| Titel: | Die Stützungsprobleme als Prinzip der Werkstattmeßtechnik. | 
| Autor: | W. Parey | 
| Fundstelle: | Band 339, Jahrgang 1924, S. 213 | 
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                        Die Stützungsprobleme als Prinzip der
                           								Werkstattmeßtechnik.
                        Von Dipl.-Ing. W. Parey.
                        PAREY, Die Stützungsprobleme als Prinzip der
                           								Werkstattmeßtechnik.
                        
                     
                        
                           Das Verfahren des Austauschbaus, das wir heute fast allgemein finden, erfordert
                              									vorzügliche Meßgeräte und gut durchgebildete Meßmethoden. Denn wenn die einzelnen
                              									Austauschteile nicht genau maßhaltig sind, verliert das Austauschverfahren seinen
                              									Wert. Die Meßmethoden, die wir heute haben, sind in der Werkstatt entstanden, sind
                              									also aus den praktischen Erfahrungen heraus entwickelt worden. Das Gleiche gilt von
                              									den Meßwerkzeugen. Die Wissenschaft zeigt nun auch auf diesem bisher rein praktisch
                              									behandelten Gebiet den Weg, wie wir die Meßmethoden und Meßwerkzeuge systematisch
                              									gliedern, ihre Leistungsfähigkeit beurteilen und sie auf Grund der gewonnenen
                              									Erkenntnisse weiterentwickeln können.
                           Die verbreitetste Meßmethode besteht darin, daß das Werkstück durch eine Lehre auf
                              									seine geometrischen Abmessungen hin abgetastet wird. Als Lehre dient das
                              									kinematische Gegenelement des Werkstückes, also z.B. für den Hohlzylinder ein
                              									Vollzylinder. Voraussetzung für die Brauchbarkeit dieser Meßmethode ist, daß die
                              									Lehre mit dem Werkstück in geometrisch richtige Paarung tritt; das kann aber auch
                              									bei präziser Herstellung nicht unbedingt vorausgesetzt werden. Ein Mangel dieser Art
                              									der Messung läßt sich nun aus folgender Ueberlegung leicht erkennen. Ein
                              									Zylinderdorn berührt den zugehörigen Hohlzylinder in unendlich vielen Punkten, wenn
                              									geometrisch richtige Paarung vorausgesetzt ist. Hat nun der Hohlzylinder ein Loch
                              									oder eine Einsenkung, sonst aber geometrisch richtige Abmessungen, so wird sich
                              									dieser Fehler bei der Dornmessung nicht zeigen, da der Dorn immer noch hinreichend
                              									gestützt sein wird. Erst wenn die Länge der Einsenkung – in Richtung der Achse
                              									gemessen – die Länge des Dornes nahezu erreicht, wird man am Wackeln oder Klappern
                              									des Dornes den Fehler bemerken. Die übermäßige Stützung ist es also, die den Fehler
                              									verbirgt. Eine gerade hinreichend gestützte Lehre würde dagegen sofort durch Wackeln
                              									oder Klappern eine Einsenkung bemerkbar machen, wenn diese auch nur bei einem
                              									einzigen der Stützpunkte der Lehre vorhanden ist. Die Stützungsprobleme bilden also
                              									die Grundlage der Werkstattmeßtechnik.
                           Von allen kinematischen Elementenpaaren wird das Zylinderpaar wohl am meisten
                              									angewendet; es mag deshalb als Beispiel dienen für eine Betrachtung der
                              									Meßmethoden auf Grund des Stützungsproblems, wie sie Dr.-Ing. Crain in Heft 11, 3.
                              									Jahrgang des „Maschinenbau“ anstellt. Die geometrische Grundform des
                              									Zylinderpaares ist der gerade Kreiszylinder. Diesen kann man sich dadurch entstanden
                              									denken, daß eine Seitenlinie, die eine Gerade ist, die Leitlinie, einen, Kreis,
                              									durchwandert, wobei sie auf der Ebene dieses Kreises senkrecht steht.
                              									Dementsprechend hat die Messung des Zylinderpaares nachzuweisen,
                           
                              1. daß jeder Zylinderquerschnitt ein Kreis ist,
                              2. daß alle Zylinderquerschnitte gleiche Kreise sind,
                                 										und
                              3. daß alle Zylinderseitenlinien parallele Gerade sind.
                              
