| Titel: | Hundert Jahre Kohleveredlung. | 
| Autor: | Landgraeber | 
| Fundstelle: | Band 342, Jahrgang 1927, S. 243 | 
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                        Hundert Jahre Kohleveredlung.
                        Hundert Jahre Kohleveredlung.
                        
                     
                        
                           Die ersten Nachrichten über Verwendung von Kohle stammen aus dem Jahre 300 v.
                              									Chr. Von Gajus Julius Solinus, der im 3. Jahrhundert lebte, wissen wir, daß römische
                              									Legionen in England (Bath) Steinkohlen zur Beheizung luxuriöser Badeanlagen
                              									verwandten. Marco Polo berichtet von ihrer Verwendung im 13. Jahrhundert in China.
                              									In Deutschland ist bei Zwickau vermutlich schon im 16. Jahrhundert Kohlenbergbau
                              									getrieben worden. Jene Anfänge sind jedoch nur kleinere Versuche mit unzulänglichen
                              									Mitteln. Erst um die Mitte des 18. Jahrhunderts setzte infolge Minderung der
                              									Holzbestände eine Umstellung der Heizung von Holz auf Kohle und mithin eine
                              									intensivere Kohlengewinnung ein. Die Entwicklung ging aber trotzdem nur langsam
                              									vonstatten. Im Jahre 1827 betrug die Kohlenproduktion der Welt etwa 10000 t.
                              									Gegenwärtig übersteigt sie eine Milliarde t. Das bedeutet eine Steigerung um das
                              									Hunderttausendfache in 100 Jahren. Den größten Verbrauch hat die Eisengewinnung mit
                              									25 Proz. der geförderten Kohle. Es folgen alsdann Hausbrand und Kleingewerbe
                              									mit 22 Proz., Elektrizitätsgewinnung mit 15 Proz., Eisenbahnen mit 10 Proz.,
                              									Gasgewinnung mit 10 Proz., chemische Industrie mit 5 Proz. und Textilindustrie mit 3
                              									Proz. Die übrigen 10 Proz. verteilen sich auf verschiedene sonstige Industrien. Aus
                              									diesen Zahlen erhellt die Bedeutung der Kohle für das Wirtschaftsleben. Trotzdem
                              									vernimmt man häufig die Ansicht, Kohle sei ein Wert von gestern, um den man sich
                              									heute nicht mehr zu kümmern braucht. Grundfalsch. Kohle wird noch lange Zeit eine
                              
                              									hervorragende Rolle zur Lieferung von Kraft, Wärme und unzähligen anderen
                              									wirtschaftlich hoch bedeutsamen Stoffen spielen. Je schneller die Erkenntnis von der
                              									Zusammensetzung der Kohle fortschreitet, je mehr wird Kohle nicht mehr einfach
                              									verbrannt, sondern in seine Bestandteile zerlegt, veredelt. Kohle ist alles andere
                              									als ein einheitlicher Körper. Sie ist ein hochkompliziertes Gemisch von Gasen,
                              									flüssigen und festen Stoffen. Interessant ist die Definition der Kohle im Wandel der
                              									Zeiten. 
                              									Anaximenes (588 v. Chr.) behauptete, Kohle sei verdichtete Luft. Um das Jahr
                              									1500 betrachtete man Kohle als eine steinölartige Masse, die als solche wie ein
                              									Meteor vom Himmel gefallen sei. Um jene Zeit wurde außerdem behauptet, Kohle sei
                              									vulkanischen Ursprungs. Agricola (1540) hielt Kohle für eine Verdichtung des Erdöls.
                              									Im Jahre 1582 sagte Balthasar Klein, Kohle ist scheinbar Holz. Der Kohlengeologe
                              									(Kuckuck) schreibt, Kohlen sind fossile organogene, phytogene Gesteine. Neuzeitliche
                              									Untersuchungen haben ergeben, daß die Hauptbestandteile der Kohlen Bitumen, Humus –
                              									oder Restkohle, Huminsäuren und anorganische Aschen sind.
