| Titel: | Optische Spannungsermittelung. | 
| Autor: | Hermann Pflieger-Haertel | 
| Fundstelle: | Band 339, Jahrgang 1924, S. 2 | 
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                        Optische Spannungsermittelung.
                        Von Dr. Hermann
                                 									Pflieger-Haertel, (Berlin-Wannsee).
                        PFLIEGER-HAERTEL, Optische Spannungsermittelung.
                        
                     
                        
                           Die immer größeren Anforderungen, welche an die Materialien des Maschinenbaues
                              									gestellt werden, und die immer weitergehende Ausnutzung der Festigkeit dieser
                              									Materialien zwingen dazu, der Feststellung der in ihnen auftretenden Spannungen
                              									erhöhte Aufmerksamkeit zuzuwenden. Dabei ist es notwendig, zur Untersuchung Methoden
                              									heranzuziehen, die mit ihren Ursprüngen in abseits liegenderen Teilen der Physik
                              									begründet sind. Eine solche Methode, die in neuerer Zeit durchgebildet worden ist
                              									und die berufen scheint, uns wesentliche Einblicke in die tatsächlichen
                              									Spannungsverhältnisse beanspruchter Körper zu geben, ist die Ermittlung der Spannungen auf optischem Wege. Die Methode, die im
                              									folgenden auseinandergesetzt werden soll, ist nur auf die Bestimmung ebener
                              									Spannungszustände anwendbar. Das ist zwar eine gewisse Einschränkung. Denn alle
                              									Körper sind dreidimensional, und dementsprechend sind auch die in der Technik
                              									auftretenden Spannungszustände im allgemeinen nicht eben. Aber bis auf wenige
                              									Ausnahmen ist die Berechnung räumlicher Spannungszustände äußerst schwierig, so daß
                              									auch der rechnende Techniker sich darauf beschränken muß, ebene Spannungszustände
                              									seinen Rechnungen zugrunde zu legen. In der Tat ist eine Anzahl gerade technisch
                              									wichtiger Spannungszustände eben oder genügend genau durch ebene zu ersetzen.
                              									Außerdem geben die Erkenntnisse über ebene Spannungszustände die Möglichkeit, auf
                              									die allgemeine Spannungsverteilung in komplizierteren Fällen Schlüsse zu ziehen. Bei
                              									der vorliegenden Methode werden nicht die Körper, deren Beanspruchung man kennen
                              									lernen will, selbst untersucht, sondern es werden durchsichtige Modelle dieser
                              									Körper verwandt. Diese Modelle werden der Beanspruchung ausgesetzt und dann mittels
                              									polarisiertem Lichte betrachtet.
                           Es soll hier nicht näher auf die optischen Grundlagen der Methode eingegangen werden.
                              									Nur kurz sei erwähnt, daß polarisiertes Licht solches ist, bei dem die
                              									Aetherschwingungen – wir stellen uns hier auf den Boden der anschaulichen
                              									mechanischen Wellentheorie des Lichtes – nicht in allen Richtungen senkrecht zur
                              									Fortpflanzungsrichtung des Lichtstrahles erfolgen, sondern nur in einer Richtung.
                              									Dies erreicht man durch geeignete Reflexion oder am besten durch Anwendung
                              									sogenannter Nicolprismen, das sind in besonderer Weise geschnittene
                              									Kalkspatkrystalle. Man braucht stets zwei solcher Prismen, das eine zur
                              									Herstellung des polarisierten Lichtes, als Polarisator, das andere zur Betrachtung
                              									der Erscheinungen, als Analysator.
                           Die weitere physikalische Tatsache, die die Grundlage der Methode bildet, ist die,
                              									daß beanspruchte Körper doppelbrechend werden und dadurch sich polarisiertem Licht
                              									gegenüber nicht mehr nach allen Richtungen hin gleich verhalten.
                           Gehen wir nun sogleich zu den einfachsten Erscheinungen über. Jedes Nicolprisma hat
                              									eine sogenannte Polarisationsebene. Stelle ich durch ein Prisma polarisiertes Licht
                              									her und betrachte diese Lichtstrahlen durch ein zweites Prisma, den Analysator, so
                              									erscheint das Feld zwischen beiden Prismen dunkel, wenn die Polarisationsebenen der
                              									beiden Prismen zueinander senkrecht stehen, bei „gekreuzten Nicols“. Bringt
                              									man nun zwischen diese beiden Prismen einen unbelasteten durchsichtigen Stab, so
                              									ändert sich nichts. Wird aber dieser Stab belastet, dann tritt eine Aufhellung des
                              									Gesichtsfeldes ein. Zugleich treten bei Verwendung von weißem Licht Farben auf.
