| Titel: | Das Diathermieverfahren in Kriegslazaretten. | 
| Autor: | O. Friedrich | 
| Fundstelle: | Band 330, Jahrgang 1915, S. 225 | 
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                        Das Diathermieverfahren in
                           								Kriegslazaretten.
                        Von Ingenieur O. Friedrich in
                           									Berlin-Siemensstadt.
                        FRIEDRICH: Das Diathermieverfahren in Kriegslazaretten
                        
                     
                        
                           Die Wärme ist eines der ältesten Hilfsmittel ärztlicher Wissenschaft, doch
                              									konnte sie hauptsächlich nur äußerlich angewandt werden, in Form von Umschlägen,
                              									Pakkungen und ähnlichem. Vermittels Schwitz- und Lichtbädern konnte man wohl eine
                              									Wärmesteigerung im Körper hervorrufen, jedoch nur dadurch, daß man ihn an der
                              									Wärmeabgabe nach außen verhinderte.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 330, S. 224
                              Abb. 1. Diathermieapparat
                              
                           Natürliches oder künstlich hervorgerufenes Fieber hatte als
                              									krankhafte Erhöhung des organischen Verbrennungsvorganges zu viel unangenehme und
                              									schädliche Begleiterscheinungen im Gefolge, als daß es hätte in größerem Umfange
                              									benutzt werden können. Ein Verfahren, das es ermöglicht, bestimmte, eng begrenzte
                              									Körperstellen und einzelne Organe sowohl, wie auch den Körper allgemein zu
                              									erwärmen,und zwar mit einer von außen zugeführten Energiemenge, gab es vor
                              									Erfindung des Diathermieverfahrens nicht; dieses Verfahren nimmt auch heute noch
                              									eine Sonderstellung ein, und sein Anwendungsgebiet ist nahezu unbegrenzt.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 330, S. 224
                              Abb. 2. Platte des Diathermieapparates (links Hitzdrahtamperemeter, rechts
                                 										Funkenstrecke)
                              
                           Die bei der Diathermie zur Anwendung gelangende Wärme ist die Wärme, die beim
                              									Durchgang elektrischen Stromes durch einen Leiter entsteht. Die verschiedenen
                              									medizinisch benutzten Arten von Elektrizität erzeugen alle beim Durchgang durch den
                              									menschlichen Körper eine Stromwärme, doch bleibt diese infolge zu geringer
                              									Stromstärke unwirksam. Und Ströme von mehr als einigen Milliampère werden infolge
                              									ihrer Reizwirkung auf Nerven und Muskeln nicht ertragen. Nun hat es sich
                              									herausgestellt, daß Wechselströme keine solche Reizwirkungen, keinerlei faradisches
                              									Gefühl mehr auslösen, sobald die Zahl der richtungwechselnden Stromstöße in der
                              									Sekunde sehr groß wird. Solche hochfrequenten Wechselströme von etwa 1 Million
                              									Schwingungen in der Sekunde, wie sie zuerst Tesla erzeugte,
                              									können nun mit Stromstärken bis zu einigen Ampere gefahrlos durch den Körper
                              									hindurchgeleitet werden, so daß eine kräftige Erwärmung erfolgt.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 330, S. 225
                              Abb. 3. Elektrodenklammer bei der Durchwärmung des Schultergelenkes
                              
