| Titel: | Neues aus dem Gebiet der elektrischen Straßenbahn. | 
| Autor: | R. Spies | 
| Fundstelle: | Band 344, Jahrgang 1929, S. 194 | 
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                        Neues aus dem Gebiet der elektrischen
                           								Straßenbahn.
                        Von Dipl.-Ing. R. Spies
                           									(Berlin).
                        SPIES: Neues aus dem Gebiet der elektrischen
                           								Straßenbahn.
                        
                     
                        
                           Betrachtet man rückschauend die technische Entwicklung des elektrischen
                              									Straßenbahnwesens, so ist ein etwa 1900 beginnender Stillstand in dieser Entwicklung
                              									festzustellen. Bis dahin hatten sich gewisse Regelformen der elektrischen Ausrüstung
                              									durchgebildet, während die Triebwagen äußerlich und in ihrer Inneneinrichtung nur
                              									unwesentlich von den alten Pferdebahnwagen abwichen. Erst vor wenigen Jahren, als
                              									der steigende Wettbewerb der Kraftomnibusse sich mehr und mehr fühlbar machte und
                              									die Straßenbahn vor die Notwendigkeit stellte, ihr anscheinend sicher behauptetes
                              									Gebiet gegen den Konkurrenten zu verteidigen, setzte eine lebhafte Entwicklung in
                              									fast allen Zweigen des elektrischen Straßenbahnwesens ein.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 344, S. 193
                              Abb. 1.Leichtgewichts-Siaßenbahnmotor (Tatzenlagerbauart).
                              
                           Neben rein auf Verkehrswerbung zugeschnittenen Verbesserungen, wie z.B. an der
                              									Innenausstattung der Wagen, war die Betriebsführung zu verbilligen und zu verbessern
                              									und die Reisegeschwindigkeit zu erhöhen. Da hinsichtlich der höchstzulässigen
                              									Fahrgeschwindigkeit nicht unerhebliche Beschränkungen durch die Gesetzgebung und
                              									sonstige Vorschriften bestehen, bedingt die Erhöhung der Reisegeschwindigkeit die
                              									Wahl größerer Anfahrbeschleunigung und Bremsverzögerung, den Einbau von Motoren
                              									größerer Leistung und die Beschleunigung des Ein- und Aussteigens an den
                              									Haltestellen durch geeignete Bauart der Wagen.
                           Der bei den Straßenbahntriebwagen auch heute noch in der bei weitem überwiegenden
                              									Mehrzahl gebrauchte Antriebsmotor ist der Tatzenlagermotor, der einseitig mit
                              									zwei Tatzen auf der zugehörigen, über ein Stirnräderpaar angetriebenen Achse ruht,
                              									andrerseits federnd am Wagengestell aufgehängt ist. Durch diese seine Anordnung
                              									unterliegt der Tatzenlagermotor erheblichen räumlichen Beschränkungen, auf die hier
                              									nicht erschöpfend eingegangen werden kann. Es sei nur hervorgehoben: die achsiale
                              									Länge des Motors ist durch den Raum zwischen den Rädern abzüglich des Platzes für
                              									die Zahnräder bestimmt; diese Beschränkung der achsialen Motorlänge wirkt wiederum
                              									auf die Bemessung des Motordurchmessers ein, der seinerseits die Wahl des
                              									Triebraddurchmessers beeinflußt. Ferner wird die Auslegung des Motors durch die
                              									Notwendigkeit eingeengt, einen gewissen Mindestabstand zwischen Motor und
                              									Zahnradschutzkasten einerseits und Schienenoberkante andrerseits innezuhalten.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 344, S. 193
                              Abb. 2.Schraubenradgetriebe zu dem Motor der Abb. 1.
                              
