| Titel: | Eine neue kritische Wellengeschwindigkeit. | 
| Autor: | A. Stodola | 
| Fundstelle: | Band 333, Jahrgang 1918, S. 117 | 
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                        Eine neue kritische
                           								Wellengeschwindigkeit.
                        Von Prof. A. Stodola in
                           								Zürich.
                        STODOLA: Eine neue kritische Wellengeschwindigkeit.
                        
                     
                        
                           In meinem unter der gleichen Ueberschrift veröffentlichten AufsatzD. p. J. 1918 S. 1 u. f. d. Bd. habe
                              									ich nachgewiesen, daß bei wagerecht gelagerten Wellen infolge der Wirkung der
                              									Schwerkraft neue kritische Gebiete auftauchen, an welchen das in der Nähe der halben
                              									gewöhnlichen kritischen Drehzahl gelegene auch praktisch von Belang werden kann.
                           Prof. Gümbel lehnt in seiner ersten EntgegnungD. p. J. 1917 Bd. 332 S. 235. die
                              									Möglichkeit eines solchen Gebietes glatt ab oder läßt sie nur im Falle störender
                              									Außenkräfte (wie periodischer einseitiger Oeldruck durch diametral versetzte
                              									Bohrungen) zu. In der zweiten EntgegnungD. p. J.
                                    											1918 S. 71 d. Bd. wird das Bestehen eines kritischen Gebietes
                              									zumindest bei einer, nämlich der halben kritischen Drehzahl zugegeben, indes auf
                              									andere Weise erklärt. Ich zeige in Nachfolgendem, daß auch dieser Standpunkt nebst
                              									den übrigen Einwänden nicht haltbar ist und auf einem Mißverständnis beruht;
                              									insbesondere, daß die Schwingungslehre nicht im mindesten verletzt wird, wenn ich
                              									behaupte, daß die Schwerkraft kritische Gebiete, d.h. Resonanzschwingungen hervorrufe, deren Periode keineswegs ein
                                 										ganzzahliger Bruchteil der
                              									„normalen“
                              									kritischen Schwingung ist. Zur Aufklärung dieses
                              									scheinbar schroffen Widerspruchs genügt es auf die einfache Tatsache hinzuweisen,
                              									daß die elastische Eigenschwingung der Welle nur dann mit der kritischen Drehzahl
                              									übereinstimmt, wenn der Scheibenschwerpunkt genau ins
                                 										Wellenmittel fällt, (und wenn man von der „Schiefstellung“ der
                              									Scheibe absieht). Im anderen Fall ergeben sich je nach dem Verhältnis des
                              									Trägheitshalbmessers und der Exzentrizität mehr oder minder
                                 										bedeutende Unterschiede.
                           In meinen Arbeiten ist bereits alles zu deren zahlenmäßiger Feststellung
                              									erforderliche enthalten; die Untersuchung der Stabilität des Gleichgewichtes der
                              									Scheibe läuft in der Tat im wesentlichen auf die Bestimmung jener
                              									Eigenschwingungsperioden hinaus. Nur muß man genau zwischen derjenigen, die ein
                              									ruhender Beobachter, und der, die ein im rotierenden Raum sich befindender
                              									Beobachter feststellt, unterscheiden. Die letztere kann mit größter Leichtigkeit
                              									auch anhand der von mir entwickelten Gl. (5) (D. p. J. 1918 S. 2 d. Bd.)
                              									durchgeführt werden, indem man die mit g behafteten
                              									Glieder wegläßt, d.h. die Schwerkraft beseitigt, und für das sich selbst überlassene
                              									System den Ansatz
                           τ = α eivt, η = b eivt, ζ = c eivt . . . (1)
                           einführt. Durch das Nullsetzen der Determinante der Beizahlen
                              									erhält man:
                           v^4-2\,\left[{\omega_{\mbox{k}}}^2+\omega^2+\frac{{\omega_{\mbox{k}}}^4}{2\,({\omega_{\mbox{k}}}^2-\omega^2)}\,\frac{e^2}{q^2}\right]\,v^2+({\omega_{\mbox{k}}}^2-\omega^2)^2+\frac{{\omega_{\mbox{k}}}^4\,({\omega_{\mbox{k}}}^2+3\,\omega^2)}{{\omega_{\mbox{k}}}^2-\omega^2}\,\frac{e^2}{q^2}=0 . . . (2)
                           aus welcher Gleichung zu jedem Wert der augenblicklichen
                              									Winkelgeschwindigkeit ω zwei Werte von ± v, also zwei Eigenschwingungszahlen (2 π neigen = v) folgen. Die Rolle der noch vorhandenen Doppelwurzel
                              										v = 0 habe ich andererortsSchweiz. Bauzeitg. 1916 Bd. 68 S. 197 u.
                                    										f. aufgeklärt. Da die Schwerkraft im rotierenden Raume als
                              									Resultierende zweier harmonischer Komponenten mit der Frequenz ng = ω/2 π auftritt, wird sie
                              									eine Schwingung hervorrufen, die mit der Eigenschwingung in Resonanz steht, sofern
                              										ω = v ist. Setzt man
                              									diesen Wert in Gl. (2) ein, so gelangt man zu meiner früheren Bestimmungsgleichung
                              									(8) (D. p. J. 1918 S. 2 d. Bd.), aus der die kritischen Geschwindigkeiten ωg', ωg'' folgen, wie ich
                              									sie angegeben habe. Diese ganze Betrachtung stützt sich auf die Vorgänge der
                              									relativen Bewegung im rotierenden Beobachtungsraum. Die Sachlage stellt sich ganz
                              									anders dar, wenn man die absolute Bewegung ins Auge faßt. Bei e/q = 0 sind beispielsweise die Wurzeln von Gl. (2) ±
                              										(ωk + ω) und ± (ωk – ω). Die gleiche
                              									Periode müßte eine auf den relativen Raum bezogene Kraft haben, wenn Resonanz
                              									entstehen soll. Für die absolute Bewegung hingegen kommt bei e/q = 0 nur die Periode ωk in Betracht, die sich auch bei jener
                              									Kraft als vorhanden herausstellen würde, sobald man sie auf die absoluten
                              									Koordinaten transformiert. Die Schwerkraft ist unveränderlich und kann bei e = 0 im absoluten Raum keine Schwingung hervorrufen,
                              									auch bei endlichem e nur dadurch, daß, wie weiter unten
                              									dargestellt wird, die elastische Kraft so zerlegt werden kann, daß sie mit der
                              									Schwere zusammen ein periodisches Moment ergibt.
                           Bezeichnen wir im allgemeinen Fall die Wurzel der Gl. (2) mit ± v1, ± v2, die unterhalb der
                              									kritischen Drehzahl als reelle Größen erscheinen müssen, so erhalten wir gemäß (1)
                              									die allgemeine Schwingungsform
                           
