| Titel: | Rechtswesen. | 
| Autor: | Werneburg | 
| Fundstelle: | Band 337, Jahrgang 1922, S. 101 | 
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                        Rechtswesen.
                        Rechtswesen.
                        
                     
                        
                           Schäden durch Wasseranlagen und Ersatzpflicht. Für
                              									die Schadensersatzpflicht von Grundstückseigentümern bzw. Grundstücksbesitzern, die
                              									auf ihren Grundstücken Bauanlagen – insbesondere Wasseranlagen, wie Staudämme,
                              									Schleusen, Deichanlagen oder ähnliche Anlagen – errichten oder unterhalten gegenüber
                              									den Besitzern von Nachbargrundstücken, deren Grundstücke bzw. hierauf befindlichen
                              									Gebäude durch den Einsturz derartiger Anlagen Beschädigungen erleiden, kommt die
                              									Bestimmung des § 836 des Bürgerlichen Gesetzbuches in Betracht und unter Umständen
                              									zur Anwendung. Nach dieser Gesetzesvorschrift ist nämlich, wenn durch den Einsturz
                              									eines Gebäudes oder eines anderen mit einem Grundstück verbundenen Werkes oder durch
                              									Ablösung von Teilen des Gebäudes oder des Werkes eine Sache beschädigt wird, der
                              									Besitzer des Grundstücks, sofern der Einsturz oder die Ablösung die Folge
                              									fehlerhafter Errichtung oder mangelhafter Unterhaltung ist, verpflichtet, den
                              									Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.
                           Aus dieser Bestimmung ergibt sich also, daß Voraussetzung für die
                              									Schadensersatzpflicht des bezeichneten Grundstückseigentümers – Besitzers der
                              									betreffenden baulichen Anlage – ist, daß der Einsturz seiner baulichen Anlage
                              									(Wasseranlage) oder die Ablösung von Teilen derselben die Folge entweder einer
                              									fehlerhaften Errichtung oder mangelhaften Unterhaltung dieser Anlage ist und daß
                              									durch den Absturz oder die Ablösung von Teilen dieser Anlage der Besitzer eines
                              									anderen Grundstücks – regelmäßig eines benachbarten Grundstücks – hierdurch (z.B.
                              									durch das freigewordene Grundwasser usw.) einen Schaden in seinem Grundbesitz
                              									erlitten hat.
                           Nach weiterer Regelung dieses § 836 B. G. B. tritt jedoch diese Schadensersatzpflicht
                              									des Besitzers der betreffenden Bauanlage nicht ein, wenn der Besitzer dieses
                              									Grundstücks (und der Anlage) zum Zwecke der Abwendung der Gefahr die im Verkehr
                              									erforderliche Sorgfalt beobachtet hat. Das bedeutet mit anderen Worten, daß der
                              									Besitzer des Grundstücks (und gleichzeitige Besitzer der schadenverursachenden
                              									Bauanlage) der Schadensersatzklage des Geschädigten aus § 836 B. G. B. gegenüber den
                              									Einwand erheben kann, daß er zum Zwecke der Abwendung der durch die Anlage an sich
                              									drohenden Gefahr die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet habe; diesen
                              									Einwand hat der beklagte Grundstücksbesitzer zu beweisen, insbesondere also durch
                              									das Gutachten von Bausachverständigen in der Richtung, daß die Bauanlagen
                              									bautechnisch in jeder Beziehung vollkommen und sachgemäß ausgeführt worden sind und
                              									daß auch die Unterhaltung der Bauanlagen in der zweckentsprechenden Weise
                              									vorgenommen worden war.
