| Titel: | Großgasfernversorgung auf Braunkohlenbasis. | 
| Autor: | L. L. L. | 
| Fundstelle: | Band 342, Jahrgang 1927, S. 223 | 
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                        Großgasfernversorgung auf
                           								Braunkohlenbasis.
                        Großgasfernversorgung auf Braunkohlenbasis.
                        
                     
                        
                           Im Zusammenhang mit den Bestrebungen der Ruhrkohlenindustrie, eine zentrale
                              									Fernversorgung Deutschlands mit Koksofengas durchzuführen, sind Projekte
                              									bekanntgegeben worden, auch das Braunkohlengebiet, vornehmlich das mitteldeutsche,
                              									den Zwecken der Ferngasversorgung nutzbar zu machen. Es ist bereits vor kurzem eine
                              									Studiengesellschaft gegründet worden, der allerdings Zeitungsnachrichten zufolge die
                              									bedeutenden Riebeckschen Montanwerke (jetzt J.-G.-Farbenindustrie) und andere
                              									Konzerne fernstehen. Zu dieser Gründung wäre es ohne die Bekanntgabe der Pläneder
                              									A.-G. für Kohlenverwertung in Essen, die dazu den Anstoß gegeben haben, sicherlich
                              									nicht gekommen.
                           Die Pläne der Ruhrkohlenindustrie in bezug auf Städteversorgung mit Gas erfuhren in
                              									der Oeffentlichkeit eine starke Kritik; eine Reihe von Umständen spricht gegen das
                              									von den Steinkohlenzechen angestrebte Brennstoffmonopol. Aber gegenüber der
                              									Braunkohle weist die Ruhr insofern einen Vorsprung auf, als das Gas dort bereits in
                              									ausreichenden Mengen vorhanden ist und nach entsprechender Aufbereitung unter
                              									gewissen Voraussetzungen kommunales Gas ersetzen kann. Ferner soll nach der
                              									Argumentierung der Steinkohlenindustrie, worüber übrigens die Meinungen in der
                              									Fachwelt stark geteilt sind, das Kohlensortenproblem von den Fragen des
                              									gesteigerten Kokereigasabsatzes abhängig sein.
                           Gänzlich anders liegen in dieser Hinsicht die Verhältnisse bei der Braunkohle. Nicht
                              									nur stehen hier bedeutende Gasmengen nicht zur Verfügung, sondern sie müssen
                              									überhaupt erst geschaffen werden. Abgesehen hiervon sind bei der Inangriffnahme der
                              									Verarbeitung der Braunkohle auf ein für die Städteversorgung geeignetes Gas noch
                              									erhebliche Schwierigkeiten, hauptsächlich technischer Art zu überwinden. Ueberhaupt
                              									hat in der Braunkohlenindustrie die Gaswirtschaft nie eine bedeutende Rolle
                              									gespielt. Die in den Schwelereien erzeugten Gasmengen sind weitaus geringer, als für
                              									die Aufrechterhaltung der eigenen Schwelereibetriebe nötig ist, so daß zur Beheizung
                              									der Oefen noch außer dem eigenerzeugten Gas Zusatzkohle verwandt werden muß. Als die
                              									Frage der Kokereigasfernversorgung die Oeffentlichkeit zu interessieren begann, und
                              									im Zusammenhang hiermit die Stellungnahme der Braunkohlenindustrie zu den
                              									aufgeworfenen Problemen veranlaßt wurde, ging das allgemeine Empfinden dahin, daß
                              									bei dem Erscheinen der Braunkohlenindustrie auf dem Plan es sich nicht um
                              									Lebensnotwendigkeiten dieser Industrie oder etwa um vorteilhaftere Lösungen der
                              									Frage der Gasfernversorgung handelte. Vielmehr war der Eindruck der, daß die
                              									Braunkohle 
                              									zunächst auf alle Fälle auch dabei sein möchte, wenn die Projekte der
                              									Steinkohlenindustrie in bezug auf Gasfernversorgung verwirklicht werden sollten.
                              									Immerhin birgt der Gedanke der Fernversorgung auf Braunkohlenbasis manches
                              									Bestechende in sich. Die hauptsächlichsten Vorkommen liegen zentral und weit
                              									entfernt von den Deutschland umkreisenden „Sieger“-Mächten. Die Braunkohle
                              									ist verhältnismäßig preiswert und der Versand von Braunkohlengas würde sich für
                              									einen bestimmten Umkreis billiger (kürzere Leitungen, geringere Drücke) gestalten,
                              									als dieses bei dem an der Peripherie erzeugten Kokereigas der Fall sein könnte.
