| Titel: | Die Entwicklung der technischen Physik, vorzugsweise in den letzten zwanzig Jahren. | 
| Autor: | W. Hort | 
| Fundstelle: | Band 334, Jahrgang 1919, S. 211 | 
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                        Die Entwicklung der technischen Physik,
                           								vorzugsweise in den letzten zwanzig Jahren.
                        Von Privatdozent Dr. W. Hort.
                        (Fortsetzung.)
                        HORT: Die Entwicklung der technischen Physik, vorzugsweise in den
                           								letzten zwanzig Jahren.
                        
                     
                        
                           In der Einleitung zu diesem Bericht, den ich hiermit wieder aufnehme, habe ich
                              									auf S. 245 des 331. Bandes den Plan entwickelt, neben dem seit langem zum Bereiche
                              									der technischen Physik gerechneten Wissenschaften der Mechanik, Elastizitätslehre, Festigkeitslehre, Hydrodynamik und Wärmelehre auch die technische Elektrizitätslehre und die
                              									technische Optik im Rahmen des Berichtes zu
                              									behandeln.
                           Auf S. 188 des 332. Bandes ist die Hydrodynamik der strömenden Flüssigkeitsbewegungen
                              									zum Abschluß gebracht. Es steht noch aus die Wellenhydrodynamik und die Bewegung
                              									fester Körper in Flüssigkeiten.
                           Diese Teile der Hydrodynamik sowie die Wärme- und Elektrizitätslehre späterer
                              									Behandlung vorbehaltend, will ich mich heute der technischen
                                 										Optik zuwenden, wobei ich in der Darstellung weiter zurückgreife, um die
                              									Bildung der optischen Begriffe möglichst eingehend vorzubereiten.
                           
