| Titel: | Leonhard Euler als Begründer des Turbinenbaues. | 
| Autor: | Leonhard Euler, Schmolke | 
| Fundstelle: | Band 330, Jahrgang 1915, S. 23 | 
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                        Leonhard Euler als Begründer des Turbinenbaues.
                        Von Ingenieur Schmolke in
                           									Berlin.
                        SCHMOLKE: Leonhard Euler als Begründer des
                           								Turbinenbaues
                        
                     
                        
                           Bei der heutigen Bedeutung der Turbomaschinen dürfte es sich verlohnen, einen
                              									Rückblick auf die Entwicklungsgeschichte zu tun. Man wird erstaunt sein, mit welcher
                              									Klarheit schon vor 160 Jahren die grundlegenden Gedanken ausgesprochen worden sind.
                              									Kein geringerer als der Mathematiker Leonhard Euler
                              									schuf, angeregt durch Segners Konstruktion eines
                              									wagerechten Wasserrades, eine Turbinentheorie, die auch bei den Fachleuten der
                              									Jetztzeit, vor allem bei Zeuner, Anerkennung gefunden
                              									hat. Euler bemerkte, daß die treibenden Kräfte von der
                              									Reaktion des durchfließenden Wassers herrühren, und gab während seines Berliner
                              									Aufenthalts zunächst zwei Schriften heraus, die eine Erklärung der Wirkungsweise der
                              										Segnerschen Maschine sowie eine Anzahl von
                              									Verbesserungsvorschlägen enthalten. In einer dritten, im Jahre 1754 erschienenen
                              									Arbeit gibt er sodann den Entwurf einer Maschine, die in der heutigen Ausdrucksweise
                              									als Ueberdruckturbine zu bezeichnen wäre. Sie besteht aus dem Leitapparat, der das
                              									Wasser stoßfrei zuführt, und dem umlaufenden Teile. Die wissenschaftliche Begründung
                              									der Konstruktion wird in eingehender Weise dargelegt und atmet geradezu, modernen
                              									Geist. Vor allem erkannte Euler bereits die Grundlagen der noch heute so wichtigen
                              									Stromfadentheorie. Der Einfluß der Flüssigkeitsreibung wird gleichfalls bemerkt,
                              									kommt aber in der Rechnung nicht zum Ausdruck.
                           Abb. 1 stellt die Eulersche
                              									Turbine dar. Sie besteht aus einer Anzahl von Rohren, durch deren untere Oeffnungen
                              										F das Wasser abfließt, während die Einflußöffnungen
                              									zu einem Ringraume E vereinigt sind. Diese Rohre drehen
                              									sich gleichmäßig um die Achse OO und sind von einer
                              									Trommel umschlossen. Ueber der Trommel befindet sich ein unbeweglicher Behälter, der
                              									durch die unter einem bestimmten Winkel geneigten Leitvorrichtungen J soviel Betriebswasser liefert, daß die Rohre der
                              									Turbine stets bis zum oberen Rande mit Wasser gefüllt bleiben. In Abb. 2 ist der Leitapparat nochmals gesondert
                              									dargestellt, da Euler nachweist, daß an Stelle der in der
                              										Abb. 1 gezeichneten Rohre Kanäle treten müssen,
                              									die nur durch Schaufeln voneinander getrennt sind.
                           Bei der wissenschaftlichen Begründung seines Entwurfes geht Euler von dem Grundgesetz aus: „Die Reaktion R des Wassers ist gleich den eingeprägten Kräften P vermindert um die erforderlichen Kräfte Q.“Er versteht hierbei unter Reaktion die
                              									Kraft, mit der das Wasser auf das Gefäß wirkt. Die eingeprägten Kräfte sind die
                              									äußeren Kräfte, soweit sie nicht von der Gefäßwandung herrühren. Die erforderlichen
                              									Kräfte würde man jetzt als Beschleunigungskräfte bezeichnen. Euler begründet sein Theorem, indem er darlegt, daß auf das Wasser die
                              									eingeprägten Kräfte P und eine der Reaktion des Wassers
                              									entgegengesetzte Kraft – R wirkt, demnach die
                              									Beschleunigungskräfte Q = P – R sind, d.h. P ist gleich der Resultanten von Q und R. In seinen
                              									weiteren Ausführungen stellt er Gleichungen für die relative und absolute
                              									Wassergeschwindigkeit in jedem Rohrquerschnitt auf. Da er hierdurch in der Lage ist,
                              									den Unterschied der Wasserbewegung in verschiedenen Zeitpunkten, d.h. die
                              									Beschleunigungen oder Verzögerungen, zu bestimmen, findet er nunmehr Ausdrücke für
                              									die erforderlichen Kräfte und deren Moment, in bezug auf die Drehachse.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 330, S. 23
                              Abb. 1.
