| Titel: | Das Werner-Siemens-Institut. | 
| Autor: | Carl Stein | 
| Fundstelle: | Band 339, Jahrgang 1924, S. 243 | 
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                        Das Werner-Siemens-Institut.
                        Eine neue Stätte für Röntgenforschung.
                        Von Ingenieur Carl
                                 									Stein.
                        STEIN, Das Werner-Siemens-Institut.
                        
                     
                        
                           Wenn die Röntgenstrahlen, nachdem kaum mehr als ein Vierteljahrhundert seit
                              									ihrer Entdeckung verflossen ist, zu einem der wichtigsten Hilfsmittel des Arztes in
                              									seinem Kampf gegen menschliche Leiden und Gebrechen geworden sind, so ist das auf
                              									eine angestrengte Forschertätigkeit während dieser Zeit zurückzuführen.
                           Es tut den Verdiensten der Männer, die daran gearbeitet haben, die Bedingungen für
                              									das Entstehen von Röntgenstrahlen, deren Wirkungen zu untersuchen, oder Geräte zu
                              									ihrer Erzeugung zu schaffen, keinen Abbruch, wenn es heute nicht ausreichend
                              									erscheint, die Strahlen zur Untersuchung und Behandlung von Kranken einfach nach den
                              									bisher gewonnenen Erkenntnissen anzuwenden, sondern sich als erwünscht, ja notwendig
                              									erweist, unsere Kenntnisse durch weiteres Forschen zu erweitern und zu
                              									vertiefen.
                           Freilich bieten die wirtschaftlichen Nöte der Gegenwart ein schweres Hemmnis für
                              									solche Bestrebungen. Gerade für Röntgenforschung ist eine gute und vielseitige
                              									Ausrüstung erstes Erfordernis, und weder dem Staate noch einer Gemeinde stehen heute
                              									die Mittel zur Verfügung, von sich aus solche Forschungsstätten zu schaffen. Trotz
                              									dieser Schwierigkeiten konnte im März dieses Jahres in Berlin ein Institut, das
                              									nicht nur der Untersuchung und Behandlung mit Röntgenstrahlen, sondern auch
                              									wissenschaftlicher Forschungsarbeit dienen soll, dem Betrieb übergeben werden,
                              									nämlich das „Werner-Siemens-Institut für Röntgenforschung“.
                           Die Gründung des Instituts wurde dadurch möglich, daß sich eine auf dem Gebiet der
                              									Elektromedizin führende Firma, die Siemens & Halske A.-G., bereiterklärte, die
                              									Ausrüstung zu beschaffen, während die Gemeinde den Grund und Boden stellte und die
                              									Kosten für den Betrieb übernahm. Bei der äußeren Ausstattung ließ man größte
                              									Sparsamkeit walten: Das Institut ist in drei Baracken auf dem Gelände des
                              									Krankenhauses Moabit untergebracht, die noch aus dem Jahre 1870 stammen. Eine von
                              									ihnen ist Verwaltungsbau, in der zweiten ist die Abteilung für Behandlung
                              									(Therapie-Abteilung), in der dritten die für Untersuchung mit Röntgenstrahlen
                              									(Diagnostikabteilung) untergebracht. Die drei Baracken wurden durch einen einfachen
                              									Querbau miteinander verbunden, der den Verkehr zwischen den einzelnen Abteilungen
                              									vermittelt. Im Verwaltungsbau befinden sich außer den Zimmern für die Aerzte ein
                              									Laboratorium (für histologische und biologische Untersuchungen), ein kleiner
                              									Hörsaal zum Abhalten von Vorträgen und ein Raum für biologische
                              									Röntgenuntersuchungen, außerdem noch ein Aufbewahrungsraum für Platten mit
                              									Röntgenaufnahmen. Die mittlere Baracke, der Therapieraum, enthält drei
                              									Behandlungsräume mit Wartezimmern und Auskleidekammern, zwei Röntgenanlagen mit je
                              									einem Maschinen- und Bedienungsraum. Aehnlich ist auch der Diagnostikbau gegliedert.
                              									Er enthält drei verdunkelbare Zimmer für Durchleuchtungen und photographische
                              									Aufnahmen, zwischen ihnen die Dunkelkammer, die durch eine Lichtschleuse jederzeit
                              									zugänglich ist, endlich die Maschinen- und Bedienungsräume für ebenfalls zwei
                              									Röntgenanlagen.
                           Durch die sachgemäße und den neuesten Erfahrungen über den Bau von Röntgeninstituten
                              									entsprechende Einteilung ist die Vorbedingung dafür erfüllt, daß mit den
                              									Röntgenapparaten, die im Werner-Siemens-Institut zur Verfügung stehen, ersprießliche
                              									Arbeit geleistet werden kann, sowohl für die Behandlung der Kranken des
                              									Krankenhauses Moabit als auch für die wissenschaftliche Verarbeitung der behandelten
                              									Fälle.
                           Von den Apparaten, die zum Erzeugen des hochgespannten Stromes für den Betrieb der
                              									Röntgenröhren dienen, sind zunächst zwei zu nennen, die in der Röntgenabteilung des
                              									Krankenhauses Moabit schon vor Gründung des Instituts verwendet wurden: ein
                              									Therapie-Induktorapparat und ein Diagnostik-Transformatorapparat.
                           Der primären Wicklung des Induktors führt man Gleichstrom normaler Spannung zu, der
                              									aber mit Hilfe eines Unterbrechers in rascher Folge unterbrochen und wieder
                              									geschlossen wird. Bei jeder Unterbrechung entsteht im sekundären Kreis ein
                              									kurzdauernder hochgespannter „Oeffnungsstrom“, bei jeder Schließung ebenso
                              									ein „Schließungsstrom“, der aber entgegengesetzte Richtung hat wie der erste.
                              									Da Röntgenröhren allgemein nur mit Strömen einer bestimmten Richtung betrieben
                              									werden dürfen, so sorgt man beim Funkeninduktor dafür, daß nur dem Oeffnungsstrom,
                              									nicht aber dem Schließungsstrom der Weg zur Röhre freigegeben wird. Bei dem
                              									Diagnostik-Transformatorapparat, der mit Wechselstrom gespeist wird und also auch
                              									sekundär Wechselstrom liefert, wird durch einen umlaufenden Gleichrichter im
                              									Hochspannungskreis zwangsläufig so geschaltet, daß der Strom nur in einer Richtung
                              									durch die Röhre fließt.
                           
