| Titel: | Wilhelm v. Siemens. | 
| Autor: | August Rotth | 
| Fundstelle: | Band 334, Jahrgang 1919, S. 257 | 
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                        Wilhelm v. Siemens.
                        Geh. Regierungsrat, Dr.-Ing. e. h., Dr. phil. h.
                           								c., geb. 30. Juli 1855, gest. 14. Oktober 1919.
                        Wilhelm v. Siemens.
                        
                     
                        
                           Am 14. Oktober starb in Arosa nach kurzer Krankheit Wilhelm v. Siemens.
                           Sein Leben war Mühe und Arbeit!
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 334, S. 257
                              
                           Während seiner Jugendzeit erlangte die Schöpfung seines Vaters, die Firma Siemens & Halske, ihren Weltruf. In sie später
                              									einzutreten, war für ihn und seine Brüder selbstverständlich. Die Firma nahm eine
                              									einzigartige Stellung im gewerblichen Leben ein. Ihr Begründer hatte ihr den Geist
                              									der wissenschaftlichen Technik aufgeprägt und nach dem überaus erfolgreichen Ausbau
                              									der Telegraphie mit seiner Dynamomaschine den Grund für die Starkstromtechnik
                              									gelegt. In der Mitte der 70er Jahre war diese Maschine noch mehr ein Gegenstand des
                              									Laboratoriums als der Werkstatt, die Pflege der Elektrizität lag noch fast ganz in
                              									der Hand des Physikers. So erschien für einen der einstigen Erben des auf der Höhe
                              									des Lebens stehenden Vaters ganz natürlich das Studium der Naturwissenschaften als
                              									die beste Vorbereitung für das künftige Wirkungsfeld. Daß der angehende Techniker
                              									als wichtigstes das wissenschaftliche Rüstzeug in den Beruf mitbringen solle, hat
                              									Wilhelm v. Siemens später immer betont. Er selbst erwarb es auf den
                              									Universitäten Heidelberg, Leipzig und Berlin. Seiner ganzen Veranlagung nach suchte
                              									er ein ausgebreitetes Wissen, die Beschränkung auf engere Gebiete ließ er erst gegen
                              									Ende seiner Studien mit dem Arbeiten im Laboratorium von Helmholtz eintreten. Das anfängliche Schweifen in die Weite ist ihm später
                              									oft eine Quelle der Beunruhigung gewesen, wenn ihm bei besonderen Arbeiten und
                              									Plänen Einzelheiten des in Frage kommenden Gebietes nicht schnell genug zur Hand
                              										waren. Für sein Lebenswerk im ganzen ist die
                              									breite Grundlage nur förderlich gewesen. Mußte er doch ohnehin bei der steten
                              									Vergrößerung des beherrschten Kreises die Durchführung seiner Ideen meist anderen
                              									Händen überlassen. Das Unbehagen, das ihm daraus vielfach entstand, war ein Opfer,
                              									dem er sich in seinem vorbildlichen Pflichtgefühle zugunsten seiner Vorbestimmung
                              									unterzog, der Förderung und Mehrung der Firma. Was der Vater von seinen Söhnen dahin
                              									erhoffte, ist in ungeahntem Umfange erfüllt worden. Aus der damals nach jetzigen
                              									Begriffen noch bescheidenen Zahl der Mitarbeiter ist allein in Deutschland eine Armee von
                              									60000 Köpfen geworden.
                           Vierzig Jahre hat Wilhelm v. Siemens an der Hinterlassenschaft seines Vaters gewirkt.
                              									Nur in den ersten Jahren konnte er vorwiegend seiner stärksten Neigung folgen, dem
                              									technischen Schaffen. Er erschien täglich im Versuchsaale der Markgrafen-Straße, von
                              									dessen rühriger Arbeit alte Beamte noch zu erzählen wissen, und beteiligte sich
                              									besonders an der Ausbildung der Meßgeräte, der Bogenlampen und Glühlampen. Schon
                              									1884 wurde er aber, bald nach seinem älteren Bruder Arnold, als Mitinhaber der Firma
                              									aufgenommen, deren selbständige Leitung er nach dem Ausscheiden des Vaters 1889 in
                              									Gemeinschaft mit Arnold und dem Onkel Karl übernahm. Mehr und mehr erforderten damit
                              									die wirtschaftlichen Seiten des Betriebes seine Kraft. Nicht allein die
                              									schnell-fortschreitende Ausdehnung der Arbeitsgebiete an sich schuf ihre Sorgen, für
                              									die Firma galt es auch, die mit der Entwicklung des Starkstromes auftretenden neuen
                              									Formen des Finanzwesens mit der Ueberlieferung des Hauses in Einklang zu bringen,
                              									Aufgaben, die Werner v. Siemens 1889 in einem Briefe an Karl kennzeichnet: „Das
                                 										Bedenken ist, ob wir die Spitze werden halten können, der Aktiengesellschaft mit
                                 										unbegrenztem Kapital gegenüber“. Dieser Bürde und der überwundenen
                              									Schwierigkeiten hat Wilhelm v. Siemens später oft gedacht und immer den Wunsch
                              									gehabt, sie in einer Finanzgeschichte der Firma festgehalten zu sehen.