                           Bekanntlich unterscheidet man verschiedene Möglichkeiten der Nutzbarmachung dieser
                              									Naturschätze. Neben der primitivsten, der Verbrennung gibt es die
                              									Leuchtgasfabrikation, die wirtschaftlicher arbeitende Verkokung und endlich als
                              									höchste Stufe die Veredelung auf drei verschiedene Arten. Hinsichtlich der
                              									Verbrennung ist zu bemerken, daß schon frühzeitig versucht wurde, den feinen
                              									Kohlenstaub, der früher bei der Ausbeutung der Flöze anfiel, und der sich nur
                              									schlecht verwerten ließ, durch eine Art Veredelung nutzbar zu machen. Diese
                              									Feinkohlen stellten einst den größten Teil der Förderung dar. Unsere Altvorderen,
                              									die vorwiegend Bergbau am sog. Ausbiß der Flöze an der Erdoberfläche betrieben, wo
                              									nur entgaste d.h. schwer entzündliche und schwer brennbare Kohlen anstehen,
                              									versuchten diese zur besseren Ausnützung stückig zu machen. Sie mischten zu diesem
                              									Zweck ähnlich wie in Ziegeleibetrieben Kohlengries mit angefeuchtetem Lehm oder Ton,
                              									formten ihn zu Ziegelsteinen und ließen diese an der Luft trocknen. Diese sog.
                              										„Klütten“ waren infolge hohen Aschengehaltes nach heutigen Begriffen ein
                              									recht minderwertiges Heizmaterial. Trotzdem war das Verfahren in allen Ländern, wo
                              									Kohlen vorkamen, bekannt. Bei primitiven Völkern läßt sich diese althergebrachte
                              									Methode heute noch beobachten. Vor hundert Jahren ging man dazu über, das bis dahin
                              									geübte Veredlungsverfahren zu verbessern. An Stelle der den Aschengehalt
                              									außerordentlich erhöhenden Erde nahm man anfänglich tierische Fette und bald darauf
                              									teerartige Produkte. Nun ist aber die Pressung der Kohlenkuchen eine der
                              									Hauptbedingungen zur Herstellung eines brauchbaren und lagerbeständigen sowie
                              									transportfähigen Briketts. Erst im Jahre 1842 kam man auf den Gedanken, die
                              									geteerten Feinkohlen zu pressen. Im Jahre darauf fand man, daß Steinkohlenpech das
                              									geeignetste Bindemittel war. Diese Entdeckung war der Wendepunkt in der Entwicklung
                              									der Brikettindustrie, die heute ebenso bedeutsam wie der Kohlenbergbau selbst ist.
                              									Der Name Briketts stammt von dem französischen Wort „brique“ Ziegel. Während
                              									sich die Brikettfabrikation in Frankreich, England und Belgien überaus schnell
                              									entwickelte, dauerte es in Deutschland Jahrzehnte, bis sie sich hier einbürgerte.
                              									Die Ursache für die langsame Einführung in Deutschland ist darin zu suchen, daß im
                              									Auslande dieser veredelte Brennstoff besser bezahlt wurde als bei uns. Außerdem
                              									waren die hierfür aus England bezogenen teerartigen Bindemittel verhältnismäßig
                              									teuer. Erst als man dazu überging, auch in Deutschland das benötigte Steinkohlenpech
                              									selbst herzustellen, nahm diese Veredlungsart an Umfang zu. Damals (1883)
                              									bestanden in Deutschland drei Brikettierungsanlagen. Fünf Jahre später war die Zahl
                              									auf 11 gestiegen. Im Jahre 1883 wurden im rheinisch-westfälischen Industriegebiet
                              									knapp 15000 Tonnen Briketts hergestellt. 30 Jahre später (im Jahre 1913) war die
                              									Produktion auf mehr als 5 Millionen Tonnen angewachsen. Als Bindemittel kommt
                              									Weichpech, Mittelhartpech und Hartpech zur Verwendung. Dem Hartpech wird der Vorzug
                              									gegeben. Dieser Erfolg ist zum erheblichen Teile auf die Veredelung von Steinkohlen
                              									durch eine andere Art und zwar der Leuchtgasfabrikation zurückzuführen, bei der
                              									bekanntlich derartige pechartige Stoffe anfallen. Vor rund 100 Jahren wurde die
                              									Gasbeleuchtung erstmalig in Deutschland eingeführt. Auch sie hat in ihrer
                              									Entwicklung weit verzweigte Industriegebiete entstehen lassen, die einen breiten
                              									Raum im heutigen Wirtschaftsleben einnehmen. Fast gleichzeitig mit der
                              									Leuchtgasfabrikation entwickelte sich die Kokereiindustrie, durch die schier
                              									unerschöpfliche Reichtümer durch Kohlenveredelung der Wirtschaft zugeführt werden.
