| Titel: | Die Bedeutung der Technik für die Ausnutzung der inneren Linie. | 
| Autor: | Paul Béjeuhr | 
| Fundstelle: | Band 330, Jahrgang 1915, S. 362 | 
| Download: | XML | 
                     
                        Die Bedeutung der Technik für die Ausnutzung der
                           								inneren Linie.
                        Von Dipl.-Ing. Paul Béjeuhr in
                           									Charlottenburg.
                        BÉJEUHR: Die Bedeutung der Technik für die Ausnutzung der inneren
                           								Linie.
                        
                     
                        
                           Die innere Linie ist einer jener Begriffe, die, obgleich keineswegs neu, doch
                              									ganz plötzlich Allgemeingut, wenn auch etwas unklares Allgemeingut, geworden sind.
                              									Man faßt hierunter die Möglichkeiten zusammen, mit einem konzentrierten Heer auf
                              									kürzerem Wege schneller gegen einzelne Teile des umschließenden Gegners vorzugehen,
                              									als dieser seine Einzeltruppen an der gefährdeten Stelle zusammenzufassen vermag, so
                              									daß ein verhältnismäßig kleines konzentriertes Heer auf diese Weise erfolgreich
                              									gegen einen weit auseinandergezogenen stärkeren Gegner vorgehen kann. Vorbedingung
                              									für den Erfolg sind einerseits außerordentlich schnelle Truppenverschiebungen,
                              									andererseits Geheimhaltung bzw. Verschleierungdes plötzlichen Aufmarsches. Daß
                              									beide Vorbedingungen erst durch den heutigen Stand der Technik in vollem Umfange zu
                              									erfüllen sind, möge kurz erörtert werden.
                           Die hohe militärische Bedeutung eines weitverzweigten Eisenbahnnetzes war schon vor
                              									diesem Weltkrieg allgemein anerkannt, was einen systematischen Ausbau auch mit
                              									Rücksicht auf militärische Interessen bereits in Friedenszeiten zur Folge hatte.
                              									Auch mit der Möglichkeit des Befahrens anderer als normalspuriger Bahnen war
                              									gerechnet worden und diesem Umstand durch entsprechende Laufachsen mit besonderer
                              									Spurweite bzw. durch genügende Materialvorräte für den sofortigen provisorischen Bau
                              									einer dritten Schiene in der normalen Spur Rechnung getragen. Anders stand es
                              									mit den modernen Verkehrsmitteln, den Kraftwagen und den Flugzeugen. Ueber ihre
                              									Verwendung im Kriege lagen bisher so gut wie gar keine Erfahrungen vor, so daß man
                              									gänzlich auf die Rückschlüsse aus den Manöverergebnissen angewiesen war.
                              									Vorsichtigerweise wurde den Kraftwagen zunächst nur ein beschränkter Wirkungsbereich
                              									zugewiesen. Sie sollten den Verkehr zwischen den letzten Eisenbahnetappen bis etwa
                              									10 bis 12 km hinter der Front vermitteln, von wo aus Pferdewagen die Lasten bis
                              									unmittelbar an die Feuerlinie leiten sollten. Dieses Programm wurde sehr bald
                              									umgestoßen. Einmal zog die Kavallerie zur Ergänzung ihrer Verluste alles
                              									einigermaßen verwendbare Pferdematerial zusammen, so daß die Nachschubkolonnen
                              									entblößt wurden, dann aber zeigte sich der Kraftwagen in so überraschender Weise den
                              									schlechtesten Bodenverhältnissen gewachsen, daß man ihm den ganzen Zwischentransport
                              									zwischen Bahnstation und Frontlinie übertrug, wodurch außer anderen Vorteilen noch
                              									eine große Zeitersparnis erreicht wurde durch Fortfall des Umladens. Allerdings ging
                              									diese Umwandlung nicht so ganz glatt vor sich, wie hier angegeben, sondern sie
                              									verlangte vom Kraftwagen eine gewisse Anpassung an die erhöhten Forderungen. Zuerst
                              									der Not gehorchend, mußten die lediglich für Chausseen und Feldstraßen bestimmten
                              									Kraftwagen plötzlich über Nacht querfeldein auf unwegsamem Gelände bis an die
                              									Schützengräben vordringen, sie wurden dem Vorpostenfeuer ausgesetzt, gerieten auch
                              									wohl ins Granatfeuer; weiter hatte man sich vielleicht nicht streng an die zulässige
                              									Belastungsgrenze gehalten – kurz fast sämtliche Wagen erwiesen sich als zu schwach,
                              									ihre Federung war zu weich, so daß die Industrie mit Hochdruck an die Aenderungen
                              									herangehen mußte. Weiter kam es häufig vor, daß beim eiligen Vormarsch der Kolonnen
                              									plötzlich ein Gebiet erreicht wurde, auf welchem Freund und Feind noch um die
                              									Besitzentscheidung rangen. Da galt es schnell zu wenden und hinter die eigene Linie
                              									zurückzugehen. Bestand nun die Kolonne aus Zügen mit Anhängern, so war es selbst bei
                              									schmalen Straßen mit Seitengräben oder in Einschnitten wohl größtenteils möglich,