                           Den Bemühungen um die Vervollkommnung der drahtlosen Telegraphie verdankt man
                              									Vorrichtungen, solche elektrischen Schwingungen leicht und einfach hervorzurufen. So
                              									verwendet die Siemens & Halske A.-G. bei ihren
                              									Diathermieapparaten (Abb. 1) die hervorragend
                              									bewährte Löschfunkenstrecke System Telefunken, die unbedingt sicher und ohne jede
                              									Wartung arbeitet und beim Einschalten sofort anspricht. Sie ist auf der Marmorplatte
                              									des Diathermieapparates (Abb. 2) montiert, wird unter
                              									Zwischenschaltung eines Transformators an ein Wechselstromnetz von 110 bzw. 220 Volt
                              									gelegt und ist gegen Berührung durch ein Schutzgehäuse gesichert, nach dessen
                              									Abnahme der Strom nicht eingeschaltet werden kann. Die Funkenstrecke kann nicht
                              									verstellt werden, die Einstellung der Stromstärke, die natürlich zu therapeutischen
                              									Zwecken in feinsten Stufen vornehmbar sein muß, erfolgt vielmehr durch Verschiebung
                              									der Spulen beider Schwingungskreise vermittels eines Hebels. Ein nach allen Seiten
                              									drehbares Meßinstrument läßt die wirksame Stromstärke ablesen; es ist ein
                              									Hitzdrahtinstrument, da die gewöhnlichen Amperemeter zur Messung von
                              									Hochfrequenzströmen ungeeignet sind. Ferner trägt der Tisch des Diathermieapparates
                              									noch die erforderlichen Schalter und Abnahmeklemmen.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 330, S. 225
                              Abb. 4. Temperaturmeßeinrichtung
                              
                           Der Strom wird dem Patienten durch Elektroden zugeführt, die in verschiedensten
                              									Formen und Größen vorhanden sind, je nach dem Körperteil, an dem sie verwendet
                              									werden sollen, und je nach der Stärke der gewünschten Erwärmung. Nimmt man nämlich
                              									ungleiche Elektroden, so entsteht an der kleineren infolge des Zusammendrängens der
                              									Stromlinien wirksame Wärme, während an der anderen, sofern sie nur hinreichend groß
                              									ist, die Erwärmung kaum fühlbar wird. Macht man die eine Elektrode ganz klein,
                              									nadelförmig, so wird an ihr die Koagulationstemperatur des Eiweißes überschritten,
                              									und es lassen sich Geschwüre und ähnliches zerstören. Diese Operationen der
                              									chirurgischen Diathermie haben den großen Vorteil, daß das Gewebe dabei vollkommen
                              									sterilisiert wird, daß ferner keine Lymph- oder Blutbahnen eröffnet werden und
                              									infolgedessen eine Verschleppung von Keimen unmöglich ist. Tuberkulöse Erkrankungen
                              									der Haut, des Rachens usw., Kavernome, Polypen, maligne Tumoren sind für
                              									chirurgische Diathermie geeignet. Auch Operationen innerhalb der Blase lassen sich
                              									gefahrloser ausführen, als mittels der Elektrokaustik.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 330, S. 225
                              Abb. 5. Diathermiebehandlung in einem Reservelazarett
                              
                           Wichtiger als die chirurgische Diathermie ist die Durchwärmung des ganzen Körpers
                              									oder einzelner Teile und Organe. Dabei ist es wesentlich, daß die Elektroden an der
                              									Haut vollständig und fest anliegen, weil sonst Funkenbildung und dadurch
                              									Verbrennungen auftreten können. Auch beim Abziehen oder Verschieben der Elektroden
                              									sind Verbrennungen möglich, deshalb ist hierbei äußerste Vorsicht anzuwenden.
                              									Besondere Elektrodenklammern sind konstruiert worden (Abb.
                                 										3), um die Elektroden in ihrer Lage festzuhalten, auch verwendet man Gummi-
                              									und andere Bandagen hierzu. Durch die Wahl der Auflegestellen wird dem Strom der Weg
                              									im Körper vorgeschrieben. Außer der Richtung der Durchwärmung ist auch die
                              									eingeführte Wärmemenge bzw. die Höhe der erreichten Temperatur genau zu erwägen.
                              									Einen Anhaltspunkt gibt hierzu die Beobachtung der angewandten Stromstärke am
                              									Meßinstrument, einen zweiten die Zeit, da mit längerer Durchwärmung die Temperatur
                              									zunimmt, außerdem ist der Patient anzuweisen, jedes unangenehme Hitzegefühl
                              									unbedingt sofort zu melden. In vielen Fällen vermag die elektrische
                              									Temperaturmeßeinrichtung der Siemens & Halske A.-G. (Abb. 4) sehr wertvolle Dienste zu leisten, da sie die Temperatur an der
                              									Meßstelle unmittelbar in Celsius-Graden angibt. Hierbei werden die Erscheinungen der
                              									Thermoelektrizität zur Wärmemessung benutzt.
                           
