| Titel: | Zum Ableben Richard Pintsch'. | 
| Fundstelle: | Band 334, Jahrgang 1919, S. 222 | 
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                        Zum Ableben Richard Pintsch'.
                        Zum Ableben Richard Pintsch'.
                        
                     
                        
                           Am 6. September 1919 ist in Berlin der Geheime
                              									Kommerzienrat Dr.-Ing. h. c. Richard Pintsch im 80.
                              									Lebensjahre verstorben.
                           Richard Pintsch wurde am 19. Februar 1840 in Berlin als
                              									Sohn des Klempners Julius Pintsch geboren, der sich 1843 auf dem Stralauer Platz als
                              									Meister selbstständig machte. Der Vater war ein tüchtiger, strebsamer Mann, dessen
                              									Fleiß und Unternehmungsgeist es ermöglichten, schon 1848 die Häuser 6 und 7 am
                              									Stralauer Platz in seinen Besitz zu bringen.
                           Nach Abschluß der vierklassigen höheren Bürgerschule trat Richard Pintsch im Oktober
                              									1854 mit 14 ½ Jahren im väterlichen Geschäft in die Lehre, die ihm keine Arbeit
                              									ersparte und ihn alle Mühen und Sorgen, Leiden und Freuden des einfachsten Arbeiters
                              									von Anfang an gründlich kennen lernen und selbst durchkosten ließ. Während der
                              									ganzen Lehrzeit wurde Richard Pintsch weiter unterrichtet, so daß es ihm möglich
                              									war, mit Abschluß der Lehre auch die Berechtigung zum einjährigen Militärdienst zu
                              									erlangen. Gleichzeitig wurde er vom Klempnergewerk nach vierjähriger Lehrzeit als
                              									regulärer Klempnergeselle freigesprochen.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 334, S. 221
                              
                           Das väterliche Geschäft hatte sich rasch weiterentwickelt, beschränkte sich nicht
                              									mehr auf Berliner Bedürfnisse und führte den Vater Pintsch häufig auf Reisen nach
                              									außerhalb. Während dessen Abwesenheit mußte der junge Richard ihn geschäftlich und
                              									kaufmännisch vertreten, was seiner schnellen Ausbildung und Erziehung zur
                              									Selbständigkeit sehr zustatten kam. Mit 19 Jahren machte er schon Geschäftsreisen
                              									und führte auswärtige Montagen von längerer Dauer aus. Von 1861 bis 62 genügte er
                              									seiner Militärpflicht.
                           Zurückgekehrt begann Richard Pintsch, selbständig handelnd, in den väterlichen
                              									Betrieb einzugreifen. Er stellte für die Gasapparate Normalien auf, entwarf
                              									Neukonstruktionen und ließ Modelle anfertigen, die dank ihrer Originalität bis
                              									auf den heutigen Tag noch unverändert und mustergültig geblieben sind. Vater Pintsch
                              									ließ den drängenden Eifer seines Sohnes gewähren, dessen ungewöhnliche Arbeitskraft
                              									und schöpferische Veranlagung erkennend. Das Werk wuchs und aus der Klempnerei und
                              									Werkstatt für Gasmesser wurde eine Maschinenfabrik.
                           Die Fabrikräume auf dem Stralauer Platz waren bald zu klein geworden, die Grundstücke
                              									Andreasstraße 7-/73 und später 71 wurden dazu gekauft und 1864 wurde darauf die neue
                              									Fabrik errichtet, die den Ruf und den Namen der Firma Pintsch begründete. Schon 1867
                              									stellte Julius Pintsch seine Fabrikate mit Erfolg in Paris aus und tat damit den
                              									ersten Schritt in die große Welt. Richard benutzte diese Gelegenheit zu Reisen nach
                              									Frankreich und England, von denen er voll neuer Eindrücke und Anregungen
                              									zurückkehrte. Diese fanden ihre Umsetzung in die Praxis in den ersten Versuchen mit
                              									Wasserstoff- Luftballons, Wasserstoffgaserzeugern, Unterwasserminen, Kontakttorpedos
                              									und allen zugehörigen Apparaten.