                              VIII.
                                 										Technische Optik.
                              1. Um einen vorläufigen allgemeinen Ueberblick über
                                 										das Gebiet zu erhalten, entschließen wir uns, innerhalb der Technischen Optik,
                                 										die Technik des Sehens und die Technik des Leuchtens zu unterscheiden.
                              Beide Zweige haben schon von Alters her die Entwicklung der menschlichen Kultur
                                 										begleitet; doch hat eine wissenschaftliche Behandlung zuerst die Technik des
                                 										Sehens erfahren.
                              Schon von Euklid, dem berühmten Geometer des
                                 										Altertums, besitzen wir zwei optische Lehrbücher, die „Optica“ und die
                                 											„Katoptrica“. Die „Optica“ enthält vorzugsweise eine Lehre von
                                 										der Perspektive, ferner Lösungen verschiedener geodätischer Aufgaben und die allerersten Anfänge der
                                 										Theorie des stereoskopischen Sehens. Die
                                 											„Katoptrica“ behandelt zahlreiche Aufgaben über Spiegelungen an ebenen und gekrümmten Flächen. Euklid ist schon im vollen Besitz des richtigen Reflexionsgesetzes.
                              Die Anfänge der Lehre von der Brechung des Lichtes
                                 										gehen auf Ptolemäus zurück, der bereits ziemlich
                                 										genaue Refraktionstafeln für astronomische Zwecke
                                 										berechnete.
                              Das genaue Brechungsgesetz war auch Kepler noch unbekannt, dessen Dioptrica im übrigen eine eingehende Erörterung der Eigenschaften der
                                 											Linsen und Linsensysteme, eine lichtvolle Erklärung des Sehaktes, sowie der Kurz- und
                                    											Weitsichtigkeit nebst den Grundzügen einer Theorie der Fernröhren enthält.
                              Eine besondere Leistung Keplers [Dioptrica LIX]
                                 										ist schließlich die Erkenntnis der Aberration an
                                 										Kugelflächen und der Vorschlag, diesen Abbildungsfehler durch parabolische Flächen
                                 										zu beheben.
                              Mit Kepler sind also die Grundlagen der
                                 										wissenschaftlichen Technik des Sehens gegeben. Wir werden die weitere
                                 										Entwicklung der Sehtechnik behandeln durch Darstellung der geometrischen Optik im weiteren Sinne sowie der Theorie der optischen Instrumente.
                              2. Die Leuchttechnik beginnt ihr Dasein mit der
                                 										Trennung des Lichtes vom Feuer. Fortan gehen Heizungstechnik und Beleuchtungstechnik ihre getrennten Wege.
                              Von der Oellampe der Alten bis zur modernen Glühlampe
                                 										ist ein langer Entwicklungsgang, auf welchem die Herstellung und Verbesserung
                                 										der Lichtquellen der wissenschaftlichen Erkenntnis ihrer Wirkungsweise stets
                                 										weit vorauseilte, im Gegensatz zur Technik des Sehens, bei dessen Entwicklung
                                 										die wissenschaftliche Behandlung fast sofort mit der technischen Problemstellung
                                 										einsetzt.
                              Die klare Erkenntnis der Notwendigkeit der Luft für
                                 										die Unterhaltung der Leuchtflamme finden wir zuerst bei Roger Bacon 1267Opus
                                       												majus. Pars V. Nunc primus edidit S. Jebb. Londini. 1733.,
                                 										und die Anfänge einer Flammentheorie gehen auf Geronimo Cardano 1550 zurück, der die Bedeutung des
                                 										geregelten Luftzuges für die Wirksamkeit der Flamme erkannte.
                              Die Lampen der damaligen Zeit waren lästige Qualmentwickler; noch Prof. Segner gab 1743 eine Lampe für
                                    											Studierende an, die außer einem Reflektor
                                 										einen Schornstein für den Qualmabzug aufwies.
                              Die Qualmentwicklung beseitigte erst Argand 1783 durch
                                 										Erfindung des Runddochtes und des Zylinders. (Englisches Patent Nr. 1425 vom 15. 3.
                                 										1784.)
                              Optische Hilfsmittel zur Verstärkung der Leuchtwirkung
                                 										schlug bereits Leonardo da Vinci vor, indem er die
                                 										Leuchtflamme in einer wassergefüllten Glaskugel
                                 										brennen lassen wollte. Wir haben hier die Urform des später von Fresnel angegebenen optischen Systems für Leuchtfeuer
                                 										vor uns.
                              Eine ernstliche wissenschaftliche Behandlung der Leuchttechnik konnte aber erst
                                 										Platz greifen, als die Messung der Leuchtwirkung
                                 										möglich geworden war.
                              Der erste Forscher, der den Versuch gemacht hat, eine Lichtstärke zu messen, war
                                 											Huyghens, der die Lichtstärke der Sonne mit der
                                 										des Sirius vergleichen wollte. Die Vergleichsmethode beruhte darauf, daß durch
                                 											Blenden die
                                 										Lichtwirkungen beider Himmelskörper auf das Auge gleich gemacht werden sollten;
                                 										das umgekehrte Verhältnis der Blendenöffnungen sollte das Verhältnis der
                                 										Lichtstärken darstellen.
                              Wir übergehen weitere Versuche von Celsius und Buffon und wenden uns zu dem Photometer von Bouguer, mit welchem die Intensität zweier
                                 										Lichtquellen verglichen, werden konnte. In der Abb.
                                    											1 ist die einfache Vorrichtung dargestellt. Die beiden zu
                                 										vergleichenden Flammen a und b wurden so aufgestellt, daß sie zwei mit
                                 										durchscheinendem Papier beklebte runde Oeffnungen bestrahlten, wobei durch eine
                                 										Trennwand dafür gesorgt war, daß jede Flamme nur ihre eigene Oeffnung
                                 										beleuchtete. Der senkrechte Abstand der beiden Flammen von den Oeffnungen wurde
                                 										so lange geändert, bis die Beleuchtungsstärken der durchscheinenden Papiere
                                 										keinen Unterschied mehr erkennen ließen. Bouguer
                                 										vergleicht dann die Lichtstärke der beiden Flammen durch das umgekehrte
                                 										Verhältnis der Quadrate ihrer Entfernungen von den beleuchteten Oeffnungen.
                              
                                 
                                 Textabbildung Bd. 334, S. 212
                                 Abb. 1.
                                 