                              
                                 τ = a1 cos v1
                                    											t+ a1' sin v1t + a2 cos v2t + a2' sin v2tη = b1 cos v1 t + b1' sin v1
                                    											t + b2 cos v2
                                    											t + b2' sin v2tζ = c1 cos v1
                                    											t + . . . . . . .
                                 (3)
                                 
                              
                           im rotierenden Raum. Um diese Bewegung in den absoluten
                              									Koordinaten Y, Z darzustellen, hat man sich zu
                              									erinnern, daß die relativen Koordinaten y = y0 + η und z = ζ waren, und daß die
                              									Beziehungen
                           Y = y sin
                              										ω t + z cos ω t
                           Z = y sin
                              										ω t + z cos ω t
                           bestehen. Daher wird
                           
                              
                                 Y = y0 cos
                                    												ω tZ
                                       												= y0 sin ω
                                       												t
                                 + b1 cos v1 cos ω t – c1 cos
                                    												v1
                                    											t sin ω t+ b1' sin v1 cos ω t –
                                       												c1'
                                    											cos v1
                                    											t sin ω t+ .
                                    											. . .+ b1
                                    											cos v1
                                    											t sin ω t – c1 cos v1
                                    											t cos ω t+ .
                                    											. . .
                                 (4)
                                 