                              									Rund 25 Proz. der deutschen Steinkohlenförderung werden verkokt und zu Derivaten der
                              									Kohle auf Heilmittel, Riechstoffe, Düngemittel, Oel, Benzol, Heizgase usw.
                              									verarbeitet. Hervorgegangen ist die Kokerei aus Versuchen, Steinkohlen ähnlich wie
                              									Holzkohle auf Meilerart zu brennen. Vor 100 Jahren begann man Kohle in sog. Korböfen
                              									zu backen bzw. zu verkoken. Aus ihnen gingen nach mancherlei Umwandlungen
                              									schließlich die sogen. Bienenkorböfen hervor. Als einer der ersten, der sich mit der
                              									Verbesserung der alten Einrichtungen und mit der Einführung der Gewinnung von
                              									Nebenprodukten durch Destillationskokerei befaßte, war der Erfinder der Solvay-Soda,
                              									der Begründer der chemischen Großindustrie, deren Anfänge ebenfalls aus der Zeit von
                              									vor hundert Jahren datieren. Den Anstoß hierzu gab der gesteigerte Verbrauch von
                              									Ammoniak, dem wichtigsten Hilfsmittel der Solvay-Soda. Der Semet-Solvay-Koksofen
                              									verdankt diesem Umstände seine Entstehung. Mitte der 50er Jahren des vergangenen
                              									Jahrhunderts ging man zu Verkokungsverfahren in Oefen mit langen schmalen
                              									Ofenkammern über. Diese Oefen wurden durch gußeiserne, schmale mit Lehm verschmierte
                              									Türen verschlossen. Hieraus entwickelten sich eine ganze Anzahl verschiedener
                              									Bauarten. Die Methoden Ammoniak unmittelbar aus den Nebenprodukten zu gewinnen, sind
                              									erheblich verbessert. Kürzlich erfand man ein Benzolgewinnungsverfahren, nach
                              									welchem sofort verwendbares Benzol für Kraftfahrzeuge gewonnen wird. Der Gewinnung
                              									des im Destillationsgas enthaltenen Benzols wurde schon immer die größte
                              									Aufmerksamkeit zugewandt. Benzol wird mit Recht als der edelste Automobilbrennstoff
                              									bezeichnet und man ist ständig bemüht, qualitativ das Bestmöglichste zu liefern. Da
                              									die Geschichte des Benzols ein treffliches Beispiel für die Entwicklung der
                              									Kohleveredelung darstellt, soll hier kurz darauf eingegangen werden. Im Jahre 1825
                              									wurde nach Dr. O. Jellinek den Bewohnern Londons das Leuchtgas vor das Haus
                              									gefahren. Dieses Gas hatte nun die unangenehme Eigenschaft, mit der Zeit seine
                              									Leuchtkraft einzubüßen. Faraday fand bald in den Transportbehältern einen flüssigen
                              									Niederschlag, dem die 
                              
                              									leuchtenden Teile des Gases anzugehören schienen. Diese Flüssigkeit erkannte
                              									Faraday als ein Gemenge verschiedener Bestandteile, aus dem er mittels
                              									fraktionierter Destillation das Benzol als einheitliche Verbindung isolierte. Trotz
                              									zahlreicher Versuche mit allen möglichen Mitteln konnte er nicht herausbekommen, daß
                              									er die Muttersubstanz zahlloser, wichtiger Verbindungen vor sich hatte. Die
                              									bevorzugte Natur des Benzols offenbarte sich erst später in einer Reihe von
                              									Beobachtungen. So fand Mitscherlich im Jahre 1834, daß sich aus Toluol Benzoesäure
                              									und aus dieser, durch Destillation über Kalk, Benzol darstellen lasse. Da auch Kymol
                              									über Teraphtalsäure zum Benzol führte, mußte man annehmen, daß diese Verbindungen
                              									alle Abkömmlinge desselben, äußerst beständigen Benzols seien. Diese wichtige
                              									Schlußfolgerung sprach Kekule 1866 aus. Er war es auch, der die theoretischen
                              									Grundlagen einer Benzolchemie durch Aufstellung der berühmten Sechseckformel für das
                              									Benzol schuf. Diese Formel sollte für die Zukunft äußerst fruchtbringend werden,
                              									fand doch dadurch eine scharfe Unterscheidung zwischen Verbindungen mit offener und
                              									geschlossener Kette statt.
