| Titel: | Die Mathematik als Grundlage der Technik. | 
| Fundstelle: | Band 334, Jahrgang 1919, S. 161 | 
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                        Die Mathematik als Grundlage der
                           								Technik.
                        Rede gehalten bei der Rektoratsübergabe an der
                           								Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg am 1. Juli 1919.
                        Von Prof. Dr. E. Jahnke, Geh. Bergrat.
                        JAHNKE: Die Mathematik als Grundlage der Technik.
                        
                     
                        
                           . . . . Akademischer Sitte entspricht es, einen Gegenstand der Wissenschaft, der
                              									meine Lebensarbeit gewidmet ist, zum Mittelpunkt meiner Antrittsrede zu machen. Da
                              									es aber nicht leicht sein dürfte, Ihre Aufmerksamkeit für ein rein mathematisches
                              									Thema zu fesseln, will ich einen Gegenstand herausgreifen, der auf die Beachtung
                              									weitester Kreise Anspruch erheben darf. In diesen Tagen Ist der Ruf nach
                              									Umgestaltung der Technischen Hochschulen erklungen und insbesondere die Forderung
                              									erhoben werden, die Vorlesungen über Mathematik und Mechanik neu zu orientieren. In
                              									diesem Sinne will ich über die Mathematik als Grundlage der
                                 										Technik sprechen.
                           Im Laufe des 19. Jahrhunderts hatte sich zwischen Mathematik und Technik ein mehr
                              									oder minder schroffer Gegensatz herausgebildet. Der Mathematiker war durch die
                              									vielen Probleme, die dem 19. Jahrhundert zur Lösung anheimfielen, so völlig in
                              									Anspruch genommen, daß er die Anwendungen auf die Praxis stark vernachlässigte. Auf
                              									der anderen Seite wurde der Techniker durch die rauhe Wirklichkeit vor Fragen
                              									gestellt, die dringend Beantwortung heischten. Da die mathematischen Theorien,
                              									vornehmlich in der Elastizitätslehre und in der Hydraulik, den tatsächlichen
                              									Verhältnissen vielfach nicht entsprachen, sah sich der Techniker auf den Versuch
                              									angewiesen und gewöhnte sich, in ihm allein die Quelle allen technischen
                              									Fortschritts zu erblicken. Und als dann bei den Mathematikern, nachdem sie die
                              									Theorie der elliptischen, der abelschen und der automorphen Funktionen, nachdem sie
                              									die allgemeine Funktionentheorie, die Theorie der Differentialgleichungen und die
                              									höhere Algebra zu einem gewissen Abschluß gebracht, als dann – sage ich – bei den
                              									Mathematikern der Sinn für die Anwendungen wieder erwachte und mit wachsendem
                              									Nachdruck der Wunsch hervortrat, sich den Anforderungen, von Physik und Technik
                              									zu nähern, machten sich auf technischer Seite Strömungen geltend, die auf
                              									Einschränkung der grundlegenden, insbesondere der mathematischen Studien hinzielten.
                              									Heute, wo wir rückschauend eine gewisse Distanz zu jenen Strömungen gewonnen haben,
                              									kann man zugeben, daß die Antimathemätikbewegung durchaus berechtigt war. Zwar hatte
                              									die Reformbewegung, die um 1900 etwa einsetzte, es erreicht, daß neben der reinen
                              									Mathematik die sogenannte angewandte Mathematik aufgetan
                              									wurde. Indessen ließen diese Anwendungen – das kann man wohl heute ruhig sagen –
                              									keinen Hauch technischen Geistes verspüren. Der Mathematiker war eben noch immer
                              									nicht in die Sprache des Ingenieurs eingedrungen. Und so haben Mathematiker und
                              									Techniker, die in jenen Zeiten hoher Erregung das Wort ergriffen haben, einfach
                              									aneinander vorbeigeredet, weil die beiden unter Anwendungen grundsätzlich
                              									Verschiedenes verstanden.
                           Inzwischen haben sich die Wogen der Erregung geglättet. Die Mathematiker haben große
                              									Anstrengungen gemacht, um den berechtigten Wünschen der Techniker entgegenzukommen.