                              
                           wobei man die Produkte der periodischen Glieder nach bekannten
                              									Formeln in Summen von einfach cos. und sin. auflösen kann. Der absolute Drehwinkel
                              										ψ der Scheibe ist schließlich
                           ψ = φ + τ.
                           Diese Beziehungen stellen die verallgemeinerte Föpplsche Lösung bei endlichem
                                 										Trägheitsmoment der Scheibe dar, für unendliche
                                 										kleine Schwankungen in der Nachbarschaft der stationären Bewegung. Sie
                              									lassen klar erkennen, daß die Periode der absoluten Schwingung mit der normalen
                              									kritischen Drehzahl nicht übereinstimmt, daß also auch vom Standpunkt der absoluten
                              									Bewegung die Forderung Gümbels nach ganzzahligen Bruchteilen
                                 										von
                              									ωk
                              									für die Gewichtsstörung
                              									ωg
                              									fallen gelassen werden muß.
                           Ebenso erledigt sich die Behauptung Gümbels, meine
                              									Grundgleichungen der relativen Bewegung seien falsch, da ich die aus der
                              									ungleichförmigen Winkelgeschwindigkeit sich ergebenden Kräfte außer Acht gelassen
                              									hätte. Ein Blick in anerkannte Lehrbücher der MechanikSo insbesondere Lorenz, Technische Mechanik S. 110 und 114, wo die relative
                                    											Bewegung aus der Absolutbewegung gerade für die uns beschäftigende Drehung
                                    											um eine Achse in höchst anschaulicher Weise abgeleitet wird.
                              									hätte Gümbel überzeugen können, daß er eine gänzlich
                              									falsche Fährte verfolgt. Die auf endliche Auslenkungen
                                 										bezogenen Gleichungen (1) bis (3) meines Aufsatzes sind bedingungslos richtig. Diejenigen,
                              									die sich auf kleine Schwingungen beziehen, müssen
                              									selbstverständlich der Bedingung unterworfen werden, daß die Ausschläge sich nach der Ausrechnung als kleiner weisen. Die Genauigkeit
                              									dieser Gleichungen kann durch folgende Umformung in merklichem Maße gesteigert
                              									werden, die zugleich hinsichtlich der höheren Harmonischen der Kraftwirkung ein
                              
                              									Interesse bietet.
                           Ist das Trägheitsmoment der Scheibe sehr groß, so wird die Winkelabweichung τ verschwindend klein, und im „stationären“
                              									Zustande werden der Schwerpunkt S und der
                              									Wellendurchstoßpunkt W auf einer Geraden mit dem Punkt
                              										O' (Abb. in D. p. J. 1918 S. 2 d. Bd.) liegen, der
                              									die Lage des Wellenmittels im Ruhezustande der Welle bildet. Legen wir den Anfang
                              									des rotierenden Koordinatensystems in diesen Punkt, und denken wir uns, das
                              									Massenträgheitsmoment nehme ab, so wird sich eine Schwankung der Koordinaten η ζ τ einstellen, in welcher der Anteil der der
                              									statischen Biegung der Welle durch das Gewicht entspricht, bereits ausgemerzt ist;
                              									die Schwingung kann klein bleiben, auch wenn die statische Verbiegung groß war. Die
                              									elastische Wellenkraft zerlegt sich alsdann, wie ich im ersten Aufsatz darlegte, in
                              									die nach O' gerichtete Zentralkomponente P' und in eine stets senkrecht nach aufwärts gerichtete
                              									Kraft von der Größe des Gewichtes G. Verlegen wir die
                              									Kräfte nach dem Schwerpunkt, so bleibt nur P' übrig,
                              									die Komponenten m g sin ω t, m
                                 										g cos ω t fallen weg. Statt dessen tritt in
                              									die Gleichung der Schwingung um den Schwerpunkt das Moment M
                                 										= – m g e cos (ω t + τ) ein. Die Gleichungen
                              									lauten mithin:
                           
                              
                                 η =ζ =q2r =
                                 (ω2 – ωk2)
                                       												η + 2 ω ζ(ω2 – ωk2) ζ – 2 ω η + ωk2
                                    											e τ– ωk2 y e τ + ωk2
                                    											e ζ – g e cos (ω t + τ)
                                 (5)
                                 
                              
                           In erster Annäherung vernachlässigen wir im Cosinusglied die
                              									kleine Schwankung τ, d. h, wir setzen M = – m g e cos ω t und erhalten die erste
                                 										Lösung in der Form
                           τ1 =
                              										A1 cos ω t, η1
                              									= B1 sin ω t, ζ1 = C1 cos ω t (6)
                           Diese Annäherung können wir benutzen, um das schwankende
                              									Moment in zweiter Annäherung auszudrücken als
                           
                              \begin{array}{rcl}M&=&-m\,g\,e\,\cos\,(\omega\,t+\tau)=-m\,g\,e\,(\cos\,\omega\,t-\sin\,\omega\,t\,.\,\tau_1)\\&=&-m\,g\,e\,[\cos\,\omega\,t-\sin\,\omega\,t\,.\,A_1\,\cos\,\omega\,t]\\&=&-m\,g\,e\,\left[\cos\,\omega\,t-\frac{A_1}{2}\,\sin\,2\,\omega\,t\right],\end{array}
                              
