| Titel: | Druckluftbremse für Schnellautozüge. | 
| Autor: | Castner | 
| Fundstelle: | Band 339, Jahrgang 1924, S. 235 | 
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                        Druckluftbremse für Schnellautozüge.
                        Von Dipl.-Ing. Castner,
                           								Berlin.
                        CASTNER, Druckluftbremse für Schnellautozüge.
                        
                     
                        
                           Um den Betrieb mit Lastkraftwagen im allgemeinen und den Ueberlandverkehr mit
                              									den Nachbarstädten, d.h. also auf Entfernungen bis zu etwa 200 km, im besonderen
                              									wirtschaftlicher zu gestalten, ist man in der letzten Zeit mehr und mehr dazu
                              									übergegangen, Schnellastwagen zu bauen. Die Durchführung eines derartigen
                              									Schnellverkehrs ist aber nicht allein abhängig von der Leistungsfähigkeit der
                              									Motoren und der Bauart der Wagen, sondern sie wird sehr wesentlich beeinflußt von
                              									der Möglichkeit, einen solchen schnell fahrenden Lastzug gegebenenfalls auf kürzeste
                              									Entfernung zum Halten zu bringen, d.h. also von der Beschaffenheit, Brauchbarkeit
                              									und Zuverlässigkeit der vorhandenen Bremsen. Bei den zahlreichen in dieser Beziehung
                              									angestellten Versuchen hat es sich nun gezeigt, daß die bisher gebräuchliche Hand-,
                              									Fuß- oder Getriebebremse diesen Anforderungen in keiner Weise mehr gewachsen ist.
                              									Der Hauptgrund liegt darin, daß ihre Wirkung eine Grenze findet in der vorhandenen
                              									physischen Kraft des Bremsers. Das Verfahren, die Bremsen der Anhänger durch
                              									besondere Mitfahrer bedienen zu lassen, muß bei Schnellastzügen vollständig
                              									versagen, da es wegen der fehlenden Verständigungsmöglichkeit dieser Leute mit dem
                              									Führer nicht möglich ist, auf diese Weise, alle Wagen gleichzeitig und
                              									gleichmäßig abzubremsen. Die Folge davon ist: Schleudern des Vorderwagens und
                              									Auffahren der Anhänger auf den Motorwagen, Zerreißen des Zuges usw.
                           Um diesen Mängeln abzuhelfen, konstruierte die Knorr-Bremse - A.-G.,
                              									Berlin-Lichtenberg, auf Grund der ihr zur Verfügung stehenden vorzüglichen
                              									Erfahrungen mit Druckluftbremsen für Eisen- und Straßenbahnen eine solche für
                              									Autolastzüge, die. nachfolgend besprochen werden soll.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 339, S. 234
                              Abb. 1. Schema einer Druckluftbremsanlage.
                              
                           Die Bremse besteht, wie aus Abbildung 1 ersichtlich ist, zunächst aus dem Kompressor
                              									B. Die von ihm angesaugte Luft wird in dem Sauger A von Staub und Feuchtigkeit
                              									befreit. Der kleine zweistufige Kompressor ist unmittelbar über dem Wechselgetriebe
                              									angeordnet, von dessen Vorgelegewelle er durch Zahnrad oder Kette angetrieben wird.
                              									Er läuft deshalb ununterbrochen mit, so lange der Motor am Laufen ist, und macht bei
                              									höchster Fahrgeschwindigkeit etwa 600 bis 800 Umdrehungen in der Minute. Der
                              									Zwischenkühler hat die Gestalt einer außerhalb des Wagenrahmens liegenden
                              									Rohrschlange C. Vom Kompressor aus gelangt die Luft über den Druckregler D in die
                              										im
                              									Wagenuntergestell aufgehängten beiden Luftbehälter J.
                           Es ist erklärlich, daß die zum Bremsen eines leeren Wagens erforderliche Kraft
                              									erheblich niedriger ist, als bei beladenen Wagen. Um nun in jedem Falle einen
                              									ausreichenden Druck zur Verfügung zu haben, ist der Regler mit zwei Federkammern
                              										D1 und D2
                              									ausgestattet, von denen D1 für den niederen, D2 für den hohen Druck bestimmt ist. Die Einschaltung
                              									der gewünschten Druckstufe wird dadurch bewirkt, daß der Umstellhahn E auf
                              										„leer“ bezw. „beladen“ gestellt wird. Dabei ist noch die
                              									Einrichtung getroffen, daß, sobald der Luftdruck in den Behältern die gewünschte
                              									Höhe erreicht hat, der Kompressor selbsttätig auf Leerlauf geschaltet wird, so daß
                              									die von ihm geförderte Luft ins Freie entweicht. Sinkt der Druck auch nur um ein
                              									Geringes unter das festgesetzte Maß, so wird der Kompressor durch den Druckregler
                              									ebenfalls automatisch wieder in die Druckleitung eingeschaltet.
                           