                           Die Notwendigkeit, sich auch auf diesem Gebiete betätigen zu müssen, ließ Wilhelm v.
                              									Siemens nicht zu einem dauernden Zwiespalte zwischen Neigung und Pflicht werden. Sie
                              									gab ihm nur Anlaß, sich mit der ihm eigenen Gründlichkeit und weit über das
                              									unmittelbare Bedürfnis hinaus in die Wirtschaftskunde zu vertiefen. Hier wie in der
                              									engeren Technik vom Besonderen zum Allgemeinen schreitend, und mit Siemensschem
                              									Fleiße soviel als irgend möglich auch andere Gebiete streifend, ward er zu dem Manne
                              									mit dem umfassenden Wissen und Können, den klaren, in eigenem Ringen erworbenen
                              									Anschauungen in allen Richtungen des Lebens. Die Technik vor allem besaß in ihm
                              									einen der ganz seltenen Vertreter, die alle ihre Erscheinungsformen, ihre
                              									Leistungen, Möglichkeiten und Bedürfnisse übersehen.
                           Das Geistesleben Wilhelm v. Siemens spiegelt sich zum Teile in seinen
                              									Veröffentlichungen wider. Kennzeichnend für seinen Lebensgang ist die zeitliche
                              									Scheidung in technische und wirtschaftliche Darbietungen. Er führte gern die Feder,
                              									auch darin und selbst in der Handschrift seinem Vater ähnlich, wohl alles, worin er
                              									Klarheit suchte, brachte er zu Papier, in Notizheften oder auf losen Blättern, und
                              									von der gewonnenen Erkenntnis teilte er bereitwillig mit. Frühere Druckschriften von
                              									sich las er ungern wieder, als wenn er sich damit trotz alles Mühens selbst noch
                              									nicht genügt hätte. Nur von seiner ersten Kundgebung aus dem März 1883 sprach er mit
                              									sichtlichem Wohlgefallen. Sie betraf die damals noch neue Glühlampe, erörterte deren
                              									Wesen in elektrischer, thermischer und physiologisch-optischer Hinsicht, die
                              									Leitungen und Schaltungen, gab Ausblicke in die weitere Entwicklung und deutete
                              									schließlich an, wie man wohl den aus wirtschaftlichen Gründen erwünschten
                              									Unterschied der Spannung für Leitung und Lampe durch besondere Geräte erzielen
                              									könne, bei Wechselstrom durch „Induktionsapparate“, die man später
                              									Transformatoren nannte. Die Befriedigung des Urhebers über seine Erstlingsarbeit,
                              									über die er seinen Vater auf dem Wege zum Elektrotechnischen Verein unterrichtete,
                              									war wohl verständlich, wenn er auch ihre vermeintlich zu große Breite und die
                              									bekannt! jugendliche Freude an dir Formel bespöttelte. Auch eine leise Wehmut
                              									mochte ihn in der Erinnerung daran beschleichen, weil er später so wenig Zeit mehr
                              									für eigene Forschung erübrigen konnte. Ueber die Glühlampe hat er in den folgenden
                              									Jahren noch mehrfach vorgetragen, ebenso über Leitersysteme. Das Dreileitersystem
                              									hatte er selbständig entwickelt, leider war ihm kurz vorher Hopkinson mit seiner Patentanmeldung zuvorgekommen. Im Jahre 1895 kam er
                              									in die eigentümliche Lage, gegen die einer Stiftung seines Vaters entstammende
                              									Physikalisch-Technische Reichsanstalt mit sachlichen Gründen öffentlich ankämpfen zu
                              									müssen, da die Anstalt von einer in der Nähe durchzuführenden elektrischen Bahn
                              									Störungen für ihre Messungen befürchtete. Die letzte eigene technische
                              									Veröffentlichung gab Wilhelm von Siemens 1903 mit der Beschreibung seines damals in
                              									der ersten Form vollendeten Schnelltelegraphen.
