders anschaulich ist in dieser Hinsicht eine neuerdings
                              									von PrandtlAbriß
                                    											der Lehre von der Flüssigkeits- und Gasbewegung, Abdruck aus dem
                                    											Handwörterbuch der Naturwissenschaften, Jena 1913, S. 54.
                              									gegebene Darstellung eines Gasstrahles, der in paralleler Strömung mit
                              									Ueberschallgeschwindigkeit aus einer länglich rechteckigen Oeffnung ins Freie tritt
                              									(vgl. Abb. 3). Wenn im Austrittsraum ein kleinerer
                              									Druck herrscht, so gehen von jeder Austrittskante keilförmige Verdünnungswellen aus,
                              									die sich durchkreuzen und an der gegenüberliegenden Strahlgrenze als
                              									Verdichtungswellen reflektiert werden. Wie Prandtl
                              									bemerkt, ist dabei der Druck p3 niedriger als der Außendruck p2 in ähnlichem Maße
                              									als p1 höher ist als
                              										p2. Der Strahl wird
                              									also Schwingungen unterworfen, wobei der Druck im mittleren Kern bald höher, bald
                              									niedriger ist als der Druck des Außenraumes, der den ganzen Strahl umgibt. In
                              									Wirklichkeit zeigt sich, daß diese Druckschwankungen durch die Reibung des
                              									strömenden Mediums gedämpft werden, die Schwingungen klingen allmählich ab, so daß
                              										der Strahl schließlich in geschlossener Form mit dem
                                 										Druck
                              									p2
                              									weiter strömt.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 329, S. 641
                              Abb. 4.
                              