                           Es galt also, unter Beibehaltung der äußeren Abmessungen die Leistung der Bahnmotoren
                              									zu steigern, oder unter Beibehaltung der Leistung die Abmessungen herabzusetzen.
                              									Hierbei ist jedoch nicht die Dauerleistung, sondern mit Rücksicht auf die Eigenart
                              									des Bahnbetriebes, bei dem starke Belastungen beim Anfahren mit stromlosen
                              									Zeitabschnitten in rascher Folge abwechseln, die Stundenleistung zugrunde zu legen,
                              									d.h. die Leistung, die der Motor eine Stunde lang ohne Ueberschreitung der
                              									zulässigen Erwärmungsgrenzen abgeben kann. Diese Leistungssteigerung beim
                              									Tatzenmotor wurde erreicht durch Erhöhung der Drehzahl, schärfste Auslegung des
                              									Motors beim Entwurf, um so dicht wie möglich an die zulässigen Erwärmungsgrenzen
                              									heranzugehen, sowie durch Selbstlüftung der Motoren im Gegensatz zu der früheren
                              									völlig gekapselten Bauart. Für die Entwicklung war auch die Verwendung von
                              									Rollenlagern von Bedeutung, da nur diese den hohen Drehzahlen und Lagerdrücken
                              									gegenüber die nötige Betriebssicherheit aufweisen – zudem bringen sie auch noch
                              									erhebliche Ersparnisse an Wartungskosten und Schmiermaterial.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 344, S. 194
                              Abb. 3.Leichtgewichtsmotor mit Zangenbremse.
                              
                           Im neuzeitlichen Bahnbetrieb werden heute gelüftete Motoren mit hoher Drehzahl –
                              										„Leichtgewichtsmotoren“ – in steigendem Maße verwendet. Die
                              									Gewichtsersparnisse sind bedeutend, wie die nachstehende Uebersicht erkennen läßt,
                              									die für einige in den betreffenden Baujahren typische Motoren der AEG aufgestellt
                              										ist.vgl. H. Mecke, AEG-Mitteilungen 1926, Heft 7.
                           
                              
                                 Baujahr
                                 Stundenleistungund Drezahl
                                 Gewicht des Motorsmit
                                    											Zubehorkg
                                 Gehäusebauhöhemm
                                 
                              
                                 U/min
                                 kg
                                 
                              
                                 1901
                                 39
                                 585
                                 1475
                                 664
                                 
                              
                                 1911
                                 39
                                 560
                                 1180
                                 594
                                 
                              
                                 1928
                                 40
                                 820
                                   910
                                 466
                                 
                              
                           Der in dieser Uebersicht an dritter Stelle genannte Motor (Abb. 1) ist für die Berliner Verkehrs-Gesellschaft entwickelt worden, wo
                              									er für die neuen Dreiwagenzüge mit je zwei Motoren in Anwendung kommen wird. Er ist
                              									mit Schraubenrädern (Abb. 2) mit einem
                              									Schrägungswinkel von 6° 17' und 12/59 Zähnen bei 7 π Normalteilung ausgerüstet. Die
                              									Ritzel sind aus Chromnickelstahl, die großen Zahnräder aus im Gesenk geschlagenen
                              									Elektrosonderstahl gefertigt. Die Zahnflanken werden im Einsatzverfahren
                              									gehärtet.
