| Titel: | Die Leistungen der deutschen Gastechnik im Kriege. | 
| Autor: | A. Sander | 
| Fundstelle: | Band 334, Jahrgang 1919, S. 293 | 
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                        Die Leistungen der deutschen Gastechnik im
                           								Kriege.
                        Von Dr.-Ing. A. Sander,
                           								Darmstadt.
                        [Die Leistungen der deutschen Gastechnik im Kriege.]
                        
                     
                        
                           Die deutsche Technik hatte wie bekannt während des Krieges ungemein schwierige
                              									und große Aufgaben zu lösen; trotz Rohstoffmangels und zahlreicher anderer
                              									Schwierigkeiten hat sie eine geradezu erstaunliche Leistungsfähigkeit bewiesen, die
                              									auch unsere Feinde mehr als einmal mit Bewunderung anerkennen mußten. Schon die
                              									Befriedigung des unmittelbarsten Heeresbedarfs, vor allem die Beschaffung der
                              									riesigen, von Monat zu Monat und von Woche zu Woche wachsenden Munitionsmengen war
                              									mit den größten Schwierigkeiten verknüpft, die nur durch das innige Zusammenarbeiten
                              									von Wissenschaft und Industrie behoben werden konnten. Wie auf dem Gebiete der
                              									Munitionserzeugung, so hat auch auf zahlreichen anderen Gebieten der
                              									Kriegswirtschaft die Gastechnik eine über Erwarten große
                              									Bedeutung erlangt und sich als ein höchst wertvolles Hilfsmittel im Dienste der
                              									Landesverteidigung erwiesen.
                           Vor allem ist hier die Verwertung des Luftstickstoffs zur
                              									Gewinnung der Salpetersäure und ihrer Salze zu nennen, die die Grundlage sämtlicher
                              									neuzeitlichen Sprengstoffe bilden. Die Verfahren der Stickstoffbindung waren zwar
                              									schon vor dem Kriege zu hoher Vollkommenheit entwickelt, sie wurden aber von unserer
                              									Industrie nur in recht bescheidenem Umfang angewandt. Als uns jedoch im Jahre 1914
                              									plötzlich die Zufuhr von Chilesalpeter abgeschnitten wurde, da galt es, in kürzester
                              									Frist einen vollwertigen Ersatz für dieses Salz zu schaffen, von dem wir bis dahin
                              									jährlich rund 800000 t eingeführt hatten.Vgl.
                                    											hierzu: Sander, Salpeternot?, D. p. J. Bd. 330,
                                    											S. 5. Dies führte zu jenem unerhörten Ausbau der
                              									Luftstickstoffindustrie, der mit finanzieller Unterstützung des Reiches ins Werk
                              									gesetzt wurde. Es entstanden die beiden Reichsstickstoffwerke, die gewaltige Mengen
                              									von Kalkstickstoff lieferten, sowie die riesigen Ammoniakfabriken der Badischen Anilin- und Sodafabrik, die nach dem Verfahren
                              									von Haber aus dem Stickstoff der Luft und aus
                              									Wasserstoff synthetisches Ammoniak erzeugten. Diese Neuanlagen zusammen mit den
                              									Kokereien und Gaswerken vermögen heute viermal soviel gebundenen Stickstoff zu
                              									liefern, als wir vor dem Kriege in Deutschland erzeugt haben; hierdurch haben wir es
                              									erreicht, daß wir künftig überhaupt keinen Salpeter aus Chile mehr zu beziehen
                              									brauchen.
                           Zur Lösung des Munitionsproblems war es aber noch notwendig, das aus dem
                              									Kalkstickstoff oder durch direkte Synthese gewonnene Ammoniak in Salpetersäure zu
                              									überführen. Dies gelingt, wenn man Ammoniakgas zusammen mit Luft über einen
                              									erhitzten Katalysator leitet. Diese Oxydation des Ammoniaks war früher nur mit Hilfe
                              									von Platin möglich, wir haben während des Krieges aber gelernt, zu dem gleichen
                              									Zweck auch das Eisen zu verwenden. Auch dieses bedeutet einen großen Erfolg, da wie
                              									bekannt, unsere Platinvorräte ebenfalls beschränkt waren und dieses Edelmetall auch
                              									noch für viele andere Zwecke benötigt wurde.