                           welcher Wert in (5) eingeführt eine Auflösung jenes Systems
                              									mittels des Ansatzes
                           τ2 =
                              										A1 cos ω t + A2 sin 2 ω t, η2
                              									= B1 cos ω t + B2 cos 2 ω t, ζ2 = C1 cos ω t + C2 sin 2 ω t . . .
                              									(7)
                           ermöglicht, den wir zur weiteren Verbesserung der Genauigkeit
                              									abermals in die Formel der Momente einführen. Es entsteht
                           
                              M=-m\,g\,e\,\left[\left(1-\frac{A_2}{2}\right)\,\cos\,\omega\,t+\frac{A_1}{2}\,\sin\,2\,\omega\,t+\frac{A_2}{2}\,\cos\,3\,\omega\,t\right],
                              
                           und die Gl. (5) werden durch den Ansatz dritter Näherung
                           τ3 = A1' cos
                              										ω t + A2 sin 2 ω t + A3 cos 3 ω t,
                           η3= B1' cos ω t + . . . . . . . . . . . (8)
                           gelöst. Dabei ist A2 gleich wie in (7), hingegen A1' im Verhältnis \left(1-\frac{A_2}{2}\right)\,:\,1 kleiner als A1. Durch Wiederholung
                              									dieses Verfahrens kann man schließlich τ, η, ζ als Fouriersche Reihen darstellen, falls dieselben sich als
                              									konvergent erweisen. Die schwierigen Bedingungen hierfür aufzustellen, muß ich
                              									allerdings Berufsmathematikern überlassen und beschränke mich nach altbewährtem
                              									technischen Brauch auf einige Zahlenproben, die zu folgendem Ergebnis führen:
                           Setzen wir q2/e2 = 25 und ω
                              									= 0,55 ωk, so erhalten
                              									wir:
                           
                              A_1=0,1249\,\frac{g}{e\,{\omega_{\mbox{k}}}^2},\ B_1=0,3595\,\frac{g}{{\omega_{\mbox{k}}}^2},\ C_1=0,2349\,\frac{g}{{\omega_{\mbox{k}}}^2}
                              
                           
                              A_2=-0,002138\,\frac{g^2}{e^2\,{\omega_{\mbox{k}}}^4},\ B_2=0,002152\,\frac{g^2}{e\,{\omega_{\mbox{g}}}^4},\ C_2=-0,000911\,\frac{g^2}{e\,{\omega_{\mbox{k}}}^4}
                              
                           
                              A_3=-0,0000167\,\frac{g^3}{e^3\,{\omega_{\mbox{k}}}^6},\ B_3=-0,0000375\,\frac{g^3}{e^2\,{\omega_{\mbox{k}}}^6},\ C_3=0,0000418\,\frac{g^3}{e^3\,{\omega_{\mbox{k}}}^6}
                              
                           und die Verhältnisse
                           
                           
                              
                              \frac{A_2}{A_1}=-0,01712\,\frac{g}{e\,{\omega_{\mbox{k}}}^2}\ \frac{A_3}{A_2}=0,00780\,\frac{g}{e\,{\omega_{\mbox{k}}}^2}
                              
                           
                              \frac{B_2}{B_1}=0,00598\,\frac{g}{e\,{\omega_{\mbox{k}}}^2}\ \frac{B_3}{B_2}=-0,0179\,\frac{g}{e\,{\omega_{\mbox{k}}}^2}
                              
                           
                              \frac{C_2}{C_1}=-0,00387\,\frac{g}{e\,{\omega_{\mbox{k}}}^2}\ \frac{C_3}{C_2}=-0,0459\,\frac{g}{e\,{\omega_{\mbox{k}}}^2}.
                              