                              									Demgegenüber stehen jedoch noch nicht überwundene Schwierigkeiten der Gasbereitung
                              									aus Braunkohle entgegen, die zum großen Teil in der mulmigen und stark wechselnden
                              									Beschaffenheit und dem hohen Wassergehalt der Braunkohle, sowie in der Bildung
                              									großer Mengen von Kohlensäure und Kohlenoxyd usw. im Schwelgas ihre Begründung
                              									haben, wovon noch weiter unten die Rede sein wird.
                           Die heutige Technik der Braunkohlenschwelerei bietet wohl die Möglichkeit der
                              									Gewinnung heizkräftiger Gase, jedoch, was besonders betont werden muß, in einer
                              									wesentlich geänderten Zusammensetzung und von bedeutend höherem spezifischen Gewicht
                              									als bei dem fast vollständig standardisierten städtischem Gas. Für den Gedanken der
                              									Gasfernversorgung ist aber schon in Anbetracht ihrer späteren
                              									Entwicklungsmöglichkeit von Bedeutung, daß ein Zusammenschluß verschiedener
                              									Gaserzeugungsstellen nicht von vornherein durch zu starke Schwankungen in der
                              									Beschaffenheit und Zusammensetzung des abzugebenden Ferngases gehemmt werde.
                              									Beispiele für derartige aus der Änderung der Gasbeschaffenheit entstandenen
                              									Schwierigkeiten und Verärgerungen bietet zur Genüge die Kriegs- und Nachkriegszeit,
                              									sowie die seinerzeitigen Fehler ähnlicher Art in der Großwirtschaft der
                              									Elektrizitätsversorgung. Abgesehen hiervon ist es mit Rücksicht auf die durch
                              									verschiedene Umstände bewirkten Anforderungen an Gas (Rohrleitungszustand,
                              									Brennerbeschaffenheit, Druckverhältnisse, Luftbedarf, Giftigkeit infolge des
                              									Kohlenoxydgehaltes usw.) unumgänglich, daß das Braunkohlengas von vornherein len
                              									deutschen Gasnormen (4000–4300 WE/cbm, 12 bis 15% inerte Gase, spezifisches Gewicht
                              									= 0,5) möglichst weitgehend entspricht.
                           Bei der Verarbeitung von Braunkohle ist zu berücksichtigen, daß die Teer-, Oel-,
                              									Paraffin- und Grudekokswirtschaft von einschneidender Bedeutung ist und auch nach
                              									etwa erfolgter Anpassung der Schwelerei an Gaserzeugung für Städtebedarf bleiben
                              									wird. Dieses bedingt, daß bei der Verarbeitung der Braunkohle auf das Gas ebenfalls
                              									Schwelprozesse (mit Gewinnung des als Selbstzweck zu betrachtenden und weiter zu
                              									zerlegenden Schwelteeres) angewandt werden, die allerdings entsprechend zu
                              									modifizieren wären. Der heutige Repräsentant des Schwelofens ist mit wenigen
                              									Ausnahmen der aus den siebziger Jahren stammende und seither fast unverändert
                              									gebliebene nach seinem Erfinder bekannte Rolle-Ofen, von dem in Mitteldeutschland
                              									etwa 1200 (darunter allein bei Riebeck-Montan ungefähr 800) vorhanden sind.
                           Das Gas aus Rolle-Oefen (und das sind die weitaus überwiegenden) ließe sich wohl
                              									in einer Beschaffenheit herstellen, die dem heutigen städtischen Gas ähnelt, wenn
                              									man dieses Braunkohlengas vom beträchtlichen Luft- und Kohlensäuregehalt befreien
                              									würde. Die. erzeugten Gasmengen reichen aber, wie erwähnt, kaum für den eigenen
                              									Ofenbetrieb aus; außerdem müßten diese Oefen zur Umstellung auf Beheizung mit
                              									anderem Gas noch verschiedenen (wohl kaum durchführbaren) baulichen Abänderungen
                              									unterworfen werden, über deren Erfolg in der Zukunft noch keineswegs Sicherheit
                              									besteht. Für die Gasgewinnung aus Braunkohle erscheint deshalb zweckmäßiger die
                              									Anwendung neuerer Konstruktionen und Verfahren.
