| Titel: | Salpeternot? | 
| Autor: | A. Sander | 
| Fundstelle: | Band 330, Jahrgang 1915, S. 5 | 
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                        Salpeternot?
                        Von Dr.-Ing. A. Sander in
                           									Darmstadt.
                        SANDER: Salpeternot?
                        
                     
                        
                           Mit dem Ausbruch des Krieges ist die Zufuhr von Salpeter aus Chile unterbrochen
                              									worden und die im Inland vorhandenen Vorräte dieses Salzes wurden von der
                              									Militärbehörde mit Beschlag belegt. So kommt es denn, daß die Nachfrage nach diesem
                              									für unsere Landwirtschaft wie für unsere chemische Industrie gleich wertvollen
                              									Salzsehr lebhaft ist und daß die Salpeterpreise seit dem Beginn des Krieges
                              									schon ziemlich stark gestiegen sind; in manchen Gegenden, so z.B. im Bereiche des 9.
                              									Armeekorps, war sogar die Festsetzung von Höchstpreisen (23 M für 100 kg einschl.
                              									Verpackung frei Hamburg) erforderlich. Diese Vorgänge haben in manchen Kreisen die Befürchtung
                              									erweckt, daß bei einer längeren Dauer des Krieges eine Salpeternot eintreten werde,
                              									unter der unsere deutsche Landwirtschaft besonders schwer zu leiden hätte.
                           Schon einmal, vor etwa 15 Jahren, traten solch beunruhigende Gerüchte auf. Damals
                              									sprach man davon, daß die Salpeterlager in Chile einer baldigen Erschöpfung
                              									entgegengehen, und weite Kreise beschäftigten sich mit der Frage, wie man die
                              									hieraus entstehenden schweren Schäden verhüten und einen vollwertigen Ersatz für den Chilesalpeter schaffen könnte. Zahlreiche
                              									Chemiker in Deutschland wie im Ausland nahmen sich damals dieser neuen schwierigen
                              									Aufgabe an, und es gelang denn auch, in dem Luftsalpeter
                              									und dem Kalkstickstoff zwei Ersatzstoffe für den
                              									Chilesalpeter zu schaffen. Namentlich wurde damals auch auf das schwefelsaure Ammoniak hingewiesen, daß sich bei
                              									umfangreichen Düngeversuchen als ein dem Salpeter gleichwertiges Produkt erwies. Auf
                              									Grund dieser Ergebnisse gelangte man damals zu der Ueberzeugung, daß eine
                              									Erschöpfung der chilenischen Salpeterlager doch wohl nicht so schwerwiegende Folgen
                              									für unsere Landwirtschaft und unsere chemische Industrie haben werde, wie man
                              									anfangs befürchtet hatte. Denn man glaubte nicht mit Unrecht, daß es auf dem einen
                              									oder anderen Wege gelingen werde, bei einem allmählichen
                                 										Aufhörender Zufuhr von Chile Ersatzprodukte für den Salpeter im eigenen
                              									Lande herstellen oder aus anderen europäischen Ländern mit hochentwickelter
                              									chemischer Industrie beziehen zu können.
                           Wesentlich anders liegen aber die Verhältnisse, wenn die Einfuhr von Salpeter plötzlich und unerwartet abgeschnitten wird, wie dies im
                              									August v. J. durch den Ausbruch des Krieges geschehen ist. Denn sicherlich ist es
                              									nicht leicht, für einen Stoff, der in einer Menge von etwa 800000 t jährlich in
                              									Deutschland verbraucht wird, in kürzester Frist einen vollwertigen Ersatz zu
                              									schaffen. Es lohnt sich daher, die Frage etwas näher zu betrachten, wie wird es uns möglich sein, aus eigener Kraft den gewaltigen
                                 										Bedarf unserer Landwirtschaft an gebundenem Stickstoff zu beschaffen und
                              									den Ertrag unserer Aecker auf gleicher Höhe zu halten wie bisher, damit die Ernährung unseres Volkes auch im kommenden Jahre
                              									gesichert ist.
                           Der wichtigste Salpeterersatz ist für uns, wie schon erwähnt, das Ammoniumsulfat, das von unseren Kokereien und Gaswerken
                              									in großer Menge als Nebenprodukt gewonnen wird. Noch vor wenigen Jahren waren wir
                              									auch in diesem Produkt vom Ausland abhängig, denn die Produktion Deutschlands
                              									reichte nicht aus, um den gesamten Bedarf unserer Landwirtschaft zu decken, und es
                              									wurden daher beträchtliche Mengen von schwefelsaurem Ammonium, aus England
                              									namentlich, eingeführt. Durch die lebhafte Entwicklung unserer Kokserzeugung hat
                              									erfreulicherweise auch die Gewinnung von schwefelsaurem Ammonium derart zugenommen,
                              									daß der inländische Bedarf heute nicht nur gedeckt, sondern ein erheblicherTeil
                              									der Produktion noch ausgeführt werden kann. Nach Angabe der Deutschen Ammoniak-Verkaufs-Vereinigung in Bochum wurden im letzten Jahre
                              									von den deutschen Kokereien und Gaswerken im ganzen 549000 t Ammoniumsulfat erzeugt,
                              									wogegen der Verbrauch innerhalb Deutschlands nur 460000 t betrug. Dieser Ueberschuß
                              									von etwa 90000 t ist durch das erlassene Ausfuhrverbot unserer Landwirtschaft
                              									gesichert, und auch aus Oesterreich, das nur ein Drittel seiner Ammoniakproduktion
                              									selbst verbraucht, ist die Zufuhr von 20 bis 30000 t zu erwarten. Allerdings ist zu
                              									berücksichtigen, daß viele Kokereien wegen des verminderten Koksbedarfs der
                              									Eisenindustrie, die der Hauptabnehmer von Koks ist, ihren Betrieb in den letzten
                              									Monaten einschränken mußten, wodurch zugleich auch die Ammoniakproduktion eine
                              									Verminderung erfahren hat.