                           Ebenso wie der Luftstickstoff hatte auch der Sauerstoff
                              									der Luft während des Krieges eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Die Verwendung
                              									sämtlicher verfügbaren Sprengstoffe für Kriegszwecke führte dazu, daß im Bergbau das
                              									Sprengen mit flüssigem Sauerstoff eine ausgedehnte Anwendung fand. Diese neue
                              									Methode hat sich sowohl im Kohlen- und Kalibergbau als auch im Steinbruchbetriebe
                              									gut bewährt, und es wurden gegen 200 Anlagen zur Herstellung von flüssiger Luft für
                              									diese Zwecke in den letzten Jahren errichtet. Auch an der Front hat man beim Bau von
                              									Stollen und Unterständen von diesem neuen Spreng verfahren weitgehenden Gebrauch
                              									gemacht, das sich namentlich durch seine völlige Gefahrlosigkeit vor allen
                              
                              										älteren: Sprengverfahren auszeichnet. Es ist
                              									daher schon aus diesem Grunde zu wünschen, daß das Luftsprengverfahren auch künftig
                              									im Bergbau in Anwendung bleibt, obwohl die früher benutzten Sprengstoffe jetzt
                              									wieder erhältlich sind. Auch unseren Fliegern hat der flüssige Sauerstoff
                              									wertvolle Dienste geleistet, sie benutzten ihn zur Atmung bei Höhenflügen und es
                              									wurden für diesen Zweck sinnreiche Apparate konstruiert.
                           Riesige Mengen gasförmigen Sauerstoffs wurden ferner für die autogene
                              									Metallbearbeitung verbraucht, die in den Rüstungsbetrieben und militärischen
                              									Reparaturwerkstätten im Felde eine äußerst vielseitige Anwendung fand. Auch in der
                              									chemischen Industrie bedient man sich mehr und mehr des reinen Sauerstoffs, so bei
                              									der Herstellung des künstlichen Kautschuks und zu anderen Oxydationsprozessen.
                              									Desgleichen hat auch die Kohlensäure während des Krieges
                              									in der chemischen Industrie zahlreiche neue Anwendungen gefunden.
                           Der Verbrauch von Wasserstoff hat während des Krieges
                              									ebenfalls eine geradezu riesenhafte Ausdehnung angenommen, und zwar einmal für die
                              									schon erwähnte synthetische Gewinnung von Ammoniak, in zweiter Linie zur Füllung der
                              									Luftschiffe und Fesselballone im Felde. Für diese Zwecke wurden zahlreiche große
                              									Wasserstoffanlagen teils von der Industrie, teils von der Heeresverwaltung erbaut.
                              									Ein Teil der letzteren befand sich auch in den besetzten Gebieten im Osten und
                              									Westen, uni den Nachschub des Gases an die Front in möglichst kürzer Zeit
                              									bewerkstelligen zu können. In weit größerem Umfang als früher wurde der Wasserstoff
                              									auch zur autogenen Schweißung herangezogen, da Azetylen bzw. Karbid für diesen Zweck
                              									nicht in hinreichender Menge zur Verfügung stand. Auch in der chemischen und in der
                              									Fettindustrie bedient man sich heute des Wasserstoffs für die verschiedensten
                              									Zwecke.
                           Das Azetylen, das ursprünglich nur als Leucht- und
                              									Brenngas (für die autogene Schweißung) Anwendung fand, gewinnt mehr und mehr auch
                              									als Rohstoff für die chemische Industrie Bedeutung. Schon seit mehreren Jahren
                              									stellt man aus dem Azetylen Tetrachloräthan, Trichloräthylen und andere
                              									Chlorverbindungen her, die als Lösungsmittel wegen ihrer Unentzündbarkeit vielfach
                              									an Stelle von Benzin und Benzol Verwendung finden. Während des Krieges wurde ferner
                              									die Verarbeitung des Azetylens auf Essigsäure, Azetaldehyd und Azeton in großem
                              									Umfang aufgenommen, da diese Stoffe für die Herstellung von Munition und andere
                              									kriegswichtige Zwecke sehr gesucht waren. Auch die Gewinnung von Alkohol. (Spiritus)
                              									aus Azetylen bereitet heute keine Schwierigkeiten mehr, doch arbeitet nach diesem
                              									neuen Verfahren erst eine einzige Fabrik in der Schweiz. Dort hat man, veranlaßt
                              									durch den Benzinmangel, auch mit Erfolg versucht, das Azetylen zum Betrieb von
                              									Kraftwagen zu verwenden und es sind in der Schweiz bereits zahlreiche
                              									Azetylen-Automobile in Betrieb. Es sei schließlich noch erwähnt, daß das Azetylen
                              									auch im Felde eine vielseitige Verwendung fand, und zwar zur Beleuchtung von
                              									Unterständen, Lazaretten, Baustrecken, Kraftwagen, sowie für Lichtsignale und
                              									Scheinwerfer.
