| Titel: | Kohle – Oel – Gas. | 
| Autor: | Henricius | 
| Fundstelle: | Band 342, Jahrgang 1927, S. 17 | 
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                        Kohle – Oel – Gas.
                        Eine Betrachtung zum Berginverfahren
                        von Dr. Henricius.
                        (Nachdruck verboten.)
                        HENRICIUS, Kohle – Oel – Gas.
                        
                     
                        
                           mf. Chemische Industrie ist die gewerbsmäßige Umwandlung der Stoffe für den
                              									menschlichen Güterbedarf. Sie erfolgt mit fortschreitender Entwicklung unter
                              									Auswahl der Möglichkeiten und unter der Ueberlegung, wie lange bei steigendem
                              									Verbrauch der natürliche Vorrat reicht. So muß 
                              									die Rohöl-Weltverbrauchssteigerung von 20 Millionen Tonnen im Jahre 1900 auf
                              									100 Millionen Tonnen im Jahre 1920 und 135 Millionen Tonnen im Jahre 1924 auch dem
                              									Laien diese Fragen nahe legen.
                           Kohle ist nicht nur Brennstoff, sondern auch Rohstoff für chemische Umwandlungen. Die
                              									Erfahrungen, die man beim Aufarbeiten der Kohle nach chemischen Gesichtspunkten
                              									gemacht hatte, legten es nahe, auch eine Aufarbeitung für die Energieversorgung
                              									durchzuführen, um so mehr als man bei der Entwicklungsreihe Kohle – Oel – Gas in der
                              									Natur Vorgänge hatte, wo Oele und Gas selbst als Rohstoffe vorkommen, nämlich in den
                              									Erdölvorkommen Amerikas, Asiens und Europas. Wir beobachten dabei das in aller
                              									technischen Entwicklung erheiternde Zwischenspiel von menschlicher Faulheit und
                              									menschlichem Fleiß oder wie man auch sagen könnte: der Mensch arbeitet nur, um die
                              									Möglichkeit zu haben, faul zu sein. Nämlich die bessere Handlichkeit, die leichte
                              									Beförderbarkeit und die allgemeine Anwendbarkeit des Energierohstoffes in flüssiger
                              									oder Gasform veranlaßt den Menschen zunächst, die technische Ausarbeitung der
                              									Kohleverwertung zu vernachlässigen und die ihm bequemeren Oel- oder Gasvorkommen
                              									auszunutzen. Er gewöhnt sich damit daran, sich Energierohstoffe und -Verwendung
                              									besonders in diesen Formen vorzustellen, und so ist es naheliegend, daß er im
                              									Augenblick, wo sich die Frage nach der Reichweite der Erdölvorräte erhebt, beim
                              									Rückgreifen auf den festen Energierohstoff nun auch versucht, diesen vorzugsweise in
                              									flüssiger oder gasförmiger Form anzuwenden. So entstand im Anfang dieses
                              									Jahrhunderts die Aufgabenstellung, die man als die „Verflüssigung und Vergasung
                                 										der Kohle“ bezeichnet. In ihrer einfachsten Form liegt sie allerdings schon
                              									lange vor, nämlich in dem, was in der Steinkohlenteerindustrie, der Kokerei und in
                              									der Gasanstalt gemacht wird, indem man den festen Rohstoff durch Erhitzung in Koks,
                              									Gas und Teer (Oel) trennt. Die Ausbeute an Teer beträgt bei dem frühen Verfahren der
                              									Hochtemperaturverkokung nur 5 vom Hundert und kann in seiner chemischen und
                              									physikalischen Beschaffenheit in keiner Weise den Wettbewerb mit dem natürlichen
                              									Erdöl aufnehmen. Man suchte daher das Verfahren zu verbessern und kam auf die
                              									Tieftemperaturteererzeugung, die die Ausbeute an flüssigen Energierstoffen zwar
                              									verdoppelt, aber zunächst einen Koks ergibt, der nicht an die Stelle des
                              									Hochtemperaturkokses treten kann, weil er nicht widerstandsfähig und hart ist. Auch
                              									das Oel zeigt keine Güteverbesserung gegenüber dem Hochtemperaturteer. Es enthält im
                              									Gegenteil einen sauerstoffhaltigen Rohstoff, den der Chemiker als Kreosot
                              									bezeichnet, das einer chemischen Veredelung, sei es für rein chemische, sei es für
                              									Energiezwecke, bis heute Widerstand leistet. Mit beiden Verfahren war es nur
                              									möglich, den an sich in der Kohle enthaltenen ölartigen Stoff, den man
                              									zusammenfassend mit dem Worte Bitumen bezeichnet, herauszuholen und zwar je nach der
                              									Einwirkungstemperatur in einem mehr oder minder zerstörten oder noch erhaltenen
                              									Zustand. Eine Gewinnung der Kohle selbst in flüssiger oder Gasform war damit noch
                              									nicht erreicht.
