| Titel: | Elektrische Zugförderung und die Wasserkräfte Schwedens. | 
| Autor: | Winkler | 
| Fundstelle: | Band 339, Jahrgang 1924, S. 37 | 
| Download: | XML | 
                     
                        Elektrische Zugförderung und die Wasserkräfte
                           								Schwedens.
                        Von Oberingenieur Winkler.
                        WINKLER, Elektrische Zugförderung und die Wasserkräfte
                           								Schwedens.
                        
                     
                        
                           Schweden ist kohlenarm und angewiesen, seinen Kohlenbedarf im Auslande zu
                              									decken. Andererseits besitzt das Land in seinen Wasserkräften mächtige
                              									Energiequellen, die nur zum Teil erschlossen sind und noch der Ausnützung harren.
                              									Aus diesen Erwägungen heraus hat die schwedische Regierung den Beschluß gefaßt,
                              									ihren größten Kohlenverbraucher, die Dampflokomotive, so schnell als möglich durch
                              									elektrische Lokomotiven zu ersetzen und diese von Wasserkräften aus zu betreiben.
                              									Nach umfangreichen, sehr eingehenden Versuchens. a. E.
                                    											K. B. 1906, Heft 5, S. 77 u. f. mit elektrischen Lokomotiven und
                              									Leitungen auf der Probestrecke Tomteboda–Värtan wurde beschlossen, die Vollbahn
                              									Kiruna–Riksgränsen vorab versuchsweise von Dampfbetrieb auf elektrischen Betrieb mit
                              									15000 Volt Einphasenwechselstrom umzubauen.
                           Diese 129 km lange Bahn dient hauptsächlichst zur Beförderung der Eisenerze aus den
                              									gewaltigen Tagbauten bei Kiruna nach den beiden Häfen Luleå am Bottnischen Meerbusen
                              									und nach Narvik am Atlantischen Ozean. Diese Strecke wurde gewählt, weil auf ihr ein
                              									außerordentlich schwerer Güterzugdienst zu bewältigen ist, der noch erheblich
                              									erweitert werden mußte. Mit Dampflokomotiven konnte man bei den vorhandenen
                              									Einrichtungen jährlich nur rd. 1660000 t Erze befördern und diese Menge mußte nach
                              									den Lieferungsverträgen, die der Staat abgeschlossen hat, auf 5000000 t jährlich
                              									gesteigert werden. Die Leistungserhöhung wäre mit Dampflokomotiven nur durch
                              									Beschaffung neuer, ganz schwerer Maschinen möglich gewesen, und außerdem hätte man
                              									die eingleisige Strecke fast durchweg zweigleisig ausbauen und mit schwerstem
                              									Oberbau ausrüsten müssen. Neue Wasser- und Kohlenstationen wären einzurichten
                              									gewesen und der Kohlenverbrauch hätte weiter zugenommen. (Auf den alten
                              									Dampflokomotiven der Strecke Abisko–Riksgränsen wurden an einem Arbeitstage
                              									schon je 7200 kg beste Steinkohle verbraucht, die ein Heizer allein nicht mehr
                              									verfeuern konnte; man mußte diesem einen Hilfsheizer beigeben.) Für die Wahl der
                              									Strecke waren aber außerdem noch die schwierigen klimatischen Verhältnisse zu
                              									berücksichtigen, die durch die strenge Kälte und die großen Schneemassen
                              									gekennzeichnet sind. Es genügt z.B. bei einer Außentemperatur von – 30° der
                              									Aufenthalt eines Zuges von 15–20 Minuten in einer Station, um das Lageröl der
                              									Erzwagen zum Gefrieren zu bringen. Das Ingangsetzen eines solchen Zuges erfordert
                              									dann sehr große Ueberlastungsfähigkeit der Lokomotiven. Bei elektrischem Betrieb
                              									können mit zwei Lokomotiven, die von einem Führerstand zu bedienen sind, die
                              									erforderlichen hohen Zugkräfte bewältigt und darüber hinaus das Zuggewicht um 40 %
                              									erhöht werden. Eine weitere Steigerung der Leistung war zu erzielen durch Erhöhung
                              									der Fahrgeschwindigkeit um 50 %, ohne den Unterbau und die Schneeschutzanlagen
                              									auswechseln und ohne ein zweites Gleis verlegen zu müssen.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 339, S. 37
                              Abb. 1.Fahrleitung für 15000 Volt und Fernleitung für 80000 Volt.
                              
                           
                           Die zunächst als Versuchsanlage gedachte Elektrisierung der Riksgränsbahn hat
                              									den gehegten Erwartungen vollauf entsprochen. Dieser bemerkenswerte technische
                              									Erfolg hatte die Ausdehnung des elektrischen Betriebes auf die anschließenden
                              									Strecken nach Gellivare und Luleå zur Folge, so daß nunmehr auf der ganzen
                              									schwedischen Strecke von Riksgränsen bis Luleå in einer Länge von 435 km
                              									ausschließlich elektrische Zugförderung eingeführt ist.s. a. Siemens-Zeitschrift, März
                                    										1923.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 339, S. 38
                              Abb. 2.Wechselstromlokomotive neuer Bauart mit Güterzug der
                                 										Riksgränsbahn.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 339, S. 38
                              Abb. 3.Hochgelagerter Lokomotivmotor, ältere Bauart.
                              