                              									So sind neue Gebiete, das große Gebiet der numerischen und graphischen Methoden, das
                              
                              									Gebiet der Nomographie, der harmonischen Analyse und das der Vektoranalysis
                              									entstanden. Der Mathematiker hat begriffen, daß es mit dem Aufsuchen einer Methode
                              									zur Berechnung der gesuchten unbekannten Größe nicht getan ist, daß hiermit seine
                              									Aufgabe nicht erschöpft sein darf, denn die Ingenieure sind gezwungen, die
                              									zahlenmäßigen Werte, die sich aus den mathematischen Rechnungen ergeben, wirklich zu
                              									berechnen, „und indem sie das tun, werden sie vor die Frage gestellt, ob sich
                                 										dasselbe Ergebnis nicht auf kürzerem Wege oder mit geringerer Mühe erreichen
                                 										läßt“. Besonders dann, wenn es sich nur um angenäherte Werte handelt! Zur
                              									vollständigen Lösung einer Aufgabe ist es daher notwendig, ein Verfahren anzugeben,
                              									das mit dem geringsten Aufwand an Zeit und Mühe zur Lösung führt. Es ist wie in der
                              									Technik selber: In vielen Fällen ist der erste Schritt zur Erfindung einer Maschine
                              									nicht beträchtlich. Was aber Schwierigkeiten bereitet, ist der weitere Schritt, den
                              									wissenschaftlichen Gedanken zur lebensfähigen brauchbaren Form auszugestalten, den
                              									Erfindergedanken in eine betriebsmäßige Maschine umzusetzen. So auch hier. Die
                              									Methoden der Approximationsmathematik und die vektoranalytischen Methoden; müssen immer weiter und immer weiter ausgebildet
                              									werden, um den Forderungen des Ingenieurs entgegenzukommen. Und es ist notwendig,
                              									daß der Mathematiker diese Aufgabe auf sich nimmt, schon
                              									im Interesse einer Oekonomie in der Wissenschaft. Der Physiker und Astronom, der
                              									Ingenieur, der Geodät werden ihre Aufmerksamkeit nur auf die Ergebnisse richten und
                              									daher geneigt sein, die Verallgemeinerung ihrer Methoden, ihre Umdeutung auf andere
                              									Gebiete und ihre Anwendbarkeit auf andere Probleme zu vernachlässigen. „Die
                                 										Methoden des Ingenieurs und des Geodäten werden in vielen Fällen dem Physiker
                                 										und Astronomen unbekannt bleiben und umgekehrt, obwohl die Probleme, mit denen
                                 										beide Gruppen zu tun haben, mathematisch beinahe identisch sein
                                 										können“.Vergl. C. Runge,
                                    											Graphische Methoden, Nr. 18 der Sammlung math.-phys. Lehrbücher,
                                    											herausgegeben von E. Jahnke, S. 1, 2; Leipzig 1915, B. G.
                                    										Teubner.
                           Was der mathematischen Behandlung von Problemen eine besondere Wichtigkeit verleiht,
                              									ist eben ihr umfassender Charakter. Eine mathematische Theorie, die über die
                              									Schwingungen eines Pendels unter der Einwirkung einer periodischen Störung Auskunft
                              									gibt, bleibt bestehen, mag der oszillierende Körper eine Panzerplatte, ein Gebäude
                              									oder ein Elektron sein, mag die störende Kraft die Welle des Atlantik, eine doppelt
                              									wirkende Viertakttandemmaschine oder der elektrische Stoßimpuls sein, der in einer
                              									Sekunde billionenmal auftrifft. So gibt die Theorie z.B. Rechenschaft von einer
                              									Erscheinung, die zuerst in der Akustik beobachtet worden ist, der Resonanz.
                              									Wohlbekannt ist der Versuch mit den beiden Stimmgabeln, die auf denselben Ton
                              									abgestimmt sind. Schlage ich die eine an, so wird die andere, falls sie in der Nähe
                              									steht, mitschwingen und anfangen zu tönen. Der Grund, weshalb die Metalle in der
                              									Sonnenatmosphäre durch Absorption dunkle Linien im Spektrum geben, ist wieder
                              									derselbe. Nach dem Kirchhoffschen Gesetz absorbiert das
                              									Gas aus dem Aether Wellen derselben Periode, die es fähig ist, dem Aether
                              									mitzuteilen. Einen besonderen Triumph hat die mathematische Theorie in den
                              									Resonanzerscheinungen der drahtlosen Telegraphie gefeiert.Vergl. Mathematische Forschung und Technik,
                                    											Rede gehalten am 21. 1. 1910 an der ehemaligen Berliner
                                    										Bergakademie.