                              									Diese Farben und diese Aufhellung ergeben sich aber nur an solchen Stellen des
                              									Stabes, die in irgend einer Weise beansprucht werden. Demgemäß bleiben die
                              									unbelasteten Stellen, neutralen Fasern, dunkel. Von dieser Erscheinung hat die
                              									Methode ihren Ausgang genommen. MesnagerMessung der
                                    											inneren Spannungen in festen Körpern und Anwendungsbeispiele dazu. Int.
                                    											Verband f. d. Materialprüfung d. Technik, Budapest 1901. und
                              										HönigsbergUeber unmittelbare
                                    											Beobachtung und Sichtbarmachung der neutralen Schichte an beanspruchten
                                    											Körpern. ZS. d. österr. Ing.-u. Arch.-Ver. 1904, Nr. 11, S. 165.
                              									haben sie benutzt, um an Glasmodellen die neutralen Fasern festzustellen.
                           Die soeben erwähnten Farben sind von der Höhe der Belastung abhängig in der Weise,
                              									daß bei bestimmter Dicke des Probestabes zu jeder Spannung eine bestimmte Farbe
                              									gehört. Wird demnach ein Stab gleichmäßig gezogen, so zeigt er überall die gleiche
                              									Färbung, da in ihm an allen Stellen die gleiche Spannung vorhanden ist. Man kann
                              									Spannung und Farbe einander in einer Tabelle zuordnen. Dabei sind Zug und Druck
                              									gleichwertig, bis auf geringe Abweichungen, die aus der Verdickung der Proben beim
                              									Druckversuch folgen.
                           Wegen dieser eindeutigen Beziehung zwischen Spannung und Farbe kann man die
                              									Spannungen eines beanspruchten Modelles am einfachsten in der Weise ermitteln, daß man
                              									die betreffenden Farben in der Tabelle aufsucht und die dazugehörigen Spannungen
                              									abliest. Dieses Vorgehen ist natürlich mit sehr großen Fehlern behaftet, weil
                              									Farbenangaben doch sehr subjektiv sind.
                           Eine Verbesserung wird bereits erzielt, wenn man einen Vergleichs-Probestab benutzt
                              									und diesen soweit dehnt bzw. drückt, bis er dieselbe Farbe wie die untersuchte
                              									Stelle zeigt. Da man die Spannung im Vergleichsstab ohne weiteres angeben kann, hat
                              									man damit auch die gesuchte Spannung.
                           Diese Methode der Farbenvergleichung ist nur anwendbar für
                              									solche Stellen, von denen man weiß, daß nur eine Spannung in einer Richtung
                              									vorhanden ist. Das ist beispielsweise der Fall bei der reinen Biegung eines Stabes,
                              									sowie längs unbelasteter Ränder. Beim gebogenen Stabe ist an jeder Stelle nur eine
                              									Zug- oder Druckspannung vorhanden (die in der neutralen Faser null ist), längs
                              									unbelasteter Ränder gibt es nur Spannungen in Richtung der Tangente, nicht senkrecht
                              									zum Rande.
                           Wie bereits erwähnt, ist die Methode mit Schwierigkeiten behaftet, die ihren Grund in
                              									der Unsicherheit haben, mit der man Farben bestimmen kann, besonders in der
                              									Nachbarschaft anderer glänzender Farben.
                           Nun gibt es aber eine zweite Methode, die eine viel objektivere Feststellung
                              									gestattet, die Methode der Probenkreuzung. Bringt man
                              									zwischen die beiden Nicols zwei gleichgespannte Zugstäbe unter einem rechten Winkel
                              									zueinander, so ist im Gegensatz zur Erscheinung bei nur einem Stabe das Gesichtsfeld
                              									nicht hell, sondern dunkel. Die Erklärung hierfür liegt darin, daß der optische
                              									Effekt von der Differenz der beiden Hauptspannungen abhängig ist.
                           Bekanntlich ist ein ebener Spannungszustand dann völlig bestimmt, wenn man in jedem
                              									Punkte die beiden zueinander senkrechten Hauptspannungen kennt. Diese Spannungen
                              									oder vielmehr ihre Differenz ist nun auch maßgebend für den Farbeneffekt. Demgemäß
                              									ist kein Effekt vorhanden, wenn die beiden Hauptspannungen einander gleich sind. Bei
                              									dem oben angeführten Beispiel der beiden senkrecht gekreuzten Zugstäbe stellt die
                              									Spannung des einen Stabes die eine Hauptspannung, die des anderen Stabes die andere
                              									Hauptspannung dar. Sind beide gleich, so ist ihre Differenz null, es tritt kein
                              									optischer Effekt auf, das Gesichtsfeld bleibt dunkel. Hatten wir früher erkannt, daß
                              									die Stellen dunkel bleiben, an denen keine Spannung vorhanden ist, so finden wir
                              									jetzt, daß dazu noch diejenigen Stellen treten, an denen die Differenz der
                              									Hauptspannungen null ist.