                           Da gegenwärtig auch der Ausbau der anschließenden 40 km langen
                              									norwegischen Strecke bis Narvik seiner Vollendung entgegengeht, so wird demnächst
                              									eine 475 km lange Bahn vom Atlantischen Ozean bis zum Bottnischen Meerbusen in
                              									vollem Umfange für elektrische Zugförderung eingerichtet sein. Sie verläuft in ihrer
                              									ganzen Ausdehnung nördlich des Polarkreises und ist die nördlichste Bahn
                              									Europas. In technischer Beziehung weist diese Bahn einige bemerkenswerte
                              									Ausführungen auf, die hier näher behandelt werden sollen.
                           Der elektrische Strom für den Betrieb der Riksgränsenbahn wird von einem
                              									Wasserkraftwerk geliefert, das am Porjus-Flusse liegt. Die Porjusfälle haben eine
                              									nutzbare Fallhöhe von rd. 55 m. Ein gewaltiges Staubecken gewährleistet die
                              									Lieferung der erforderlichen Wassermenge für das ganze Jahr. Die tiefen Kältegrade
                              									bis – 55° C. ließen es als zweckmäßig erscheinen, den Maschinensaal und die
                              									Zuflußleitungen vollständig in den Fels einzusprengen. Der Maschinensaal liegt
                              									demnach 50 m unter der Erde und ist geräumig genug, um 6 gewaltige Turbinen mit
                              									direkt gekuppelten Stromerzeugern aufzunehmen. Im ersten Ausbau wurden 3
                              									Stromerzeuger mit Leistungen von je 10000 KVA Einphasenstrom bei 15 ~ für den
                              									Bahnbetrieb und 1 Drehstromerzeuger von 11000 KVA für industrielle Zwecke
                              									aufgestellt. Ein weiterer Maschinensatz, bestehend aus 1 Turbine und 2
                              									Stromerzeugern, kann Bahn- oder Drehstrom liefern, wenn eine der Hauptmaschinen
                              									reparaturbedürftig geworden ist. Ein Schaltgebäude, das im Freien über dem
                              									Maschinensaale errichtet worden ist, enthält außer den Meß-, Schalt- und
                              									Regelapparaten für die Stromerzeuger auch die Transformatoren zur Erhöhung der
                              									Maschinenspannung von 4000 V auf die Fernleitungsspannung von 80000 V.
                           Die Fernleitung vom Porjuskraftwerk bis zur Riksgränsbahn und von hier zu den 4 an
                              									der Bahn liegenden Transformatorstationen besteht aus Kupferdrähten, die an hohen
                              									eisernen Leitungstürmen mittels Isolatorketten (Abb.
                                 										1.) befestigt sind. Die meist in den Bahnhofgebäuden untergebrachten
                              									Tranformatorräume enthalten die Transformatoren zur Erniedrigung der
                              									Fernleitungsspannung von 80000 V auf die der Fahrleitungsspannung von 15000 V. Es
                              									sind dort auch die Schalt- und Schutzapparate für die Speiseleitungen untergebracht
                              									worden. Die Fahrleitungen der Riksgränsenbahn (Abb.
                                 									1) bestehen aus Kupferdraht und sind mittelst Vielfachaufhängung am
                              									Eisengestänge isoliert befestigt. Die dort angewendete Bauart weicht von den
                              									normalen Ausführungen insofern ab, als sie trotz der hohen Spannung von 15000 V nur
                              									mit einem Isolator ausgeführt ist. Hierzu hat man sich nur entschließen können, weil
                              									die im Bereich der Bahn besonders staubfreie und trockene Luft eine Gefährdung der
                              									Isolationsgüte nicht befürchten ließ.
                           Kräftig gebaute Doppelglockenisolatoren sind auf Bolzen, die an den Gittermasten
                              									vertikal drehbar befestigt sind, aufgekittet. Je zwei solcher Isolatoren, die
                              									untereinander im Abstand von rd. 1 m angeordnet sind, tragen einen Auslegerarm, der
                              									vertikal und horizontal bewegbar ist. An seinem freien Ende wurde ein Kupfertragseil
                              									und darunter mittels Hängedrähten der Fahrdraht befestigt. Um einen schädlichen
                              									Durchhang des Fahrdrahtes zu vermeiden, ist dieser zwischen 2 Festpunkten noch mit
                              									Hängedrähten in Abständen von 5–6 m am Tragseil aufgehängt. Außerdem wird der
                              									Fahrdraht in Abschnitten von 1,4 km mittels besonderer Gewichtanordnungen
                              									selbsttätig nachgespannt. Für die vielen Schneegalerien, Schutzbauten und Tunnels
                              									mußten besondere Aufhängungen der Fahrleitungen entworfen werden.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 339, S. 39
                              Abb. 4.Lokomotiv-Doppelmotor mit aufgebauter Lüftung.
                              