                           Der Teer, das einst so lästige Abfallprodukt der Leuchtgasbereitung, lieferte die
                              									Grundstoffe für eine neue Industrie. Vom ersten Anilinfarbstoff, dem Mauvein, führt
                              									eine glänzende Entwicklung zu den synthetischen Farbstoffen unserer Tage. Die
                              									Herstellung künstlicher Arzneimittel wäre nicht möglich ohne das unscheinbare Oel,
                              									das den Londoner Gasfabrikanten so viel zu schaffen machte. So hat Zufall, Vermutung
                              									und Scharfsinn ein mächtiges Gebäude errichtet, zu dem vor hundert Jahren der große
                              									Faraday den Grundstein legte.
                           Die Ueberwindung aller Schwierigkeiten zur Herstellung von Edelstoffen aus Kohle bis
                              									zu ihrer heutigen Höhe ist eines der bedeudsamsten Ruhmesblätter deutscher
                              									Wissenschaft und Technik. Den Anstoß hierzu gab neben der Entdeckung des Benzols das
                              									vor hundert Jahren von dem deutschen Chemiker Unverdorben und später von Runge
                              									nochmals entdeckte Anilin. Mit diesen beiden Erfindungen begann die Kohlenveredelung
                              									ihren Siegeszug durch die ganze Welt. Eine Aufzählung aller Abkömmlinge würde allein
                              									dickleibige Bände füllen. Die Aufbereitung des Teeres hat infolge neuerer
                              									Erkenntnisse erhebliche Fortschritte gemacht. Durch kalte Aufbereitung ist es
                              									gelungen, durchwegs brauchbare Schmieröle in reichlichen Mengen zu gewinnen. Ferner
                              									sind durch Kondensation bzw. Hydrierung einzelner Teeranteile wertvolle Schmieröle
                              									sozusagen synthetisch herzustellen. Bei den Verfahren der Leuchtgasbereitung in
                              									Gasanstalten sowie der Verkokung in Kokereien bestehen neuzeitlich kaum noch
                              									praktische Unterschiede. Neben jener Art der Kohlenveredelung treten in letzter Zeit
                              									eine Reihe weiterer Probleme in der Bewirtschaftung von Kohlen auf, die sich bereits
                              									heute schon einigermaßen in ihren Umrissen festlegen lassen. Zwei Aufgaben sind es,
                              									die heute in Zusammenhang mit der Nebenproduktenverkokung der chemischen Technologie
                              									der Steinkohle gestellt sind, und die ihrer restlosen Lösung harren. Es sind dieses
                              									die Umwandlung der Rohkohle in feste oder gasförmige Brennstoffe mit edleren
                              									Eigenschaften und die Umwandlung der Rohkohle oder der Veredelungserzeugnisse
                              									derselben in Oele. In einzelnen Gruppen zerlegt, befaßt sich demnach die heutige
                              									chemische Technologie der Kohle im wesentlichen mit der Gasbereitung, der Verkokung,
                              									der Verschwelung, der direkten Hydrierung und der indirekten Hydrierung über die
                              									Vergasung zu Wassergas oder dergleichen mit anschließender Katalyse (mit und ohne
                              									Druck). Nun enden aber auf dem Gebiete der Kohlenveredelung alle Arbeitsmethoden in
                              									einem großen Koksüberschuß, und auch bei den Industrien, die die Herstellung von
                              									Teer zum Gegenstand haben, ist die Wirtschaftlichkeit der Fabrikation abhängig vom
                              									Koksabfall. In keiner Industrie, sei es der Leuchtgasfabrikation, der
                              									Tieftemperaturverkokung, der Verschwelung können größere Teermengen gewonnen werden
                              									ohne Ueberproduktion an Koks, und es ist daher die weitere Entwicklung der
                              									Kohlenveredelung nur dann wirtschaftlich und erfolgreich möglich, wenn man für die
                              									auftretenden Koksmengen ein Absatzgebiet hat oder möglichst so arbeitet, daß kein
                              									Koks entsteht. Eine grundsätzliche Umgestaltung der bestehenden Verhältnisse ist nur
                              									durch Umwandlung der Kohle auf chemischem Wege möglich. Entsprechend dem Unterschied
                              									im Wasserstoffgehalt des Ausgangsproduktes und des gewünschten Endproduktes gehen
                              									alle neuen Kohlenveredelungsmethoden einheitlich auf die Hydrierungsverfahren
                              									hinaus.
                           Landgraeber.