                           Vom technischen Standpunkt ist besonders die Frage von Wichtigkeit, welche
                              									Geschwindigkeit dabei der Strahl erreichen kann. Die vielleicht naheliegend
                              									erscheinende Annahme, daß bei freier Expansion der Strahl die gleiche
                              									Geschwindigkeit erreichen könnte wie bei der Expansion in der erweiterten Düse,
                              									trifft nämlich nicht zu. Einmal expandiert der Dampf nicht nur in achsialer, sondern
                              									auch in radialer Richtung. Außerdem ist der Strahl nach dem Austritt aus der Düse in
                              									seiner äußeren Umgrenzung überall dem Einfluß des Druckes p2 der Umgebung unterworfen. Abb. 4 stellt z.B. den Verlauf des austretenden
                              									Strahls für den Fall dar, daß das Abklingen der Schwingungen nach einer
                              									Druckschwankung erfolgt. Es ist klar, daß bei diesem viel verwickelterem
                              									Strömungsverlauf die Betrachtung des Vorganges als eindimensionale Strömung, die bei erweiterten Düsen eine gute
                              									Uebereinstimmung von Theorie und Versuch ergibt, nicht mehr ohne weiteres tunlich
                              									ist. Die einzelnen Dampfstrahlen nehmen nicht mehr den gleichen Druck und die
                              									gleiche Geschwindigkeit an.
                           Man kann aber zwecks Aufstellung einer Näherungstheorie die Frage aufwerfen, welche
                              									mittlere Geschwindigkeit der Strahl in achsialer Richtung erreichen kann. Zu diesem
                              									Zweck kann man mit Vorteil vom Satz vom Antrieb Gebrauch machen. Ueber die Anwendung
                              									derartiger Verfahren bemerkt Prandtl (a. a. O., S. 12):
                              										„Der Wert der Impulssätze besteht darin, daß sie nur Aussagen über Zustände
                                 										an den Grenzflächen eines Gebietes enthalten und man deshalb aus ihnen auch
                                 										Schlüsse auf Vorgänge ziehen kann, deren Einzelheiten man nicht vollständig
                                 										beherrscht“. In der Schnittebene I habe der
                              									Dampfstrahl (Abb. 4) einen Querschnitt f1, einen mittleren
                              									Druck p1 und eine
                              									mittlere Geschwindigkeit wI
                              									= w1 in achsialer
                              									Richtung. In der Schnittebene II, in der das Abklingen
                              									der Schwingungen gerade erfolgt ist, seien die diesbezüglichen Werte p2 und wII (wobei aber wII nicht mit w2 zu verwechseln ist).
                              									Der Druck des zuströmenden Dampfes sei p0. Für die im Zeitelement d
                                 										t durchströmende Masse d m nimmt hierbei die
                              									Bewegungsgröße in achsialer Richtung um den Betrag d m
                                 										(wII
                              									– wI) zu. Der zugehörige Kraftantrieb P d t ergibt sich nun aus folgender Ueberlegung:
                           Nach der Prandtl sehen Darstellung wird der Strahl überall
                              									von einem Druck umgeben, der gleich p2 ist. Daher heben sich die auf die Mantelflächen
                              									des Strahles wirkenden Drücke gegen die auf die Ringfläche fII – fI wirkenden Drücke auf. Als beschleunigende Kraft
                              									verbleibt daher ganz unabhängig davon, wie die Schwingungen verlaufen, fI
                              									(p1
                              									– p2). Ihr wirkt die
                              									Reibungskraft Pr
                              									entgegen, die, das „Dämpfen“ der Schwingungen hervorruft, da andernfalls die
                              									Druckschwankungen bis ins Unendliche verlaufen würden. Es gilt also, wenn d t das Zeitelement bedeutet:
                           d m (wII– wI) =fI (p1
                              									– p1) d t – Pr d t. . . .
                              									(9)
                           Nun ist aber \frac{d\,m}{d\,t}=M die in der
                              									Zeiteinheit durchströmende Masse, und es ist für stationäre Bewegung:
                           M=\frac{f_1\,w_1}{g\,v_1}\mbox{ und
                                 										}(w_{\mbox{II}}-w_{\mbox{I}})\,\frac{f_1\,w_1}{g\,v_1}=f_1\,(p_1-p_2)-P_{\mbox{r}}
                              									. . . . . . (9a)
                           Wenn man annehmen darf, daß die Reibung Pr sehr gering, jedoch noch so groß ist, um
                              									ein allmähliches Dämpfen der Schwingungen hervorrufen zu können, so kann in
                              									Gleichung (9a) die Größe Pr vernachlässigt werden und man erhält als idealen
                                 										Grenzwert der erreichbaren Achsialgeschwindigkeit des ausströmenden
                                 										Strahles:
                           w_{\mbox{II}}=w_{\mbox{I}}+\frac{g\,v_1}{w_1}\,(p_1-p_2) . .
                              									. . . .(10)
                           Die wirklich auftretende mittlere Achsialgeschwindigkeit ist
                              									freilich wegen der Reibungsverluste kleiner. Die Näherungsformel (10) kann verwendet
                              									werden, sobald der
                           
                           Gegendruck p2
                              									niedriger ist als der Druck im Austrittsquerschnitt p1.
                           So lange die Reibung am Strahlrande gering ist, trifft auch die Voraussetzung, daß
                              									der Druck am Strahlrande gleich dem Druck p2 im Gegenraum ist, mit guter Näherung zu. Für den
                              									Grenzfall der unendlich kleinen Reibung, trifft die Voraussetzung genau zu. Sobald
                              									die Schwingungen vollständig abgeklungen sind, tritt ein Ausgleich der Pressung im
                              									Strahle mit der Pressung im Gegenraum ein, so daß auch die Annahme, daß im
                              									Querschnitt fII der
                              									Druck p2 auftritt, zu
                              									Recht besteht.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 329, S. 642
                              Abb. 5.
                              