                           Das von Professor Seidenschnur vorgeschlagene sogenannte Spülgasverfahren, bei
                              									welchem auf dem Wege durch einen bei niedrigen Temperaturen erzeugten gasreichen
                              										„Flammkoks“ Destillationsgas gewonnen werden sollte, erscheint nach der
                              									von Professor Dolch (Halle) vorgenommenen Nachprüfung wenig versprechend. Der Gehalt
                              									des auf diese Weise erzeugten Gases an Kohlensäure und Kohlenoxyd ist sehr hoch, der
                              									Heizwert ist niedriger und das spezifische Gewicht höher als beim Steinkohlengas.
                              									Das Restprodukt weist eine bedeutende Aschengehaltsanreicherung auf; außerdem ist zu
                              									beachten, daß praktische Ergebnisse über dieses Verfahren nicht vorliegen.
                           Von den vielen anderen zu neueren Ofensystemen für mulmige Rohbraunkohle vorliegenden
                              									Vorschlägen, die zugleich größeren Durchsatz und bessere Ausbeute und Qualität von
                              									Teer und Grudekoks gewährleisten, sind praktische Resultate aus längerer
                              									Betriebszeit und mehreren Anlagen nur in Bezug auf den Ofen der
                              									Kohlenveredelungs-A.-G. (Leopold-Grube in Edderitz u.a.) bekannt.
                           Sowohl in diesem Ofen wie auch in den anderen neueren Ofensystemen entfallen
                              									bedeutende Mengen Grudekoks, so daß die Rentabilität der Gasgewinnung auch bei
                              									solchen Oefen von der Absatzmöglichkeit für Grudekoks zu guten Preisen abhängt. Man
                              									hofft zwar diesen Grudekoks zur Verwendung in Staubfeuerungen heranziehen zu können,
                              									was jedoch in erster Linie davon abhängt, ob der Grudekoks preisliche Vorteile
                              									gegenüber dem Steinkohlenstaub bieten kann. Man kann auch keineswegs erwarten, daß
                              									die Industrie sich plötzlich auf Grudekoks umstellt. Es könnte dann die
                              									Braunkohlengasversorgung ebenfalls nur schrittweise entsprechend der Eroberung des
                              									Marktes durch Grudekoks versucht werden, sofern natürlich die anderen
                              									Voraussetzungen zutreffen. In letzterer Hinsicht ist jedoch die folgende Tatsache
                              									von Bedeutung: Das in diesen Oefen erzeugte Gas zeigt, abgesehen von einem sehr
                              									hohen Gehalt an Kohlenoxyd (Träger der Gasgiftigkeit) einen etwa achtfachen
                              									Kohlensäuregehalt, ein doppeltes spezifisches Gewicht im Vergleiche mit normalem
                              									städtischen Gas, sowie einen verhältnismäßig hohen, unter gewissen Umständen
                              									nachteiligen Gehalt an schweren Kohlenwasserstoffen auf. Die unmittelbare Verwendung
                              									eines solchen Gases kann mit Rücksicht auf Zerstörungen und Beschädigungen durch
                              									dieses in Gasbehältern, Rohrleitungen und Gasmessern und in Anbetracht erheblicher
                              									Störungen im Betriebe der Gasbrenner infolge 
                              									der größeren benötigten Luftmenge nicht in Frage kommen. Mit Rücksicht auf die
                              									Brenner der bestehenden Gasverbrauchsapparate müßte dieses Gas den Verbrauchsstellen
                              									mit einem doppelten gegenüber dem heute in den Städten allgemein üblichen Druck
                              									zugeführt werden, was mit vielen Schwierigkeiten verbunden ist und nicht immer
                              									möglich und wirtschaftlich erscheint. Dieses Gas muß deshalb zwecks Verminderung des
                              									Kohlensäure- und Kohlenoxydgehaltes und der Herabsetzung des spezifischen Gewichtes
                              									usw. eine Aufbereitung erfahren. Hierfür können verschiedene Wege eingeschlagen
                              									werden.
                           Die Beseitigung des größten Teils der Kohlensäure (und zugleich des
                              									Schwefelwasserstoffes) durch Kalkmilch würde an der Verarbeitung der gewaltigen
                              									Mengen Kalk und Beseitigung seiner Rückstände scheitern. Die versuchte Verringerung
                              									des Kohlensäuregehaltes im Gas durch Anwendung der fraktionierten (übrigens
                              									apparativ und betriebstechnisch mit Schwierigkeiten verbundenen) Destillation
                              									während des Schwelprozesses führte nicht zu dem erwünschten Ergebnis. Es bliebe dann
                              									nur noch die Druckauswaschung der Kohlensäure mit Wasser übrig, wobei es noch nicht
                              									feststeht, auf welche rentable Weise die gleichzeitig mit der Kohlensäure
                              									ausgewaschenen schweren Kohlenwasserstoffe aus dem Wasser zu entfernen wären, damit
                              									die bedeutenden Wassermengen ohne Benachteiligung der Nachbarschaft abgeführt werden
                              									können.