                              Durch diese Konstruktion ist Bouguer der Vater der Photometer geworden; alle später bis in die neueste
                                 										Zeit angegebenen Vorrichtungen zum Vergleich von Lichtstärken, soweit sie nicht
                                 										energetische Meßprinzipien zugrunde liegen, beruhen auf der Bouguerschen Erfindung.
                              Die wissenschaftliche Formulierung der wichtigsten Sätze der heutigen Photometrie
                                 										verdanken wir Lambert, der folgende Definitionen und
                                 										Sätze in seiner „Photometria“ Sive de mensura et gradibus luminis,
                                 										colorum et umbrae, 1760 aufstellte.
                              a) Das Maß der Helligkeit oder des Glanzes eines leuchtenden Punktes ist die
                                 										Stärke der Beleuchtung, die er einem Flächenelemente erteilt, welches sich von
                                 										ihm in der Entfernung 1 befindet.
                              b) Unter sonst gleichen Umständen ist die Beleuchtung, die eine kleine Fläche von
                                 										einem leuchtenden Punkte erhält, dem Quadrate der Entfernung zwischen Punkt und
                                 										Fläche ungefähr proportional.
                              c) Die Stärke der Beleuchtung einer kleinen Fläche, die von einer leuchtenden
                                 										Fläche beleuchtet wird, ist der Größe der letzteren proportional. Ist also J der Glanz jedes Elementes der leuchtenden Fläche,
                                 											F ihre Größe und D
                                 										die Entfernung zwischen ihr und der beleuchteten Fläche, so ist die Stärke der
                                 										Beleuchtung mit \frac{F\,.\,J}{D^2} proportional.
                              d) Steht das leuchtende und das beleuchtete Flächenelement auf der
                                 										Verbindungslinie nicht senkrecht, sondern bilden die Normalen der Elemente mit
                                 										der Verbindungslinie die Winkel σ1 und σ2, so
                                 										wird die Beleuchtungsstäke
                              
                                 i=\frac{F\,J}{D^2}\,\cos\,\sigma_1\,\cos\,\sigma_2.
                                 
                              Diese Sätze bilden auch heute noch den wesentlichen Inhalt der photometrischen
                                 										Lehren.
                              3. Die erste exakte Formulierung des genauen Brechungsgesetzes
                                 										\frac{\sin\,\alpha}{\sin\,\alpha'}=\frac{n}{n'} verdankt man dem Holländer Willibrord
                                    											Snellius1591 bis
                                       												1626.. Zwar kennen wir keine Schrift von ihm, in der das
                                 										Gesetz veröffentlicht wäre, aber Newton und Huyghens
                                 										bezeugen seine Priorität gegenüber der ersten, gedruckt von DescartesDescartes, Discours . . . . . plus la dioptrique . . . . . de cette
                                       												Méthode. Leyde 1637. gegebenen Abfassung.
                              Im Besitz des exakten Brechungsgesetzes war die Wissenschaft instand gesetzt,
                                 										nunmehr die Ansätze für die Brenn- und
                                    											Vereinigungsweiten der sphärischen Spiegel und Linsen zu entwickeln.
                                 											Bonaventura CavalleriExercitationes geometricae sex auctore F.
                                       												Bonaventura Cavallerio, etc. Bononiae 1647. gibt zuerst in
                                 										einem langatmigen Satz von 49 lateinischen Worten als Brennweitenformel folgende
                                 										Rechenvorschrift:
                              (r1 + r2) :
                                 											r1 = r2 : f,
                              woraus sich die uns geläufigere Form:
                              
                                 \frac{1}{f}=0,5\,\left(\frac{1}{r_1}+\frac{1}{r_2}\right)
                                 
                              ohne Schwierigkeit ergibt. Anzumerken ist nur noch, daß
                                 											Bonaventura den Annäherungswert \frac{1}{2} für
                                 											n – 1 gesetzt hat; bei den damals bekannten
                                 										Gläsern lagen die Brechungsexponenten n nahe bei
                                 										1,5.
                              
                                 
                                 Textabbildung Bd. 334, S. 212
                                 Abb. 2.
                                 
                              Viel später gab Edmund HalleyPhilosophical transactions 1693.
                                       												November., nach weitschweifigen Untersuchungen BarrowsIsaak Barror, Lectiones opticae et geometricae, London,
                                       											1674., die für alle Spiegel und Linsen giltige Formel der Vereinigungsweite, für solche Strahlen, bei denen die
                                 										Achsenneigungswinkel so klein sind, daß ihre Sinus mit den Bögen vertauscht
                                 										werden können, also im paraxialen Gebiet, unter
                                 										Berücksichtigung der Linsendicke.
                              
                                 
                                 Textabbildung Bd. 334, S. 212
                                 Abb. 3.
                                 
                              Aus der Halleyschen Formel ergibt sich ohne weiteres
                                 										für die Linsendicke d = 0 die fundamentale
                                 										Abbildungs-Gleichung:
                              
                                 \frac{1}{f}=\frac{1}{a}+\frac{1}{b}.
                                 