                           Dieser Abschluß nach außen galt aber nicht seinem technischen Schaffen selbst, dem
                              									hat erst der Tod ein Ende gesetzt. Freilich mußte er sich immer mehr auf das Angeben
                              									der Grundlagen für neue Schöpfungen und das Stellen von Aufgaben beschränken, so
                              									eingehend er dann auch die Durchbildung der Einzelheiten mitarbeitend leitete. Die
                              									Frage nach der Bedeutung der Aufgabenstellung für die erfinderische Tätigkeit ist
                              									oft behandelt, sie ist in der allgemeinen Form aber müßig. Sie kann nichts, sie kann
                              									viel bedeuten, es kommt ganz auf ihre Art an. In Wilhelm v. Siemens vereinigten sich
                              									Schaffenstrieb, eigene Erfindungsgabe, Kenntnisse und Erfahrungen, die ihn zur
                              									richtigen Zeit die Möglichkeiten zu empfinden und leistungsfähige Kräfte in
                              									bestimmte Richtungen zu weisen befähigten. So ist die Tantallampe in langjährigen
                              									zielbewußten Mühen entstanden, die erste brauchbare Metallfadenlampe. So der
                              									Siemens-Schnelltelegraph, der die Handarbeit des Telegraphisten nur zum Vorbereiten
                              									der Depeschen benutzt, das Befördern aber mit der größten möglichen Geschwindigkeit
                              									auf mechanischem Wege bewirkt. Im Kriege hat dieser Telegraph die Bewältigung der
                              									riesigen Ansprüche an den telegraphischen Dienst ermöglicht. In einer für die
                              									Dynamomaschine kritischen Zeit, als dieser einerseits das Ueberschreiten einer
                              									gewissen Betriebstemperatur verboten wurde, andererseits noch eine starke Scheu
                              									herrschte, besondere Maßnahmen für die Kühlung anzuwenden, verfolgte Wilhelm v.
                              									Siemens durch planmäßige Versuche für die Gleichstrommaschine das Ziel, die größte
                              									Leistung und erhöhte Regelfähigkeit unter Einhalten der zulässigen Uebertemperatur
                              									zu erreichen. Er erhielt dabei die jetzt allgemein übliche Bauweise der Maschine mit
                              									Wendepolen und sorgfältig dem besonderen Falle angepaßter Führung der Kühlluft, Auch
                              									den elektrischen Bahnen widmete er in persönlicher Arbeit frühzeitig seine Fürsorge.
                              									Schon 1886 entwickelte er in Patentanmeldungen die Grundlage für Fernbahnen, die
                              									Zuführung des hochgespannten Wechselstromes zum Triebwagen und Anwendung des
                              									Transformators auf diesem für die Motoren. Die späteren berühmten Versuche bei
                              									Lichterfelde und Zossen haben die Zuverlässigkeit dieser Anordnung bewiesen. Wohl zu
                              									keiner Zeit war der Unermüdliche ohne erfinderische Ideen, er schien so, im Grübeln
                              									darüber seiner innersten Natur folgend, durch ablenkende Geistestätigkeit sich von
                              									den drängenden Anforderungen des Tages erholen zu wollen. Auch während des Krieges
                              									betrieb er trotz gesteigerter Inanspruchnahme die Vollendung eigener Entwürfe, noch
                              									im letzten Sommer besprach er mehrfach Möglichkeiten, die Gleichstrommaschine zu
                              									vervollkommnen, und selbst während seiner letzten Krankheit befaßte er sich mit
                              									einer im Werden begriffenen NeuerungNeueruug.