                           Der Motor ist mit einer Zangenbremse als Getriebebremse ausgerüstet (Abb. 3), wobei die Bremstrommel auf der Kollektorseite
                              									der Motorwelle angeordnet ist. Der Vorteil der Getriebebremse liegt darin, daß eine
                              									gleichmäßige Reibungsziffer zwischen Bremsscheibe und Bremsbelag erreicht wird, weil
                              									die Angriffsstellen der Bremsbacken besser als bei den auf die Radreifen wirkenden
                              									Bremsklötzen gegen Schmutz und Nässe geschützt sind.
                           Neben dieser Weiterentwicklung des altbewährten Tatzenlagermotors hat man auch
                              									davon abweichende Antriebsarten vorgeschlagen; der wichtigste Vorschlag in dieser
                              									Richtung betrifft die Verwendung von Motoren, die mittelst Kardanwellen die Achsen
                              									antreiben. Hierbei ist der Motor am Wagenrahmen vollkommen gefedert aufgehängt. Er
                              									wird daher im Gegensatz zu dem nur halb abgefederten Tatzenlagermotor in allen
                              									seinen Teilen vor unmittelbaren Stößen bei Unebenheiten im Gleis bewahrt,
                              									andrerseits wird auch das Gleis geschont.
                           Infolge der bei dem Kardanantrieb vorhandenen Trennung von Motor und Getriebe können
                              									die Zahnräder in einem auf der Triebachse gelagerten Stahlgußgehäuse untergebracht
                              									werden, dessen vollkommene Abdichtung gegen das Eindringen von Schmutz und
                              									Spritzwasser leicht erreichbar ist. Die Trennung von Motor und Getriebe macht es
                              									auch möglich, eine größere Uebersetzung einzubauen und dadurch schnellaufende,
                              									leichte Motoren zu verwenden sowie auch den Durchmesser des Triebrades bedeutend zu
                              									verringern, wodurch wieder die Uebersetzung des Achsvorgeleges günstig beeinflußt
                              									wird.
                           Als Platz für die Anordnung des Motors, dessen Welle stets in der Richtung der
                              									Wagenlängsachse liegt, kommt der Raum an den überhängenden Wagenenden sowohl wie der
                              									Raum zwischen den Triebachsen in Frage. Letztere Anordnung hat derl Vorteil, daß bei
                              									Fahrt auf gerader Strecke keine Schlingerbewegungen auftreten, und daß sich die beim
                              									Kurvenfahren auftretenden Massenkräfte nicht in schädlicher Weise auf die
                              									Triebachsen auswirken können. Bei Anordnung nur eines Motors, der dann mit einer
                              									durchgehenden Ankerwelle versehen ist, bestehen folgende Möglichkeiten: Der Motor
                              									arbeitet unmittelbar mit je einer Kardanwelle auf das Kegelradgetriebe der vorderen
                              									und der hinteren Triebachse; der Motor arbeitet über je ein Zahnräderpaar auf die
                              									Kardanwelle, die am Motor vorbei zu der entgegengesetzten Triebachse führt und an
                              									diesem Ende das Kegelradgetriebe trägt; der Motor arbeitet unmittelbar mit je einer
                              									Kardanwelle auf das Kegelradgetriebe, das jedoch nicht unmittelbar, sondern über ein
                              									Stirnradvorgelege an den Triebachsen angreift. Die letztgenannte Anordnung läßt sich
                              									auch mit zwei getrennten Motoren ausführen, wobei die Motoren zu beiden Seiten der
                              									Wagenlängsachse gegeneinander versetzt angeordnet sind und jeder Motor auf die
                              									entfernt liegende Triebachse arbeitet (Abb. 4).
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 344, S. 194
                              Abb. 4.Wagengestell mit zweimotorigem Kardanantrieb.
                              