                              
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                              Abb. 6. Diathermiezimmer im Vereinslazarett Siemensstadt
                              
                           Das Anwendungsgebiet der allgemeinen und lokalen Diathermie ist äußerst umfangreich.
                              									Alle die zahlreichen Erkrankungen der Muskeln und Gelenke, wie Gicht oder
                              									Rheumatismus werden auf das günstigste beeinflußt. Und da solche Erkrankungen bei
                              									Kriegern, die ja oft wochenlang im Schlamm und Wasser lagen, häufig sind, – sie
                              									bilden einen erheblichen Teil der sogenannten „Schützengrabenkrankheiten“ –
                              									so ist schon aus diesem Grunde das Diathermieverfahren für Kriegslazarette sehr
                              									wichtig geworden.
                           Man erzielt aber auch ganz vorzügliche Resultate bei der Nachbehandlung von
                              									traumatischen Gelenkversteifungen und traumatischen Muskelschädigungen durch
                              									Diathermie (Abb. 5). Es werden hierbei nicht nur
                              									dieSchmerzen fast vollkommen beseitigt, sondern auch die Funktionsstörungen
                              									werden viel schneller behoben. Massage und Heilgymnastik können infolgedessen viel
                              									früher ein setzen, die Genesungszeit wird abgekürzt, und der Verletzte erlangt in
                              									höherem Maße wieder die Herrschaft über die beschädigten Gliedmaßen. Auch bei der
                              									Nachbehandlung von Knochenbrüchen leistet Diathermie sehr gute Dienste, und das ist
                              									heute wichtiger denn je, da ein sehr hoher Prozentsatz aller Kriegsverletzungen mit
                              									Knochenbrüchen verbunden ist.
                           Bei Erkrankungen des Nervensystems, Nervenschmerzen, Ischias, wie auch den
                              									Nervenerschöpfungen, die nach den Schlachten häufig vorkommen, hat sich die
                              									elektrische Durchwärmung gleichfalls bestens bewährt, ebenso wurde mit ihr
                              									neuerdings die Behandlung erfrorener Füße erfolgreich in Angriff genommen. Und
                              									schließlich ist die Diathermie auch bei Entzündungen des Herzmuskels und
                              									verschiedenen Erkrankungen der Lunge angezeigt.
                           Wie sich aus alledem ergibt, ist die Diathermie in hervorragender Weise beteiligt,
                              									die Wunden, die der Krieg schlug, wieder auszuheilen. Deshalb sollte in keinem
                              									Lazarett ein Diathermieapparat fehlen. Manches Lazarett ist ja auch hiermit
                              									vortrefflich ausgestattet, wie die Abb. 6 des
                              									Diathermiezimmers im Vereinslazarett Siemensstadt zeigt, das die Siemens & Halske A.-G. und die Siemens-Schuckertwerke im Zusammenwirken mit der Heeresleitung und dem
                              									Verein vom Roten Kreuz ins Leben riefen. Aus dem Heilbericht der Diathermieabteilung
                              									dieses Lazarettes für die Zeit vom 26. September 1914 bis 12. Februar 1915 ergeben
                              									sich folgende bemerkenswerte Zahlen:
                           18,5 v. H. der Patienten garnisondienstfähig,
                           46.3 v. H. felddienstfähig,
                           19.4 v. H. noch in Behandlung.
                           Die Statistik erstreckt sich über mehr als hundert Fälle, wie Behandlung von
                              									Knochenbrüchen und Luxationen, Erfrierungen, Rheumatismus, Ischias, ferner
                              									Nachbehandlung vieler Schußverletzungen mit und ohne Nervenverletzungen. Dabei ist
                              									noch besonders zu beachten, daß der Diathermiebehandlung im allgemeinen nur solche
                              									Fälle überwiesen wurden, bei denen andere Behandlungsmethoden keinen oder nur
                              									geringen Erfolg aufweisen konnten.