                           Diese Umdeutung einer und derselben mathematischen Aussage auf die Lösung mehrerer
                              									physikalischer und technischer Probleme, die scheinbar nichts miteinander gemein
                              									haben, kommt in den Anwendungen der mathematischen Analysis häufig vor: Der Baron
                              										Fourier ließ sich nicht träumen, daß seine Analysis
                              									des Wärmeproblems auch genügen würde, um festzustellen, wie schnell Signale durch
                              									ein atlantisches Kabel gesandt werden können. Es ergibt sich eben dieselbe partielle
                              									Differentialgleichung, ob ich die Ausbreitung der Wärme in einem Stabe untersuche
                              									oder nach der Ausbreitung einer elektrischen Störung in einem Kabel frage. Und aus
                              									derselben Differentialgleichung las der ungarische Amerikaner Pupin die Abstände ab, in denen Drahtspulen mit hoher Selbstinduktion
                              									anzubringen sind, um die Lautübertragung durch Kabel zu verbessern.
                           Die Methoden nun, die in neuester Zeit eine besondere Pflege und Ausbildung
                              									seitens der Mathematiker erfahren haben, sind – wie schon vorhin erwähnt – einmal
                              									die graphischen Methoden, die uns im Rechenschieber und Planimeter wohl bekannt
                              									sind, die sich im Geschwindigkeits- und Beschleunigungsdiagramm, im Indikator- und
                              									im Tangentialdruckdiagramm sowie in der graphischen Statik wohl bewährt haben, und
                              									die jetzt auch für die Integration von Differentialgleichungen fruchtbar gemacht
                              									worden sind. Andere Methoden, denen die Technik wachsende Aufmerksamkeit schenkt,
                              									sind die Methoden der Nomographie sowie die Methoden der Vektoralgebra und der
                              									Vektoranalysis, deren Siegeszug durch die Mechanik und Elektrodynamik nicht mehr
                              									aufzuhalten ist. Von Mathematikern wie Möbius, Graßmann und
                                 										Hamilton begründet, von Physikern wie Maxwell
                              									und Heaviside weiter ausgebildet, haben die
                              									vektoranalytischen Begriffe und Operationen, besonders durch die Schriften von
                              									Technikern wie Föppl und Emde,
                              									eine wachsende Verbreitung in der Technik gefunden.
                           Die steigenden Anforderungen, die in der Praxis an den Beruf des Technikers gestellt
                              									werden, zwingen zu einer Vertiefung seiner mathematischen Vorbildung und zu einer
                              									Schulung in der reinen Mathematik, um ihm die erforderliche Sicherheit in ihrer
                              									selbständigen Anwendung zu geben. Ein Blick in die Handbücher, die er zu Rate zieht,
                              									lehrt, daß ein Techniker von heute ein mathematisches Rüstzeug und ein
                              									mathematisches Wissen besitzen muß, wie man solches vor noch nicht gar so langer
                              									Zeit nicht bei allen Berufsmathematikern finden konnte.
                           Es verdient hervorgehoben zu werden, daß in neuerer Zeit die Zahl der Techniker in
                              									bemerkenswertem Aufstieg begriffen ist, die das mathematische Rüstzeug durchaus
                              									beherrschen. Diese haben ihrerseits zur Lösung von technischen Aufgaben beigetragen,
                              									die ohne tiefergehende mathematische Kenntnisse nicht zu erledigen waren; sie haben
                              									sich auch selber an der Ausgestaltung der graphischen Methoden, z.B. der graphischen
                              									Integration von Differentialgleichungen beteiligt. Andere Techniker sind
                              									mathematisch wenigstens so weit vorgebildet, daß sie imstande sind, den
                              									Mathematikern genau formulierte Aufgaben zur Lösung vorzulegen. Es ist sicher kein
                              									Zufall, daß die von Kneser und mir im Jahre 1901
                              									gegründete Berliner Mathematische Gesellschaft den Vorzug
                              									genießt, eine beträchtliche Zahl von Technikern zu ihren Mitgliedern zu zählen. Und
                              									weit davon entfernt, daß der Ingenieur, der vom Mathematiker die Lösung eines
                              									Problems verlangt, ihm damit eine Last auferlege, er darf des Dankes von Seiten des
                              									Mathematikers versichert sein.
                           Auf Grund dieser Sachlage ist nun neuerdings die Forderung erhoben worden, die
                              									wissenschaftliche Ausbildung des Ingenieurs zu vertiefen und ihm andererseits durch
                              									weitere Zuschärfung der mathematischen Methoden auf praktische Aufgaben Zeit zu
                              									ersparen, die Forderung, das mathematische Denken mit dem technischen Denken zu
                              									verknüpfen, um dem Machschen Gesetz von der Oekonomie
                              									geistiger Arbeit gerecht zu werden.