                           Die intensive Förderung der Gastechnik und die Verbesserung der dazugehörigen
                              									Apparate blieben aber die Hauptanziehungspunkte für die schöpferische Tätigkeit
                              									Richard Pintsch'. Mit allen Mitteln strebte er an, dem fast allein dominierenden
                              									Einfluß Englands, der sich überall auf dem Kontinent breit gemacht hatte, entgegen
                              									zu arbeiten. Deutschland sollte nicht länger nur als Bezieher der fertigen, und
                              									meist recht mangelhaft hergestellten Gasapparate figurieren, die, oft kaum
                              									eingebaut, versagten und zur Reparatur den Werkstätten Pintsch zur Last fielen.
                              									Allen anfänglichen Schwierigkeiten zum Trotz setzten Vater und Sohn die fabrikmäßige
                              									Herstellung der Gasmesser und Gaserzeugungsapparate nach eigenen Prinzipien und
                              									maßgebenden Verbesserungen und Erfindungen durch. Immer mehr begannen Vorurteil, Indolenz und
                              									Anfeindungen aller Art und der Hang am Althergebrachten und Gewohnten dem Vertrauen
                              									zur Leistungsfähigkeit der Firma zu weichen. Die weitere englische Ausdehnung
                              									stockte und fing an abzubröckeln. Zähe Ausdauer und vorzügliche Werkstattarbeit
                              									führten das rastlose Mühen zum Erfolge, und es ist eine unbestrittene Tatsache, daß
                              									Pintsch auf dem Gebiete der Gastechnik nicht allein das ausländische Fabrikat nach
                              									und nach fast gänzlich vom deutschen Markt verdrängte, sondern den deutschen
                              									Erzeugnissen auch im Auslande einen ebenbürtigen, ja führenden Rang verschaffen
                              									konnte.
                           Dies bezieht sich hauptsächlich auch auf das von Richard Pintsch ausgebaute System
                              									der Gasbeleuchtung in den Eisenbahnwagen. Voll Eifer ging er an die ersten Versuche.
                              									Doch bald stellten sich Schwierigkeiten aller Art ein. Von dem gewöhnlichen
                              									unkomprimierten Steinkohlengas mußte Abstand genommen werden; es nahm zu viel Raum
                              									ein und hätte zu große Behälter auf oder unter den Wagen erfordert. Auch büßte es
                              									bei der Kompression den größten Teil seiner Leuchtkraft ein. Richard Pintsch wählte
                              									deshalb das hochwertigere, schwerere Oelgas (Fettgas) in komprimiertem Zustande.
                              									Hierfür mußte zunächst ein Regulator geschaffen werden, der allen äußeren
                              									Einwirkungen' widerstehen, einen gleichmäßigen Brenndruck gewährleisten und den
                              									lösenden Stoffen des Gases gegenüber unempfindlich sein mußte. Dies gelang im
                              									Prinzip, wenngleich die ersten Apparate noch zu schwerfällig und unhandlich
                              									waren.
                           Im Jahre 1869 liefen zwei mit Gas beleuchtete Personen-Nachtzüge zwischen Berlin und
                              									Breslau, die nur in Berlin ihre Füllung erhielten. Das Problem war also im
                              									wesentlichen gelöst. Es war aber noch viel Arbeit zu leisten und Widerstände zu
                              									überwinden, um die absolute Betriebssicherheit des Systems zu erreichen. Seitens der
                              									Bahnverwaltung wie des Publikums erntete Richard Pintsch volle Anerkennung. Schon im
                              									Jahre 1870 beschloß das Eisenbahn-Ministerium, die. Gasbeleuchtung in den Zügen
                              									allgemein einzuführen. Richard Pintsch konstruierte den Regulator um und schuf einen
                              									Apparat, der sich vorzüglich und dauernd bewährte und an dem im Prinzip bis auf den
                              									heutigen Tag nichts mehr geändert worden ist. Einfachheit und sichere Wirkungsweise
                              									machten ihn zum grundlegendsten Faktor des ganzen Systems. Dann wurden Normalien
                              									aufgestellt, besondere Gas-Hochdruck-Dichtungen erfunden u.a.m., alles Dinge, die
                              									heute noch auf der ganzen Erde für die Waggonbeleuchtung maßgebend sind.