                           Nach Reuleaux kann man die räumliche Stützung der niederen
                              									Elementenpaare zurückführen auf die ebene Stützung, indem man sie in zwei
                              									parallelen, zur Achse senkrechten Schnitten betrachtet. Beim Zylinderpaar sind
                              									demnach zwei parallele Kreise in ihrer Ebene zu stützen, was durch je drei Punkte
                              									geschieht. Das Zylinderpaar ist also durch 6 Punkte richtig abgestützt.
                           Es liegt nun nahe, diesen Gedanken praktisch zu verwerten, indem man in zwei
                              									parallelen Ebenen je drei auf gleichen Kreisen liegende Punkte anordnet und beide
                              									Ebenen durch ein in der Zylinderachse liegendes Gestänge starr verbindet. Die
                              									Kreisgestalt des Zylinderquerschnittes läßt sich mit diesem Meßwerkzeug nun sehr gut
                              									nachweisen, ebenfalls die Gleichheit der Zylinderschnitte. Bei dem Nachweis der
                              									Geradlinigkeit und Parallelität der Seitenlinien versagt jedoch diese Meßmethode.
                              									Man denke sich z.B. die Zylinderachse nicht geradlinig, sondern etwas gekrümmt;
                              									dabei seien jedoch alle Schnitte senkrecht zur Achse gleiche Kreise. Verschiebt man
                              									das Meßgerät in Richtung der Zylinderachse, so werden die Meßpunkte den
                              									Zylindermantel dauernd berühren, da das Meßwerkzeug der Krümmung der Zylinderachse
                              									schon durch eine ganz geringe Drehung um seine eine Ebene folgen kann. Ein Meßgerät
                              									der vorgenannten Art, d.h. ein gerade hinreichend gestütztes, ermöglicht also nicht,
                              									die Geradlinigkeit der Zylinderachse nachzuweisen. Dazu ist die Anbringung eines
                              									weiteren Stützpunktes erforderlich, der axial verschiebbar und um die Achse drehbar
                              									sein muß.
                           
                           Wie im vorigen gesagt ist, läßt sich die Kreismessung durch hinreichende
                              									Stützung, also durch drei Punkte, bewerkstelligen. Voraussetzung dabei ist, daß das
                              									Meßwerkzeug tatsächlich drei Meßpunkte besitzt, d.h., daß nicht zwei davon um 180°
                              									gegeneinander versetzt sind, so daß der dritte Punkt nur ideell erscheint. Ein
                              									solches zweipunktiges Meßwerkzeug, sozusagen ein verkörperter Durchmesser, sind z.B.
                              									das Stichmaß und das Mikrometer; mit diesen ist es nicht möglich, die Kreisgestalt
                              									eines Körpers eindeutig nachzuweisen. An einem Bogenneuneck nach Abb. 1 sei dies erläutert. Ein Stichmaß von der Länge
                              									AB läßt sich durch Drehung um A in die Lage AB2
                              									bringen, dann durch Drehung um B2 in die Lage B2D usw.; daß die Drehpunkte immer verschieden sind,
                              									kommt dabei dem Messenden nicht zum Bewußtsein. Die gemessene Bohrung würde sich bei
                              										AB1 als zu eng oder bei AB, AB2, B2D usw. als zu
                              									weitergeben. Daraus geht hervor, daß der verkörperte Durchmesser zum Nachweis der
                              									Kreisform untauglich ist und daß ein hinreichend gestütztes Meßwerkzeug, d.h. ein in
                              									drei Punkten gestütztes, verwendet werden muß. Bei einem solchen wäre es unmöglich,
                              									die Punkte anders als durch Drehung um den Kreismittelpunkt zu verschieben. Jede
                              									Abweichung von der Kreisform würde sich durch Klemmen oder Wackeln des Meßgerätes
                              									bemerkbar machen.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 339, S. 214
                              Abb. 1.
                              
