| Titel: | Zur graphischen Behandlung des Kurbeltriebes. | 
| Autor: | Josef Kuhn | 
| Fundstelle: | Band 342, Jahrgang 1927, S. 254 | 
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                        Zur graphischen Behandlung des
                           								Kurbeltriebes.
                        Von Dr. techn. Josef Kuhn,
                           									Bielitz.
                        KUHN, Zur graphischen Behandlung des Kurbeltriebes.
                        
                     
                        
                           Die in Dinglers Polytechnischem Journal Bd. 326, Heft 35 und Bd. 327, Heft 48,
                              									vom Verfasser angegebenen Verfahren zur zeichnerischen Bestimmung des Weges (s), der
                              									Geschwindigkeit (c) und der Beschleunigung (p) des Kolbens (Kreuzkopfes) sowie des
                              									Tangentialdruckes (t) beim Kurbeltrieb mit endlich langer Pleuelstange haben noch
                              									den Mangel, daß sich diese Größen erst durch Addition zweier Strecken ergeben, deren
                              									eine den Wert bei endlich langer Pleuelstange, die andere die wegen deren endlicher
                              									Länge erforderliche Korrektur darstellt. In den folgenden Ausführungen werden diese
                              									Verfahren, die den Vorteil haben, daß bei ihnen die Verzeichnung der Pleuelstange
                              									entfällt, noch so verbessert, daß sich die gesuchten Werte als Ganzes ergeben und
                              									ihr stetiger Verlauf zur Darstellung gelangt. Dies wird dadurch erreicht, daß die
                              
                              									Ermittlung der Bewegungsgrößen mit Benutzung einfacher Kurven geschieht, die sich
                              									auf Grund ihrer Gleichungen genau verzeichnen lassen. Mittels dieser Kurven können
                              									wir dann auch den zu einem beliebigen Kolbenwege gehörigen Kurbelwinkel und damit
                              									alle anderen zugehörigen Werte finden, während bisher nur die zu einem gegebenen
                              									Kurbelwinkel gehörigen Bewegungsgrößen ermittelt werden konnten. Erst hierdurch wird
                              									eine vollständige zeichnerische Lösung der vom Kurbeltrieb mit endlicher
                              									Stangenlänge gestellten Aufgaben erreicht.
                           Die mathematische Genauigkeit dieser Lösung wird nur dadurch unwesentlich
                              									beeinträchtigt, daß wir auch den neuen Konstruktionen, anstatt der genauen, die
                              									nachstehenden, für die Praxis vollständig genügenden, Näherungsformeln zugrunde
                              									legen:
                           s=r\,(1-\cos\,\omega\,\pm\,\frac{\lambda}{2}\,\sin^2\,\omega), 1)
                           c=v\,(\sin\,\omega\,\pm\,\frac{\lambda}{2}\,\sin\,2\,\omega), 2)
                           p=\frac{v^2}{r}\,(\cos\,\omega\,\pm\,\lambda\,\cos\,2\,\omega), 3)
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 342, S. 253
                              Abb. 1.
                              
                           und t=\frac{c}{v}\,q=q\,(\sin\,\omega+\frac{\lambda}{2}\,\sin\,2\,\omega) 4).
                           In ihnen bezeichnet r den Kurbelradius, \lambda=\frac{r}{l} sein
                              									Verhältnis zur Kurbelstangenlänge 1, v die konstante Umdrehungsgeschwindigkeit des
                              									Kurbelzapfens, q den resultierenden Horizontaldruck und ω den Winkel, den die Kurbel
                              									beim Vorwärtsgang mit der inneren, beim Rückwärtsgang – für den das negative
                              									Vorzeichen gilt – mit der äußeren Totlage bildet.
                           Der größte Fehler, der bei Verwendung dieser allgemein gebrauchten Näherungsformeln
                              									entsteht, beträgt – wie in den eingangs angeführten Arbeiten gezeigt wird – beim
                              									Wege + 0 . 09 v. H. 
                              									(± 0 . 0010 r), bei der Geschwindigkeit und dem Tangentialdruck ± 0 . 14 v. H.
                              									(0 . 0013 v, beziehungsweise 0 . 00131) und bei der Beschleunigung ± 2 . 6 v. H.
                              									(\pm\,0.0206\,\frac{v^2\,\lambda}{r}). Der letztere, verhältnismäßig große, Fehler tritt bei \omega=\frac{\pi}{2}, also
                              									dort auf, wo sich für p nur ein sehr kleiner absoluter Wert ergibt, wodurch er
                              									ebenfalls praktisch bedeutungslos wird.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 342, S. 254
                              Abb. 2.
                              