                           Der Vorteil der einmotorigen Kardanbauart liegt in den geringen Anschaffungskosten
                              									und der einfachen Konstruktion; sie läßt sich jedoch nur bei größerem Radstand des
                              									Triebwagens verwenden, da die Kardanwelle eine gewisse Länge nicht unterschreiten darf. Ein Nachteil
                              									dieser Anordnung ist das Fehlen einer Reserve bei Schäden an dem Motor und das
                              									Fortfallen des sonst bei Straßenbahnen üblichen Reihen-Parallel-Schaltens. Wofern
                              									jedoch zwei Triebwagen dauernd zu einer Einheit gekuppelt sind
                              										(„Zwillingswagen“), kann jeder mit nur einem Motor ausgerüstet werden,
                              									ohne daß die genannten Nachteile eintreten können.
                           Als Kardangelenke werden bis zu gewissen Kräften und Winkelneigungen die bekannten
                              									Hardy-Scheiben verwendet, die aus bestem Gummigewebe bestehen, darüber hinaus
                              									gekapselte Universalgelenke.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 344, S. 195
                              Abb. 5.Nockenfahrschalter.
                              
                           Obwohl die Erfahrungen mit einer größeren Anzahl von Kardanantrieben nun schon einige
                              									Jahre zurückreichen, kann jedoch bei den zahlreichen Gesichtspunkten, die für einen
                              									Straßenbahnantrieb von Bedeutung sind, ein abschließendes Urteil noch nicht gegeben
                              									werden. Zweifellos hat sich der Kardanantrieb bewährt. Ob er aber darüber hinaus dem
                              									Tatzenlagermotor an vielseitiger Verwendbarkeit, Billigkeit und Zuverlässigkeit
                              									gleichkommt oder ihn gar übertrifft, kann erst nach noch wesentlich größerer
                              									Betriebsdauer entschieden werden.
                           Es sei in diesem Zusammenhange noch darauf hingewiesen, daß man auch in Amerika dem
                              									Kardanantrieb Beachtung geschenkt und ihn auch als „Einzelradantrieb“
                              									ausgeführt hat. Hierbei erfolgt der Antrieb eines jeden Rades der gleichen Achse für
                              									sich, und zwar entweder durch je einen besonderen Motor oder durch einen Motor für
                              									die beiden Räder einer Wagenlängsseite gemeinsam.
                           Außer auf dem Gebiet des Antriebes machen sich auch neue Bestrebungen hinsichtlich
                              									der Fahrschalterbauart bemerkbar. Bei den seit 30 Jahren in kaum veränderter Form
                              									gebräuchlichen Fahrschaltern der Schleifring- oder Walzenbauart werden die
                              									elektrischen Verbindungen durch feststehende Kontaktfinger und drehbare
                              									Kontaktsegmente hergestellt, die je nach der Fahrschalterstellung miteinander in
                              									Berührung stehen oder voneinander getrennt sind. Da die Kontaktfinger zur Erzielung
                              									eines genügenden Kontaktes mit einem gewissen Anpressungsdruck auf den
                              									Kontaktsegmenten schleifen, sind beide Teile einer entsprechenden Abnutzung
                              									unterworfen, die man durch tägliche Schmierung in gewissen Grenzen zu halten
                              									versucht. Dem Bestreben nach Fortfall dieser täglichen Unterhaltungsarbeiten
                              									entspricht der Wunsch nach einem Fahrschalter, bei dem jede Reibung zwischen den
                              									Kontaktflächen vermieden ist. Derartige Steuerschalter sind seit längerem in der
                              									Form von Nockenschaltern für elektrische Lokomotiven und Triebwagen, z.B. bei den
                              									Triebwagen der Berliner Stadtbahnvgl. Dinglers Polytechnisches Journal, Oktoberheft 1928., bekannt,
                              									wo sie sich gut bewährt haben. Bei Straßenbahnfahrschaltern ließ sich das gleiche
                              									Steuerungsprinzip nur unter Ueberwindung einer Reihe von konstruktiven
                              									Schwierigkeiten einführen, da die neuen Schalter in ihrer Bauhöhe und sonstigen
                              									Abmessungen mit Rücksicht auf die Bauart der vorhandenen Fahrzeuge nur unwesentlich
                              									von den vorhandenen Schleifringfahrschaltern abweichen durften.
                           Abb. 5 zeigt ein solchen neuen, von der AEG.
                              									entwickelten Nockenfahrschalter. Er besitzt an Stelle eines jeden Kontaktfingers der
                              									Hauptschaltwalze einen Nockenschalter, der aus zwei Kontakten, einem festen und
                              									einem beweglichen besteht. Zur Unterdrückung der Funkenbildung trägt der
                              									feststehende Kontakt eine Blasspule, in deren Blasfeld die Kontakte angeordnet sind.
                              									Der bewegliche Kontakt sitzt an dem einen Ende eines zweiarmigen Hebels, der durch
                              									eine Druckfeder gegen den feststehenden Kontakt gedrückt wird. Das andere Ende
                              									dieses Hebels trägt eine Rolle. Die Hauptwalze besitzt eine der Zahl der
                              									Kontaktpaare entsprechende Anzahl von Nockenscheiben, die auf die Rollen der
                              									zweiarmigen Hebel drücken und dadurch mittelbar die Kontakte voneinander trennen.
                              									Die Anordnung der Nocken ist also durch die Schaltstellungen bestimmt, in denen die
                              									Kontakte offen sein sollen; nur das Schließen erfolgt durch die Federn. Diese
                              									Ausbildung ist getroffen, um etwa leicht klebengebliebene Kontakte zwangsläufig in
                              									die Offenstellung zu bringen. Die Fahrtrichtungswalze ist, da sie stromlos schaltet
                              									und nur selten bedient wird wie bisher als Schleifringwalze mit Kontaktfingern
                              									ausgebildet.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 344, S. 195
                              Abb. 6.Schaltung eines Leistungsunterbrechers.
                              