                           Der fortschreitende Oelverbrauch richtet sich in erster Linie auf die niedrig
                              									siedenden, gemeinhin als Benzin bezeichneten Kohlenwasserstoffe, die in den
                              									Verbrennungsmotoren vor allem verbraucht werden. Den Ansprüchen des Menschen auf
                              									dieses Erzeugnis hatte auch die Erdölindustrie nur dadurch nachkommen können, daß
                              									sie die in größerer Menge anfallenden höher siedenden Erzeugnisse durch
                              									Spaltungsverfahren, das sogenannte Krackverfahren, in die niedrig siedenden
                              									verwandelt, wobei allerdings bestimmte Schönheitsfehler mit in Kauf genommen werden
                              									mußten.
                           An dieser Stelle der geschichtlichen Entwicklung setzt das Berginverfahren ein, das
                              									von Dr. Friedrich Bergius in den Jahren 1910 bis 1913 in seinen Grundgedanken
                              									ausgebaut wurde, und das grundsätzlich auf folgender Ueberlegung beruht:
                           In erster Linie geschätzt und erwünscht sind Kohlenwasserstoffe – Benzine und Oele –,
                              									die auf ihren Kohlenstoffgehalt einen verhältnismäßig hohen Wasserstoffgehalt haben.
                              									Infolgedessen sind hochsiedende Erzeugnisse, bei denen dieses Verhältnis zuungunsten
                              									des Wasserstoffs liegt, sauerstoffhaltige, wie etwa die Kreosotöle oder
                              									stickstoffhaltige Erzeugnisse, nicht der geeignete Ersatz für die hochwertigen
                              									Erdölbenzine, ebensowenig andere Oele, die im Steinkohlenteer enthalten sind, und
                              									auch die Krackbenzine, die ebenfalls ein ungünstiges
                              									Kohlenstoff-Wasserstoff-Verhältnis zeigen. Auf Grund von physikalisch-chemischen
                              									Ueberlegungen müßte es gelingen, wenn man die Aufspaltung von hoch- und
                              									höchstsiedenden Kohlenstoff-Wasserstoff-Gerüsten in einer Wasserstoffatmosphäre
                              									unter Druck vornimmt, diesen Wasserstoff in das Gerüst bei seiner Spaltung
                              									einzuführen und so zu wasserstoffgesättigten, niedrig siedenden Spaltstücken zu
                              									gelangen. Mit einem Schlagwort könnte man einen solchen Vorgang einen
                              										„hydrierenden“ (Hydrogen = Wasserstoff) Krackvorgang nennen. Bergius hat
                              									diese Ueberlegung in den Jahren 1913 bis 1918 an hoch- und höchstsiedenden,
                              									natürlichen Erdöl-, aber auch an aus der Kohle durch Destillation gewonnenen
                              									Oelerzeugnissen durchgeführt und damit das Berginbenzin dargestellt. Da wir nun
                              									wissen, daß in der Kohle gleiche oder ähnliche Kohlenstoff-Wasserstoff-Gerüste
                              									vorliegen, so war es nur die geistreiche Folgerung aus der allgemeineren
                              									Arbeitsannahme, auch diese Kohlenstoff-Wasserstoff-Gerüste unter Druck mit
                              									Wasserstoff zu behandeln. Es sei vorweggenommen, daß es auf diese Weise gelingt –
                              									und das ist der Kernpunkt des Verfahrens, von dem die wissenschaftliche, die
                              									Industrie- und die Laienwelt jetzt spricht – aus Kohle aller Art zwischen 40 und 70
                              									vom Hundert Oel für die verschiedenen Verwendungszwecke als chemischen oder
                              									Energiestoff zu erzeugen.