                           Um den Koksabsatz zu heben, sind von den Behörden eine Reihe sehr begrüßenswerter
                              									Maßnahmen getroffen worden, namentlich hat die preußische Eisenbahnverwaltung den
                              									Kokereien große Aufträge erteilt, nachdem sich die Verfeuerung von Koks an Stelle
                              									von Rohkohle auf Lokomotiven gut bewährt hat. Diesem guten Beispiel sollten auch
                              									alle privaten großen Brennstoffverbraucher folgen und überall da, wo die Rohkohle
                              									durch Koks ersetzt werden kann, dies tun. Ein jeder sollte
                                 										sich vergegenwärtigen, daß die Förderung der Kokereiindustrie zurzeit sehr im
                                 										nationalen Interesse liegt, denn die Kokereien liefern nicht nur das für
                              									unsere Felder unentbehrliche Ammoniumsulfat, sondern auch
                              									das Benzol, das von unserer Militärverwaltung ebenfalls
                              									in großer Menge zum Betrieb ihrer Automobile verbraucht wird, ferner den Teer, der das Rohprodukt für zahlreiche Sprengstoffe und
                              									Desinfektionsmittel ist und der schließlich auch die für unsere Marine höchst
                              									wertvollen Teeröle liefert. Wie groß der Bedarf gerade an
                              									diesen Oelen ist, geht schon daraus hervor, daß das Reichsmarineamt alsbald nach dem
                              									Ausbruch des Krieges allen Gaswerken die Weisung gab, ihre gesamte Teerproduktion
                              									den Teerdestillationen zur Verarbeitung auf Heiz- und Motorentreiböle abzuliefern
                              									und den Teer nicht an sonstige Verbraucher abzugeben.
                           Trotz aller dieser Maßnahmen wird es jedoch wahrscheinlich den Kokereien nicht
                              									möglich sein, ihre Ammoniakproduktion so zu steigern, daß hierdurch ein Ersatz für
                              										allen bisher verwendeten Salpeter geschaffen wird. Es
                              									müssen vielmehr noch andere Hilfsquellen hierzu beitragen, und zwar sind dies die
                              									aus dem Luftstickstoff gewonnenen Produkte. Die Gewinnung
                              									von Salpeter durch elektrische Verbrennung von Luftstickstoff hat bei uns keine
                              									Verbreitung gefunden, weil hierzu mächtige und billige Wasserkräfte nötig sind. Wir
                              									finden diese Industrie daher in Norwegen, wo sie bereits recht große Bedeutung
                              									erlangt hat, und wo nach diesem Verfahren schon fast 100000 t Kalksalpeter (Norgesalpeter) jährlich erzeugt werden. Die Neutralität
                              									Norwegens schließt jedoch eine Zufuhr dieses Salzes nach Deutschland möglicherweise
                              									aus, weil der Kalksalpeter auch zur Herstellung von Salpetersäure verwendet werden und somit unter
                              									Umständen zu den Kriegsmaterialien gerechnet werden kann.
                           Ein weiteres mit Hilfe des Luftstickstoffs gewonnenes Produkt ist der Kalkstickstoff, der durch Ueberleiten von Stickstoff über
                              									erhitztes Kalziumkarbid hergestellt wird. Diese Industrie hat in den letzten Jahren
                              									eine recht große Verbreitung erlangt und die Produktion der Anlagen in den
                              									verschiedenen Ländern nimmt von Jahr zu Jahr stark zu, so daß die Weltproduktion an
                              									Kalkstickstoff heute schon mehr als 300000 t beträgt. In Deutschland bestehen zwei
                              									derartige Fabriken, eine im Rheinland und eine in Oberbayern; sie erzeugen zusammen
                              									etwa 60000 t Kalkstickstoff. Weitere Anlagen dieser Art finden sich in der Schweiz,
                              									in Italien, Dalmatien sowie in Schweden und Norwegen. Die skandinavischen
                              									Kalkstickstoffabriken erzeugen allein etwa 90000 t, von denen ein beträchtlicher
                              									Teil auf den deutschen Markt gelangt. Es kann also ein sehr großer Teil des bisher
                              									durch Salpeter gedeckten Stickstoffbedarfs in Zukunft durch in Deutschland oder im
                              									neutralen Ausland erzeugten Kalkstickstoff ersetzt werden. Der Kalkstickstoff wird
                              									in der Regel als solcher zum Düngen verwendet, man kann ihn jedoch auch in recht
                              									einfacher Weise auf schwefelsaures Ammonium verarbeiten und diese Umwandlung wird
                              									auch von manchen Fabriken seit einiger Zeit in ziemlich großem Umfang
                              									ausgeführt.