                           Eine ungeheuer schnelle Entwicklung setzte nun ein. In England, Frankreich,
                              									Oesterreich, Rußland, Nordamerika bildeten sich zum Erwerb und zur Ausbeute der
                              									Pintsch-Patente selbständige Gesellschaften, die in engster Verbindung mit dem
                              									Stammhause arbeiteten. In den Hauptstädten Deutschlands wurden Zweigbureaus
                              									errichtet, so daß nach kaum 20 Jahren allein in Deutschland schon über 51000
                              									Eisenbahnwagen und Lokomotiven mit „Pintsch-Licht“ eingerichtet und zur
                              									Herstellung des erforderlichen Fettgases nicht weniger als 190 Gasanstalten von der
                              									Firma erbaut werden konnten. Bis heute erhöhte sich diese Zahl auf über 350000 Wagen
                              									und Lokomotiven.
                           Es lag nahe, das Waggonbeleuchtungssystem auf die Markierung der See- und Wasserwege
                              									zu übertragen, namentlich an Küsten, Untiefen und Einfahrten in Flüsse und Ströme.
                              									Dies gelang vollkommen. Die Tonne (Boje) wurde der Behälter für das komprimierte
                              									Gas. Neu hinzu kam nur die Aufgabe, eine Laterne zu konstruieren, die die schwersten
                              									Sturzseen vertragen konnte, ohne daß die Flamme erlosch. Richard Pintsch löste auch
                              									diese Schwierigkeit.
                           Aus Gründen der Sicherheit genügte den Schiffen das dauernd hellbrennende (feste)
                              									Licht als Wegweiser nicht mehr. Die Seebehörden wünschten
                              									Unterscheidungsmerkmale von andern Lichtern, um die Befeuerung der Wasserstraßen
                              									zweifelsfrei sicherzustellen. Dekar und Richard Pintsch konstruierten deshalb einen
                              									Blinklichtapparat, det durch periodische Unterbrechungen dem Lichtzeichen einen
                              
                              									bestimmten Charakter gibt (z.B. 2 Sekunden hell).
                           So sind nach und nach zum Segen der Schiffahrt die schwimmenden Leuchttonnen, die
                              									Leuchtbojen, Leuchtfeuerschiffe bis zu den heute mit Gasglühlicht versehenen
                              									mächtigen Leuchttürmen entstanden.
                           Die Einrichtung des Fahrwassers des Suezkanals war eine der ersten großen Anlagen,
                              									mit der die Firma Pintsch den Befähigungsnachweis erbrachte, daß sie als führend auf
                              									dem Gebiete der Seebeleuchtung zu gelten hat. Viele tausende von Seezeichen haben
                              									seitdem den Weltruf der Firma in alle zivilisierten Länder getragen.
                           Die Freundschaft mit Dr. Auer von Welsbach fügte es, daß Richard Pintsch an den
                              									ersten Versuchen mit Gasglühlicht anteilnehmen und an der Ausbildung der Auerlichts
                              									tätig und beeinflussend mitwirken konnte. Es gelang ihm vor 33 Jahren (1888) den
                              									ersten brauchbaren Brenner nach dem Bunsenprinzip zu schaffen, der in Verbindung mit
                              									der Auer sehen Erfindung den Siegeszug des Auerlichtes erst ermöglichte. Hiermit
                              									ergab sich von selbst die Uebertragung des Glühlichtes auf die Waggonbeleuchtung und
                              									Seezeichen.
                           Mit der Ausdehnung der Fabrikation, der rapiden Entwicklung der Gastechnik und mit
                              									der Aufnahme vieler anderer Fabrikationszweige mannigfaltigster Art konnten die
                              									Räumlichkeiten der Fabrik in der Andreasstraße, die jetzt eine Belegfähigkeit von
                              									ca. 1200 Arbeitern hat, nicht mehr Schritt halten. Schon 1866 machte sich das
                              									Bedürfnis geltend, eine Filiale für Gasmesser in Dresden und 1868 eine weitere in
                              									Breslau zu errichten. 1862 wurde dann in Fürstenwalde an der Spree neues Gelände
                              									erworben zum Bau einer großzügigen Fabrikanlage. Dieser war ein Emporblühen
                              									beschieden, das weit über den Rahmen der ursprünglichen Projektierung hinausging.
