| Titel: | Rechts-Schau. | 
| Autor: | Werneburg | 
| Fundstelle: | Band 333, Jahrgang 1918, S. 60 | 
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                        Rechts-Schau.
                        Rechts-Schau.
                        
                     
                        
                           Maschinenindustrie und Patentrecht. (Abhängigkeit der
                              									Erfindung.) Mit der Bestimmung des Patentgesetzes dahingehend, daß eine spätere
                              									Anmeldung den Anspruch auf Erteilung eines Patentes nicht begründen kann, wenn die
                              									Erfindung Gegenstand des Patentes eines früheren Anmelders ist, ist nicht nur der
                              									Fall der gänzlichen oder teilweisen Identität der angemeldeten Erfindung mit dem
                              									Gegenstand des auf die frühere Anmeldung hin erteilten Patentes, sondern auch
                              									gleichzeitig die Frage der Abhängigkeit einer Erfindung von der anderen geregelt
                              									worden. Während aber Identität der angemeldeten Erfindung mit dem Gegenstand des
                              									älteren Patentes dann vorliegt, wenn der Erfindungsgedanke im wesentlichen derselbe
                              									ist, liegt Abhängigkeit dann vor, wenn die jüngere Erfindung nicht ohne Benutzung
                              									der älteren benutzt werden kann. Man versteht also unter Abhängigkeit allgemein das
                              									Verhältnis, daß eine Erfindung in eine andere früher angemeldete derartig eingreift,
                              									daß sie nicht ohne Beeinträchtigung der Rechte des früheren Anmelders benutzt
                              									werden kann; die Benutzung der neuen Erfindung darf also nicht ohne die Erlaubnis
                              									des aus dem früheren Patent Berechtigten stattfinden. Abhängigkeit liegt zum
                              									Beispiel dann vor, wenn jemandem ein Patent auf ein mechanisches Produkt erteilt
                              									worden war und nun ein anderer eine neue Maschine zur Herstellung dieses Produkts
                              									erfindet und anmeldet oder wenn einzelne Teile einer früheren Maschinenkonstruktion
                              									bereits Gegenstand einer älteren Erfindung sind. Das Reichsgericht hatte sich
                              									wiederholt mit der Frage der Abhängigkeit zu beschäftigen. In seinem Urteil vom 2.
                              									11. 1910 führt es zum Beispiel aus, daß, um Abhängigkeit des späteren Patentes von
                              									einem früheren annehmen zu können, welch letztere als erstes ein Reinigungsmittel
                              									von Kondenswasserstauern ohne Unterbrechung des Betriebes gestattet, bei der neuen
                              									Erfindung, die nur nebenbei eine solche Reinigung gestattet, eine wenigstens
                              									teilweise und greifbare Uebereinstimmung in den technischen Mitteln bestehen
                              									müsse.
                           
                           Für die Frage, ob ein Maschinenpatent von einem anderen abhängig oder mit diesem
                              									sogar identisch ist, ist in erster Linie der Inhalt der Patentschrift maßgebend.
                              									Denn das Wesen der Erfindung und der Umfang des Schutzbereiches des Patentes ergeben
                              									sich gerade aus der Patentschrift, wie auch das Reichsgericht ausdrücklich in seinem
                              									Urteil vom 1. 12. 1915 ausgesprochen hat. Bei dem dieser Entscheidung zugrunde
                              									liegenden Sachverhalt hatte die Beklagte bei ihrer Maschine die Bewegung von der
                              									Hauptwelle zu den Stoffschieberwellen vermittels zweier Metallstangen übertragen.