                              
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                              Abb. 2. Anordnung der Bremszylinder.
                              
                           
                              
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                              Abb. 3. Vorderradbremse.
                              
                           Eine weitere Aufgabe des Kompressors besteht darin, die Füllung der Riesenluftreifen
                              									zu übernehmen, auf denen ein neuzeitlicher Schnellastwagen läuft, und die einen
                              									Druck von 7–9 Atmosphären verlangen. Soll ein Reifen aufgepumpt werden, so wird der
                              									Füllhahn F, der gewöhnlich auf „Fahrt“ gestellt ist, in die Stellung
                              										„Füllen“ umgelegt. Der Anschluß des zu füllenden Reifens erfolgt am
                              									Absperrhahn G. Während dieser Zeit ist der Druckregler ausgeschaltet, und der
                              									Kompressor arbeitet so lange unmittelbar in den Reifen, bis durch Abblasen des
                              									benachbarten Sicherheitsventiles H angezeigt wird, daß die Füllung beendet ist.
                              									Während des Füllvorganges ist das Getriebe auf Leerlauf geschaltet, so daß die
                              									Füllung nur bei stehendem Wagen erfolgen kann. Ein weiteres Sicherheitsventil
                              									befindet sich in der die beiden Behälter verbindenden Rohrleitung.
                           Da zur Bremsung eines voll beladenen Lastwagenzuges sehr erhebliche Energiemengen
                              									vernichtet werden müssen, ist es notwendig, sämtliche Räder des Motorwagens und der
                              									Anhänger zur Mitwirkung heranzuziehen. Dies geschieht dadurch, daß jedes Rad seinen
                              									eigenen Bremszylinder und seine eigene Bremstrommel erhält, und zwar sind die
                              									Bremsen des Kraftwagens als Einkammer-, diejenigen der Anhänger dagegen als
                              									Zweikammerbremsen ausgeführt. Sämtliche Bremsen sind Innenbackenbremsen. Abbildung 2
                              									zeigt die Anordnung der Bremszyilnder. Auf Abbildung 3 ist die Vorderradbremse, auf
                              									Abbildung 4 die Hinterachse mit Bremszylindern dargestellt, während Abbildung 5 die
                              									Zweikammerbremsen der Anhänger veranschaulicht. Die Bremsung wird in gewohnter Weise
                              									veranlaßt durch Niedertreten des Bremspedals L, dessen Drehung auf das Führerventil
                              									K übertragen wird, das die aus dem zweiten Luftbehälter J entnommene Druckluft auf
                              									die einzelnen Bremszylinder derart verteilt, daß sich die Bremswirkung vom Ende des
                              									Zuges beginnend nach vorn fortpflanzt, so daß also zunächst die Anhängerbremsen
                              									anziehen, danach die Hinterradbremsen des Motorwagens und erst ganz zum Schluß
                              									dessen Vorderradbremsen, während das Lösen in umgekehrter Reihenfolge vor sich geht.
                              									Dadurch, daß zunächst die hinterste Zugachse gebremst wird, und erst im allmählichen
                              									Fortschreiten die vorderen, wird der Vorteil erreicht, daß selbst bei schnellster
                              									Gefahrbremsung der ganze Zug stets gestreckt bleibt und ein Vorwärtsdrängen des
                              									Kraftwagens durch die Anhänger nicht eintreten kann.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 339, S. 235
                              Abb. 4. Hinterachse mit Bremszylindern.
                              
