| Titel: | Jakob Berzelius. | 
| Autor: | Kirchberger | 
| Fundstelle: | Band 343, Jahrgang 1928, S. 160 | 
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                        Jakob Berzelius.
                        (Nachdruck verboten!)
                        Zur 80. Wiederkehr seines Todestages am 7. August
                              								1848.
                        Jakob Berzelius.
                        
                     
                        
                           In der Geschichte der Wissenschaften wird gelegentlich ein etwas übertriebener
                              									Wert auf das erstmalige Aussprechen eines Gedankens gelegt, der sich nachher als
                              									fruchtbringend erwiesen hat. Gewiß ist es berechtigt, jeden Strom, so auch die
                              									mächtigen durch die Wissenschaft gehenden Gedankenströme bis zu den Quellen
                              									zurückzuverfolgen; aber man darf doch auch nicht vergessen, daß Gedanken oft
                              									auftauchen und wieder verschwinden wie Seifenblasen, und daß es deshalb erst die
                              									gründliche allseitige Durcharbeitung eines Gedankens ist, die ihm seinen
                              									unveräußerlichen, unzerstörbaren und alle Zeiten überdauernden Wert gibt.
                           So war es ganz gewiß ein großes, unbestreitbares Verdienst des englischen
                              									Naturforschers Dalton, daß er die uralte, schon aus dem grauen Altertum stammende
                              									und seitdem gelegentlich schon öfter wieder belebte Atomtheorie mit schöpferischem
                              									Griff aufnahm und ihre Bedeutung für die just damals aufblühende Chemie in
                              									allgemeinen Umrissen wenigstens erkannte. Er sah völlig klar, daß, wenn die
                              									Grundstoffe aus Atomen bestehen, den Atomen auch ein bestimmtes Gewicht zukommen
                              									müsse, und daß dieses dann auch wiederum von der größten Bedeutung für die
                              									Mengenverhältnisse sein müsse, nach denen sich die Körper aus ihren einfachen
                              									Bestandteilen zusammensetzen. Es wäre Unrecht, dieses Verdienst Daltons irgendwie
                              									schmälern zu wollen. Aber es tritt doch bei weitem hinter dem gewaltigen, in seinem
                              									Ausmaß kaum faßbaren Verdienst des großen Schweden zurück, dem diese Zeilen gewidmet
                              									sind. Bei Dalton war die Atomtheorie im wesentlichen ein kühner Gedanke. Durch Jakob
                              									Berzelius wurde sie das Handwerkszeug der Chemie. Mit den einfachsten Mitteln, aber
                              									in nimmermüdem Eifer schuf dieser Mann die Wissenschaft der Analyse. Er untersuchte
                              									eine Unzahl von chemischen Verbindungen, entdeckte mehrere neue Elemente, setzte die
                              									Atomgewichte fest und führte die Mengenverhältnisse in der Zusammensetzung der
                              									chemischen Verbindungen auf die einfachen Verhältnisse der Atomgewichte zurück. Er
                              									schuf auch die noch heute gültige chemische Formelsprache. Wohl sind in den 100
                              									Jahren, die seit den Arbeiten von Berzelius verflossen sind, die grundlegenden
                              									Zahlen der Atomgewichte genauer bestimmt worden, aber den bei weitem größten
                              									Teil des Weges, den die Chemie seit den uns heutzutage ganz unbehilflich anmutenden
                              									Anfängen Daltons zurücklegte, ist Berzelius gegangen, und zwar allein gegangen.
                              									Immer wieder verbesserte er seine ursprünglichen Bestimmungen, immer erneute
                              									Ueberlegungen stellte er an, um die in jenen Tagen fast unlösbare Frage, ob man in
                              									einer Verbindung ein schweres oder zwei je halb so schwere Atome anzunehmen habe,
                              									zur Entscheidung zu bringen.
                           Dabei bleibt es im höchsten Maße erstaunlich, daß sich Berzelius, dessen Leben in
                              									Kleinarbeit dahinging, den Blick für die großen Zusammenhänge jederzeit gewahrt hat.
                              									Der Gedanke, daß die chemischen Kräfte letzten Endes elektrischer Natur seien, und
                              									daß es also die Elektrizität sei, die die Welt zusammenhalte, dieser jetzt zu so
                              									bedeutender Wichtigkeit gereifte Gedanke, ist zuerst von Berzelius klar erfaßt
                              									worden. Freilich war die damalige Zeit noch nicht reif dazu, die der Ausführung des
                              									Gedankens entgegenstehenden Schwierigkeiten zu überwinden, wozu die heutige
                              									Atomtheorie befähigt ist. Aber schon die Bedeutung des Gedankens erkannt zu haben,
                              									ist ein außerordentliches Verdienst, wie es denn überhaupt kennzeichnend für
                              									Berzelius ist, daß er die großen grundsätzlichen Fragen seiner Wissenschaft niemals
                              									aus dem Auge verlor.
                           Der Ruhm des einzigen Mannes verbreitete sich denn auch bald über ganz Europa. Hatte
                              									doch die ganze damalige Chemie, vielleicht mit Ausnahme des Franzosen Gay-Lussac,
                              									keinen Namen aufzuweisen, der auch nur entfernt mit dem des großen Schweden
                              									vergleichbar gewesen wäre. In heller Begeisterung blickten namentlich die jungen
                              									deutschen Forscher jener Zeit, voran der um 25 Jahre jüngere Liebling, zu dem
                              									Altmeister ihrer Wissenschaft auf. Die erste gemeinsame Arbeit Liebigs mit seinem
                              									Freunde Wöhler, die nachmals auf dem Gebiet der organischen Chemie bahnbrechend
                              									werden sollte, ist Berzelius gewidmet. Rührend klingt es, wenn Liebig erzählt, daß
                              									er einst von Darmstadt nach Mainz und von Mainz nach Koblenz gereist sei, als er
                              									hörte, daß Berzelius dort weile, um diesen einzigen Mann zu sehen. Es war freilich
                              										