                           Die Werte der Amplituden nehmen mithin so rasch ab, daß vom
                              									praktischen Standpunkt aus die Entwicklung als konvergent angesehen werden darf. Man
                              									bemerkt, daß g/e ωk2 nichts anderes ist als das Verhältnis
                              									der Ruhesenkung durch die Schwere zur Exzentrizität, welches in meinem Versuch stets
                              									kleiner war als 1. In der Wirklichkeit kann es weit größer werden, dann aber ist e2/q2 um so viel kleiner, daß die Konvergenz
                              									nur um so besser gewahrt wird. Ist ω genau = ωk2, so wird B1
                              									= C1
                              									=g/ωk2 und sämtliche übrigen Amplituden sind =
                              									0. Je kleiner ω/ωk
                              									gewählt wird, desto größer werden die Absolutbeträge, desto mehr treten A2, B2 . . . gegen A1, B2 . . . hervor. Doch
                              									ist nach unten hin der Gültigkeitsbereich der Gleichungen beschränkt, da die
                              									Ausschläge alsbald nicht als „unendlich“ klein angesehen werden dürfen. Im
                              									Ganzen folgt hiernach, daß die Wirkung der höheren
                                 										Harmonischen des Gewichtsmomentes, die infolge der Scheibenschwankung auftreten,
                                 										vernachlässigbar klein ist gegen die mit der Periode der Drehung
                                 										übereinstimmende Hauptschwingung. Die Vermutung Gümbels, daß diese oder ähnliche höhere Harmonischen den neuen kritischen
                              									Zustand hervorbringen oder erklären könnten ist demnach hinfällig.
                           Was die „Pendelschwingung“ anbelangt, so scheine ich Prof. Gümbel mißverstanden zu haben. Allerdings gäbe seine
                              									neuerliche Aussage, daß die Eigenschwingungszahl des Pendels von der Drehung der
                              									Welle unabhängig sei, zu der weiteren Bemerkung Veranlassung, daß dies nur der Fall
                              									ist, wenn man voraussetzt. Doch übergehen wir diese Nebenfrage, um uns mit der
                              									wichtigeren nach der
                           
                              Stabilität des Gleichgewichtes
                              
                           zu befassen. Zur Kennzeichnung des Gümbelschen Standpunktes zitiere ich folgende Sätze aus dessen erstem
                              									Aufsatz (D. p. J. 1917 Bd. 332 S. 254 Mitte):
                           „Von Wichtigkeit ist noch die Frage, in wie weit der durch Gl. (1) und (2)
                                 										gekennzeichnete Gleichgewichtszustand ein stabiler ist“ und die Feststellung
                              									(a. a. O. S. 255 oben):
                           
                              „Für alle Werte von α [d.h. ω : ωk],
                                 										für welche
                              
                           
                              
                                 \frac{h^2}{e^2}+\frac{\alpha^2\,\varrho^2}{e^2}+\vartheta\,\alpha^2\,<\,\frac{{h^2}_{\mbox{kr}}}{e^2}+\frac{{\varrho^2}_{\mbox{kr}}}{e^2}+\vartheta,
                                 
                              
                           
                              [d.h. in Worten: für welche die Gesamtenergie kleiner ist als die Gesamtenergie
                                 										bei der kritischen Geschwindigkeit] ist oberhalb der kritischen Geschwindigkeit
                                 										labiler Gleichgewichtszustand vorhanden.“
                              