                           Nockenfahrschalter der verschiedenen Baufirmen finden sich seit längerem bei einer
                              									Reihe von Straßenbahnen in Betrieb. Sie haben durchweg voll befriedigt, so daß sie
                              									möglicherweise den Schleifringfahrschalter verdrängen werden.
                           Die Schonung des Fahrschalters und die damit erzielbare Verringerung der
                              									Unterhaltungskosten hat auch die in Abb. 6 angegebene Schaltung
                              									zum Ziel. Sie bezweckt, die erhebliche Leistungsunterbrechung beim Abschalten der
                              									Motoren nicht mehr an den Kontakten des Fahrschalters, sondern durch Einbau eines
                              									besonderen Leistungsunterbrechers an diesem vorzunehmen. Gemäß Abb. 6, in der 1 die Verbindung zum Fahrschalter, 2
                              									den Steuerstromwiderstand, 3 den Steuerstromkontakt, 5 die Fahrleitung und 7 das
                              									Schütz kennzeichnet, wird der aus einem oder zwei elektromagnetischen Schützen
                              									bestehende Leistungsunterbrecher zwischen Stromabnehmer und Fahrschalter gelegt.
                              									Dieser ist mit Hilfskontakten für Steuerstrom ausgerüstet, durch die bei Beginn der
                              									Kurbeldrehung der Leistungsunterbrecher eingeschaltet, bei geringem Rückwärtsdrehen
                              									aus jeder Kontaktstellung ausgeschaltet wird, so daß Unterbrechungslichtbögen und
                              									Funkenbildung im Fahrschalter völlig vermieden sind. Beim Einschalten infolge der
                              									ersten Bewegung der Fahrschalterkurbel schließt das Schütz einen Selbsthaltekontakt,
                              									der den Stromkreis der Zugspule des Schützes solange geschlossen hält, bis die
                              									Fahrschalterkurbel aus irgendeiner Stellung nach rückwärts gedreht wird; dann fällt
                              									das Schütz wieder ab und unterbricht den Motorstromkreis.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 344, S. 196
                              Abb. 7.Elektromagnetisches Schutz. (Vorderansicht.)
                              
                           Die Abb. 7 und 8
                              									stellen das Leistungsunterbrecherschütz in Vorder- und Rückansicht dar. Da es auch
                              									beim Ausbleiben der Fahrleitungsspannung abfällt, so wirkt es gleichzeitig als
                              									Nullspannungsschütz. Ferner kann es mit einem Höchststromauslöser so verbunden
                              									werden, daß es das Amt des selbsttätigen Wagenschalters übernimmt. Bei dieser
                              									Anordnung kann man auf jeder Plattform einen Druckknopfschalter anbringen, um auch
                              									von der hinteren Plattform aus die Unterbrechung des Motorstromkreises mittels des
                              									Leistungsschützes zu bewirken.
                           Schließlich sei im Rahmen der Verbesserungen der elektrischen Straßenbahnausrüstung
                              									noch die in Abb. 9 dargestellte Schaltung einer
                              									Starkstromschienenbremsung erwähnt. Bekanntlich haben Schienenbremsen gegenüber
                              									anderen elektromagnetischen Bremsen den Vorteil, daß sie vermöge ihrer unmittelbaren
                              									Einwirkung auf die Schienen von der Reibung zwischen Rad und Schiene unabhängig
                              									sind, also die Wagenräder nicht stillsetzen und dadurch deren Gleiten auf den
                              									Schienen hervorrufen können. Aehnlich wie die vielfach verwendeten Solenoidbremsen
                              									der Beiwagen werden die elektromagnetischen Schienenbremsen in den Bremsstromkreis
                              									geschaltet, so daß sie durch den Bremsstrom der Motoren erregt werden. Sinkt bei der
                              									fast ausschließlich verwendeten Kurzschlußbremsung dieser Strom unter einen
                              									gewissen Wert, also kurz vor Erreichen des Stillstands der Motoren, so können die
                              									Schienenbremsen den Wagen, ebenso wie etwa beim Halt im Gefälle, nicht anhalten.
                              									Diesem Nachteil läßt sich begegnen durch Anordnung einer zusätzlichen
                              									Erregerwicklung in den Schienenbremsen, die in der letzten Bremsstellung von der
                              									Fahrleitung mit Strom beschickt wird. Eine solche Zweiwicklungsanordnung bringt
                              									jedoch gewisse bauliche und betriebliche Schwierigkeiten mit sich. Die Anordnung von
                              									zwei Wicklungen wird durch die in Abb. 9
                              									dargestellte, von der AEG entwickelte und ihr durch Patent geschützte Schaltung
                              									vermieden. Hier arbeitet der Kurzschlußstrom der Motoren auf die an Erde liegenden
                              									Schienenbremsen und auf die Widerstände R1 bis R7 (in der Schaltstellung der Abbildung auf die
                              									Widerstände R5 bis R7). R7 ist ebenfalls bei Bremsung geerdet.
                              									In der letzten Bremsstellung wird außerdem der Frischstrom bei einem Punkt Rx zugeführt. Der Frischstrom läuft über den
                              									Widerstand Rx bis R5, von wo ein Theil über R7 unmittelbar zur
                              									Erde fließt, während der zweite Theil über die Motoren und Schienenbremsen geerdet
                              									ist. Der Frischstrom durchläuft die Anker der Motoren und erzeugt dabei ein
                              									rückwirkendes Drehmoment, das die Bremsung unterstützt; auch in den Schienenbremsen
                              									wirken natürlich Kurzschlußstrom und Frischstrom im gleichen Sinne. Die
                              									Schienenbremsen der Beiwagen besitzen ebenfalls nur eine Wicklung und werden ebenso
                              									wie die des Triebwagens von Kurzschlußstrom und Frischstrom durchflössen. Die
                              									Triebwagen müssen mit Bremskupplungen versehen sein, die sich selbsttätig schließen
                              									und damit beim alleinfahrenden Triebwagen den Stromkreis für die Kurzschluß- und
                              									Frischstrombremse herstellen. Dagegen dürfen sich die Kupplungen der Anhänger nicht
                              									selbsttätig schließen.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 344, S. 196
                              Abb. 8.Elektromagnetisches Schütz.(Rückansicht.)
                              