                           Es entsteht daher die Frage, ob der mathematische Unterricht an den Technischen
                              									Hochschulen umgestaltet werden muß, oder ob er den gestellten Anforderungen bereits
                              									genügt, ob er mit der Erziehung zum mathematischen die Erziehung zum technischen
                              									Denken verknüpft, oder ob er auch heute noch beides von einander trennt. Wenn ich im
                              									folgenden zu dieser Frage Stellung nehme, so möchte ich, um von vornherein
                              									Mißverständnisse auszuschließen, betonen, daß meiner Ueberzeugung nach wahrer
                              									Fortschritt, daß durchgreifende technische Verbesserungen nur durch ernstes Studium
                              									der Naturwissenschaften und der Mathematik möglich sind, daß die wissenschaftliche Forschung
                              									– sei es die physikalische, chemische oder mathematische – die Grundlage aller
                              									Industrie und Technik ist.
                           Die meisten Mathematiker meinen schon eine Anwendung gemacht zu haben, wenn sie die
                              
                              									Begriffe und Formeln der Infinitesimalrechnung auf die Kurven- und Flächentheorie
                              									angewandt haben. In der Mehrzahl der Lehrbücher der Analysis findet man daher die
                              									Auffassung vertreten, daß die altehrwürdigen geometrischen Anwendungen die
                              									wichtigsten und lehrreichsten Anwendungen der Infinitesimalrechnung seien. Kommen
                              									diese Werke der eigenartigen Ausbildung der Studierenden an Technischen Hochschulen
                              									entgegen, die doch lernen sollen, das mathematische Rüstzeug auf Fragen der
                              									technischen Mechanik, auf Fragen der Maschinentechnik, anzuwenden? Ich darf es wohl
                              									als einen allgemein anerkannten Grundsatz hinstellen, daß an den Technischen
                              									Hochschulen die theoretischen Fächer nicht allein um ihrer selbst willen, sondern
                              									stets im Hinblick auf ihre technische Verwendbarkeit gelehrt werden müssen.Vergl. E. Müller, Geschichte der darstellenden
                                    											Geometrie. Vortrag vom 15. 12. 1917. Z. des Oesterr. Ing.- u.
                                    											Archit.-Vereins 1919, Heft 10, 12, 13, 17. Daraus folgt für den
                              									mathematischen Unterricht die Forderung, mit dem mathematischen Denken das
                              									technische Denken zu verknüpfen.Vergl. M.
                                    											Kloß, Der Allgemeinwert technischen Denkens. Rede gehalten beim Antritt des
                                    											Rektorats an der Technischen Hochschule Berlin, 1. Juli 1916.
                              									Alsdann bleibt aber nichts anderes übrig, als Mathematik und
                                 										Mechanik in einer einzigen Vorlesung, die vom Mathematiker gehalten wird,
                                 										zusammen zu lehren. Die Anwendungen des mathematischen Rüstzeugs auf die
                              									elementaren Begriffe und Sätze der Mechanik sowie auf die Maschinenelemente der
                              									Technik müssen früh geübt werden. Man darf nicht warten, bis diese Anwendungen erst
                              									im dritten und vierten oder gar erst im fünften und sechsten Semester gebracht
                              									werden, Anwendungen, die doch zum täglichen Brot des Technikers gehören. Und die
                              									Umdeutung mathematischer Formeln in Ergebnisse der technischen Mechanik muß vom Mathematiker gebracht werden, der wieder und immer wieder
                              									den Blick des Studierenden auf die Zusammenhänge zwischen Mathematik und Technik zu
                              									lenken nicht müde werden darf. Dabei wird vorausgesetzt, daß
                                 										sich diese Vorlesung über Mathematik und Mechanik nicht auf zwei Semester
                                 										beschränken, sondern durch alle Semester hindurchlaufen soll. Und wenn die
                              									Zahl der Vorlesungsstunden für Mathematik und Mechanik in den beiden ersten
                              									Semestern auf sechs festgesetzt würde, könnte man für die folgenden Semester mit je
                              									einer zweistündigen Vorlesung auskommen. Es ist nicht zu leugnen, daß bei einer
                              									solchen Neuregelung der Umfang des rein mathematischen Programms in den beiden
                              									ersten Semestern gegen früher abnehmen würde. Einen Ersatz dafür dürfte eben die
                              									bessere, vielseitigere Durchdringung der mathematischen Grundgedanken bieten, die
                              									vermehrte Gelegenheit, die neuen Begriffe und Formeln der Infinitesimalrechnung
                              									unmittelbar auf Beispiele und Fragen der Kinematik und Dynamik anzuwenden,
                              									insbesondere sie zur Lösung von Aufgaben aus der Maschinentechnik zu verwerten. Der
                              									Studierende wird dadurch frühzeitig auf die leitenden Zusammenhänge hingewiesen und
                              									davor bewahrt, sich in einseitiger Theorie zu verlieren und das bloße Rechnen ohne
                              									Kenntnis der Wirklichkeit zu überschätzen. Alsdann ist es selbstverständlich, daß
                              									Existenz- und Stetigkeitsbeweise, daß Differentialgleichungen von anderer Form als
                              									die bekannte Schwingungsgleichung, daß die Eulerschen
                              									Differentialgleichungen für die Bewegung des Kreisels, das Hamiltonsche Prinzip, Vektoranalysis und ähnlich schöne Dinge in den
                              									beiden ersten Semestern zurückzutreten haben vor der Notwendigkeit, die Studierenden
                              									mit den Prinzipien und Methoden der Infinitesimalrechnung und den Grundbegriffen der
                              									Mechanik derart vertraut zu machen, daß sie mit ihnen umzugehen verstehen und davon
                              									Gebrauch zu machen wissen bei der Behandlung von Fragen aus der Bau-, Maschinen- und
                              									Fördertechnik. Eine solche Einrichtung würde im übrigen keine Neuheit darstellen.