                           Eine weitere Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Impulssatzes besteht darin, daß
                              									der Strahl vollständig geschlossen bleibt. Diese Voraussetzung scheint auf Grund der
                              									bisher bekannt gewordenen Strahlbilder in weiten Grenzen zuzutreffen. Bei der
                              									Expansion ins Vakuum ist freilich nach der Meyerschen
                              									Theorie die Ablenkung der Strahlen eine derart starke, daß sich in diesem Falle
                              									nicht alle Stromfäden zu einem geschlossenen Strahle vereinigen dürften.
                           Für den besonderen Fall, daß die Düse nicht erweitert ist, bedeutet wI die
                              										„kritische“ Geschwindigkeit. Dieser Fall möge an der Hand eines
                              									Zahlenbeispiels behandelt werden. Es möge die Ausströmung aus einer nicht
                              									erweiterten Düse ohne Schrägabschnitt von trocken
                              									gesättigtem Dampf von p0 = 6 at abs. betrachtet werden. Der „kritische Druck“
                              									p1
                              									= pm = 0,577 p0 = 3,462 at.
                           
                              
                                 Gegendruck p2
                                 3,46
                                 2,5
                                 1,5
                                 1
                                 0,5
                                 0,2
                                 0,1
                                 (0,02)
                                 
                              
                                 w2 m/Sek.
                                 449
                                 560
                                 679
                                 778
                                 900
                                 1028
                                 1120
                                 (1265)
                                 
                              
                                 wII m/Sek.
                                 449
                                 558,5
                                 672
                                 730
                                 789
                                 822
                                 834
                                 (843)
                                 
                              
                           In der Zahlentafel ist in der ersten Zeile der Gegendruck, in der zweiten Zeile die
                              									bei vollkommener Expansion auf diesen Gegendruck (etwa mit Hilfe einer erweiterten
                              									widerstandsfreien Düse) erreichte Geschwindigkeit w2, in der dritten Zeile dagegen der
                              									Grenzwert der bei freier Expansion erreichbaren mittleren achsialen
                              									Strahlgeschwindigkeit wII eingetragen. Die Ergebnisse sind in Abb.
                                 										5 veranschaulicht, wobei als Abszissen die Wärmegefälle H, als Ordinaten die Geschwindigkeiten w2 und wII aufgetragen sind.
                              									Aus der Abb. 5 ergibt sich, daß wII bei mäßiger
                              									Ueberschreitung des kritischen Gefälles von w2 nicht wesentlich abweicht, während bei größeren
                              									Gefällen wII erheblich
                              									hinter w2 zurückbleibt.
                              									Mit andern Worten ist die freie Expansion mittels nicht erweiterter Düsen schädlich,
                              									sobald das kritische Gefälle um bedeutendere Beträge überschritten wird. Die
                              									Darstellung nach Abb. 5 liefert noch einen weiteren
                              									wertvollen Aufschluß: Sie zeigt, daß eine achsiale Geschwindigkeit über etwa 840
                              									m/Sek. durch die freie Ausströmung aus einer parallelwandigen oder verengten Düse
                              									mit Normalabschnitt nicht erzielt werden kann. Dieser
                              									Wert gilt zunächst für einen Anfangsdruck von 6 at. Führt man die Rechnung für
                              									andere Anfangsdrücke durch, so erhält man Werte, die vom angeführten nicht
                              									wesentlich abweichen.
                           Lewicki hat auf experimentellem Wege mit Hilfe des
                              									Stoßdruckverfahrens ermittelt, daß bei freier Expansion eine Geschwindigkeit von
                              									etwa 800 m erreicht wird. Das Stoßdruckverfahren besteht darin, daß man den Druck
                              									mißt, den der austretende Dampfstrahl auf eine vorgelagerte, senkrecht zur Achse des
                              									Dampfstrahls angeordnete Platte ausübt. Andere Experimentatoren benutzen das
                              									Reaktionsmeßverfahren, bei dem der Rückdruck des austretenden Dampfstrahls gemessen
                              									wird (vgl. Stodola IV, S 62). Um die Zulässigkeit dieses
                              									Verfahrens für den Fall der freien Expansion zu prüfen, mögen folgende Ueberlegungen
                              									vorausgeschickt werden.
                           Es ist selbst für den reibungsfreien Grenzfall unzulässig, die Achsialgeschwindigkeit
                              									nach vollzogener freier Expansion aus der Formel
                           