                           Außer den Verbesserungen an der elektrischen Ausrüstung sind in den letzten Jahren
                              									auch zahlreiche grundlegende Abänderungen am wagenbaulichen Theil der
                              									Straßenbahnfahrzeuge vorgenommen worden. Es wurde oben schon erwähnt, daß das Ein-
                              									und Aussteigen der Fahrgäste nach Möglichkeit beschleunigt werden muß. Man hat
                              									daher, um den Weg der Fahrgäste im Inneren des Wagens abzukürzen, neuerdings
                              									vielfach Wagen mit Mitteleinstieg ausgeführt. Diese Anordnung ermöglicht es auch,
                              									die Plattform am Eingang abzusenken.. Bei den so entstandenen Niederflurwagen werden
                              									an Stelle der früher vorhandenen drei Trittstufen (eine an der Innentür, zwei an der
                              									Straße) nur noch] zwei angeordnet, eine Maßnahme, die außer zur Verbesserung der
                              									Verkehrsabwicklung an den Haltestellen auch der Bequemlichkeit der Fahrgäste dient, der man
                              									ferner durch gute Innenausstattung, wie breite, gepolsterte Sitzbänke, große
                              									Fenster, die geöffnet werden können, gute Beleuchtung, elektrische Beheizung usw.
                              									Rechnung trägt. Abb. 10 zeigt einen neuzeitlichen
                              									zweiachsigen Niederflur-Anhängewagen mit Mitteleinstieg und halbhohen Schiebetüren,
                              									der von der Waggonfabrik Christoph & Unmack für die Große Leipziger Straßenbahn
                              									geliefert wurde. Bei diesem Wagen, der bei 10900 mm Kastenlänge und 2126 mm
                              									Kastenbreite einen Radstand von 3600 mm hat, liegt der Fußboden des Mittelflurs nur
                              									350 mm über Schienenoberkante.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 344, S. 197
                              Abb. 9.Schaltung für Starkstrom-Schienenbremsung.
                              