                              									Bereits im Jahre 1905 wurden an der ehemaligen Berliner Bergakademie und an der
                              									Bergakademie Clausthal für die Studierenden des Berg- und Hüttenfachs Vorlesungen
                              									der eben gekennzeichneten Art eingeführt.
                           Die in den höheren Semestern anzusetzenden Vorlesungen
                              									über Mathematik und Mechanik hätten nachzutragen, was der Techniker von Fourierschen Reihen, von Vektoranalysis und
                              									Differentialgleichungen, von Besselschen und elliptischen
                              									Funktionen, was er aus der Theorie der Schwingungen und der Resonanzerscheinungen
                              									und was er aus der Kreiseltheorie wissen muß. Und diese Durchdringung der reinen
                              									Mathematik mit den Anwendungen auf die Wirklichkeit wäre auch von den übrigen
                              									mathematischen Vorlesungen zu verlangen, die an den Technischen Hochschulen zur
                              									Fortsetzung der Grundfächer und Einführung in die höheren Gebiete gehalten werden.
                              									Der Mathematiker müßte dann allerdings fordern, daß Mathematik
                                 										auch in die Hauptprüfung aufgenommen würde.
                           Zu allen Vorlesungen müssen aber noch Uebungen hinzutreten und zwar so viel Uebungen
                              									wie möglich. Der Hochschulunterricht ist ja – was den Erfolg bei den Hörern angeht –
                              									von vornherein im Nachtfeil gegen den Mittelschulunterricht, da dort ein so
                              									unmittelbarer Kontakt wie hier nicht durchführbar ist. Es muß jedoch äffe dringend
                              									wünschenswert bezeichnet werden, daß auch der Hochschullehrer so weit wie möglich in
                              									Fühlung mit seinen Hörern zu kommen suche. Gerade der mathematische Vortrag läuft ja
                              									leicht Gefahr, trocken und langweilig zu werden – jedenfalls ist sein Ruf nicht der
                              									allerbeste. Das muß unter allen Umständen vermieden werden. Eines der Mittel, deren
                              									sich der Hochschulunterricht bedienen muß, um diese Gefahr nach Möglichkeit zu
                              									verringern, bieten eben die Uebungen, die, richtig gehandhabt, ein vortreffliches
                              									Mittel sind, sich zu überzeugen, wie viel von dem Vortrag mit Verständnis
                              									aufgenommen ist und wie viele der Studierenden dem Vortrage haben folgen können. Und
                              									an vielen Stellen ist man erfreulicherweise bereits dazu übergegangen, die Uebungen
                              									in den ersten Semestern seminaristisch auszugestalten.
                           Der eben hervorgehobene Nachteil des Hochschulunterrichts würde noch stärker in die
                              									Erscheinung treten, wenn einer, die Mittelschulen betreffenden Forderung
                              									stattgegeben würde, die ebenfalls neuerdings erhoben worden ist und zahlreiche
                              									Fürsprecher gefunden hat. Die Forderung geht dahin, die
                                 										Oberprima von den Mittelschulen abzusondern, damit der Abiturient ein Jahr
                              									früher die Hochschule beziehen kann. Bei einer solchen Neuordnung wäre allerdings zu
                              									erwägen, ob man nicht dem gesamten Unterrichtsbetrieb in den ersten Semestern eine straffere Form geben und ihn
                              									seminaristisch ausgestalten solle, um die Gefahren eines gar zu unstetigen
                              									Ueberganges von der Mittel zur Hochschule zu vermindern. Dieser Plan schlösse außer
                              									dem Vorteil einer Zeitersparnis für den jungen Menschen den weiteren in sich, daß
                              									ihm die Infinitesimalrechnung nur einmal, nämlich in den beiden ersten Semestern auf
                              									der Hochschule, vorgetragen würde. Bei dem jetzigen Zustande erfährt er bereits in
                              									der Oberprima, wenigstens der Realanstalten, einiges aus der Differential- und
                              									vielleicht auch aus
                              									der Integralrechnung, kommt an die Hochschule häufig mit der Vorstellung, daß ihm
                              									die Vorlesung über Infinitesimalrechnung nichts neues bieten könne, und findet
                              									hierin eine ausreichende Entschuldigung für das Schwänzen der Vorlesung.