                              w=\sqrt{2\,g\,\frac{H}{A}}
                              
                           zu berechnen. Diese gilt nicht für die in Betracht kommende
                              									achsiale Komponente der Geschwindigkeit, sobald – wie bei der freien Expansion –
                              									eine starke radiale Erweiterung des Strahles entsteht. Wie der Satz vom Antrieb
                              									vielmehr ergibt, wird bei freier Expansion höchstens eine Achsialgeschwindigkeit wII erreicht. Die
                              									wirklich auftretende mittlere Strahlgeschwindigkeit ist nun mit Rücksicht auf die
                              									Widerstände geringer. Der Reibungswiderstand besteht aus einem Teile Pr1, der die innere Reibung berücksichtigt und einem
                              									wahrscheinlich größeren Teile Pr2, der auf die
                              									Dämpfung durch das umgebende Medium zurückzuführen ist. Diese Reibungskraft kann am
                              									Strahlrande Wirbel hervorrufen, anderseits können Teile des umgebenden Mediums
                              									mitgerissen werden. Durch die Wirbelbildung wird wohl auch der Druck am Strahlrande
                              									etwas verändert. All dies bewirkt, daß die wirklich auftretende Geschwindigkeit weff von dem
                              									theoretischen Grenzwert wII abweicht. Es fragt sich nun, welche Bedeutung die Anzeige des
                              									Reaktionsapparates besitzt. Stodola bespricht auf S. 62
                              									seines Buches (IV.
                              									Aufl.) einige nach diesem Verfahren ermittelte Versuchsresultate und bemerkt: „.
                                 										. . der Gegendruck (wurde) so eingestellt, daß er mit dem Drucke in der
                                 										Düsenmündung genau übereinstimmte, so daß für den Rückdruck die Formel R = M w benutzt werden
                                 										konnte, wo M die sekundliche Masse, w die effektive
                                 										Geschwindigkeit bedeuten.“ Darnach ist also die Anwendbarkeit des
                              									Reaktionsmeßverfahrens in Frage gestellt, sobald der Gegendruck vom Mündungsdruck
                              									abweicht; dieser Fall liegt bei der freien Expansion vor.
                           Nimmt man zunächst an, daß die Reibung bei der freien Expansion sehr (unendlich)
                              									klein ist, so entspricht der gemessene Rückdruck genau dem Wert
                           R=\frac{G}{g}\,w_{\mbox{II}}=M\,w_{\mbox{II}} .
                              									. . . . . . (11)
                           Nach dem Wechselwirkungsgesetz ergibt die Reaktion in diesem Idealfall genau die
                              									erreichte mittlere Achsialgeschwindigkeit.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 329, S. 643
                              Abb. 6.
                              