                              
                           Als eingeprägte Kraft wirkt in der Turbine nur das Gewicht,
                              									dessen Moment bei senkrechter Achse gleich Null ist. Das Reaktionsmoment ist daher
                              									gleich und entgegengesetzt dem Moment der erforderlichen Kräfte. Indem nunmehr aus
                              									den obigen Ausdrücken für die erforderlichen Kräfte die Größe der zur Beschleunigung
                              									in der Rohrrichtung erforderlichen Kraft, sofern die Reaktionen senkrecht zu dieser
                              									Richtung stehen, festgestellt, sowie ferner der Druck in jedem Rohrquerschnitte
                              									gefunden wird, kann Euler die Geschwindigkeit an
                              									beliebiger Stelle, z.B. am Rohrausgange, bestimmen. Es würde zu weit führen, die
                              									Einzelheiten der mathematischen Entwicklung des oben angedeuteten Gedankenganges zu
                              									geben, indessen ist es interessant genug zu verfolgen, zu welchen Resultaten Euler bereits gelangt ist.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 330, S. 24
                              Abb. 2.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 330, S. 24
                              Abb. 3.
                              
                           Nachdem er für die Ausflußgeschwindigkeit und die Druckhöhe Formeln aufgestellt hat,
                              									legt er entsprechend der heutigen Gepflogenheit der Berechnung der Abmessungen die
                              									Austrittsverhältnisse des Laufrades zu Grunde. Sodann berechnet er die Leistung und
                              									bestimmt, bei Voraussetzung eines Winkels von 180° zwischen der Richtung der
                              									Relativbewegung des ausfließenden Wassers und der Bewegungsrichtung der
                              									Ausflußöffnungen, die Verhältnisse, unter denen sie einen Maximalwert erreicht.
                              									Hieraus ergibt sich die Möglichkeit, für die Hauptabmessungen Beziehungen
                              									aufzustellen, die bei Annahme des aus Abb. 2
                              									ersichtlichen Winkels ρ, sowie des Verhältnisses von
                              									Eintritts- zum Austrittsquerschnitt die Berechnung gestatten. Wenn e2 den
                              									Eintrittsquerschnitt, j2 den Ausflußquerschnitt, i2 die Summe der Mündungen des Leitapparates, a die Höhe der Turbinenrohre, b die mittlere Entfernung der Austrittsfläche von der Drehachse, c den Abstand des Einflußquerschnitts von dieser, g die halbe Fallbeschleunigung, h die Geschwindigkeitshöhe beim Ausfluß, λ
                              									das Verhältnis des Einflußquerschnitts zum Ausflußquerschnitt, μ den Quotienten \frac{c^2}{e^2} und
                              										D die erforderliche Wassermenge bezeichnen, findet
                              										Euler folgende Werte für die Hauptabmessungen: i2
                              									= e2 sin ρ,
                              									e^2=\frac{D}{tg\,\varrho\,.\,\sqrt{2\,g\,h}},\
                                 										a=\frac{1}{2}\,h\,(1-tg\,\varrho^2),\
                                 										b^2=\frac{\lambda^2\,\mu\,D\,tg\,\varrho}{\sqrt{2\,g\,h}},\
                                 										f^2=\frac{e^2}{\lambda}. Die Umfangsgeschwindigkeit √μ wird gleich
                              										\frac{1}{2}\,\lambda\,tg\,\varrho\,\sqrt{2\,h}. Für den Fall,
                              									daß die Höhe der Turbinenrohre gleich der halben Fallbeschleunigung, a = g ist, schlägt Euler für
                              										λ den Wert 3 vor. Damit √μ und zugleich der Luftwiderstand nicht zu groß werden, muß λtgρ möglichst klein
                              									bleiben. Indessen liegt die Befürchtung nahe, daß bei der Wahl eines zu geringen