                           Während die Verarbeitung von flüssigen oder gasförmigen Stoffen bei hohen
                              									Temperaturen und hohen Drucken heute dem technischen Chemiker grundsätzlich keine
                              									Aufgaben mehr stellt, da genügend Erfahrungen auf entsprechenden Gebieten vorliegen,
                              									war für die Verarbeitung der sperrigen festen Kohle keine Erfahrung vorhanden, und
                              									während die Arbeitsannahme von Bergius – wenn man sie überhaupt annehmen wollte –
                              									für den Chemiker die Ergebnisse, die Bergius erhalten hatte, als naheliegend 
                              									erscheinen ließ, sind die Bedenken des Technikers gegenüber der
                              									wirtschaftlichen und technischen Durchführung des Verfahrens jahrzehntelang nicht zu
                              									überwinden gewesen; so muß eigentlich auch die Durchbildung der Apparate beinahe als
                              									die größere Tat bezeichnet werden. Es ist einleuchtend, daß man Hunderte von Tonnen
                              									der festen Kohle nicht dadurch verarbeiten konnte, daß man sie in Hochdruckgefäße
                              									einfüllt, bei Hochdruck und hoher Wärme über Stunden erhitzt, Apparate und Füllung
                              									wieder abkühlen ließ, die umgewandelte Füllung ausbrachte und weiter verarbeitete,
                              									dann die Apparate erneut füllte und von vorn begann, kurz, daß man absatzweise
                              									arbeitete. Durch Mahlung der Kohle auf 2 Millimeter Korngröße und Anreibung dieser
                              									Kohle mit dickflüssigen Oelen im Verhältnis von etwa 10 : 4 in einer Hochdruckpresse
                              									erhielt Bergius eine in Röhren durch Pumpen beförderbare Paste, die mit einer
                              									solchen Geschwindigkeit durch die Apparate bewegt wurde, daß ihre Verweilzeit im
                              									eigentlichen Hochdruckgefäß zur Durchführung der erwünschten Umsetzung ausreichte.
                              									Die zweite Schwierigkeit bestand in der Uebertragung der nötigen Wärme. Abgesehen
                              									davon, daß durch die Umwandlung zur Paste bereits eine bessere Wärmeübertragung
                              									erreicht wurde als bei festem Stoff, gelang es durch die Führung eines gasförmigen
                              									Wärmeträgers durch und um die Apparate herum, auch diese Schwierigkeit zu
                              									überwinden, sodaß heute folgendes Ergebnis erreicht ist: Das Berginsverfahren
                              									verarbeitet Kohle aller Art – da die Zerkleinerung des Stoffs ohnedies notwendig
                              									ist, unter Bevorzugung von Fein- und Staubkohle – auf hochwertige ölige und
                              									gasförmige Erzeugnisse; und zwar erhält man aus 100 Kilogramm Rohkohle etwa 15
                              									Kilogramm Motorbetriebsstoffe in den Siedegrenzen von 30 bis 230 Grad, 20 Kilogramm
                              									Diesel- und Tränköl, 6 Kilogramm Schmieröl, 8 Kilogramm Heizöl, 3,5 Kilogramm
                              									Destillations- und Raffinationsverlust, etwa 25 Kilogramm Gas und 0,5 Kilogramm
                              									Ammoniak.
                           Die Erkenntnis der Tatsache, daß als Wasserstoffquelle das bei dem Vorgang selbst
                              									auftretende Gas weitgehend verwertbar ist, verbilligte diese Rohstoffseite des
                              									Verfahrens wesentlich und erlaubte auch die Verknüpfung des Verfahrens mit bereits
                              									bestehenden Kokereien und Gasanstalten.
                           Völlig wesensverschieden vom Berginverfahren sind die Verfahren, die sich an die
                              									Untersuchungen der Badischen Anilin- und Sodafabrik und unabhängig davon an die von
                              									Franz Fischer anknüpfen; sie haben das Ziel, durch Vergasung des Kokses, also nach
                              									der vorgezeichneten Verarbeitung der Rohkohlen zu Wassergas und Umsetzung dieses
                              									Wassergases in sich selbst, zu Kohlenwasserstoffverbindungen zu gelangen. Die erste
                              									industrielle Durchführung dieses Verfahrens ist die Erzeugung des Methylalkohols
                              									durch die Badische Anilin- und Sodafabrik.