                           Sobald jedoch bei der freien Expansion die Reibung, insbesondere diejenige am
                              									Strahlrande, nicht mehr vernachlässigt werden darf, ist an dem Vorgang auch noch das
                              									umgebende Medium insofern beteiligt, als es auf den in Schwingungen begriffenen
                              									freien Strahl die dämpfende Kraft Pr2 entgegen dessen Bewegungsrichtung ausübt. Nach
                              									dem Wechselwirkungsgesetz muß eine ebenso große entgegengesetzt gerichtete Kraft (–
                              										Pr2) auf die
                              									Umgebung zurückwirken. Wenn auch durch diese Kraft die Umgebung teilweise in
                              									Bewegung versetzt wird, so kann nicht angenommen werden, daß die ganze Kraft (– Pr2) auf das Reaktionsgefäß zurückwirkt. Der größte Teil
                              									der durch diese Kraft auf die Umgebung übertragenen Arbeit verwandelt sich nämlich
                              									in Wärme. Daß eine volle Rückwirkung auf den Apparat nicht stattfindet, lehrt auch
                              									folgende Ueberlegung: Es sei angenommen, daß der Dampfstrahl beim Austritt aus dem
                              									Reaktionsgefäß durch die Umgebung keine Dämpfung erleide. In diesem Falle würde sich
                              									der Schwingungsvorgang bis ins Unendliche vollziehen, wenn zugleich die innere
                              									Reibung verschwindend klein wäre. Man kann nun eine Dämpfung dadurch herbeiführen,
                              									daß man den aus dem Reaktionsapparat austretenden freien Strahl an einer Stelle etwa
                              									von einer rauhen Hülle h umfassen läßt (Abb. 6). Die Hülle übt die dämpfende Kraft Pr2 auf den Dampfstrahl
                              									aus und nimmt selbst die Kraft (– Pr2) auf. Diese Kraft
                              									wirkt aber auf das Reaktionsgefäß nur dann zurück, wenn dieses mit der Hülle in
                              									starrer Verbindung steht. Bei dem wirklichen Strömungsvorgang übernimmt nun das
                              									umgebende Medium die Rolle der Hülle. Da eine starre Verbindung zwischen dem
                              									umgebenden Medium und dem Meßapparat nicht besteht, so wirkt die Kraft (– Pr2) auf ihn nicht
                              									zurück.
                           Zusammenfassend ist zu bemerken, daß bei der freien Expansion nach dem Grundgesetz
                              									der Mechanik ein System von drei Körpern zu betrachten
                                 										ist: Das Reaktionsgefäß, der strömende Dampf und das dämpfende Medium der
                              									Umgebung. Der strömende Dampf steht unter der Einwirkung des Gefäßes und der
                              									Umgebung, wirkt also zum Teil auf das Gefäß, zum Teil aber auch auf die Umgebung
                              									zurück. Das Wechselwirkungsgesetz ergibt also, daß die Anzeige
                                 										des Reaktionsapparates jedenfalls höher ist als der erreichten
                                 										Strahlgeschwindigkeit nach vollzogener Dämpfung des Strahles entspricht.
                              									Die Reaktionsmessung gibt somit über die dämpfende Reibung im freien Raum keinen
                              									Aufschluß zum Unterschied vom Stoßdruckverfahren.
                           in Abb. 5 stellt die punktierte Kurve das Ergebnis
                              									der mit Hilfe des Reaktionsmeßverfahrens für eine bis zum engsten Querschnitt
                              									abgeschnittene Düse dar (vgl. Christlein, Zeitschr. für
                              									das gesamte Turbinenwesen 1912, S. 150, Düse 1c). Die Kurve verläuft nahezu parallel
                              									mit der nach Formel (9a) errechneten Kurve. Die während des ganzen Verlaufes fast
                              									unveränderliche Abweichung erklärt sich wiederum dadurch, daß der Reaktionsapparat
                              									im wesentlichen nur die Reibung bis zur Austrittsöffnung, jedenfalls aber die
                              									Reibung am Rande des freien Strahles zum größten Teil nicht mißtIn Zeitschr. f d. ges. Turbinenwesen 1912, S
                                    											138 und 142 wird eine Formel für die Reaktion bei freier Expansion
                                    											angegeben. Obgleich diese Formel, wie der Vergleich mit unseren Gleichungen
                                    											(9) bis (11) ergibt, näherungsweise richtig ist, kann daraus die
                                    											Unrichtigkeit des Reaktionsverfahrens nicht gefolgert werden. Man darf dabei
                                    											nicht übersehen, daß die Zunahme der achsialen Geschwindigkeit bei der
                                    											freien Expansion nicht mehr vom Druckverhältnis abhängt, da wII und nicht
                                    												w2 in Frage
                                    											kommt..
                           Aber auch die innere Reibung des freien Strahles kann auf das Reaktionsgefäß nicht
                              									zurückwirken; denn die auf das Gefäß übertragenen Kräfte bestehen nur aus
                              									Wandungsdrücken, einschließlich der Wandreibung. Wie die Abb. 3 zeigt, tritt der Gegendruck p2 erstmalig hinter der Mündung in einer unter dem
                              									Mach sehen Winkel a2
                              									geneigten schiefen Fläche auf. Wenn es möglich wäre, die Geschwindigkeit
                              									auszunutzen, die sich gleich hinter der Mündung einstellt – ohne also das Abklingen
                              									der Schwingungen abzuwarten –, so würde die Reibung am Strahlrande keine Rolle
                              									spielen. Was aber nicht zu umgehen ist, das ist die innere Reibung, die bereits bei
                              									der ersten Expansion in der Prandtlschen Ecke A 12 (Abb. 2) auftritt
                              									und die wirkliche Achsialgeschwindigkeit gegenüber der theoretisch erreichbaren
                              									herabsetzt. Schon diese erste innere Reibung berücksichtigt jedoch der Apparat
                              									nicht. Dieser mißt daher nur den theoretischen Grenzwert der mittleren
                              									Achsialgeschwindigkeit, der dann auftreten würde, wenn sich die Expansion hinter der
                              									Mündung vollkommen widerstandsfrei vollziehen könnte.
                           