                           Die Wirkung der Bremsung läßt sich überaus fein regulieren. Zu diesem Zwecke sind die
                              									auf Abbildung 1 erkennbaren vier Bremsstellungen durch federnde Anschläge oder
                              									Rasten M–N dem Fuße merklich fühlbar begrenzt. Im Ruhezustande wird das Pedal unter
                              									Einwirkung der Rückziehfeder O in Stellung I festgehalten. Soll leicht gebremst
                              									werden, so wird das Pedal in Stellung III niedergedrückt, wobei die einzelinen Bremsleitungen in
                              									obiger Reihenfolge durch enge Bohrungen des Ventilschiebers zunächst bei den
                              									Anhängern entlüftet und danach beim Motorwagen mit Druckluft beschickt werden. Die
                              									Folge davon ist, daß die Bremsbacken sich zunächst sanft anlegen, um dann mit
                              									zunehmendem Drucke die Bremswirkung zu verstärken. Sobald die gewünschte Bremskraft
                              									erreicht ist, wird das Pedal in Stellung II zurückgenommen, in der alle Kanäle des
                              									Ventils K abgeschlossen sind, so daß die erzielte Bremswirkung bestehen bleibt. Bei
                              									Vollbremsung wird das Pedal in Stellung IV durchgetreten, worauf alle Leitungen
                              									durch weite Kanäle des Ventils entlüftet bezw. mit Druckluft beschickt werden,
                              									wodurch die volle Bremswirkung in denkbar kürzester Zeit herbeigeführt wird. Läßt
                              									man jetzt das Pedal L in die Ruhestellung I zurückschnellen, so tritt eine nahezu
                              									augenblickliche Entlüftung der Bremszylinder des Vorderwagens bezw. Füllung der
                              									Anhänger-Bremszylinder mit Druckluft ein, und somit eine schnelle Lösung aller
                              									Bremsen.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 339, S. 236
                              Abb. 5. Zweikammerbremse des Anhängers.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 339, S. 236
                              Abb. 6. Schnellautozug mit Druckluftbremse.
                              
                           Sinkt aus irgend einem Grunde der Luftdruck in den Behältern unter ein bestimmtes
                              									Maß, oder ist dieses, z.B. kurz nach der Anfahrt, noch nicht erreicht, so wird das
                              									Pedal durch eine druckluftbetätigte Kupplung selbsttätig mit einem
                              									Hilfsbremsgestänge verbunden, durch das die Hinterräder des Motorwagens in gewohnter
                              									Weise rein mechanisch gebremst werden können. Uebersteigt der Luftdruck
                              									späterhin das festgelegte Maß, so schaltet sich das Gestänge automatisch aus, und
                              									die Druckluftbremse übernimmt ihre Tätigkeit. Durch diese sinnreiche Einrichtung ist
                              									dem Kraftwagenführer die Gewißheit gegeben, daß durch Niederdrücken des Bremspedals
                              									eine Bremswirkung unter allen Umständen erzielt wird.
                           Die Verbindung der durchgehenden Luftleitung zwischen den einzelnen Wagen wird durch
                              									herabhängende Schlauchkupplungen hergestellt, die so eingerichtet sind, daß sie mit
                              									einem einzigen Griffe geschlossen und geöffnet werden können. Bei unbeabsichtigtem
                              									Loslösen – Abreißen – eines Anhängers öffnet sich die Kupplung von selbst.
                              									Infolgedessen schließt sich die Luftleitung des vorderen Zugteiles selbsttätig, so
                              									daß unnötige Luftverluste vermieden werden, während sämtliche Bremsen des
                              									abgerissenen Zugteiles automatisch sofort voll anziehen und diesen nahezu
                              									augenblicklich zum Stehen bringen. Aus diesem Grunde hat, sich der bisher
                              									vorgeschriebene Mitfahrer auf jedem Anhänger bei Vorhandensein der Luftdruckbremse
                              									als überflüssig erwiesen.
                           Die von dem Kompressor erzeugte Druckluft kann auch noch zu anderen Zwecken
                              									Verwendung finden, z.B. zur Betätigung der Signalhupe, der Sandstreuer und
                              									Bergstützen, zur selbsttätigen Ausrückung der Kupplung beim Schalten und Bremsen,
                              									sowie zum Schalten selbst.
                           Der auf Abbildung 6 wiedergegebene Automobil-Schnellastzug, ausgerüstet mit der
                              									beschriebenen Knorr-Auto-Luftbremse, – bestehend aus einem 2,5 t Daag-Motorwagen und
                              									einem Anhänger von gleicher Tragfähigkeit – hat im vorigen Winter eine mehrmonatige
                              									Reise unternommen und insgesamt bereits weit über 5000 km zurückgelegt. Die mit ihm
                              									unter den schwierigsten Verhältnissen durchgeführten Versuchsfahrten im Erzgebirge
                              									sind zur vollsten Zufriedenheit verlaufen. Sie haben klar und deutlich erwiesen, daß
                              									der Fahrer mit dem einen Bremspedal den ganzen Zug genau so sicher beherrscht, wie
                              									den einzelnen Wagen. Dabei sind die erzielten Bremswege überaus kurz.
                           Zum Schluß sei noch bemerkt, daß die Knorr-Bremse - A.-G. auch eine ähnliche
                              									Druckluftbremse, aber in einfacherer Ausführung, für Personenkraftwagen konstruiert
                              									hat, mit der zurzeit Versuche angestellt werden. Beide Bremsen werden auf der im
                              									Dezember 1924 bevorstehenden Deutschen Automobil-Ausstellung in Berlin im Betriebe
                              									vorgeführt werden.