                              									den Kraftwagen zu wenden; den schwerbeladenen Anhänger mußte man aber in vielen
                              									Fällen zurücklassen, weil das Drehen ausgeschlossen war.
                           Vergegenwärtigt man sich, daß zur Beförderung eines kriegsstarken Armeekorps etwa 90
                              									volle Militärzüge nötig sind, so kann man die Größe der Leistung ermessen, die
                              									häufig dadurch aufgestellt wurde, daß in einer Nacht, d.h. in den wenigen Stunden
                              									der Dunkelheit 50000 Mann mit allen modernen Transportmitteln bis zu 70 km weit von
                              									einem Platz zum anderen verschoben wurden. Denkt man ferner an das große Netz
                              									staatsfiskalischer Bahnen hinter der Front (von Maas bis Weichsel reichlich 25
                              									unabhängige Linien), so ergibt sich daraus die Nichtigkeit feindlicher
                              									Prophezeiungen, die so gern darauf hinweisen, daß den vordringenden Deutschen ein
                              									neues „1812“ bereitet wird.
                           Schon aus diesen Zahlen erhellt die Wichtigkeit des Kraftwagens für den modernen
                              									Heerführer, der tatsächlichmit seinen Truppen wie die Kugel zwischen die Kegel
                              									des umstellenden Gegners fahren kann. So wird denn auch die Zahl der deutscherseits
                              									im Feld befindlichen Kraftwagen auf 60000 geschätzt, denen Frankreich 70000, England
                              									auf dem Kontinent etwa 20000 entgegenstellt, wobei aber zu berücksichtigen ist, daß
                              									unter den feindlichen Wagen mindestens 50000 von Privatleuten beschlagnahmte sich
                              									befinden, (allein 1100 Pariser Auto-Omnibusse!) für die die obigen Beanstandungen
                              									zutreffen, während ein großer Teil der deutschen Wagen schon unter Berücksichtigung
                              									dieser Punkte wesentlich verstärkt worden ist.
                           Derart gewaltige Truppenverschiebungen bedingen weiter die sofortige Nachsendung von
                              									Munition und Proviant, so daß die Verkehrsmittel nach Bewältigung des
                              									Menschentransports noch die gleiche Leistung für den Nachschub von Munition und
                              									Proviant aufzubringen haben. Das bedeutet aber nichts anderes, als daß sämtliche
                              									Hin- und Rücktransportstraßen dauernd stark belastet werden, was der feindlichen
                              									Aufklärung sofort auffallen muß. Ein Erfolg des Aufmarsches ist aber nur zu
                              									erwarten, wenn dieser völlig geheim bleibt, so daß der Angriff mit überraschender
                              									Heftigkeit erfolgen kann. Folglich muß der Aufmarsch unbedingt verschleiert werden,
                              									und hier setzt als wirkungsvolle Ergänzung der Kavallerie die Tätigkeit der Flieger
                              									ein. Die Verschleierung erfolgt einerseits durch scheinbar umfangreiche Transporte
                              									nach Scheinstellungen, an deren Sichtweiten man die feindlichen Aufklärer
                              									heranlockt, und ebenso bestimmtes Fernhalten des Gegners vom eigentlichen
                              									Aufmarschgebiet. Während dies auf der Erde durch ablenkende Scharmützel der
                              									Kavallerie und durch langsam sich verschiebende Geplänkel weit hinausgeschobener
                              									Vorposten erreicht wird, fällt unseren Flugzeugen die Doppelaufgabe zu, durch
                              									ständige Erkundung über dem Feind den Aufmarsch vor einer feindlichen Ueberraschung
                              									zu schützen und außerdem die gegnerischen Flugzeuge von dem Aufmarschgebiet
                              									fernzuhalten. Für ersteren Zweck reichen die an dieser Stelle bereits mehrfach
                              									besprochenen Erkundungsflugzeuge aus, letztere Aufgabe kann mit Aussicht auf Erfolg
                              									nur gelöst werden, wenn die Flugzeuge so armiert sind, daß sie den Kampf mit dem
                              									Gegner aufnehmen können, und wenn ihre Geschwindigkeit eine derart dem Feind
                              									überlegene ist, daß sie dem Gegner seinen Weg vorschreiben können. Daß unsere
                              									Industrie in der Lage ist, Luftfahrzeuge zu bauen, die durchaus beide Bedingungen
                              									erfüllen, wissen wir; daß sie trotz aller Anstrengungen der Feinde und trotz der
                              									Riesenlieferungen des neutralen Auslandes an unsere Feinde den Anforderungen der
                              									Heeresverwaltung weitaus schneller zu genügen vermag als irgend einer unserer
                              									Gegner, darauf dürfen wir getrost vertrauen; daß aber bei uns hinter den zahllosen
                              									Maschinen, die nun nach allgemeiner Ansicht den Krieg entscheiden werden, keine
                              									Maschinenmenschen stehen, sondern Geistesmenschen alter deutscher Kultur, einzig
                              									beseelt vom Willen zum Sieg – das allein ist der Grund unserer
                                 										Ueberlegenheit!