                           Der Rahmen der wirtschaftlichen Veröffentlichungen von Wilhelm v. Siemens umschließt
                              									gewerbliche, finanzpolitische und allgemeine politische Fragen, wie technische
                              									Betrachtungen auf wirtschaftlichem Untergrunde. Die Reihe begann 1908 mit der
                              									Schrift „Das Recht der Angestellten an den Erfindungen“. Hier sprach einer
                              									der wenigen Männer, die alle Seiten der Frage übersehen und die Empfindungen des
                              									Erfinders ebenso zu würdigen wissen, wie die Pflichten des vorgesetzten Leiters. Man
                              									kann nur wünschen, daß diese Betrachtungen bei der wohl bevorstehenden
                              									Wiederaufnahme der Frage ihre gebührende Beachtung finden mögen. Kurz danach
                              									erschienen, veranlaßt durch die damaligen Steuerpläne der Regierung, zwei
                              									Abhandlungen über Elektrizitätsteuer und Arbeitgebersteuer. Dem Regierungsjubiläum
                              									des Kaisers war 1913 die Schrift gewidmet „25 Jahre elektrische
                                 										Energieversorgung“, die ein getreues Bild der zunehmenden wirtschaftlichen
                              									Bedeutung der Elektrotechnik gibt. Der Krieg und seine Gefahren war für den
                              									deutschen Mann ein besonderer Ansporn, anregend und belehrend für weitere Kreise zu
                              									wirken. Schon im ersten Jahre besprach er in der Schrift „Die deutsche Industrie
                                 										und der Weltkrieg“ die Anpassung der Erzeugung an die Kriegslage, mit der
                              									Zuversicht des Gelingens schließend. „Eine kriegstechnische Betrachtung“ des
                              									nächsten Jahres untersuchte die wirtschaftlich-technischen Erscheinungsformen des
                              									Weltkrieges, in den folgenden Jahren zeigten drei Schriften über Seerecht, die
                              									Freiheit der Meere und die belgische Frage die Gedanken des Verfassers auf dem
                              									weiteren politischen Gebiete. Ebenfalls durch den Krieg veranlaßt war 1917 eine
                              									Aussprache im Elektrotechnischen Verein über die Zulassung von Technikern zur
                              									höheren Verwaltung, an der er sich in längerer Rede beteiligte. Bei aller Erkenntnis
                              									der Mängel die sich gerade während des Krieges durch die frühere ungenügende
                              									Beachtung der Technik gezeigt hatten, warnte er vor einer äußerlichen Regelung der
                              									wichtigen Frage, wie sie etwa der Ersatz eines Teiles der Juristen durch Techniker
                              									bedeuten würde, und stellte als wünschenswertes Ziel die angemessene Mischung aller
                              									Geistesrichtungen in der höheren Verwaltung hin. – Einen breiten Raum in seinen
                              									Studien in den letzten Jahren nahm wieder das Steuerwesen ein, auch hierfür erhoffte
                              									er während seiner letzten, ihm auferlegten Erholungzeit größere Muße.
                           In seinen Darstellungen mied er alles Schillernde und allen Schein. Er wollte nur das
                              									klar Gedachte klar vortragen, Treffender Ausdruck und glückliche Wendungen
                              									unterstützten sein Bemühen. Seinen gelegentlichen Selbstvorwurf, leicht zu breit zu
                              									werden, werden aufmerksame Leser nicht teilen.
                           Bei dem Blicke über diese zahlreichen und vielseitigen Arbeiten von Wilhelm v.
                              									Siemens muß man sich bewußt bleiben, daß sie doch nur als Nebenarbeiten auftraten,
                              									denn in erster Linie war er das Haupt des großen Unternehmens mit ausländischen
                              									Tochterunternehmungen und Verzweigungen über alle Länder, und der größte Teil seines
                              									Tages gehörte der Prüfung und Entscheidung aller wichtigen Vorkommnisse. Er hielt
                              									sich über das Ganze stets unterrichtet, selten, daß eine erheblichere Einzelheit ihm
                              									noch nicht bekannt war. Wo er die kräftigere Förderung eines Zweiges für nötig
                              									hielt, erschien er häufig, um selbst zu sehen und Anregungen zu geben, die für alle
                              									Empfänglichen fruchtbar waren. In diesem belebenden Einflüsse auf alle Teile
                              									bewirkte die Umwandlung der Firma in eine Aktiengesellschaft und die Verbindung der
                              									Nürnberger Starkstrombetriebe mit den eigenen zu den Siemens-Schuckertwerken keine
                              									Aenderung. Der Eintritt des jüngsten Bruders Karl Friedrich in die Leitung brachte
                              									wohl die dringend erwünschte Entlastung, aber der Umfang des Konzernes wurde auch
                              									immer größer. Bei seinem Eingreifen in diesen oder jenen Zweig verstand Wilhelm v.