                           Die an diesen Gleichrichtern entstehenden Funken verursachen ein ziemlich
                              									starkes Geräusch, das recht störend ist. Außerdem entstehen bei den Entladungen
                              									nitrose Gase und Ozon, die in größerer Menge schädlich wirken. Endlich ist der Funke
                              									überhaupt ein launisches Gebilde, das zu manchen Unregelmäßigkeiten im Betrieb der
                              									Röntgenröhren Anlaß geben kann. Diese Mißstände werden vermieden, wenn man zur
                              									Gleichrichtung Glühkathodenröhren verwendet. Das sind Röhren, aus denen die Luft bis
                              									auf ganz geringe Spuren entfernt ist und in die zwei Elektroden für die
                              									Stromzuführung eingeschmolzen sind. Bei gewöhnlicher Temperatur der Elektroden geht
                              									durch diese Röhren auch bei sehr hohen Spannungen kein Strom hindurch; erhitzt man
                              									aber die eine, die negative (Kathode genannt) zum Glühen, so geht von ihr
                              									Elektrizität zur positiven Elektrode (zur Anode) über, nicht aber in umgekehrter
                              									Richtung. Man kann also mit Hilfe einer solchen Röhre aus einem Wechselstrom den
                              									Stromanteil der einen Richtung aussieben.
                           Ein großer neuer Diagnostik-Apparat des Instituts und der Röntgenapparat für
                              									biologische Untersuchungen ist mit solchen Gleichrichter-Röhren ausgerüstet. Durch
                              									geeignete Zusammenschaltung von je vier Röhren werden bei ihnen beide Halbwellen des Transformatorstromes für die
                              									Erzeugung von Röntgenstrahlen ausgenutzt.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 339, S. 244
                              Abb. 1. Stabilivoltanlage.
                              