                              									Zur Uebertragung der Bewegung von der Hauptwelle zur Greiferwelle verwandte die
                              									Beklagte nicht wie die Klägerin einen Lederriemen, sondern einen Hanfgurt, der aus
                              									zwei nebeneinanderliegenden, mit Metallklammern besetzten und durch diese
                              									verbundenen Teilen bestand. Es handelte sich bei der Auslegung der Patentschrift um
                              									den Begriff der metallischen und der nicht metallischen Verbindung, da Patentschrift
                              									und Patentanspruch der Klägerin als spezielle Art der metallischen Verbindung die
                              									Zugstange, als spezielle Art der nicht metallischen Verbindung den Riemenbetrieb
                              									erwähnten. „Unzweifelhaft“, so führt das Reichsgericht zu dieser Frage aus,
                              										„kann durch den beiden Spezialarten beigefügten verallgemeinernden Zusatz
                                 											„oder dergleichen“, was die metallische Verbindung anlangt, nur
                                 										gesagt sein, daß diese nicht gerade eine Zugstange zu sein braucht; sie kann
                                 										auch in einer Stange (Stab) bestehen, die auf anderem Wege als durch Zug die
                                 										Funktion der Bewegungsübertragung erfüllt, also etwa aus einer Schubstange oder
                                 										einer Hubstange; diese Funktion kann auch einem anderen Uebertragungsmittel als
                                 										einer Stange, etwa einer Metallkette zugewiesen sein. Ebenso zweifellos ist es
                                 										aber, daß als „metallische Verbindung“ nur die Stange oder der an ihrer
                                 										Stelle im Mechanismus angebrachte und ihre Funktion ersetzende Maschinenteil in
                                 										Betracht kommt. Nicht zur metallischen Verbindung gehören daher die auf der
                                 										Hauptwelle aufgekeilten Exzenter und ebensowenig die auf Stoffschieberwellen
                                 										festsitzenden Hebel. Nur das, was den Exzenter der Hauptwellen mit den Hebeln
                                 										der Stoffschieberwellen in Beziehung bringt – sie miteinander kuppelt – also
                                 										hier die Stangen, bildet die „metallische Verbindung“ ebenso wie nur der
                                 										Riemen oder dergleichen – etwa ein Stoffband, eine Schnur, ein Hanfgurt – nicht
                                 										aber die Stiftscheiben der Hauptwelle und der Greiferwelle, die
                                 											„nichtmetallische Verbindung“ darstellt. Im wesentlichen ist nun – so
                                 										entscheidet das Reichsgericht diese Frage – der Hanfgurt der Beklagten trotz der
                                 										Metallklammern eine nicht metallische Verbindung, ebenso wie der Lederriemen der
                                 										Beklagten“.
                           Zur Ausführung ihres Erfindungsgedankens hatte die Klägerin bei ihrer Maschine die
                              									beiden erwähnten Verbindungen voneinander durch eine durchgehende Wand getrennt. Die
                              									Beklagte hatte zwischen den beiden Verbindungen an ihrer Maschine im oberen und
                              									unteren Raum des Armes je einen Gußansatz – Brücke, Lappen – dergestalt angebracht,
                              									daß zwischen ihnen eine Oeffnung von der ganzen Breite und etwa der halben Höhe des
                              									Armes verblieb. „Ihre Behauptung“, so führt das Reichsgericht in diesem
                              									Urteil weiter aus, „daß Oel ihrer nichtmetallischen Verbindung nicht schade, wird
                                 										durch den Gutachter, dessen Sachkunde auch auf diesem, sein Spezialfach eng
                                 										berührendes Gebiet nicht angezweifelt werden kann, voll bestätigt. Darnach ist
                                 										anzunehmen, daß die Beklagte mit ihrer Anordnung den Zweck verfolgt, das
                                 										Ueberspritzen des Oeles zu verhindern. Die von dem Gutachter festgestellte
                                 										Tatsache, daß durch die Oeffnung Oel nach der nichtmetallischen Verbindung nicht
                                 										herüberfliegt, steht der Aufstellung der Beklagten, daß sie mit ihrer Anordnung
                                 										das Ueberspritzen von Schmiermaterial zulassen will, mit den Gußansätzen
                                 										aber andere Konstruktionszwecke verfolgt – Lagerung der Hauptwelle und des
                                 										Stellstichhebels, Aufnahme der Schrauben des Abschlußdeckels – nicht entgegen.
                                 										Die Tatsache kann – so stellt das Reichsgericht hierüber fest – der Beklagten so
                                 										gut unbekannt geblieben sein, wie die Klägerin sie offenbar nicht erkannte.