                           Die Bemerkungen in den eckigen Klammern sind von mir sinngemäß hinzugefügt. Aus
                              									diesen Sätzen würde folgen, daß bei nichtgedämpfter Welle jenseits der kritischen
                              									Geschwindigkeit stabiles Gleichgewicht überhaupt unmöglich wäre, da im kritischen
                              									Zustand die Gesamtenergie unendlich groß ist. Gegen eine Theorie, die derartige
                              									Folgerungen zuläßt, muß ich Einsprache erheben. Auch der zweite Aufsatz, in welchem
                              									Gümbel die Frage behandelt haben will, welches bei
                              									Arbeitszu- oder abfuhr die aufeinanderfolgenden
                                 										Gleichgewichtszustände des Systems sind, leidet an Dunkelheiten, und es ist
                              									kein ausdrücklicher Widerruf der angefochtenen Beziehung (9) erfolgt. Er stützt
                              									sich im wesentlichen auf den bekannten Sommerfeldschen
                              									Versuch, gegen dessen Richtigkeit ich selbstverständlich nicht das mindeste
                              									einzuwenden habe. Allein wenn Gümbel auf S. 75 oben
                              									meint, daß der einzige Zustand, der oberhalb der kritischen Geschwindigkeit in
                              									meinem Sinne stabil sei, der ist, wo der Arbeitsinhalt ein Minimum erreicht, so muß
                              									ich auch diesen Satz als unzutreffend und irreführend bezeichnen. Man denke nur an
                              									die analogen Verhältnisse beim Kleyschen Regler mit
                              									seinem „astatischen“ Punkt. Die Wahrheit ist, daß das
                                 										Gleichgewicht in meinem und im allgemeinen feststehenden Sinn der Mechanik von
                                 										der Ruhelage bis zum kritischen Zustand stabil, von da bis zum Minimum der
                                 										Energie labil,Die genauere
                                    											Diskussion des von mir schon vor vielen Jahren in meinem Dampfturbinenbuch
                                    											abgeleiteten Kriteriums ergibt in der Tat als Grenze der Stabilität das
                                    											Energieminimum, was ich in der Eile bei meiner Entgegnung übersehen
                                    											hatte.
                              									hierauf wieder bis ins Unbegrenzte hin stabil ist.
                              									Allgemein besteht also Stabilität, wenn der Energieinhalt bei steigender Drehzahl
                              									wächst, Labilität wenn er sinkt. In dieser Form, die vielleicht das ist, was Gümbel ursprünglich gemeint, aber falsch ausgesprochen
                              									hat, wird der Satz wohl auch sonst mit Vorteil benutzt werden können. Im übrigen
                              									bedürfen Gümbels Erwägungen, die er an die Bewegung
                              									unterhalb der kritischen Drehzahl knüpft, und die ebenso auf den steigenden Ast
                              									jenseits ωk anwendbar
                              									sind, folgender Ergänzung: Stören wir das Gleichgewicht bei ω < ωk durch Energiezufuhr, so wird sich ein neues Gleichgewicht
                              									bei einer höheren Drehzahl erst einstellen, wenn die Schwankungen, die anfänglich
                              									auftreten, durch die passiven Widerstände aufgezehrt worden sind. Man darf daher
                              									gerade für die Zeit des Ueberganges von den Bahnwiderständen nicht absehen, sie sind
                              									wesentlich. Im übrigen versagt die Beweisführung bei dämpfungsfreier Bewegung, denn
                              									hier hört die einmal hervorgerufene Schwingung nie wieder von selbst auf, und man
                              									kann nicht im vorhinein wissen, ob im Rahmen der vorgeschriebenen Energie etwa die
                              									Schwingung um den Schwerpunkt infolge des Energiespieles zwischen Welle und Scheibe
                              									nicht am Ende so groß werden könnte, daß daraus ein unruhiger Gang der Maschine
                              									resultiert. Obwohl das mechanische „Gefühl“ diese Frage verneint, wird der an
                              									logische Strenge Gewöhnte doch gerne zu dem bekannten aufs feinste ausgearbeiteten
                              									Energieverfahren der analytischen Mechanik greifen, auf das ich hiermit um so eher
                              									eintrete, als es gelingt, es von einer wichtigen einschränkenden Voraussetzung
                              									betreffend das Impulsmoment frei zu machen. Das Verfahren besteht darin, zu prüfen,
                              									ob sich für die Energie der stationären Bewegung als Funktion aller in Betracht
                              									fallenden Veränderlichen ein Minimum nachweisen läßt. Dann kann im Falle einer
                              									Störung mit einer kleinen Energiezufuhr der Zustand sich nur wenig ändern, es
                              									besteht Stabilität.
                           Es bedeute r den Abstand des Schwerpunktes S, ρ den Abstand des
                              									Wellendurchstoßpunktes W von der Achse, φ den von r zurückgelegten Winkel, σ den
                              									Winkel, den die Exzentrizität e = S W mit r bildet, im Sinne der Drehung positiv
                              									gezählt. C = m ωk2 die elastische Kraft der Welle für 1 cm Durchbiegung. Von der
                              									Schwere wird abgesehen. Ist ω die unter der kritischen gelegene
                              									Winkelgeschwindigkeit der Drehung des Fahrstrahles r, so ist die
                              									Winkelgeschwindigkeit der Scheibendrehung = ω + σ. Ferner ist r die radiale und r ω
                              									die „Umfangs“-Geschwindigkeit des Schwerpunktes. Die Gesamtenergie nach einer
                              									Störung ist
                           
                           
                              
                              
                           
                              \mbox{mit}\left{{E=\frac{m}{2}\,(r^2\,\omega^2+r^2)+\frac{\Theta}{2}\,(\omega+\sigma)^2+\frac{C\,\rho^2}{2}}\atop{\ \ \ \
                                 \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \rho^2=r^2+e^2-2\,r\,e\,\mbox{cos}\,\sigma}}\right\}\ .\ (10)
                              