                           Und da ich einmal von den Realanstalten rede, auf denen doch naturgemäß unsere
                              									Studierenden ihre Vorbildung erhalten sollten, so wäre die weitere Forderung zu
                              									stellen, daß die darstellende Geometrie eine stärkere Betonung finde, in dem Sinne
                              									etwa, daß darstellende Geometrie bereits von der Untersekunda an zweistündig und
                              									obligatorisch gelehrt und geübt würde, und zwar vom Mathematiklehrer und nicht vom
                              									Zeichenlehrer. Das hätte für die Hochschule den weiteren Vorfeil, daß die jungen
                              									Leute bereits mit einer gewissen Raumanschauung und einem gewissen Maß
                              									zeichnerischer Fertigkeit an die Hochschule kämen. Nebenbei bemerkt, wäre es auch
                              									für die jungen Leute, die nicht zur Hochschule übergehen, sondern den kaufmännischen
                              									Beruf ergreifen, sicher kein Schade, wenn ihre Raumanschauung ausgebildet würde.
                           Es soll an dieser Stelle gern anerkannt werden, daß die Reformbewegung an den
                              									vorbereitenden Schulen einen frischen Zug in die Entwicklung des mathematischen
                              									Unterrichts gebracht hat. Das Ziel des mathematischen Unterrichts wird nicht mehr
                              									unter dem alleinigen Gesichtspunkt der logischen Disziplin betrachtet. In den
                              									unteren Klassen tritt dieser Gesichtspunkt zugunsten der Entwicklung des
                              									Anschauungsvermögens zurück, und in den oberen Klassen wird der Funktionenbegriff
                              									gepflegt und die analytisch-geometrische Darstellung ausgiebig geübt. Indessen kann
                              									nicht geleugnet werden, daß diese Reformbewegung vorerst nur an einem großen Teil
                              									der Realanstalten durchgedrungen ist. Und wenn auch heute der Ausspruch des
                              									Dichteringenieurs Max EythMax Eyth, Ein kurzgefaßtes Lebensbild mit
                                    											Auszügen aus seinen Schriften von Dipl.-Ing. C. Weihe, Berlin 1916, Verein deutscher Ingenieure, S.
                                    
                                    									54.: „Die klassische Schulbildung lehrt, in der Welt der Gedanken zu
                                 										leben und die anstößigen Tatsachen der Wirklichkeit nötigenfalls beiseite zu
                                 										schieben“, wohl nicht mehr zu Recht besteht, so ist es doch nicht
                              									überflüssig auszusprechen: Es wäre hohe Zeit, daß jeder Gebildete zu erkennen
                              									vermöchte, daß in einer Lokomotive, in einem elektrisch bewegten Webstuhl, in einer
                              									Dynamomaschine, in einem Walzwerk mindestens ebensoviel Geist steckt wie in der
                              									zierlichsten Redewendung des Marcus Tullius Cicero oder in dem schönsten Hexameter
                              									des poeta laureatus VirgilM. Eyth, a. a. O., S.
                                    											78.. Daß diese Erkenntnis sogar bei Manchen unserer klassischen
                              									Philologen bereits zu finden ist, dafür möchte ich zum Beweise einen ihrer
                              									hervorragendsten Vertreter von der Berliner Universität anführen, von dem das
                              									ausgezeichnete Büchlein herrührt „Die antike Technik“.Diels, Die antike Technik, Leipzig, B. G.
                                    											Teubner.
                           So lange wir uns mit der Dreiteilung unserer vorbereitenden Schulen in
                              									Oberrealschulen, Realgymnasien und Gymnasien abzufinden haben, wäre es daher
                              									durchaus berechtigt, den Gymnasialabiturienten, die sich der Technik zuwenden, eine
                              									Bescheinigung abzufordern, daß sie die fehlenden Kenntnisse in Mathematik und
                              									darstellender Geometrie nachgeholt hätten, wie ja auch die Abiturienten der
                              									Oberrealschule, die sich dem Studium der Medizin widmen wollen, gezwungen werden,
                              									eine Bescheinigung über ein nachträgliches Lateinstudium zu erbringen. Wir würden
                              									dadurch den Vorteil erreichen, daß wir bei unseren Studierenden nahezu die gleiche Ausbildung bei ihrem Eintritt in die Technische
                              									Hochschule voraussetzen dürften.