                           1. Der Kolbenweg. Drücken wir in Formel 1) sin2 ω durch die Funktion des doppelten Winkels aus,
                              									so wird für den Kolbenhingang:
                           
                              \begin{array}{rcl}s&=&r\,(1-\cos\,\omega
                                 \frac{\lambda}{2}\,\frac{1-\cos\,2\,\omega}{2})
                                 \\&=&(r+r\,\frac{\lambda}{4})-(r\,\cos\,\omega+r\,\frac{\lambda}{4}\,\cos\,2\,\omega).\end{array}
                              
                           Setzen wir r\,\frac{\lambda}{4}=m und den mit to veränderlichen Ausdruck
                           r cos ω + m cos 2ω = σ . . . . . . . . . . 5),
                           so ist      s = (r + m) – σ . . . . . . . . . . 6).
                           Um zunächst σ darzustellen, ziehen wir in Abb. 1 durch den zu dem beliebigen Kurbelwinkel ω
                              									gehörigen Punkt M des Kurbelkreises die Strecke MN = r cos ω und nehmen NP = m
                              										cos2 ω an; dann ist:
                           σ = MN + NP = MP . . . . . . . . . . 7).
                           Es läßt sich nun leicht zeigen, daß der Punkt P auf einer
                              									Parabel liegt. Beziehen wir ihn auf das Achsenkreuz XOY (T1OA), so ist:
                           OQ = NP = x = – m cos 2ω = – m (1 – 2 sin2 ω)
                           und PQ = NO = y = r sin ω.
                           Eliminieren wir aus diesen Koordinatengleichungen \sin\,\omega=\frac{y}{r},
                              									so wird
                           y^2=\frac{2\,r}{\lambda}\,(m+x) 8)
                           und      y^2=\frac{2\,r}{\lambda}\,\cdot\,x',
                           wenn m + x = x' gesetzt wird.
                           Der geometrische Ort der Punkte P ist also eine Parabel, deren Achse mit der
                              									positiven X-Achse zusammenfällt und deren Scheitel S in der Entfernung OS = m vom
                              									Mittelpunkte des Kurbelkreises auf der negativen Seite der Abszissenachse liegt. Die
                              									Werte von σ ergeben sich somit bei liegenden Maschinen als die Horizontalabstände
                              									des Kurbelzapfens von der Parabel und sind positiv, wenn sie links von ihr liegen
                              										(Abb. 1). Die Kolbenwege Ti1', Ti2' u.s.f. für
                              									den Hingang (s = r + m – σ = TiS – σ) ergeben sich
                              									dann, indem wir die positiven Werte von σ von S aas auf der Kolbenschublinie nach
                              									links und die negativen nach rechts abtragen (längs der Parabel parallel zu sich
                              									selbst verschieben). Zählen wir – um mit der oberen Hälfte des Kurbelkreises
                              									auszulangen – die Kurbelwinkel ω' für den Rückgang vom äußeren Totpunkte Ta aus im entgegengesetzten Sinne wie bisher, so
                              									stellen, wie sich leicht ergibt, die Strecken Ta11',
                              										Ta10' u.s.f. bereits die Wege für den
                              									Kolbenrückgang dar.
                           Teilen wir den Kurbelhalbkreis, wie dies meist geschieht, in 12 gleiche Teile, so
                              									ergeben sich (Abb. 1) in einfachster Weise die in
                              									Tabelle I angegebenen Punkte, die für die Aufzeichnung der Parabel vollkommen
                              									genügen.
                           Tabelle I.
                           