                           Auf Grund dieser Tatsache, daß die Hauptspannungsdifferenz die maßgebende Größe ist,
                              									ist es mittels der Methode der Probenkreuzung möglich, diese Differenz zu ermitteln.
                              									Weiß man außerdem, daß eine der beiden Hauptspannungen null ist, dann kann man so
                              									die andere ermitteln.
                           Dies Verfahren ist besonders wichtig für den bereits erwähnten Fall der
                              									Spannungsermittlung längs unbelasteter Ränder. Man kann dabei als Vergleichsstab
                              									stets einen Zugstab benutzen, was bequemer ist als die Benutzung von Druckstäben. An
                              									gezogenen Stellen des Randes muß man den Stab senkrecht zum Rand anordnen und soweit
                              									belasten, bis an der fraglichen Stelle Dunkelheit auftritt. Ist die Randstelle aber
                              									gedrückt, dann ordnet man den Vergleichsstab parallel zum Rande an. Dadurch bleibt
                              									die Spannung senkrecht zum Rande null, die optisch wirksame Randspannung wird
                              									aber durch Zusammenwirken der Druckspannung im Probenrand und der gleich großen
                              									Zugspannung im Vergleichstab ebenfalls null, so daß Dunkelheit eintritt. Die bei
                              									Dunkelheit im Vergleichsstab vorhandene Spannung ist dann die gesuchte Randspannung.
                              									Mittels dieses Verfahrens kann man die Einwirkung von Kerben oder Löchern auf die
                              									Spannungsverteilung untersuchen.
                           Im allgemeinen Falle versagt die Methode für die Einzelbestimmung der
                              									Hauptspannungen. Sie gibt, wie erwähnt, nur ihre Differenz. Man kann aber durch Hinzunahme von Dickenmessungen des untersuchten Modells
                              									das gewünschte Ziel erreichen. Die Dickenänderung des Modells ist nämlich direkt
                              									proportional der Summe der beiden Hauptspannungen. Infolgedessen kann man aus den
                              									Veränderungen der Dicke diese Summe ermitteln. Aus Summe und Differenz der beiden
                              									Hauptspannungen sind diese selbst aber sehr einfach zu berechnen.
                           Man kann die Dickenmessung auch durch optische Methoden ersetzen, die aber manche
                              									Schwierigkeit bieten.
                           Nicht in allen Fällen ist unbedingt eine Kenntnis der tatsächlichen Größen der
                              									Spannungen erforderlich. Oft wird es bereits genügen, den Verlauf der Spannungen festzustellen, weil man dadurch die am stärksten
                              									beanspruchten Stellen ermitteln kann. Dazu ist erforderlich, die Richtung der
                              									Hauptspannungen in jedem Punkt aufzusuchen und die Spannungstrajektorien
                              									einzuzeichnen, das sind Linien, die in jedem Punkt der Richtung einer der beiden
                              									Hauptspannungen folgen.
                           Die Ermittlung der Hauptspannungsrichtungen stützt sich auf die Tatsache, daß
                              									diejenigen Stellen dunkel erscheinen, an denen die Hauptspannungsrichtungen in die
                              									Polarisationsebenen der beiden gekreuzten Nicols fallen. Hat also das Achsenkreuz
                              									der beiden Polarisationsebenen der Prismen eine bestimmte Lage, so werden sich auf
                              									dem untersuchten Modell eine Reihe dunkler Streifen zeigen; dies sind alle die
                              									Stellen, in denen die Hauptspannungsrichtungen in das Achsenkreuz der
                              									Polarisationsebenen fallen. Dreht man nun die beiden Nicols um den gleichen Winkel,
                              									so daß sie gekreuzt bleiben, dann werden sich diese Streifen ändern, denn der neuen
                              									Lage der Polarisationsebenen entsprechen auch andere Punkte, an denen die Richtungen
                              									der Hauptspannungen mit ihnen zusammenfallen.
                           Zeichnet man jedesmal die Streifen auf und versieht sie entsprechend der Stellung der
                              									Polarisationsebenen mit kleinen Kreuzen, so erhält man Abb. 1.
                           In das so gewonnene Feld der Richtungskreuze lassen sich die Spannungstrajektorien
                              									(gestrichelt) leicht einzeichnenVgl. E. Heyn, Neuere Forschungen über Kerbwirkung,
                                    											insbesondere auf optischem Wege. Stahl und Eisen 1921, S. 541 u. 611. Dort
                                    											auch viele Literaturangaben..
