| Titel: | Rechtswesen. | 
| Autor: | Werneburg | 
| Fundstelle: | Band 337, Jahrgang 1922, S. 76 | 
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                        Rechtswesen.
                        Rechtswesen.
                        
                     
                        
                           Zur Haftung der Eisenbahn für Verlust und Beschädigung des
                                 										Frachtgutes. Die Haftung der Eisenbahn für Verlust und Beschädigung des
                              									Frachtgutes ist in den §§ 456 des Handelsgesetzbuches und § 84 der
                              									Eisenbahnverkehrsordnung, die für die Ueberschreitung der Lieferfrist in den §§ 466
                              									H. G. B. und 94 E. V. O. normiert.
                           Nach § 456 H. G. B. haftet die Eisenbahn für den Schaden, der durch Verlust oder
                              									Beschädigung des Gutes in der Zeit von der Annahme zur Beförderung bis zur
                              									Ablieferung entsteht. Insoweit haftet also die Eisenbahn in gleicher Weise wie jeder
                              									Landfrachtführer gemäß § 429 H. G. B.; der Unterschied besteht lediglich in den
                              									Befreiungsgründen von dieser Haftung. Während nämlich der gewöhnliche Frachtführer
                              									sich gemäß § 429 H. G. B. schon dann von seiner Haftung zu befreien vermag, wenn er
                              									den Beweis erbringt, daß der Verlust, die Beschädigung oder die Verspätung auf
                              									Umständen beruht, die durch die Sorgfalt eines ordentlichen Frachtführers nicht
                              									abgewendet werden konnten, haftet die Eisenbahn nur dann nicht, wenn sie den
                              									Nachweis erbringt, daß einer der in § 456 H. G. B. aufgezählten Tatbestände
                              									vorliegt, nämlich Verschulden des Verfügungsberechtigten, höhere Gewalt,
                              									äußerlich nicht erkennbare Mängel der Verpackung oder natürliche Beschaffenheit des
                              									Gutes. In gleicher Weise wie der gewöhnliche Frachtführer haftet hingegen wiederum
                              									die Eisenbahn für den Verlust oder die Beschädigung von Kostbarkeiten,
                              									Kunstgegenständen, Geld und Wertpapieren nur, wenn ihr diese Beschaffenheit oder der
                              									Wert des Gutes bei der Uebergabe zur Beförderung angegeben worden ist; denn der §
                              									456 Absatz 2 H. G. B. erklärt diese Bestimmung des § 429 Abs. 2 H. G. B.
                              									ausdrücklich für anwendbar.
                           Die Eisenbahn haftet also zunächst für den Verlust des Frachtgutes; ein solcher
                              									Verlust liegt vor, wenn die Eisenbahn nicht mehr in der Lage ist, das Gut dem
                              									Empfangsberechtigten auszuhändigen, sei es, weil es in der Zeit von der Annahme bis
                              									zur Ablieferung gestohlen oder veruntreut wurde, sei es, weil es untergegangen,
                              									vernichtet oder verloren ist, der auch staatlich konfisziert wurde. Verlust liegt
                              									auch dann vor, wenn die Eisenbahn das Frachtgut aus irgendwelchen Gründen hatte
                              									versteigern oder verkaufen lassen oder instruktionswidrig an den Empfänger
                              									ausgeliefert hat. Der Verlust hört – falls nicht das Gut vernichtet ist – dann
                              										auf,wenn die
                              									Eisenbahn die Verfügung über das Frachtgut zurückerlangt, ehe die Gegenpartei die
                              									Herausgabe bzw. die Annahme desselben endgültig abgelehnt hat.
                           Eine Beschädigung des Frachtgutes, wofür die Eisenbahn in zweiter Linie haftet, liegt
                              									dann vor, wenn das Gut in seiner Substanz eine Wertverminderung erlitten hat, mag
                              									diese Verschlechterung eine innere oder äußerliche sein. Eine solche Beschädigung
                              									liegt vor, wenn die Güter naß und hierdurch – wenn auch nur vorübergehend – für den
                              									Empfänger unbrauchbar werden, wenn stark riechende Güter mit geruchempfindlichen
                              									zusammengeladen werden (R. G. Bd. 60 S. 45) oder bei Sammelladungen, wenn auch nur
                              									einzelne Frachtgüter beschädigt werden (R. G. Bd. 15 S. 134). Da eine Verletzung der
                              									körperlichen Beschaffenheit Beschädigung im Sinne dieser Vorschrift ist, so fällt
                              									das Sinken des Verkaufswertes der Güter nicht unter den Begriff der Beschädigung.
                              									Für diesen Schaden würde vielmehr die Eisenbahn gemäß § 466 H. G. B. lediglich bei
                              									Versäumung der Lieferfrist haften.