                              
                                 Punkt:
                                 S
                                 a
                                 P
                                 b
                                 c
                                 d
                                 
                              
                                 x =
                                 – m
                                 -\frac{3}{4} m
                                 -\frac{1}{2} m
                                 0
                                 \frac{1}{2} m
                                 m
                                 
                              
                                 y =
                                 0
                                 
                                    \frac{1}{2}\,\frac{r}{\sqrt{3}}
                                    
                                 
                                    \frac{1}{2}\,r
                                    
                                 
                                    \frac{r}{\sqrt{2}}
                                    
                                 
                                    \frac{r}{2}\,\sqrt{3}
                                    
                                 r
                                 
                              
                                 ω =
                                 0°
                                 –
                                 30°
                                 45°
                                 60°
                                 90°
                                 
                              
                           Für die gebräuchlichen Werte von λ läßt sich die Wegparabel auch – wenn hier
                              									ausnahmsweise die Benützung der Pleuelstangenlänge zugelassen wird – genauer als
                              									praktisch notwendig durch ihren Krümmungskreis im Scheitel ersetzen, dessen
                              									Halbmesser \frac{r}{\lambda}=1 ist.
                           Wählen wir normal 1 = 5r, so ist die Horizontalprojektion des benützten Parabelbogens
                              									2\,m=r\,\frac{\lambda}{2}=0,1\,r. Die Horizontalprojektion δ des ihn ersetzenden Bogens des
                              									Krümmungskreises, der mit dem Parabelbogen die gleiche Vertikalprojektion r hat,
                              									bestimmt sich aus der bekannten Gleichung
                           
                              r^2=(21-\delta)\,\delta\mbox{ zu }\delta=1-\sqrt{l^2-r^2}=0,10102\,r.
                              
                           Dann ist δ – 2 m = 0,00102 r oder rund 1 v. H. (für r = 50 mm
                              									und \lambda=\frac{r}{5} nur 0,05 mm).
                           Mittels der Wegparabel können wir nun auch den zu einem beliebigen Kolbenwege sv gehörigen Kurbelwinkel ωx bestimmen. Machen wir in Abb. 1 SE = sx = OD, EOx = r und
                              									beschreiben aus Ox mit dem Kurbelradius einen
                              									Kreisbogen, der die Parabel in Px schneidet, so ist
                              										MxPx ∥ TiO gleich σx und ∢
                              										TiOMx = ωx. Mit ωx lassen
                              									sich dann auch die zu s, gehörigen Werte von c, p und t nach den noch zu erörternden
                              									Verfahren bestimmen.
                           
                           2. Die Kolbengeschwindigkeit. Bezeichnen wir in der
                              									Formel 2) den Wert v\,\frac{\lambda}{2} mit ρ, so wird für den Hingang
                           c = v sin ω + ρ sin 2ω
                           Beschreiben wir in Abb. 2 mit
                              									den Radien v und ρ Kreise und wählen auf ihnen die Punkte M und m so, daß ∢ TiOM = ω und ∢ TiOm =
                              									2ω, so ist MN = v sin ω, mn = ρ sin 2ω = n II = NP und
                           MN + NP = MP = c . . . . . . . . . . 9).
                           Beziehen wir den Punkt P auf das Koordinatensystem XOY, so ist
                              									seine Abszisse
                           ON = x = v cos ω.
                           und die zugehörige Ordinate
                           NP = y = – ρ sin 2ω = – 2ρ cos ω√1 – cos2 ω.
                           Setzen wir in letzterem Ausdrucke \cos\,\omega=\frac{x}{v}, \varrho=v\,\frac{\lambda}{2} und
                              									quadrieren, so wird y^2=\lambda^2\,v^2\,\left(1-\frac{x^2}{v^2}\right)
                              								
                           oder      x^4=v^2\,x^2-\left(\frac{v}{\lambda}\right)^2\,y^2 10).
                           Dies ist die Gleichung der Lemniskate
                                 										von Gerono, auch Achterkurve genannt. Ihre einfache Konstruktion ist aus
                              										Abb. 2 ohne weiteres zu entnehmen. Der hier
                              									weggelassene Teil der Kurve kommt für den Rückgang in Betracht.
                           Machen wir TiT = 2ρ, so ist TO eine Tangente für den
                              									Doppelpunkt O der Lemniskate. Die Krümmungskreise für die Punkte Ti und b besitzen die Radien v λ2 und \frac{v}{4\,\lambda}.
                           3. Die Kolbenbeschleunigung. Der Ausdruck für die
                              									Kolbenbeschleunigung:
                           