                           Auch in der Therapie-Abteilung steht ein ganz neuartiger Apparat – Stabilivolt
                              									genannt – mit Gleichrichter-Röhren (Bild 1). Außer
                              									diesen sind aber noch große Kondensatoren verwendet. Durch eine besondere Schaltung
                              									ist nicht nur erreicht, daß die Spannung an der Röhre der Richtung nach gleich
                              									bleibt, sondern dauernd nahezu auch dem Betrag nach, und zwar ist sie fast doppelt
                              									so hoch als die Scheitelspannung an den Sekundärklemmen des Transformators. Das ist
                              									für die Behandlung mit Röntgenstrahlen, namentlich die von tiefer Hegenden
                              									Körperteilen, wichtig. Jede Röntgenröhre entsendet nämlich ein Gemisch von Strahlen
                              									verschiedener Durchdringungsfähigkeit, sogenannte „harte“ mit großem
                              									Durchdringungsvermögen und sogenannte „weiche“ mit geringerem. Die harten
                              									Strahlen sind für die Behandlung besonders wertvoll. Nun sind in dem
                              									Strahlengemisch um so härtere Strahlen enthalten, je größer die Spannung an der
                              									Röhre ist; bleibt diese dauernd gleich hoch, so erhält man auch die erwünschten
                              									harten Strahlen dauernd in gleicher Menge und Stärke. Diese günstige
                              									Strahlenausbeute ist neben dem Fehlen von umlaufenden Teilen und von Funkenstrecken
                              									einer der größten Vorzüge des neuen Stabilivolt-Apparates.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 339, S. 244
                              Abb. 2. Bestrahlungsraum mit Lagerungstisch und Säulenstativ.
                              
                           Um die Röntgenstrahlen für die Untersuchung und Behandlung richtig anwenden zu
                              									können, sind Geräte nötig, durch die es möglich ist, den zu durchstrahlenden Körper
                              									und die Röhre in geeignete Lage zueinander zu bringen. Zu Behandlungszwecken kann man so vorgehen, daß man den Kranken auf einem
                              									Tisch lagert, die Röhre in ein Stativ einspannt und ihr mit Hilfe der beweglichen
                              									Teile des Stativs die gewünschte Stellung zum Körper des Kranken gibt. Mit solchen
                              									Stativen wird in zweien der Behandlungsräume des Instituts gearbeitet (Bild 2). Man kann aber auch den Kranken auf einen
                              									Tisch lagern, der in der Höhe und nach der Seite verstellbar und auch leicht fahrbar
                              									ist, und ihn auf diesem Tisch in die richtige Lage zur Röhre bringen. Bei diesem
                              									Verfahren ist es möglich, die Röhre, die man nur wenig beweglich zu machen braucht,
                              									mit den Zuleitungsdrähten in einen mit Bleiblech verkleideten und deshalb ganz
                              									strahlensicheren Kasten einzuschließen. Die Röntgenstrahlen können nur durch eine
                              									blendenförmige Oeffnung am Boden des Kastens austreten, und sowohl der Kranke als
                              									auch der Arzt und die Röntgenschwester sind vor ungewollter Bestrahlung sicher,
                              									ebenso auch vor der Gefahr, einen der Hochspannung führenden Zuleitungsdrähte zu
                              									berühren. Auch die Luft im Behandlungsraum bleibt rein, weil Gase, wie Ozon, die an
                              									der Röhre und den Zuleitungsdrähten entstehen, nicht aus dem Kasten austreten
                              									können. Einer der Behandlungsräume des Instituts ist mit solchem
                              										„Bestrahlungskasten“ ausgerüstet (Bild
                                 									3).
                           