                              Für diese Formeln wurden dann auch bald Konstruktionsverfahren entwickelt, um zu
                                 										gegebenen Gegenständen die Lage der Bilder auf zeichnerischem Wege zu ermitteln,
                                 										so z.B. von Robert SmithRobert Swith, System of optics. Cambridge
                                       												1738.. Die sphärische Aberration
                                 										von Spiegeln war schon Roger BaconTractatus de speculis ca. 1290.
                                 										bekannt. Kepler beschäftigt sich mit der Beseitigung der
                                 										sphärischen Aberration von Linsen, durch Anwendung nicht sphärischer Flächen. In
                                 										seiner „Dioptrica“ findet sich eine Zeichnung nach Abb. 2.
                              Newton ist der erste, der zahlenmäßige Angaben über
                                 										die Größe der Aberration, auch der chromatischen gibtJ. Newton, Optice, or a treatise of the
                                       												reflections, inflections and colours of light, London 1704..
                                 										Nach ihm ist (mit Bezug auf Abb. 3) der
                                 										Halbmesser der kleinsten sphärischen Breitenabweichung einer plankonvexen Linse
                                 										\varrho_s=\frac{n^2\,x^2}{8\,g^2}, während die chromatischen Abweichungen sich nach Abb. 4 finden:
                              
                                 \varrho_c=\frac{x}{55},\ \lambda_s=\frac{f}{27}.
                                 
                              Diese Ergebnisse gewinnt Newton auf elementarem Wege. Sie
                                 										sind mit Hilfe der heutigen optischen Beweisführungsmethoden mit Leichtigkeit zu
                                 										erhalten.
                              
                                 
                                 Textabbildung Bd. 334, S. 213
                                 Abb. 4.
                                 
                              Zu Newtons Zeit beginnen die Versuche, die Abbildungsfehler der Fernrohrobjektive zu beseitigen.
                                 										Man hatte erkannt, daß der Farbenfehler den Kugelgestaltfehler bei weitem
                                 										überwog und war bemüht, ihn durch möglichste Vergrößerung der Brennweiten klein
                                 										zu halten. Zu anderen Verfahren kam man zunächst noch nicht, obwohl wir schon
                                 										bei Newton den Gedanken ausgesprochen finden, ein Objektiv aus zwei Linsen
                                 										zu bilden, zwischen denen sich eine Wasserschicht befindet. Zu einem
                                 										praktischen Versuch mit diesem Gedanken ist Newton
                                 										nicht gekommen, er hielt vielmehr die Behebung der Farbenabweichung durch
                                 										Verbindung verschiedener Gläser, gleicher Zerstreukräfte für unmöglich, weil er
                                 										von der Proportionalität zwischen Brechungsindex und Zerstreuungsvermögen bei
                                 										den verschiedenen Körpern überzeugt war. Im Jahre 1747 wiederholte Leonhard Euler den Newtonschen Fernrohr-Vorschlag, die Objektive aus zwei Linsen
                                 										verschiedenen Stoffes, zwischen denen sich Wasser befände, zusammenzusetzen.
                                 										Aber sein Versuch schlug fehl, weil er durch eine verfehlte Spekulation auf
                                 										einen unrichtigen Zusammenhang zwischen Streu- und Brechkraft verfielSur la perfection des verres objectifs des
                                       												lunettes. Mem. de Berlin 1747, S. 285, und histoires de l'Académie de
                                       												Berlin 1747..
                              Angeregt durch die Eulerschen Veröffentlichungen
                                 										übernahm der schwedische Physiker Klingenstierna
                                 										Versuche, aus denen hervorging, daß es Glasverbindungen gibt, die trotz
                                 										aufgehobener Brechung den Lichtstrahlen noch Farbenzerstreuung verleihen.
                              Von der praktischen Aufgabe, farbenfreie Fernrohr-Objektive zu bauen, ging Dollond aus, der außer mit Euler auch mit Clairaut und Klingenstierna in Verbindung stand. Er ließ sich
                                 										durch die negativen Ergebnisse der E u 1 er sehen Arbeiten nicht beirren,
                                 										sondern ging nach zahlreichen Versuchen mit verschiedenen Glasprismen dazu über,
                                 										ein achromatisches Fernrohrobjektiv tatsächlich herzustellen. Nach äußerst
                                 										mühevollen Arbeiten gelang ihm dies im Jahre 1758, in welchem er das erste
                                 										achromatische Fernrohr von 5 Fuß Brennweite herstellte, das zum Staunen der
                                 										wissenschaftlichen damaligen Welt die bekannten zwanzigfüßigen Teleskope weit
                                 										übertraf.
                              
                                 
                                    (Fortsetzung folgt.)