                              									Und heute kann die Fürstenwalder Fabrik Anspruch darauf erheben, als ein in jeder
                              									Beziehung besteingerichtetes modernstes Werk zu gelten, das sich über ein Areal von
                              									über 25 Hektar ausdehnt.
                           Der Sitz der Zentralverwaltung ist in Berlin, Andreasstraße 71/73. Im Jahre 1860
                              									übergab der Vater Julius Pintsch seinen vier Söhnen Richard, Oskar, Julius und
                              									Albert das Geschäft, welches diese von da ab um ein Vielfaches vergrößern konnten.
                              									Zur Fabrikation von Gasmessern und Apparaten verschiedenster Art kamen später die
                              									Fabriken in Frankfurt a. M., in Wien, Utrecht und Erkrath hinzu. Die Fabriken in
                              									Ivry bei Paris, in Brimsdown bei London und in Nyköping in Schweden fertigten
                              									ausschließlich elektrische Glühlampen.
                           Die Fabrikbetriebe erstrecken sich in der Hauptsache auf die Herstellung von allen
                              									für die Waggonbeleuchtung mit Gas erforderlichen Behältern, Apparaten und Laternen,
                              									wofür mit Rücksicht darauf, daß bis in die neueste Zeit die Waggonbeleuchtung, die
                              									fast ausschließliche Domäne der Firma Pintsch im In- und Auslande bildete, sehr
                              									ausgedehnte Werkstattflächen benötigt werden. Weiterhin erstreckt sich die
                              									Fabrikation auf die Erstellung vollständiger Anstalten zur Gewinnung von
                              									Steinkohlengas und seinen Nebenprodukten (Ammoniak, Sulfat, Benzol, Naphthalin, Zyan
                              
                              									usw.), auf Oelgas-, Generatorgas- und Wassergas-Anlagen, Transport- und
                              									Aufbereitungsanlagen für Kohle und Koks, auf Vakuum-Trockenapparate, geschweißte
                              									Kessel zur Herstellung von Zellulose, Apparaturen für die chemische Industrie,
                              									Beheizung der Eisenbahnwagen, Waggon-Zubehörteile, alle zur Seebeleuchtung gehörigen
                              									Ausrüstungen, von der kleinsten Boje bis zum größten Leuchtturm, Unterwasser-Torpedos und
                              									Kontaktminen, und schließlich seit über 25 Jahren auch auf die Herstellung von
                              									elektrischen Glühlampen.
                           Im Jahre 1907 wurde das Unternehmen in die Julius Pintsch-Aktiengesellschaft
                              									umgewandelt, mit der Richard Pintsch bis an sein Lebensende in engster Fühlung
                              									geblieben ist. Die Brüder Oskar und Julius waren am 10. und 29. Januar 1912
                              									gestorben.
                           An Auszeichnungen und öffentlichen Anerkennungen aller Art fehlte es nicht. 1887
                              									wurde Richard zum Kommerzienrat, 1896 zum Geheimen Kommerzienrat ernannt. Zum
                              									siebzigsten Geburtstage, am 19. Februar 1910 wurde ihm der Königliche Kronenorden
                              									II. Klasse verliehen. Auch die Fachwelt zögerte nicht, die Erfolge der Firma
                              									Pintsch voll und rückhaltlos anzuerkennen. So wurde Richard Pintsch Inhaber der
                              									Bunsen-Pettenkofer Plakette des Vereins Deutscher Gas- und Wasserfachmänner,
                              									Ehrenmitglied des Vereins Deutscher Maschinen-Ingenieure und der polytechnischen
                              									Gesellschaft, Inhaber der Großen goldenen Delbrück-Medaille, welche nur alle fünf
                              									Jahre vom Verein zur Förderung des Gewerbefleißes verliehen wird, und ist seit über
                              									25 Jahren ordentliches Mitglied der Königlichen Akademie des Bauwesens. Die
                              									Gemeinden Fürstenwalde und Berchtesgaden ernannten ihn zu ihrem Ehrenbürger.
                           Die Königlich Technische Hochschule, Berlin-Charlottenburg, ehrte am 19. Februar 1910
                              									sein Lebenswerk durch die Verleihung des Ehrendoktor der
                              									Ingenieur-Wissenschaften.