                           Der § 84 E. V. O. bestimmt außerdem noch, daß die Eisenbahn für die Minderung des
                              									Gutes haftpflichtig ist, was in § 456 H. G. B. nicht erwähnt wird. Diese Bestimmung
                              									der E. V. O. würde, falls sie eine Erweiterung der Haftpflicht der Eisenbahn gemäß §
                              									456 H. G. B. bedeuten sollte, gemäß § 471 H. G. B. rechtswirksam sein. Jedoch
                              									erscheint es als zweifelhaft, ob sachlich in dem Worte „Minderung“
                              									tatsächlich eine Erweiterung der Haftpflicht der Eisenbahn liegt. Minderung des
                              									Frachtgutes im Sinne des § 84 E. V. O. bedeutet nämlich nur einen partiellen Verlust
                              									oder eine partielle Beschädigung, für die auch gemäß § 456 H. G. B. eine Haftpflicht
                              									der Eisenbahn besteht; denn der Verlust oder die Beschädigung im Sinne des § 456 H.
                              									G. B. kann auch nur partieller Natur sein.
                           Für den Verlust des Gutes stellt der § 90 E. V. O. noch eine spezielle Vermutung auf.
                              									Nach dieser Bestimmung kann nämlich der zum Empfang Berechtigte das Gut ohne
                              									weiteren Nachweis als verloren betrachten, wenn es nicht spätestens am dreißigsten
                              									Tage nach Ablauf der Lieferfrist abgeliefert werden kann. Da diese Bestimmung eine
                              									Erweiterung der Haftpflicht der Eisenbahn gegenüber dem H. G. B. darstellt, so ist
                              									sie gültig und rechtswirksam. Beruft sich der zum Empfang Berechtigte auf den Ablauf
                              									dieser dreißigtägigen Frist, so kann zwar die Eisenbahn den Nachweis erbringen, daß
                              									sich das Gut inzwischen gefunden habe oder daß sie in der Lage sei, das Gut
                              									herbeizuschaffen, jedoch ist der zum Empfang Berechtigte nicht verpflichtet, das Gut
                              
                              									noch anzunehmen; er kann Ersatz für den Verlust verlangen, ohne daß ihm ein weiterer
                              									Beweis hierfür obliegt. Ein Recht auf Auslieferung auch nach Ablauf der
                              									dreißigtägigen Frist hat der Empfangsberechtigte gemäß § 91 E. V. O. auf alle
                              									Fälle.
                           Der eingetretene Schaden, Verlust, die Minderung oder Beschädigung des Gutes muß in
                              									der Zeit von der Annahme zur Beförderung bis zur Ablieferung entstanden sein.
                              									Annahme bedeutet hier Annahme zur Beförderung; demnach muß also die Eisenbahn das
                              									Frachtgut in ihrer Eigenschaft als Frachtführer übernommen haben. Hatte sie also das
                              									Gut zunächst zur Lagerung als Lagerhalter übernommen, so haftet sie nicht gemäß §
                              									456 H. G. B., da noch keine Annahme zur Beförderung vorliegt; ihre Haftung für
                              									Verlust oder Beschädigung bestimmt sich in diesem Falle nach den Vorschriften der §§
                              									416 H. G. B., 683 ff. und 276 B. G. B., sodaß also die Eisenbahn für Vorsatz und
                              
                              									jede Fahrlässigkeit inbezug auf die Beschädigung oder den Verlust des Gutes haftet.
                              									In diesem Falle vorheriger Lagerung des Frachtgutes beginnt also die Haftung
                              									gemäß § 429 H. G. B. von dem Zeitpunkte an, zu welchem sie das Gut in ihrer
                              									Eigenschaft als Frachtführer, d.h. zur Beförderung, übernimmt. Ist dies der Fall, so
                              									ist auch unwesentlich, wenn die eigentliche Beförderung des Frachtgutes beginnt, die
                              									Eisenbahn haftet also auch für den Verlust und die Beschädigung des Gutes vor Beginn
                              									des eigentlichen Transportes, ferner aber auch naturgemäß bei etwaigen
                              									Unterbrechungen des Transportes (R. O. H. G. Bd. 12 S. 282). Die Haftung der
                              									Eisenbahn besteht bis zur Ablieferung des Frachtgutes an die empfangsberechtigte
                              									Person. Unter Ablieferung wird in der Rechtsprechung derjenige Akt verstanden, durch
                              									welchen der Frachtführer den zum Zwecke der Beförderung erhaltenen
                              									unmittelbaren`Besitz des Frachtgutes nach Beendigung des Transportes mit
                              									ausdrücklicher oder stillschweigender Genehmigung des Empfängers aufgibt. Als
                              									Ablieferung dürfte somit der zweiseitige Akt zwischen Eisenbahn und Empfänger
                              									anzusehen sein, durch welchen diese das Gut unter Besitzaufgabe und unter
                              									ausdrücklicher oder stillschweigender Genehmigung des Empfängers der
                              									empfangsberechtigten Person übergibt. (R. G. Bd. 52 S. 399). Die Aufgabe des
                              									unmittelbaren Besitzes an dem Frachtgut ist somit immer notwendige Voraussetzung
                              									einer erfolgten Ablieferung im Sinne des § 429 H. G. B. Demnach genügt die bloße
                              									Benachrichtigung des Empfängers von der Ankunft des Frachtgutes oder die
                              									Aufforderung seitens der Eisenbahn, das Frachtgut abzuholen oder auch die bloße
                              									Ablieferung des Frachtbriefes nicht. War jedoch die Eisenbahn nicht verpflichtet,
                              									die Abrollung des Frachtgutes in die Wohnung oder die Geschäftsräume des Empfängers
                              									selbst vorzunehmen, so liegt eine Ablieferung in der Uebergabe des Gutes an einen
                              									von ihr selbst gewählten Rollfuhrherrn; denn hier kann die Eisenbahn die
                              									stillschweigende Genehmigung des Empfängers hierzu annehmen. Eine Ablieferung
                              									seitens der Eisenbahn liegt auch dann vor, wenn sie das Frachtgut nach Ankunft an
                              									seinem Bestimmungsorte der Zoll- oder Steuerbehörde ausgehändigt hatte. Eine
                              									Ablieferung liegt ferner auch dann vor, wenn der Empfänger – sobald er über das Gut
                              									verfügungsberechtigt ist, d.h. nach Ankunft an seinem Bestimmungsorte gemäß § 435 H.