                           Außerdem liefert die Reaktionsmessung keinen Aufschluß darüber, welche achsiale
                              									Länge für die Ausbildung der freien Expansion erforderlich ist. In dieser Hinsicht
                              									gibt das Stoßdruckverfahren wertvollere Aufschlüsse: Es zeigt, daß erst in einer
                              									gewissen Entfernung vom Düsen- ende der volle Stoßdruck auftritt.
                           Es möge noch die Frage aufgeworfen werden, in welcher Weise bei dem betrachteten
                              									Strömungsvorgang dem Kontinuitätsgesetz genügt wird. Bei der widerstandsfreien
                              									Expansion in einer erweiterten Düse ist der Endquerschnitt f2 und es gilt
                           
                              G=\frac{f_1\,w_1}{v_1}=\frac{f_2\,w_2}{v_2}.
                              
                           Für die freie Expansion gilt dagegen näherungsweise:
                           
                              G=\frac{f_1\,w_1}{v_1}=\frac{f_{\mbox{II}}\,w_{\mbox{II}}}{v_2}.
                              
                           Mit guter Näherung ist f2 w2
                              									=fII
                              									wII und da wII < w2 ist, so
                              									muß fII > f2 sein, d.h.
                              									der Strahl muß sich bei freier Expansion stärker erweitern als bei der Expansion in
                              									der erweiterten Düse.
                           Aus der vorstehenden Theorie ergibt sich, daß bei freier Expansion gegenüber der
                              									Düsenexpansion ein prinzipieller Verlust an Geschwindigkeit in achsialer Richtung
                              									auftritt. Allerdings ist dieser Verlust bei kleinen Ueberschreitungen des
                              									kritischen Gefälles sehr gering, so daß es vom Standpunkt der Praxis nicht
                              									unberechtigt ist, in gewissen Fällen nicht erweiterte Düsen vorzusehen. In
                              									Wirklichkeit kommt noch die Wirkung des Schrägabschnittes hinzu, die aber hier nicht
                              									näher untersucht werden möge (vgl. Loschge, Z. d. V. d.
                              									I. 1913). Erwähnt sei nur, daß durch diesen Umstand auch noch eine Ablenkung der
                              									Achse des Strahles stattfindet.
                           Für den praktischen Dampfturbinenbau muß indessen noch auf einen weiteren Umstand
                              									hingewiesen werden. Es ist fraglich, inwieweit sich in der Dampfturbinenstufe eine
                              									freie Expansion mit Rücksicht auf das vorgeschaltete rotierende Laufrad entwickeln
                              									kann. Diesbezügliche Versuche liegen nicht vor. Wenn in einer Stufe einer
                              									Dampfturbine, bei welcher der Leitapparat durch parallele Wandungen gebildet wird,
                              									ein höheres Wärmegefälle verarbeitet wird als das kritische, so dürfte daher außer
                              									der Expansion im Schrägabschnitt hauptsächlich etwas Reaktionswirkung im Laufrad
                              									auftreten, wie dies unter anderm Stodola in seinem
                              									Lehrbuche S. 171 ff. bemerkt hat, Keinesfalls dürfte bei derartigen Turbinen reine
                              										„Spaltexpansion“ auftreten. Möglicherweise liegt eine Kombination beider
                              									Wirkungen vor.