                           Wird aber die Notwendigkeit zugestanden, den mathematischen Unterricht an den
                              									Technischen Hochschulen nach der Richtung hin umzugestalten, die dem Wesen
                              									einer Technischen Hochschule entspricht, die mit dem mathematischen Denken das
                              									technische Denken verknüpft, dann muß man der weiteren Folgerung zustimmen, daß die
                              									Ausbildung der Mathematiker für die Technischen Hochschulen – ich will sie kurz die
                              										technischen Mathematiker nennen – auf den Technischen
                              									Hochschulen zu erfolgen hat. Es muß zwar anerkannt werden, daß eine und die andere
                              									Universität einen Anlauf gemacht hat, um den Anforderungen, die die Technischen
                              									Hochschulen an die Ausbildung ihrer mathematischen Lehrer stellen müssen, gerecht zu
                              									werden. Indessen wird man heute wohl oder übel zugestehen müssen, daß die Bemühungen
                              									der Universitäten zu keinem befriedigenden Ergebnis geführt haben. Es bedeutet daher
                              									keinen Gegensatz zur Universität, sondern nur eine natürliche Ergänzung, wenn die
                              									Technischen Hochschulen sich nunmehr selber der Ausbildung der technischen
                              									Mathematiker annehmen. Ja, man muß sagen, bei den besonderen, den Technischen
                              									Hochschulen eigentümlichen Aufgaben erwächst ihnen geradezu die Pflicht, für eine
                              									Ausbildung technischer Mathematiker Sorge zu tragen. Es handelt sich dabei um die
                              									Lehramtskandidaten, aus deren Mitte die Mathematiklehrer für die technischen
                              									Mittelschulen und der Nachwuchs an Professoren der Mathematik für die Technischen
                              									Hochschulen hervorgehen sollen. Da der technische Mathematiker, wie ich immer betont
                              									haben möchte, in erster Linie Mathematiker sein muß, so
                              									ergibt sich die Forderung, die allgemeine Abteilung an den Technischen Hochschulen
                              									so weit auszubauen, daß sie dem Studierenden der technischen Mathematik Gelegenheit
                              									zu seiner vollen Ausbildung bietet. Denn die Universität – ich spreche hier
                              									besonders von Städten, wo beide Hochschularten vertreten sind – läßt ihn bei einer
                              									ganzen Reihe mathematischer Gebiete, die für den Techniker von wachsender Bedeutung
                              									sind, im Stich. Dazu gehören u.a. die Fourierschen Reihen
                              									und die harmonische Analyse, die Besselschen Funktionen,
                              									die partiellen Differentialgleichungen, Vektoranalysis und Uebungen im numerischen
                              									Rechnen mit den bekannten Transzendenten. Im Sinne dieser Ausbildung würde es auch
                              									liegen, wenn als Privatdozenten für Mathematik und Mechanik an den Technischen
                              									Hochschulen nur technische Mathematiker zugelassen würden. Die Stätte, wo die reine
                              									Mathematik frei von allen Beschränkungen getrieben und gelehrt werden kann, ist die
                              									Universität lind soll es bleiben. So wird es möglich sein, daß jede der beiden
                              									Hochschularten ihrer Eigenart entsprechend auf ihrem Wege fortschreiten kann.
                           Die Schwierigkeiten für die Verwirklichung der angedeuteten Umgestaltung des
                              									mathematischen Unterrichts an den Technischen Hochschulen liegen in der Beschaffung
                              									der geeigneten Lehrkräfte für die Uebergangszeit. Diese Schwierigkeiten sind nicht
                              									gering. Sicherlich ist nicht jeder Mathematiker zum Unterricht von Ingenieuren
                              									geeignet. „Er muß nicht allein ein Mathematiker durch natürliche Veranlagung und
                                 										sorgfältige Ausbildung sein, er muß vielmehr auch Teilnahme für die
                                 										eigentümliche Denkweise der Ingenieure und Verständnis für deren mathematische
                                 										Bedürfnisse besitzen.“P. Stäckel,
                                    											Die mathematische Ausbildung der Ingenieure in den verschiedenen Ländern.