                              									G. B. – mit der Eisenbahn die Vereinbarung trifft, daß sie das Gut für ihn in
                              									Verwahrung nehmen solle. In diesem Falle bemißt sich die Haftung der Eisenbahn von
                              									nun an nicht mehr nach dem § 456 H. G. B. (§ 84 E. V. O.), sondern nach den
                              									Bestimmungen des B. G. B. über den Verwahrungsvertrag. Da die Eisenbahn für die
                              									weitere Verwahrung des Frachtgutes regelmäßig Vergütung beanspruchen wird, so haftet
                              									sie gemäß § 276 B. G. B. für Vorsatz und jede Fahrlässigkeit hinsichtlich der
                              									Aufbewahrung des Frachtgutes; bei unentgeltlicher Verwahrung haftet die Eisenbahn
                              									gemäß § 690 H. G. B. nur wie für Sorgfalt ihrer eigenen Angelegenheiten. Für das
                              									Verschulden ihrer Erfüllungsgehülfen hat sie gemäß § 278 B. G. B. einzustehen.
                              									Handelt es sich dagegen um bahnlagernde Frachtgüter, so bildet die Einlagerung der
                              									Güter seitens der Eisenbahn des Bestimmungsortes keine Ablieferung im Sinne des §
                              									429 H. G. B., da die Einlagerung auf Grund der diesbezüglichen Bestimmung des
                              									Frachtvertrages erfolgte, also ein neuer selbständiger Verwahrungsvertrag hier nicht
                              									in Frage kommt. Befindet sich der Empfänger im Annahmeverzug – hatte er also das
                              									Frachtgut trotz gehörigen Angebotes im Sinne des § 295 B. G. B. nicht angenommen –,
                              									so liegt zwar keine eigentliche Ablieferung im Sinne des § 429 H. G. B. vor, da ja
                              									die Eisenbahn noch den unmittelbaren Besitz an dem Frachtgut hat. Gleichwohl
                              									ist anzunehmen, daß ihre strenge Haftung nach § 429 H. G. B. von diesem Zeitpunkte
                              									ab nunmehr erlischt und sie gemäß § 300 H. G. B. fortan nur noch für Vorsatz oder
                              									grobe Fahrlässigkeit haftet. Selbstverständlich kann die Eisenbahn die
                              									Annahmeverweigerung des Empfängers als Ablieferungshindernis behandeln und das Gut
                              									hinterlegen bzw. bei drohendem Verderb verkaufen lassen, § 437 H. G. B., hat jedoch
                              									hiervon den Absender und den Empfänger unverzüglich zu benachrichtigen,
                              									widrigenfalls sie sich schadensersatzpflichtig macht (falls nicht etwa die Anzeige
                              									aus irgendwelchen Gründen untunlich war), § 437 Abs. 2 H. G. B.
                           Die Ablieferung muß an die zum Empfang berechtigte Person erfolgen, wie sich das
                              									aus dem Frachtvertrage und Frachtbrief ergibt, also auch selbstverständlich an eine
                              									von dem Empfänger bevollmächtigte Person (Spediteur u. dergl.). Dagegen liegt eine
                              									ordnungsmäßige Ablieferung im Sinne des § 429 H. G. B. dann nicht vor, wenn die
                              									Empfangsperson, der die Eisenbahn das Frachtgut ausgeliefert hatte, tatsächlich
                              									nicht von dem Empfänger bevollmächtigt war, und zwar selbst dann nicht, wenn die
                              									Eisenbahn in gutem Glauben war, d.h. also den Dritten für empfangsbevollmächtigt
                              									hielt.
                           Rechtsanwalt Dr. Werneburg
                              									Berlin-Schöneberg.