                           Auch das Steinkohlengas spielte im Rahmen der
                              									Kriegswirtschaft eine wichtige Rolle. Durch die Unterbindung der Petroleumeinfuhr
                              									wurden ihm tausende neuer Abnehmer zugeführt und auch die deutschen Eisenbahnen
                              									gingen zur Beleuchtung der Lokomotiven und Personenwagen mit komprimiertem
                              									Steinkohlengas über, als die Rohstoffe zur Bereitung des bisher benutzten Oelgases
                              									ausgingen. Die Kriegsindustrie machte ebenfalls von dem Steinkohlengas zur
                              									Beheizung von Schmelz- und Glühöfen einen weitgehenden Gebrauch, so daß der im
                              									Verlauf des Krieges eingetretene Kohlenmangel und die zeitweise Sperrung der
                              									Gaszufuhr sich hier besonders störend bemerkbar machten. Die Einschränkung des
                              									Gaswerkbetriebes hatte auch eine Mindererzeugung der für die Kriegführung höchst
                              									wichtigen Nebenerzeugnisse, wie Ammoniak, Teer, Märineheizöl, Phenole und Schwefel,
                              									zur Folge. Nicht unerwähnt möge bleiben, daß in den meisten großen Gaswerken während
                              									des Krieges auch die Auswaschung des Benzols mit Teeröl
                              									nach dem Vorbild der Kokereien zur Einführung gelangte, wodurch die Gaswerke auch an
                              									der Bereitstellung der Rohstoffe für die Munitionserzeugung nicht unerheblich
                              									beigeträgen haben, denn auf jede Tonne entgaster Kohle werden hierbei rund 10 kg
                              									Leichtöle erhalten, die neben Benzol in der Hauptsache Toluol enthalten.
                           Das Chlor, das heute fast ausschließlich bei der
                              									Elektrolyse der Alkalichloride als Nebenprodukt entsteht, wurde ebenfalls in
                              									riesigen Mengen verbraucht, so daß die Erzeugung vielfach nicht ausreichte und die
                              									betreffenden Anlagen erweitert werden mußten. In Frankreich das vor dem Kriege fast
                              									seinen ganzen Bedarf an Chlor und Chlorprodukten aus Deutschland bezog, wurden im
                              									Verlauf des Krieges große elektrochemische Anfegen eigens zur Chlorgewinnung
                              									errichtet. Das Chlor diente zur Herstellung von Chloratsprengstoffen, von Chlorkalk
                              									und anderen Hypochloriten zu Desinfektionszwecken sowie in riesigen Mengen zur
                              									Herstellung der Gaskampfstoffe. Zum Schutze gegen die giftige und betäubende Wirkung
                              									dieser Gase mußten hochwirksame Gasmasken geschaffen werden, wobei die
                              									Schutzvorrichtungen und Atmungsapparate, wie sie bei der Feuerwehr und im Bergbau
                              									benutzt werden, als Grundlage dienten. Diese Geräte haben während des Krieges eine
                              									bemerkenswerte Vervollkommnung erhalten und werden künftig auch im Fabrikbetriebe in
                              									vielen Fällen gute Dienste leisten. Von sonstigen Gasen, die im Kriege technisch
                              									verwendet wurden, seien noch der Zyanwasserstoff
                              									(Blausäure) genannt, der zur Vertilgung von Schädlingen aller Art mit Erfolg benutzt
                              									wurde, sowie das Schwefeldioxyd, das sich bei der
                              									Behandlung räudekranker Pferde gut bewährt hat.
                           Eine wichtige Aufgabe fiel im Kriege ferner der Kältetechnik zu, die vorwiegend flüssiges Ammoniak und flüssige
                              									Kohlensäure als Kältemittel verwendet. Zur Herstellung von Gefrierfleisch war die
                              									Errichtung zahlreicher Gefrieranlagen erforderlich, vielfach wurden auch die in den
                              									größeren Städten bereits vorhandenen Kühlanlagen erweitert bzw. in Gefrieranlagen
                              									umgebaut. Weiter wurden für den Gebrauch im Felde auch fahrbare Eiserzeugungsanlagen
                              									in größerer Zahl geliefert, die sich ebenfalls recht gut gewährt haben. Diese
                              									Maschinen wurden zumeist durch Benzolmotoren angetrieben.
                           Wenn wir schließlich noch daran erinnern, daß auch die Preßluft eine außerordentlich vielseitige Verwendung fand, und zwar nicht
                              									nur in den Fabriken der Heimat, sondern auch im Felde bei Bahnbauten, in
                              									Reparaturwerkstätten und namentlich auf Untersee- und Torpedobooten, so dürfen wir
                              									sagen, daß sich die Gastechnik auf den verschiedensten Gebieten als ein geradezu
                              									unentbehrliches Hilfsmittel der Kriegführung wie der heimischen Industrie erwiesen
                              									hat.