                           Von besonderer Bedeutung im gegenwärtigen Moment ist aber zweifellos die glänzende
                              									Erfindung von Professor Haber, die synthetische Gewinnung von
                                 										Ammoniak aus Stickstoff und Wasserstoff, die gerade zur rechten Zeit aus
                              									dem Versuchsstadium in den großindustriellen Betrieb übergegangen ist. Dieses
                              									Verfahren ermöglicht es, unabhängig von der Kohlendestillation und mit mäßigem
                              									Kraftaufwand beliebig große Mengen von Ammonik zu gewinnen. Das einzige Rohmaterial
                              									für dieses Verfahren ist die Kohle; sie liefert das Wassergas, aus dem der
                              									Wasserstoff erzeugt wird, und mit ihrer Hilfe wird auch die Luft verflüssigt, aus
                              									der der Stickstoff in reiner Form abgeschieden wird. Diese beiden Gase werden dann
                              									unter einem Druck von mehr als hundert Atmosphären zu Ammoniak vereinigt. So einfach
                              									das neue Verfahren auf den ersten Blick auch zu sein scheint, so bot seine
                              									technische Durchführung im großen Maßstab doch gewaltige Schwierigkeiten, deren
                              									Ueberwindung aber deutschem Erfindergeist und deutscher Wissenschaft gelungen ist.
                              									Die Badische Anilin-und Sodafabrik, deren Chemiker diese
                              									schwierigeAufgabe gelöst haben, hat in der Nähe von Ludwigshafen a. Rh. eine
                              									große Anlage nach diesem Verfahren errichtet, die 130000 t Ammoniumsulfat im Jahre
                              									zu erzeugen vermag. Das ist fast ein Viertel der gesamten Erzeugung der deutschen
                              									Kokereien und Gaswerke.
                           So sehen wir denn, daß wir auch auf diesem Gebiete wohl gerüstet sind und ohne Bangen
                              									in die Zukunft blicken können. Mögen auch die Schiffe Großbritanniens darüber
                              									wachen, daß kein Salpeterschiff aus Chile unsere Küste erreicht, es wird ihnen doch
                              									nicht gelingen uns auszuhungern, denn wir haben bei Zeiten dafür gesorgt, daß der
                              									für die Pflanzenernährung so wichtige Stickstoff, wenn auch in anderer Form als
                              									bisher, uns in ausreichender Menge zur Verfügung steht und daß der Ertrag unserer
                              									Felder, so weit dies in unserer Macht ist, in diesem Jahre nicht hinter der reichen
                              									Ernte dss vorigen Jahres zurückbleibt.
                           Es drängt sich schließlich noch die Frage auf, ob auch die von der Militärverwaltung
                              									mit Beschlag belegten Salpetervorräte zur Herstellung von
                                 										Kriegsmaterial für längere Zeit ausreichen werden. Man darf wohl annehmen,
                              									daß die Vorräte, die beim Ausbruch des Krieges in Deutschland vorhanden waren, recht
                              									beträchtlich waren, und es ist auch nicht ausgeschlossen, daß in dem eroberten
                              									Antwerpen, das einer der wichtigsten Häfen für die Salpetereinfuhr nach Europa ist,
                              									große Vorräte angetroffen wurden, wenn diese nicht von unseren Feinden für ihre
                              									eigenen Zwecke verwendet oder ins Wasser geworfen wurden. Bedenkt man ferner, daß in
                              									normalen Zeiten nur ein Fünftel bis ein Viertel des gesamten Salpeterverbrauchs von
                              									der chemischen Industrie aufgenommen wird, während der Rest als Düngemittel
                              									Verwendung findet, so ist die Annahme berechtigt, daß unsere Salpetervorräte für
                              									lange Zeit ausreichen werden, wenn auch gegenwärtig der Bedarf an
                              									Geschoßtreibmitteln und Sprengstoffen, wie Nitrocellulose, Nitroglyzerin,
                              									Nitrotoluol, Nitronaphthalin, Pikrinsäure und anderen, recht groß ist. Aber selbst
                              									wenn diese Annahme nicht zutreffen und dieser Krieg, was wir nicht hoffen wollen,
                              									sich in die Länge ziehen sollte, so hat die Chemie auch hier Mittel und Wege
                              									gefunden, einem Mangel an Salpeter vorzubeugen. Denn wir besitzen heute bereits
                              									mehrere Verfahren zur Ueberführung von Ammoniak in
                                 										Salpeter. Wenn diese bisher auch nur in beschränktem Maße industrielle
                              									Verwertung in Deutschland fanden, so ist ihre Brauchbarkeit doch zweifellos
                              									erwiesen, so daß wir also auch in dieser Hinsicht unbesorgt sein können.