                           Bei Untersuchungen muß auch noch der Leuchtschirm
                              									oder die Kassette mit der photographischen Platte in eine geeignete Lage zum
                              									Untersuchten und zur Röhre zu bringen sein. Man verwendet zu diesem Zwecke Stative
                              									besonderer Bauart. Die Diagnostik-Abteilung des Werner-Siemens-Instituts verfügt
                              									über eine Reihe derartiger Stative, unter denen vor allem das
                              									Siemens-Universal-Stativ (Bild 4) zu nennen ist.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 339, S. 245
                              Abb. 3. Behandlungsraum mit Bestrahlungskasten.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 339, S. 245
                              Abb. 4. Siemens-Universal Stativ und Bucky-Aufnahmeblende in der
                                 										Dragnostik-Abteilung.
                              
                           Es eignet sich für Durchleuchtungen und Aufnahmen am
                              									stehenden, sitzenden oder liegenden Patienten, auch für sogenannte
                              										„Fernaufnahmen“, bei denen sich die Röhre in größerer Entfernung von dem
                              									zu Untersuchenden befindet, so daß die Strahlen nahezu parallel den Körper
                              									durchsetzen und auf dem Schirm ein unverzerrtes Schattenbild des durchstrahlten
                              									Körpergebietes erzeugen.
                           Ein Urteil über die Wirkung einer Bestrahlung ist nur möglich, wenn man die Menge der
                              									wirksamen Strahlung, die „Dosis“, kennt. Sie durch Messung festzustellen, hat
                              									lange große Schwierigkeiten bereitet. Es ist in letzter Zeit der Siemens &
                              									Halske A.-G. gelungen, einen auf einem einwandfreien physikalischen Prinzip
                              									beruhenden „Dosismesser“ zu bauen, der ermöglicht, jederzeit die in der
                              									Sekunde an einer bestimmten Stelle steckengebliebene Röntgenstrahlenenergie
                              									abzulesen. Der Apparat ist einfach zu bedienen, seine Angaben sind unabhängig von
                              									der Dauer der Bestrahlung, sie können auch durch registrierende Geräte aufgezeichnet
                              									werden. Auch mit diesem, für eine wissenschaftliche Forschungsarbeit außerordentlich
                              									wertvollen Hilfsmittel ist das Institut ausgerüstet. Von den übrigen
                              									Ausrüstungsgegenständen, über die das Institut verfügt, sind noch besonders
                              									erwähnenswert die Wabenblenden nach Dr. Bucky, die den Zweck haben, von dem
                              									Leuchtschirm oder der photographischen Platte Röntgenstrahlen, die nicht unmittelbar
                              									von der Röntgenröhre, sondern von den durchstrahlten Körperteilen ausgehen, die
                              									sogen. Streustrahlen, fernzuhalten. Sie bestehen im wesentlichen aus gitterförmig
                              									angeordneten Bleistreifen, deren Ebenen alle nach dem Punkte der Röntgenröhre
                              									gerichtet sind, von dem die Röntgenstrahlen ausgehen. Diese haben also freien Weg
                              									zum Leuchtschirm oder der Platte, während andere, die von der Seite her kommen,
                              									durch die Bleistreifen abgehalten werden, somit das Schattenbild nicht verschleiern
                              									und feinere Einzelheiten nicht wieder verwischen können.
                           Daß auch die sonst benötigten Hilfsgeräte, wie Blenden, Filter usw. in ausreichendem
                              									Maße vorhanden sind, ist selbstverständlich. Eine rasche Verständigung zwischen den
                              									einzelnen Stellen des Instituts wird durch eine Fernsprech-Selbstanschlußanlage
                              									ermöglicht, eine elektrische Uhrenanlage vermittelt eine genaue und überall gleiche
                              									Zeitangabe.
                           So bergen die drei unscheinbaren Baracken, in denen das Institut sein Heim gefunden
                              									hat, eine Fülle hochwertiger und wichtiger Ausrüstungsgegenstände für erfolgreiche
                              									und wissenschaftliche Tätigkeit.