                              p=\frac{v^2}{r}\,(\cos\,\omega\,\pm\,\lambda\,\cos\,2\,\omega)
                              
                           unterscheidet sich von dem für \sigma=r\,(\cos\,\omega\,\pm\,\frac{\lambda}{4}\,\cos\,2\,\omega) nur dadurch, daß an
                              									Stelle von r und \frac{\lambda}{4} die Werte \frac{v^2}{r} und λ stehen. Er kann daher in
                              									ähnlicher Weise wieder mittels einer Parabel konstruiert werden, deren Gleichung
                              									jetzt
                           
                              y^2=\frac{v^2}{2\,r\,\lambda}\,\left(x+\frac{v^2}{r}\,\lambda\right)
                              
                           wird.
                           Wählen wir den Maßstab der Kolbengeschwindigkeit so, daß v = r, so wird auch
                              									\frac{v^2}{r}=r und
                           y^2=\frac{r}{2\,\lambda}\,(x+r\,\lambda) 11a).
                           Der Scheitel dieser Parabel liegt in der Entfernung rλ = m1 = 4m vom Mittelpunkt des Kurbelkreises auf der
                              									negativen Seite der Abszissenachse.
                           Zwischen den beiden Parabeln, die zur Konstruktion des Weges und der Beschleunigung
                              									dienen, besteht eine einfache Beziehung. Bezeichnen wir die laufenden Koordinaten
                              									der Beschleunigungsparabel zur Unterscheidung mit x1y1 und setzen y1 = y, so ist
                           
                              
                              \frac{r}{2\,\lambda}\,\left(x_1+r\,\lambda\right)=\frac{2\,r}{\lambda}\,\left(x+r\,\frac{\lambda}{4}\right),
                              
                           woraus x1 = 4x folgt. Für
                              									gleiche Ordinaten sind also die Abszissen der Beschleunigungsparabel viermal so groß
                              									als die der Wegparabel. Die Verwertung dieser Beziehung zur Konstruktion der
                              									Beschleunigungsparabel wird sich besonders dann empfehlen, wenn die Wegparabel durch
                              									ihren Krümmungskreis im Scheitel ersetzt wird.
                           Abb. 3 zeigt die Ermittlung der
                              									Kolbenbeschleunigungen beim Hingang für v = r und \lambda=\frac{2}{5}. Dieses abnormale
                              									Verhältnis wurde gewählt, um eine deutlichere Zeichnung zu erhalten. Tragen wir die
                              									Werte von p als Ordinaten zu den Kolbenwegen auf, so gelangen wir zu der üblichen
                              									Darstellung der Beschleunigungskurve im rechtwinkligen Koordinatensystem. Dieselbe
                              									schneidet die Abszissenachse im Punkt a, wobei aS = bb1 ist und hat in R einen negativen Höchstwert, der sich aus
                           
                              \frac{d\,p}{d\,\omega}=-r\,(\sin\,\omega+4\,\lambda\,\sin\,\omega\,\cos\,\omega)=0
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 342, S. 255
                              Abb. 3.
                              
                           für \cos\,\omega=-\frac{1}{4\,\lambda} mit p_{\mbox{max}}=-r\,\left(\lambda+\frac{1}{8\,\lambda}\right) ergibt.
                           4. Die Tangentialkraft. Zu ihrer zeichnerischen Bestimmung
                              									benutzen wir die aus der Gleichung 4) folgende Proportion:
                           t : q = c : v . . . . . . . . . . 12).
                           Um auf Grund derselben die zu ω gehörige Tangentialkraft t zu
                              									erhalten, verwenden wir das Dreieck OMP in Abb. 2.
                              									Machen wir OF = q und ziehen FG ∥ MP, so ist FG = t. Ebenso finden wir für den
                              									Kurbelwinkel (180 – ω)die Tangentialkraft t10 = HJ
                              									mittels des Dreieckes O10P'.
                           Hinsichtlich des Tangentialdruckdiagrammes wird auf die Arbeit des Verfassers in Bd.
                              									327 dieser Zeitschrift verwiesen.