                           Für den ersten Ausbau der Riksgränsenbahn wurden 13 schwere Güterzuglokomotiven von
                              									den Siemens-Schuckertwerken elektrisch ausgerüstet. Es sind Doppellokomotiven der
                              									Bauart 1 C + C 1 mit folgenden Hauptabmessungen:
                           
                              
                                 Größte Länge über Alles
                                   18620 mm
                                 Triebrad-Durchm    1100 mm
                                 
                              
                                 Größte Zugkraft
                                   21000 kg
                                 Laufrad-Durchm       730 mm
                                 
                              
                                 GesamtgewichtTriebachsdruck
                                 138000 kg  17500 kg
                                 Zahl der Triebmotorenje Lokomotive
                                 2
                                 
                              
                                 Reibungsgewicht
                                 105000 kg
                                 
                                 
                                 
                              
                           Zwei solcher Lokomotiven können einen beladenen Erzzug mit einem Wagengewicht von
                              									1850 t zweimal täglich von Kiruna nach Riksgränsen mit 30 km Stundengeschwindigkeit
                              									befördern. Für die oben geschilderte Streckenerweiterung hat der schwedische Staat
                              									weitere 11 Lokomotiven 1 C + C 1 (Abb. 2) bestellt,
                              									die auch vor kurzer Zeit bereits in Betrieb gesetzt worden sind. Von diesen neuen
                              									Doppellokomotiven, deren Hauptabmessungen aus folgender Zusammenstellung zu
                              									entnehmen sind, genügt eine zur Beförderung der schweren Erzzüge.
                           
                              
                                 Größte Länge über Alles
                                   20890 mm
                                 Triebrad-Durchm   1530 mm
                                 
                              
                                 Größte Zugkraft    am Radumfang
                                   28000 kg
                                 Laufrad-Durchm.     850 mm
                                 
                              
                                 GesamtgewichtTriebachsdruck
                                 126800 kg  16800 kg
                                 Zahl der Doppeltrieb-motoren    je    
                                    											Loko-           motive
                                 2
                                 
                              
                           Während die 2 Hälften der zuerst gelieferten 1 C + C 1 Maschinen mit je einem
                              									hochgelagerten Wechselstrommotor (Abb. 3), der
                              									mittels Triebstange eine Blindwelle antrieb, ausgerüstet waren, werden die 2
                              									Hälften der neuen Doppellokomotiven von je einem halbhoch gelagerten Doppelmotor
                              										(Abb. 4) angetrieben. Die Enden der beiden
                              									Ankerachsen eines solchen Doppelmotors tragen große Zahnräder, die ein auf der
                              									Blindwelle befestigtes kleines Zahnrad gemeinsam antreiben. Um ein möglichst
                              									niedriges Gewicht bei den neuen Lokomotiven zu erzielen, mußten die Motoren und
                              									Transformatoren besonders leicht gebaut werden, wozu andererseit wieder eine
                              									vorzügliche Kühlung vorgesehen werden mußte. Das Anlassen und die
                              									Geschwindigkeitsreglung der Motoren erfolgt mittels Schützenschaltern, die vom
                              									Führerstande aus elektromagnetisch betätigt werden. Sämtliche für diese
                              									Vielfachsteuerung erforderlichen Schalter einer Lokomotivhälfte sind auf einem
                              									gemeinsamen Schaltergestell (Abb. 5) montiert, das in
                              									der Nähe der Triebmotoren zur Aufstellung gekommen ist.
                           Die Lokomotiven haben den gestellten Anforderungen vollauf entsprochen und darüber
                              									hinaus eine hohe Ueberlastungsfähigkeit gezeigt.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 339, S. 39
                              Abb. 5.Schaltergestell einer neuen 1 C + C 1 Riksgränslokomotive.
                              
                           Der bemerkenswerte technische und für Schweden volkswirtschaftliche Erfolg, der mit
                              									der Elektrisierung der Riksgränsenbahn erzielt worden ist, hat die Kgl. Schwedische
                              									Eisenbahndirektion veranlaßt, den SSW in einem Anerkennungsschreiben, dem wir
                              									folgenden bemerkenswerten Satz entnehmen, besonderen Dank auszudrücken: „...
                                 										Nunmehr ist das Werk vollendet, und die Garantien sind nicht nur erfüllt,
                                 										sondern auch in mehreren wichtigen Punkten übertroffen worden. Auf der
                                 										Bahnstrecke dort oben, nördlich vom Polarkreise, mit den schwierigsten
                                 										klimatischen Verhältnissen und den schwersten Zügen des Landes, laufen nunmehr
                                 										die elektrischen Lokomotiven, getrieben von der Wasserkraft der Porjusfälle, mit
                                 										einer Genauigkeit, die wenig zu wünschen läßt....“