                           Das Impulsmoment (Moment der Bewegungsgröße) nach der Störung
                              									ist
                           Φ = m r2
                                 										ω + Θ (ω + σ) . . . (11)
                           und es ist wesentlich für die Stabilitätsbetrachtung, daß das
                              									System nachher sich selbst überlassen wird, also Φ
                              									unverändert bleibt. Setzen wir ω aus (11) in (10) ein,
                              									so entsteht
                           E=\frac{\Phi^2}{2\,(m\,r^2+\Theta)}+\frac{C\,\varrho^2}{2}+\frac{m}{2}\,r^2+\frac{\Theta\,m\,r^2}{m\,r^2+\Theta}\,\sigma^2 (12)
                           Diesen Wert vergleichen wir mit der Energie, die das System
                              									bei derjenigen stationären Bewegung besitzen würde, der das gleiche Impulsmoment ψ zukommt, wo also
                           
                              \left{{r=0,\ \sigma=0,\ \dot{\sigma}=0,\ \omega=\omega_0,\ \rho=\rho_0=r_0-e,}\atop{r=r_0=\frac{{\omega_k}^2\,e}{{\omega_k}^2-\omega^2}\mbox{
                                 und }\Phi=(m\,{r_0}^2+\Theta)\,\omega_0}}\right\}\ (13)
                              
                           ist. Gleichungen (13) führen auf eine Gleichung fünften Grades
                              									in ω0 und r0, aus der jedoch
                              									diese Größen grundsätzlich (durch Probieren) bestimmt werden können. Die zugehörige
                              									Energie ist
                           E_0=\frac{\Phi^2}{2\,(m\,{r_0}^2+\Phi)}+\frac{C\,{\varrho_0}^2}{2} . . . (14)
                           Es ergibt sich nun, daß E0 stets kleiner ist als die beiden ersten Glieder in
                              										E, also um so kleiner als E selbst. Dies wird bewiesen, indem man (mit r =
                                 										r0, σ = 0) Gl.
                              									(12) nach den noch vorhandenen Veränderlichen r und σ differenziert. Man bildet ∂
                                 										E/∂ r und ∂ E/∂ σ und findet, daß sie für r = r0, σ = 0 verschwinden.
                              									Für die gleichen Werte wird ferner
                           ∂2 E/∂
                                 											r2 > 0, ∂2
                              									E/∂ σ2 > 0, ∂2 E/∂ t ∂ σ = 0,
                           also liegt ein Minimum vor. Für jeden
                                 										beliebigen Nachbarzustand, d.h. alle möglichen
                                 										benachbarten Werte der Veränderlichen (r, σ, ω, r,
                                 										σ) ist die Gesamtenergie des Systems größer als bei
                                 										derjenigen stationären Bewegung, die mit der gestörten Bewegung gleiches
                                 										Impulsmoment besitzt.
                           Gehen wir nun von einem stationären Anfangszuzustand mit ra
                              									ωa
                              									ρa aus, dem die Werte
                              										Ea, Φa zugeordnet sind
                              									führen eine Energiemenge δ E zu und verändern wir Φ um δ Φ, so wird man
                           E = Ea
                              									+ δ E = E0 + δ E0, Φ = Φa + δ Φ = Φ0
                           schreiben können und es würde sich in einem
                              									(mehrdimensionalen) Koordinatensystem E0 als der tiefste Punkt eines Talkessels darstellen,
                              									an dessen Abhängen die Variablen nur so hoch hinaufklettern können, bis die
                              									(unendlich kleine) Höhe δ E0 erreicht ist. Also kann deren Aenderung nur klein sein, der Zustand
                              									bleibt dem Zustande E0
                              									stets nahe benachbart; es besteht Stabilität. Hätten wir die Energie verringert, so
                              									würde E0 unterhalb des
                              									Anfangswertes Ea
                              									liegen, und die Ueberlegung behielte ihre Gültigkeit. Bildet E0 kein Minimum, so bleibt die Stabilität
                              									unentschieden, denn es besteht eine Möglichkeit aber kein Zwang zu großen
                              									Anschlägen. Dieser Fall tritt jenseits der kritischen Geschwindigkeit ein (wo der
                              									Winkel σ ein stumpfer, bei stationärer Bewegung = 180°
                              									wird), wo mithin die strenge Energiemethode versagt, und die Methode der kleinen
                              									Schwingungen allein über die Stabilität entscheidet.
                           Daß Gümbel die Gleichungen, die ich für die Welle mit
                              									gleichmäßig verteilten Scheiben aufgestellt habe, nicht anerkennt, ist nach
                              									obigem zwar begreiflich, aber ebensowenig beweiskräftig wie seine übrigen Einwände.
                              									Auf die Erörterung der in Sperrdruck hervorgehobenen Aussage, daß für die Behandlung
                              									jener Welle die von ihm abgeleiteten Gleichungen genügen dürften, brauche ich nicht
                              									einzugehen. Meine Gleichungen haben mir die wichtige Klärung ermöglicht, daß der von
                              									mir früher als kritische Drehzahl „zweiter Art“ bezeichnete Bewegungszustand
                              									in Wahrheit nicht bestehen kann, da vielmehr die sich drehende Welle bei noch so
                              									raschem Wechsel der Spannungen sich unter der Wirkung der Schwere genau so biegt als
                              									ob sie in Ruhe wäre.
                           Was sodann die Gümbelsche Kritik meiner Versuche
                              									anbelangt, so habe ich selbst erklärt, daß noch nicht all die verwickelten
                              									Bahn-Epizykloiden entziffert sind. Allein so kurzerhand lassen sich die gewonnenen
                              									Kurven doch nicht ablehnen. In Abb. 3Schweiz.
                                    											Bauzeitung Bd. 70 S. 229. Versuch A kommen die Cardioiden, die
                              									die Theorie als Bahnen für Schwerpunkt und Wellendurchstoßpunkt fordert, geradezu
                              									prachtvoll zur Erscheinung. Versuch F war übrigens einer mit „förmlich
                                 										stoßendem“ Gang, und so könnte das Auftreten von drei und fünf Zacken bei
                              									tiefer Drehzahl vielleicht mit den höheren Periodischen zusammenhängen. In den
                              									Bahnen von Abb. 10 liegt eine leichte Unsymmetrie vor, die jedoch nicht etwa in der
                              									Ungleichheit der Elastizität der Welle nach zwei zueinander senkrechten Achsen
                              									begründet ist, da wir die Welle in dieser Hinsicht kontrolliert haben. Die
                              									auffällige Kurve für n = 192, die scheinbar eine
                              									dreifache Periode anzeigt, ist in Wahrheit eine sich selbst schneidende Herzkurve,
                              									deren stetiger Uebergang in die Bahnen für n = 205 und
                              									210 dies ohne weiteres klar macht. Ich kann daher auch in diesen Schaubildern nur
                              									eine Bestätigung der Theorie erblicken.
                           