                              									Wertes am Boden nichtOeffnungen von der erforderlichen Weite
                              										f^2=\frac{e^2}{\lambda} angebracht werden können. Aus diesem
                              									Grunde wird λtgρ nicht
                              									weniger als \frac{2}{3} sein dürfen, wodurch man unter Benutzung
                              									des obengenannten Wertes für λ den Winkel ρ = 26° 34' erhält. Hiermit werden die einfachen
                              									Ausdrücke e^2=\frac{2\,D}{\sqrt{2\,g\,h}}, c2
                              									= μe2,
                              									b=\frac{2\,c}{3},
                              									f^2\,\frac{1}{3}\,e^2,
                              									i^2=\frac{e^2}{\sqrt{5}} und a=\frac{3}{8}
                              									gefunden, die eine schnelle Berechnung der Turbine bei gegebenem Gefälle und
                              									Wasserverbrauch erlauben. Auf die Konstruktion des Leitapparates, den Abb. 3 darstellt, gelangt Euler durch folgende Ueberlegung. Bei Anwendung der obigen Bezeichnungen
                              									wird die Geschwindigkeit, mit der das Wasser an der oberen Oeffnung des zunächst
                              									senkrecht verlaufenden Behälters herabfließt, gleich
                              										\frac{f^2\,\sqrt{v}}{e^2}, wobei √v die Ausflußgeschwindigkeit darstellt, und an derselben Stelle die
                              									Drehgeschwindigkeit gleich \frac{c\,\sqrt{u}}{b}. Alsdann ergibt
                              									sich eine Bedingung für den stoßfreien Eintritt: Das Verhältnis
                              										\frac{c^2}{e^2} kann nicht größer sein als der Sinus des
                              									Neigungswinkels, unter welchem das Wasser zufließt, d.h. die Kanäle des
                              									Leitapparates müssen einander berühren, damit das zufließende Wasser den Ringraum
                              									der Turbine ausfüllt.
                           Auf diese Weise erhält Euler folgende Abmessungen. Bei
                              									einem Gefälle von 8 Fuß und sekundlichem Wasserverbrauch von 10 Kubikfuß wird die
                              									Turbinentrommel 3, der feststehende Behälter 5 Fuß hoch. Der Ringraum beim Einfluß
                              									in die Turbine wird gleich 1,26490 Quadratfuß und der Ausflußquerschnitt ⅓ davon.
                              									Für c könnte man 2 Fuß annehmen und erhielte dadurch 3
                              									Fuß für b. Die Drehzeit betrüge 0,79476 Sek.
                           Es ist erklärlich, daß die Ergebnisse, zu denen der heutige Ingenieur gelangt,
                              									infolge abweichender Voraussetzungen sich mit den Berechnungen Eulers nicht einfach decken, und bei diesem wiederum die Rücksicht auf
                              									konstruktive Mängel in den Hintergrund tritt. Dennoch darf man den großen
                              									Mathematiker als Erfinder der Ueberdruckturbine bezeichnen, wenngleich zu deren
                              									Ausbildung als praktisch brauchbare Maschine noch mehrere Jahrzehnte erforderlich
                              									waren.
                           Es ist ein Verdienst E. Brauers und M. Winkelmanns, eine Neuausgabe der dritten der oben
                              									erwähnten Arbeiten, die ursprünglich in französischer Sprache im Jahre 1754
                              									erschien, in Ostwalds Sammlung der Klassiker der exakten
                              									Wissenschaften veranlaßt zu haben. Auch der moderne Ingenieur wird ihnen hierfür
                              									dankbar sein. Die beigefügten Abbildungen sind ihrer Schrift entnommen, stellen
                              									indessen nur eine angenäherte Wiedergabe der Originalfiguren dar.