                              									vergeblich! Aber später haben sich die beiden kennen gelernt; eine langjährige,
                              									gelegentlich bis zur hellen Begeisterung gehende Freundschaft war die Folge. Aber
                              									freilich ist alles Irdische unvollkommen: Auch die Uebereinstimmung der Seelen
                              									zwischen Berzelius und Liebig blieb nicht ungetrübt. Auf dem Gebiete der organischen
                              									Chemie, auf dem Berzelius, nachdem er den anorganischen Zweig dieser Wissenschaft in
                              									seiner heutigen Form geschaffen hatte, gleichfalls Hervorragendes leistete, stellten
                              									sich sachliche Meinungsverschiedenheiten ein, die bei dem lebhaften, ja stürmischen
                              									Temperament Liebigs und der bedächtig zurückhaltenden, dafür aber um so zäheren und
                              									im Alter nicht mehr leicht beweglichen Denkart des großen Schweden auch zu Trübungen
                              									des persönlichen Verhältnisses der beiden Männer führten.
                           Auch als Lehrer war Berzelius hoch bedeutend. Ein von ihm geschriebenes zehnbändiges
                              									Lehrbuch der Chemie war für jene Zeit gänzlich ohne Beispiel. Sein chemisches
                              									Laboratorium war, ebenso wie das Gay-Lussacs in Paris, ein Anziehungspunkt für die
                              									chemischen Talente von ganz Europa. Wir Deutsche dürfen uns aber freuen, daß durch
                              									das Verdienst des mehrerwähnten Liebig das kleine Lahnstädtchen Gießen die dritte
                              									Pflanzstätte chemischer Forschung und chemischen Unterrichtes wurde, die bald
                              									bestimmt war, ebenbürtig neben Paris und Stockholm zu treten.
                           Prof. Dr. Kirchberger.