                                    											Jahresb. D. M. V. 23, 167, 1914. Bei der Berufung geeigneter
                              									Lehrer wäre darauf hinzuwirken, daß der Mathematiker Sorge trage, sich mit dem
                              									fachlichen Vorstellungskreise seiner Zuhörer, ihren Arbeitsmethoden in den
                              									verschiedenen Fachgebieten bekannt zu machen. Es würde für den Erfolg seines
                              									Unterrichts nur von Nutzen sein, wenn er selber einmal an den Uebungen im
                              									Maschinenlaboratorium teilgenommen hat, wenn er z.B. in der Handhabung eines
                              									Indikators Bescheid weiß, Einrichtung und Verwendung der verschiedenen Bremsen von
                              									Augenschein kennt, die Bestimmung der Leistung und den Kraftbedarf einer
                              									Kreiselpumpe einmal selbst vorgenommen hat. Dabei bietet sich dem Ingenieur eine
                              									Gelegenheit, auch seinerseits dem Mathematiker gegenüber sein Entgegenkommen zu
                              									betätigen. Es würde nämlich dem Mathematiker seine Aufgabe erleichtern, wenn er
                              									Gelegenheit fände, an den Studienreisen teilzunehmen, die von dem Ingenieur zusammen
                              									mit den Studierenden unternommen werden, oder an Studienreisen, die der eine oder
                              									andere Ingenieur zur eigenen Ausbildung unternimmt.
                           Für eine angemessene Auswahl der Uebungsaufgaben würde dem Mathematiker zu empfehlen
                              									sein, auch technische Zeitschriften einzusehen, so die Zeitschrift des Vereines
                              									Deutscher Ingenieure, die Zeitschrift für das gesamte Turbinenwesen, Elektrotechnik
                              									und Maschinenbau, Dinglers Polytechnisches Journal, und die laufenden Nummern
                              									daraufhin zu verfolgen, welche Aufgaben und Beispiele er für die Uebungsstunden
                              									verwerten kann.
                           Besonders günstig für den Mathematiker lagen die Verhältnisse an der ehemaligen
                              									Berliner Bergakademie, wo die eben genannte Einrichtung für Studienreisen schon seit
                              									dem Jahre 1905 ausgebildet worden ist. Bei der Angliederung der Bergakademie an die
                              									Technische Hochschule ist sie beibehalten worden. Hier hat der Mathematiker sogar
                              									Gelegenheit gefunden, im Verein mit Ingenieuren, auf einer großen Zahl von
                              									Schachtanlagen im Oberschlesischen Revier die kinematischen Verhältnisse des
                              									Förderbetriebes messend zu verfolgen. Diese Untersuchungen haben zum Bau eines
                              									vertikalen und eines Dreh-Beschleunigungsmessers geführt, die die
                              									Beschleunigung des Korbes bzw. der Welle des Motors selbsttätig aufzeichnen. Und
                              									diese Untersuchungen haben auf den Vortrag über Mathematik und Mechanik befruchtend
                              									und belebend zurückgewirkt.
                           Der Vortrag eines Mathematikers, dessen Auge in dieser Weise geschärft ist durch
                              									technische Sachkenntnis, wird sich naturgemäß dem Vorstellungskreise und dem
                              									Auffassungsvermögen der Studierenden besser anschmiegen als der Vortrag des reinen
                              									Mathematikers, der die Verbindungsbrücken verschmäht, die von der Mathematik zur
                              									Technik hinüberführen.
                           Hiermit habe ich eine Reihe von Gedanken über die Ausbildung der Studierenden an
                              									einer Technischen Hochschule in Mathematik und Mechanik entwickelt, wie sie mir dem
                              									Wesen einer Technischen Hochschule zu entsprechen und gleichzeitig den Anforderungen
                              									zu genügen scheint, die die veränderten Wirtschaftsbedingungen unserer Zeit an die
                              									Technischen Hochschulen stellen. In dem gewaltigen Wirtschaftskampfe, vor den sich
                              									nunmehr Deutschland gestellt sieht, wird die Technik unsere schärfste Waffe bilden.
                              									Und es muß mit aller Eindringlichkeit der Sinn und das Verständnis des höchsten
                              									Wirkungsgrades geweckt werden. Diesem Zwecke dienen ja schon die zahlreichen, auf
                              									Organisierung, auf Normalisierung und Typisierung gerichteten Bestrebungen. Und in
                              									dieser Folge der Gedanken wird sich auch die Staatsregierung der Erkenntnis nicht
                              									verschließen können, daß alles Kapital, das für Unterrichtszwecke Verwendung findet,
                              									am besten angelegt ist, da es in dieser Form ein Optimum an Wirkungsgrad erreichen
                              									dürfte . . .