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 339, S. 2
                              
                           Die Tatsache, daß die eben erwähnten Ränder, die alle die Stellen miteinander
                              									verbinden, in denen die Hauptspannungsrichtungen mit den Polarisationsebenen der
                              									gekreuzten Nicols zusammenfallen, sich mit jeder Stellungsänderung der Nicols
                              									ebenfalls ändern, gibt die Möglichkeit, sie von den dunklen Stellen zu
                              									unterscheiden, die durch Spannungslosigkeit oder Gleichheit der Hauptspannungen hervorgerufen sind.
                              									Diese bleiben ja bei jeder Stellung der Nicols dieselben.
                           Bei manchen Untersuchungen wirken jene dunklen veränderlichen Ränder sehr störend.
                              									Während man sie früher dadurch zu vermeiden suchte, daß man die Prismen schnell
                              									rotieren ließ, ist ihre Beseitigung neuerdings sehr bequem durch Verwendung von zirkulärpolarisiertem Licht gelungen, d.
                              									i. Licht, bei dem die Aetherteilchen Kreisbahnen beschreiben. Es ist einleuchtend,
                              									daß gegenüber solchem Licht keine Richtung senkrecht zur Fortpflanzungsrichtung
                              									ausgezeichnet ist und daher die Sonderstellung der Hauptspannungsrichtungen nicht in
                              									Erscheinung tritt. Bei Benutzung von zirkular-polarisiertem Lichte erscheinen daher
                              									nur die Stellen verschwindender Spannung und verschwindender Hauptspannungsdifferenz
                              									dunkel.
                           Zur Verwendung kommen bei dieser optischen Methode Modelle aus
                                 										durchsichtigem Material. Als solches wurde zunächst Glas verwendet. Es hat
                              									aber mancherlei Nachteile, die es für den in Rede stehenden Zweck wenig geeignet
                              									machen. Zunächst ist es schwer bearbeitbar, so daß die Herstellung der Modellkörper
                              									schwierig ist. Außerdem sind in derartigen Glaskörpern innere Spannungen schwer zu
                              									vermeiden. Endlich ist Glas ein optisch sehr träges Material. Daher müssen die
                              									Probekörper verhältnismäßig dick gemacht und außerdem die Belastungen bis an die
                              									Bruchgrenze des Materials gesteigert werden. Es lassen sich aber mit Glas recht gute
                              									Versuche erzielen, wie beispielsweise die schönen Abbildungen in dem Aufsatz von
                              										HönigschmidtS. Anm. 2.
                              									zeigen.
                           Neuerdings benutzt man an Stelle von Glas Nitrozellulose (Zelloloid), sogenanntes Xylolith.Vgl. E. G. Coker, Photo-Elastizität für Ingenieure. General
                                    											Electric Review 1920/1921. Eine vorzügliche Darstellung, der auch die
                                    											vorliegenden Ausführungen viel danken. Es kann in Platten von
                              									gleichmäßiger Dicke ohne innere Spannungen hergestellt werden. Die Probekörper
                              									gewinnt man durch einfaches Ausschneiden, wobei bei genügender Vorsicht auch an den
                              									Schnitträndern keine inneren Spannungen zurückbleiben. Das Material ist optisch sehr
                              									aktiv, so daß bei geringer Plattenstärke nur geringe Spannungen erzeugt zu werden
                              									brauchen.
                           Wichtig ist natürlich die Frage, wieweit die mit
                              									derartigem Material erhaltenen Resultate auf das
                              									Verhalten der gebräuchlichen Konstruktionsmaterialien Eisen
                                 										und Stahl übertragen werden können. Dazu ist zunächst zu sagen, daß
                              									Zelloloid dieselben elastischen Eigenschaften besitzt, wie Eisen und Stahl, daß die
                              									Spannungen proportional den Dehnungen sind. Außerdem ist aus der Elastizitätstheorie
                              									bekannt, daß im Falle eines ebenen Spannungszustandes die Elastizitätsgleichungen
                              									unabhängig von den Elastizitätskonstanten (Elastizitätsziffer und
                              									Querkontraktionszahl) werden. Demnach können die an einem Material gewonnenen
                              									Ergebnisse ohne Bedenken auf ein anderes Material übertragen werden. Um diese Frage
                              									auch praktisch zu prüfen, sind VergleichsversucheCoker, K. C. Chakko und Y. Satake,
                                    											Photoelastische und Dehnungsmessungen zur Ermittlung der Wirkung
                                    											kreisförmiger Löcher auf die Spannungsverteilung in gezogenen Stäben.
                                    											Engineering 1920, S. 259 und 298.Vgl. auch die in Anm. 5 angegebene
                                    											Abhandlung von Coker. angestellt worden, die völlige
                              									Uebereinstimmung ergeben haben.