                           Bei dem der Entscheidung des Reichsgerichtes vom 3. 11. 1919 zu Grunde liegenden
                              									Sachverhalt waren die beiden Beklagten Anlieger des Strießbaches in der Weise,
                              									daß ihre Grundstücke auf beiden Seiten des Baches einander gegenüber lagen und der
                              									Bach die Grenze zwischen ihnen bildete. Dort, wo der Bach zwischen den Grundstücken
                              									der Beklagten fließt, war er zu acht hintereinander liegenden Fischteichen
                              									erweitert, und zwar durch Aufwerfen von Dämmen, welche das Wasser abstauten. Im
                              									September 1915 hatte das Hochwasser des Strießbaches die sieben unteren Dämme
                              									durchbrochen und sich auf das unterhalb am Strießbache belegene Grundstück des
                              									Klägers, des Mühlenbesitzers K. in B. ergossen, welches hierdurch Schaden erlitten
                              									hatte. Der Kläger verlangte den Ersatz des Schadens von den Beklagten als
                              									Gesamtschuldner, in Höhe von über 9000 Mark. Im Gegensatz zu dem Landgericht
                              									erklärte das Oberlandesgericht den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt,
                              									welch letztere Entscheidung von dem Reichsgericht bestätigt wurde. Zur Begründung
                              									dieser Entscheidung wurde von dem Reichsgericht hier folgendes ausgeführt: Der
                              									Berufungsrichter hat den mit der Klage geltend gemachten Schadensersatzanspruch
                              									gegenüber beiden Beklagten dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, und zwar auf
                              									Grund des § 836 B. G. B., indem er davon ausgegangen ist, daß die durch das
                              									Hochwasser durchbrochenen Dämme der Fischteiche mit den Grundstücken der Beklagten
                              									verbundene Werke sind, und daß durch ihren Einsturz der Schaden an dem Grundstück
                              									des Klägers entstanden ist. Als haftbar für den Schaden erachtet er die beiden
                              									Beklagten als Eigentümer der errichteten Dämme. Den nach § 836 B. G. B. dem
                              									Geschädigten obliegenden Beweis erachtet der Berufungsrichter unter eingehender
                              									Würdigung der erhobenen Sachverständigengutachten für geführt, und zwar sowohl in
                              									der Richtung, daß die Dammbrüche in Mängeln der Errichtung, wie auch in der
                              									Richtung, daß sie in Mängeln der Unterhaltung der Dämme ihren Grund haben. Der eine
                              									Beklagte habe den ihm obliegenden Beweis, daß er die zur Abwendung der Gefahr
                              									erforderliche Sorgfalt beobachtet habe, nicht geführt. Nach dem Gutachten eines
                              									Sachverständigen sei die Beschaffenheit der Dämme eine derartige gewesen, daß schon
                              									bei einem nicht allzu starken Wasseraufstau ein Dammbruch vorauszusehen gewesen sei.
                              									Die gegen die Anwendung des § 836 B. G. B. erhobenen Bedenken sind unbegründet. Daß
                              									zu einem bestimmten Zweck (der Aufstauung des Wassers vorliegend) von Menschenhand
                              									durch planmäßige Arbeit hergestellte Dämme ein „Werk“ im Sinne dieser
                              									Gesetzesvorschrift darstellen, kann nicht zweifelhaft sein. Ebensowenig kann es
                              									einem Bedenken unterliegen, daß dieses Werk mit den Grundstücken der Beklagten
                              									verbunden war, da es in dem Bett des Strießbaches, eines Wasserlaufes dritter
                              									Ordnung, errichtet ist, der nach § 8 des preuß. Wassergesetzes im Eigentum der
                              									Anlieger steht und dessen Bett deshalb, soweit er die Grundstücke der Beklagten durchfließt,
                              									einen Teil dieser Grundstücke bildet. Unbedenklich ist auch, daß die Beschädigung
                              									des Grundstücks der Kläger als „durch“ den Einsturz oder die Ablösung
                              									angesehen wird. Dazu ist, wie das Reichsgericht es wiederholt ausgesprochen hat,
                              									nicht erforderlich, daß die abgelösten Massen unmittelbar durch ihren Druck oder
                              									Stoß die Beschädigung herbeiführen; vielmehr genügt es, daß die durch die Ablösung
                              									entstandene Bewegung in adäquater Weise, wenn auch durch Vermittlung dadurch in
                              									Bewegung gesetzter anderer Materien, die Beschädigung verursacht.
                           Dieser von dem Reichsgericht gegebenen Begründung ist beizustimmen.