                           Je nach der Art, wie die Lehre den Fehler des Werkstückes anzeigen soll, sind
                              									nun die Winkel zwischen den Meßpunkten zu wählen. Bekanntlich unterscheidet man
                              									Gefühlslehren und Anzeigelehren: Erstere beschränken sich darauf, das Vorhandensein
                              									eines Fehlers durch Klappern oder Klemmen dem Gefühl der Hand anzuzeigen, ohne die
                              									genaue Lage und Größe des Fehlers anzugeben. Die Anzeigelehren dagegen sollen Lage
                              									und Größe des Fehlers an einer Anzeigevorrichtung zeigen, die dadurch betätigt wird,
                              									daß einer der drei Meßpunkte radial beweglich ist. Für diese Anzeigelehren ist es
                              									günstig, daß zwei Stückpunkte nahe zusammenrücken und daß der Fühlhebelanschluß
                              									ihnen gegenüber auf ihrer Winkelhalbierenden liegt. Dann zeigt diese Lehre einen
                              									Fehler am Fühlhebelanschlußpunkt richtig als Durchmesserfehler, Fehler an einem der
                              									zwei Stützpunkte nur schwach, Fehler an beiden Stützpunkten annähernd genau als
                              									Durchmesserfehler. Für die Gefühlslehre ist im Gegensatz zur Anzeigelehre die
                              									Versetzung der drei Meßpunkte um je 120° zu empfehlen, da bei dieser Anordnung die
                              									Lehre bei jedem Fehler stark klappert oder klemmt. Auf die genauere Ermittelung der
                              									Fehlerquelle muß in dem Fall natürlich verzichtet werden.
                           Die Messung mit übermäßig gestützten Lehren, mit Dorn und Ring, führt zwangsläufig
                              									zur Grenzmessung. Es ist praktisch unmöglich, Werkstück und Lehre zur kinematischen
                              									Paarung zu bringen, wenn ihre Mantelflächen kongruent sind. Denn diesem Zustand
                              									würde nur der „Festsitz“ entsprechen. Die Messung muß also auf zwei Lehren
                              									verteilt werden, deren eine die Paarung gestattet, während die andere sie
                              									verhindert. Der Durchmesser des Werkstückes darf sich also zwischen zwei Grenzwerten
                              									bewegen, die je nach der geforderten Passung mehr oder weniger von einander entfernt
                              									liegen. Wie bereits gesagt, ist der Nachweis der genauen geometrischen Form des
                              									Werkzeuges mit den übermäßig gestützten Großflächenlehren unmöglich. Ihre weite
                              									Verbreitung gründet sich darauf, daß unsere hoch entwickelte Werkstattechnik eine
                              									hohe geometrische Genauigkeit der Erzeugnisse von vornherein gewährleistet, so daß
                              									sich das Messen im allgemeinen auf die Bestimmung der Maßgenauigkeit beschränken
                              									kann. Dafür ist die Grenzmessung recht gut geeignet, zumal ihre großflächigen
                              									Meßwerkzeuge dauerhaft und wenig empfindlich sind.
                           Die Schwierigkeiten der Grenzmessung, die eine Gefühlsmessung ist, wachsen mit der
                              									Verfeinerung der Passung. Sie erzwingen die Verminderung der Meßpunkte bis zur
                              									hinreichenden Stützung und sogar noch darunter. Es würde hier zu weit führen, alle
                              									Meßwerkzeuge anzuführen, die sich bei einer Verminderung der Meßpunkte in Richtung
                              									der Seitenlinie oder der Leitlinie oder beider zugleich ergeben. In der oben
                              									genannten Arbeit ist diese Beschränkung der Stützung systematisch vorgenommen
                              									worden; es ergibt sich dabei eine große Anzahl der verschiedenartigsten Lehren, die
                              									nur zum Teil in der Praxis verwendet werden. Ein großer Teil dagegen läßt sich durch
                              									geeignete Kombination der einzelnen Formen zu gut brauchbaren Meßwerkzeugen
                              									ausbilden. Bei dieser systematischen Kombination kommt man u.a. auf zwei Formen von
                              									Lehren, die wegen ihrer großen Verbreitung besonders hervorgehoben seien, die
                              									Rachenlehre und die Kugelringlehre. Beide sind unzureichend gestützt, stellen aber
                              									durch ihre besondere Form Grenzfälle dar, so daß sie zu sehr geeigneten
                              									Meßwerkzeugen werden.
                           Die Rachenlehre besitzt zwei parallele Meßebenen, deren gegenseitiger Abstand gleich
                              									dem Zylinderdurchmesser ist. Ein Zylinder hat zwischen diesen Meßflächen nur zwei
                              									Verschiebungsmöglichkeiten, die dritte, senkrecht zu den Meßflächen, ist ihm
                              									genommen. Ferner hat er auch nur zwei Verdrehungsmöglichkeiten, um die eigene Achse
                              									und um die auf den Meßebenen senkrechte Achse. Der Zylinder kann also zwischen den
                              									Meßflächen beliebig hindurchgleiten, ohne dabei seine Stützungsverhältnisse zu
                              									ändern. Diese „labile Stützung“ hat wohl der Rachenlehre zu ihrer großen
                              									Verbreitung verholfen. Es muß jedoch hervorgehoben werden unter Hinweis auf das zu
                              										Abb. 1 Gesagte, daß sie nicht geeignet ist, die
                              									geometrische Kreisgestalt des Zylinderquerschnittes nachzuweisen.
                           Die Kugelringlehre ist gleich der Rachenlehre labil gestützt. Sie berührt den
                              									Hohlzylinder von gleichem Durchmesser stets in einem größten Kreis in der Leitlinie;
                              									dabei ist sie um alle drei Achsen im Räume beliebig drehbar, verschiebbar dagegen
                              									nur in Richtung der Zylinderachse. Die neueste Form der Kugelringlehre wie auch der
                              									Rachenlehre weist eine Verminderung der Stützung auf, indem die Meßflächen als
                              									Schneiden ausgebildet werden. Diese sind Endmaße in Gestalt dünner Stahlplättchen
                              									und können leicht ausgewechselt werden. Dadurch ist die Möglichkeit gegeben, die
                              									Lehren bei Verschleiß schnell wieder auf volle Meßgenauigkeit zu bringen.