                                 										Hätte die Beklagte gewußt, daß von der metallischen Verbindung Oel nach dem
                                 										Hanfgurt nicht abfliegt, dann hätte sie, wenn ihr darum zu tun war, den Hanfgurt
                                 										vor Berührung mit Oel zu schützen, die das Vorhandensein des Oeles bedingende
                                 										wirkliche Ursache gefunden und gegen diese Ursache, also etwa gegen das
                                 										Abträufeln des Oeles von der Hauptwelle, Maßnahmen ergriffen. Da das Oel dem
                                 										Hanfgurt nicht schadet, besteht auch kein Grund für die Annahme, daß die
                                 										Beklagte durch die Anbringung der Gußansätze das Ueberspritzen des Oeles
                                 										verhindern will. Dadurch würde auch der Zweck des Schutzes des Hanfgurtes nicht
                                 										erreicht. Denn wenn Oel durch die Oeffnung überspritzen würde, dann würde es auf
                                 										alle Teile des Hanfgurtes gelangen, da dieser bei dem Betriebe der Maschine in
                                 										ständiger Bewegung sich befindet und daher alle Teile dem Bespritzen ausgesetzt
                                 										sein würden. Daß ein Teil des abfliegenden Oeles durch die Gußansätze am
                                 										Ueberspritzen gehindert würde, könnte nicht in Betracht kommen, weil das durch
                                 										die Oeffnung gelangende überspritzende Oel im Laufe der Zeit den Hanfgurt völlig
                                 										durchtränken würde.“
                           Der Patentschutz war nach Inhalt der Patentschrift bei diesem Falle der Klägerin für
                              									die Erleichterung des Zutritts zur nichtmetallischen Verbindung gewährt worden. Als
                              									charakteristische Merkmale der Erfindung waren angegeben: 1. Die Verlegung der
                              									Verbindung außerhalb des Maschinenarmes, 2. die Abdeckung der Verbindung mittels
                              									lösbar befestigter Kappe oder dergleichen. Die Beklagte verfolgte mit ihrer
                              									Anordnung den gleichen Zweck und erzielte die Wirkung wie die Klägerin. „Daß die
                                 										von ihr erzielte Wirkung – so führt das Reichsgericht in dieser Beziehung weiter
                                 										aus – weiter geht, indem sie zufolge der Anbringung der Brücken statt der
                                 										Querwand zugleich die metallische Verbindung seitlich zugänglich macht, ist
                                 										selbstverständlich belanglos. Es fragt sich, ob zur Herbeiführung der gleichen
                                 										Wirkung gleiche oder gleichwertige Mittel angewendet werden. Der Gutachter
                                 										bejaht die Frage. Im wesentlichen stellt er nur Deckel und Kappe einander
                                 										gegenüber, die Außenverlegung selbst zieht er nicht eigens in seine
                                 										vergleichende Betrachtung ein. Die Klägerin verringert den Raum, in dem bei den
                                 										früheren Modellen die metallische und die nichtmetallische Verbindung
                                 										untergebracht waren, um diejenige Tiefe, welche die Anbringung der
                                 										nichtmetallischen Verbindung erfordert. Den Raum für die metallische Verbindung
                                 										beläßt sie im Maschinenarm, den sie durch eine damit fest verbundene Rückwand –
                                 										die erwähnte durchgehende Querwand – abschließt. Die nichtmetallische Verbindung
                                 										läßt sie über zwei Stiftscheiben laufen, die beide außerhalb der Wand angebracht
                                 										sind, und zwar die eine an der aus dem Raum der metallischen Verbindung durch
                                 										die Wand nach außen geführten Haupt welle, die andere an der unterhalb des
                                 										Maschinenarmes liegenden Greiferwelle. Die nichtmetallische Verbindung befindet
                                 										sich außerhalb des Maschinenarmes, mag auch ihre Lage im Raum an sich nicht
                                 										verändert worden sein. Die Beklagte beläßt die nichtmetallische Verbindung im
                                 										Maschinenarm, wie sie bei den bekannten Maschinen angeordnet worden war. Sie
                                 										verlängert nicht, wie in der Klageschrift gesagt wird, den Maschinenarm nach
                                 										hinten hinter seiner Rückwand zu einer zweiten: Kammer, sondern sie teilt den
                                 										innerhalb des Armes verbleibenden Raum in zwei Kammern ein. Der Raum, in dem die
                                 										Scheiben der Hauptwelle und der Greiferwelle liegen, über welche die
                                 										nichtmetallische Verbindung geführt ist, bleibt überdeckt von Dach und
                                 										Seitenwänden des Maschinenarmes. Daher ist die nichtmetallische Verbindung nicht
                                 										außerhalb des Armes verlegt. Den Zugang von rückwärts außen erzielt die Beklagte
                                 										dadurch, daß sie die Rückwand des Armes, die seither mit diesem ein Stück
                                 										bildete, durch einen mit Schrauben lösbar befestigten Deckel ersetzt. Dieser
                                 										Deckel ist im wesentlichen Bestandteil der Maschine, deren Arm ohne den Deckel
                                 										keinen Abschluß nach außen hätte.“
                           Beide Ausführungen sind nun nach dem Reichsgericht im wesentlichen technisch nicht
                              									verschieden, so daß also an sich ein Eingriff seitens der Beklagten in das
                              									Patent der Klägerin als vorliegend anzunehmen ist. Das Reichsgericht sieht aber
                              									diesen Eingriff seitens der Beklagten nur darin, daß diese die Rückwand des
                              									Maschinenarmes – die bei den bekannten Nähmaschinen mit den übrigen Teilen des Armes
                              									ein Stück bildet – durch einen lösbaren Deckel ersetzte. Es nimmt daher an, daß der
                              									Klageantrag seitens der Klägerin, insoweit dieser sich gegen diese Anordnung
                              									richtete, gegenstandslos und unbegründet sei. Ebenso verneint es aber auch einen
                              
                              									Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz, weil auf Seiten der Beklagten nach dem
                              									Sachverhalt weder eine wissentliche noch grob fahrlässige Benutzung des
                              									Erfindungsgedankens der klägerischen Maschine vorlag.
                           Dr. Werneburg, Rechtsanw., Köln.