                           Bezüglich des von dem auf Schadenersatz in Anspruch genommenen Besitzer der Bauanlage
                              									zu führenden Entschuldigungs (Exculpations-)beweises zwecks Abweisung der Klage sind
                              									von der Rechtsprechung noch folgende bemerkenswerte Rechtsgrundsätze aufgestellt
                              									worden: Der gegenwärtige Besitzer der Bauanlage genügt dieser seiner Beweispflicht,
                              									wenn er dartut, daß er während seiner Besitzzeit die zur Verhütung von Gefahren der
                              									Anlage verkehrsüblichen und erforderlichen Maßnahmen getroffen hat; auf die Sorgfalt
                              									des Vorbesitzers des Grundstücks erstreckt sich seine Beweispflicht nicht. Hat der
                              									Besitzer der Anlage diese selbst errichten lassen, so hat sich der von ihm zu
                              									führende Entschuldigungsbeweis auf die Sorgfalt bei der Errichtung wie bei der
                              									Unterhaltung zu beziehen; hat er die Anlage fertig übernommen, so kommt nur die
                              									Unterhaltung in Frage. Die Sorgfalt bei der Errichtung erschöpft sich bei dem
                              									Besitzer, der nicht selbst Sachverständiger ist, in der Auswahl tüchtiger
                              									Sachverständiger zur Herstellung der in Frage kommenden Anlage oder des Werkes (R.
                              									G. Bd. 76 S. 260); ist der Besitzer selbst Sachverständiger, so kann ihn ein
                              									Verschulden treffen, wenn er auf einen Fehler des Bauplanes oder der Ausführung nach
                              									Lage der Umstände hätte aufmerksam werden müssen.
                           Die ordnungsmäßige Unterhaltung der Bauanlage erfordert die regelmäßige Durchsicht
                              									derselben durch zuverlässige Sachverständige, deren Wiederholung, sich nach der
                              									örtlichen Beschaffenheit und örtlichen Lage der Anlage oder des Werkes richtet.
                              									Die Beaufsichtigung eines an sich fachtüchtigen Sachverständigen mit regelmäßigen
                              									Nachprüfungen genügt nicht, wenn der Besitzer nicht überzeugt ist und sein kann, daß
                              									dieser Auftrag auch gehörig ausgeführt wird (R. G. J. Wochenschr. 1906 S. 336). Der
                              									Besitzer kann sich auch nicht durch Berufung auf Sachverständige oder auf den
                              									Bescheid einer Behörde (Bau- oder Wasserbehörde) entlasten, wenn er den
                              									gefahrdrohenden Zustand selbst kannte (R. G. E. 7. 5. 1916). Nach erlangter Kenntnis
                              									von der Gefahr sind unter Umständen sofortige Schritte zu deren Abwendung geboten.
                              									Ist der Besitzer der Grundstücksanlage eine Körperschaft (z.B. eine Kommune), so ist
                              									es für den nach § 836 B. G. B. zu führenden Entschuldigungsbeweis belanglos, ob der
                              									Beamte, dem das Verschulden bei der mangelhaften Errichtung oder Unterhaltung zur
                              									Last fallen würde, ein Vertreter nach den §§ 30, 31 B. G. B. oder ein Angestellter
                              									im Sinne des § 831 B. G. B. ist; der Inhalt des zu führenden Nachweises zur
                              									Widerlegung der Schuldvermutung des § 836 B. G. B. bleibt in beiden Fällen der
                              									gleiche.
                           Bemerkenswert ist noch, daß der auf Schadensersatz in Anspruch genommene Besitzer der
                              									betreffenden Bauanlage zur Abwehr der gegen ihn erhobenen Schadensersatzklage
                              									drittens noch den Beweis führen kann, daß der eingetretene Schaden mit seinem
                              									schuldhaften Verhalten bezüglich der Errichtung oder Unterhaltung der Bauanlage
                              									überhaupt in keinem ursächlichen Zusammenhange steht, oder mit anderen Worten
                              									ausgedrückt, daß der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein
                              									würde; dieser Beweis wird namentlich bei ungewöhnlichen Elementarereignissen in
                              									Betracht kommen, denen auch die technisch vollkommensten von Menschenhand
                              									hergestellten Anlagen keinen oder doch nur ganz unerheblichen Widerstand entgegen zu
                              									setzen imstande sind. Im übrigen kann auch der Vorbesitzer zur betreffenden
                              									Grundstücksanlage zwecks Abwehr der gegen ihn erhobenen Schadensersatzklage diesen
                              									Entschuldigungsbeweis dahin führen, daß er während seines Besitzes an der Anlage die
                              									im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet habe oder auch, daß ein späterer
                              									Besitzer durch Beobachtung dieser Sorgfalt die Gefahr abwenden
                           konnte.
                           Rechtsanwalt Dr. Werneburg, Berlin-Schöneberg.