                              									Siemens sich schnell ein Bild der Lage zu machen. Gefürchtet waren seine
                              									Fragen. Wie er den Kern einer Sache treffend kennzeichnete, schwache Stellen mit
                              									peinlicher Sicherheit aufdeckte, so enthüllte er mit seinen Fragen für den
                              									Betroffenen selbst unerwartet neue Seiten. Als Grundlage des wirtschaftlichen
                              									Fortschrittes sah er die Forschung an und er bedauerte die niedrige Bewertung
                              									technischen Könnens in Deutschland. Die Technik war für ihn eine wissenschaftliche
                              									Kunst. Deshalb legte er dem Laboratorium große Wichtigkeit bei, das bei allgemein
                              									wirtschaftlichem Ziele nicht durch die Forderung unmittelbaren praktischen Nutzens
                              									jeder Arbeit eingeengt werden solle. Ueber die Notwendigkeit von Forschungsanstalten
                              									für die Technik im allgemeinen hat er sich ausführlich gelegentlich der Gründung der
                              									Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft 1911 geäußert. Schon von seinem Vater war ihm die
                              									Ueberzeugung von der Bedeutung überkommen, die das Aufrechterhalten der
                              									Ueberlieferung für ein technisches Unternehmen hat. Er war deshalb immer wieder um
                              									das Festhalten des Entwicklungsganges innerhalb der Firma bemüht und gab selbst ein
                              									Muster dafür in der Schrift „Werner Siemens und sein Wirkungsfeld“, zu der er
                              									sich nach längerem Widerstreben liebevoll bereit fand, als 1916 der 100. Geburtstag
                              									des Vaters würdig begangen wurde.
                           Eine persönliche Wirksamkeit nach außen entfaltete Wilhelm v. Siemens nur in
                              									fachlichen Vereinigungen. Das Herausstellen seiner Person entsprach nicht seiner
                              									vornehmen und wahrhaft bescheidenen Natur. Gegen jede Art aufdringlicher Reklame
                              									hegte er Widerwillen. In gelegentlichen Ansprachen erfreute er die Hörer immer durch
                              									treffende Hinweise und freundlichen Witz. Doch war er nicht eigentlich ein Redner,
                              									besonders in reiferen Jahren rang er, wie Bismarck unstetig fortschreitend, mit dem
                              									Worte, um seinen vertieften Gedanken immer den sichersten Ausdruck zu geben. Sein
                              									scharfer Verstand und seine Herzensgüte hatten sich zu einer Aeußerungsform
                              									zusammengefunden, die man als wohlwollenden Sarkasmus bezeichnen darf, der auch in
                              									Briefen seines Großvaters und Vaters zu erkennen ist. Während der drängenden
                              									Tagesarbeit konnte er leicht ungeduldig werden, wenn ihm eine Mitteilung nicht klar
                              									und bestimmt genug erschien. Dann bannte aber gewöhnlich wieder sein herzliches,
                              									geistvolles Lächeln jeden Unmut. Wie groß sein stiller Einfluß auf die Schaar der
                              									Mitarbeiter war, hat er selbst wohl nicht gewußt. In großen gewerblichen Betrieben
                              									herrscht nicht immer anmutende Sitte, der Reibungen sind viele. Im Hause Siemens
                              									& Halske war der Korpsgeist der beste Vermittler bei Unstimmigkeiten, und die
                              									Verkörperung des guten Tones im Hause, der auch bei der starken Erweiterung noch
                              									wirksam blieb, war in erster Linie Wilhelm v. Siemens. Er war für jeden zu sprechen,
                              									so weit seine Zeit nur reichte. Für ihn war es gleich, ob ein Direkter vor ihm stand
                              									oder ein Arbeiter, jeder wurde mit der gleichen Herzenshöflichkeit behandelt. So
                              									manchen hat er in höhere Stellung gehoben, dessen Wiege in bescheidenstem Raume
                              									gestanden hatte. Wer sich benachteiligt glaubte, hatte als letzte Zuflucht den Gang
                              										„zum Geheimrat“ im Auge, und möglichst prüfte dieser die zahlreichen,
                              									meist unbegründeten Beschwerden selbst. Hartnäckigen Gesuchstellern gegenüber bewies
                              									er eine unglaubliche Langmut. Ihm von seiner Bürde etwas abzunehmen, war schwer, nur
                              									zögernd entschloß er sich immer, wenigstens die Vorbereitung einer umfangreicheren
                              									Angelegenheit in andere Hand zu legen.
                           Alle, die den klugen und guten Mann verehrten, hätten ihm von Herzen einen
                              									freundlichen Lebensabend gewünscht, den er sich selbst gedacht haben mag, in endlich
                              									erworbener Muße inmitten seiner vielen geliebten Bücher weiterschaffend. Es war ihm
                              									anders beschieden.
                           
                           Sein letztes Lebensjahr war sein schwerstes. Der Zusammenbruch des Vaterlandes
                              									traf ihn hart, tief schmerzte ihn die seelische Erkrankung des Volkes. Als dann
                              									noch, kaum drei Monate vor ihm, nach furchtbaren Leiden die Lebensgefährtin
                              									starb, die ihm 37 Jahre lang zur Seite gestanden hatte, war sein Widerstand
                              									gebrochen.
                           Die größte Aufgabe hatte er sich selbst gestellt und er hat sie in Kraft und Treue
                              									gelöst.
                           August Rotth.