                        
                           Zusammenfassung.
                           1. Die von Gümbel ausgesprochenen Zweifel an der
                              									Richtigkeit meiner Grundgleichungen sind hinfällig und stehen in Widerspruch mit
                              									festfundierten Grundsätzen der Mechanik. Kritische Schwerestörungen können bei
                              									unganzzahligen Bruchteilen der „normalen“ kritischen Drehzahl vorkommen, weil
                              									die Eigenschwingungszahlen des Systems bei endlicher Exzentrizität der Scheibe nicht
                              									mit der kritischen Drehzahl zusammenfallen.
                           2. Durch Umformung der Gleichungen für kleine Schwingungen gelingt es, die höheren
                              									Perioden des Schwerkraftmomentes zu berücksichtigen, doch erweist sich deren Wirkung
                              									als verschwindend klein gegenüber der mit der einfachen Drehzahl übereinstimmenden
                              									Hauptperiode. Die Annahme, daß man mittels höherer Harmonischen, und zwar der
                              									Trägheitskräfte die Störung erklären könnte, ist demnach unhaltbar.
                           3. Die ursprüngliche Fassung der Stabilitätsbedingung von Gümbel war, wie festgestellt, unrichtig; auch in der neuen Fassung kommen
                              									Unklarheiten vor, doch kann sie bei richtiger Begründung auf gedämpfte Systeme mit
                              									Vorteil angewendet werden. Für ungedämpfte Systeme kommt die logisch strenge
                              									Energiemethode der analytischen Mechanik in Betracht. Die Methode der kleinen
                              									Schwingungen ist kein „spezieller Fall“ der anderen, sondern in sich selbst
                              									begründet und allgemeiner, da sie auch dort zum Ziele führt, wo, die Energiemethode
                              									versagt; außerdem ist sie unentbehrlich zur Bestimmung der relativen
                              									Eigenschwingungszahlen, denen gerade für die vorliegenden Erscheinungen grundlegende
                              									Bedeutung zukommt.