                           Eine Entfernung von Kohlensäure und Schwefelwasserstoff allein genügt aber, wie
                              									Versuche zeigen, keineswegs. Vielmehr muß auch die chemische Zusammensetzung des
                              									Gases derjenigen des üblichen Stadtgases angepaßt werden, und zwar durch
                              									Verminderung des Gehaltes an schweren Kohlenwasserstoffen oder Erhöhung des
                              									niedrigen Wasserstoffgehaltes um u.a. ein Gas von geeignetem spezifischen Gewicht zu
                              									erhalten.
                           Die in Frage kommende Aenderung der Gaszusammensetzung und des damit verbundenen
                              									spezifischen Gewichtes kann auf verschiedenen Wegen erfolgen. Man könnte z.B. wie
                              									Regierungsbaumeister Schmidt (Halle) ausführt, dieses Ziel durch nachträgliche
                              									Krackung des vom Teer befreiten Gases erreichen; ob und wie weit dieses Verfahren
                              									rentabel erscheint, steht bis jetzt noch nicht fest. Auf alle Fälle ist zu beachten,
                              									daß die gewünschte Verminderung des Kohlenoxydgehaltes im Gase hierbei nicht
                              									eintreten würde. Ein anderer Weg, der in der Auflösung der schweren
                              									Kohlenwasserstoffe während der oben erwähnten Druckauswaschung und
                              									darauffolgendes Abdestillieren zur anderweitigen Verwendung liegt, erscheint zu
                              									kompliziert und wirtschaftlich aussichtslos. Es bliebe also nur noch das Mischen des
                              									Braunkohlenschwelgases mit anderen leichteren Gasen übrig und zwar mit Grudegas
                              									(Entgasen von Grudekoks), Wassergas oder mit reinem Wasserstoff. Hierzu ist
                              									folgendes zu bemerken: Grudegas weist einen hohen Gehalt an Kohlenoxyd auf und ist
                              									sehr giftig. Ferner ist zurzeit wenig geklärt und auf alle Fälle zweifelhaft, ob die
                              									bei Bereitung dieses Gases verbleibenden Rückstände lohnend verwertet werden können.
                              									Die Mischung von Braunkohlenschwelgas mit der nötigen Menge Wassergas (oder die
                              									direkte Erzeugung eines solchen Mischgases im Generator, soweit es technisch möglich
                              									ist) ergibt ebenfalls ein unbefriedigendes Resultat, weil beim Einhalten des
                              									gebotenen Mischungsverhältnisses ein Gas mit über 25% giftigen Kohlenoxydes
                              									resultiert, während beim städtischen Gas diese Werte unter 15% liegen. Das beste
                              									Resultat würde man durch Mischen von Schwelgas mit reinem Wasserstoff erzielen. Man
                              									erhält hierbei tatsächlich ein Gas, welches in bezug auf seine chemische
                              									Zusammensetzung, spezifisches Gewicht, Luftbedarf etc. am besten dem heutigen
                              									normierten Leuchtgase entspricht. Dieser letzte Weg ist aber vom Preis für
                              									Wasserstoff abhängig, dessen Erzeugungskosten in erster Linie von der
                              									Absatzmöglichkeit für den gleichzeitig entfallenden Sauerstoff bestimmt werden. Bei
                              									den in Frage kommenden gewaltigen Mengen von Sauerstoff sind aber günstige
                              									Voraussetzungen in dieser Hinsicht nicht gegeben.
                           Unter solchen Umständen lassen sich natürlich auch keine Rentabilitätsberechnungen
                              									aufstellen. Aber auch unter Berücksichtigung der günstigsten Umstände gelangt man
                              									hierbei nach Berechnung der von Fachleuten zu Gestehungspreisen für aufbereitetes
                              									Braunkohlenferngas, die unter Einschluß der Ausgaben für den Gastransport durch
                              									Rohre bedeutend über den heutigen Selbsterzeugungskosten des städtischen
                              									Kohlendestillationsgases liegen.
                           Faßt man das Obige zusammen, so sieht man, daß die Ferngasversorgung auf
                              									Braunkohlenbasis von der Lösung so vieler technischer Probleme und Wechselwirkung
                              									wirtschaftlicher Faktoren und anderer Voraussetzungen abhängt, daß an die
                              									Verwirklichung dieses Planes noch viele Jahre gar nicht zu denken ist.
                           
                              L. L. L.