                           An Stelle des früher üblichen Betriebs mit Trieb- und Beiwagen haben verschiedentlich
                              									auch Züge aus zwei gekuppelten Motorwagen Verwendung gefunden. Bei diesen
                              										„Zwillingswagen“ wie sie auch die Berliner Straßenbahn in einigen
                              									Exemplaren eingeführt hat, wird das Gewicht des ganzen Zuges als Reibungsgewicht
                              									ausgenutzt, wodurch eine höhere Anfahrbeschleunigung erzielt wird. Die
                              									Zwillingswagen werden ebenfalls mit Mitteleinstieg ausgerüstet.
                           Vielfach werden auch, vorwiegend im Vorortverkehr, zwei Triebwagen mit einem
                              									dazwischen gekuppelten Beiwagen benutzt. Hierbei werden die Triebwagen ebenso wie
                              									beim Zwillingswagen mit einer Zwei-Wagensteuerung ausgerüstet, die das Steuern
                              									beider Triebwagen von dem jeweils vorderen Führerstand aus gestattet.
                           Eine besondere Bauart der neuzeitlichen Straßenbahntriebwagen sind die in Amerika
                              									vielfach, neuerdings auch in Deutschland verwendeten Gelenkwagenzüge, bei denen das
                              									Gelenk gleichzeitig als Durchgang zwischen den beiden Wagenhälften ausgebildet ist.
                              									In Amerika, z.B. in Cleveland und in Montreal, hat man an den beiden äußeren Enden
                              									des Gelenkwagens je eine Triebachse vorgesehen, während in der Mitte die beiden
                              									Wagenkästen auf einem gemeinsamen Drehgestell ruhen, das in der Regel keine Motoren
                              									besitzt. Aehnlich ist ein Gelenkdoppelwagen, der 1926 für die Duisburger Straßenbahn
                              									gebaut wurde. Dieser besitzt drei Drehgestelle, von denen das mittlere (Bauart
                              									Jacobs) als Auflagefläche für die beiden Wagenkästen dient. Der etwa 100 Personen
                              									fassende Wagen ist 20550 mm lang und wird durch zwei Motoren, von denen je einer in
                              									den äußeren Drehgestellen sitzt, angetrieben.
                           Ferner wurden in Deutschland noch zwei andere Gelenkwagen-Bauarten ohne
                              									gemeinsames mittleres Drehgestell entwickelt. Abb. 11
                              									zeigt einen solchen, von Christoph & Unmack für die Straßenbahn Dresden gebauten
                              									Durchgangsgelenkwagenzug. Der Wagenkasten dieses Zuges besteht aus drei Teilen, die
                              									durch einen Faltenbalg-Durchgang miteinander verbunden sind. Der erste und letzte
                              									Wagenteil sind als gewöhnliche zweiachsige Wagen ausgebildet, zwischen denen der
                              									Mittelteil von etwa 4 m Länge gelenkig schwebend aufgehängt ist. Die Länge des
                              									ganzen Zuges beträgt rund 23200 mm, sein Gewicht 29000 kg, das Fassungsvermögen 117
                              									Sitz- und Stehplätze. Jede der 4 Achsen wird durch einen Motor von 33 kW bei 800
                              									Umdr./min angetrieben. Abb. 12 gibt einen Blick durch
                              									das Innere dieses Gelenkwagenzuges, dessen Fußboden auf die ganze Zuglänge ohne
                              									Stufe in 700 mm Höhe über Schienenoberkante durchgeführt ist.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 344, S. 197
                              Abb. 10.Niederflur-Anhängewagen mit Mitteleinstieg
                              
                           Des weiteren befindet sich, ebenfalls seit November 1928, bei der Dresdener
                              									Straßenbahn ein Gelenkwagenzug im Betrieb, der von der Waggon- und Maschinenbau AG.
                              									(Wumag) entworfen ist. Bei diesem ist der mittlere Teil als zweiachsiger Wagen
                              									ausgebildet; der erste und letzte Wagenteil besitzen an ihrem äußeren Ende eine
                              									Achse, während sie sich mit dem inneren Ende gelenkig auf den mittleren Wagenteil
                              									stützen. Der Wagenzug ist 24200 mm lang bei gleichem Fassungsvermögen und gleichem
                              									Gewicht wie der vorgenannte Wagenzug. Der Antrieb erfolgt durch 4 Motoren von je 38
                              									kW bei 850 Umdr./min. Bei beiden Bauarten besitzt der mittlere Wagenteil eine große
                              									Doppeltür, die als Ausgang und Eingang dient. An den beiden Zugenden ist ein mit
                              									einer Schiebetür versehener Zugang vorgesehen.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 344, S. 197
                              Abb. 11.Durchgangs-Gelenkwagen Zug.
                              
                           
                           Der betriebliche Vorteil des Gelenkwagenzuges liegt in der Schaffung einer
                              									festen Zugeinheit von mäßiger Länge, aber großem Fassungsraum, die infolge des
                              									Antriebes meist aller Achsen schnell anfahren kann, die durch nur einen Schaffner
                              									bedient wird, und die bei Ausrüstung mit einem Führerstand an jedem Wagenende auch
                              									ohne Schleifengleise schnell wenden kann. Nach Berichten aus Amerika, wo man mit
                              									Gelenkwagenzügen größere Erfahrung besitzt, sind auch im Stromverbrauch nicht
                              									unerhebliche Ersparnisse möglich, z.B. verbraucht nach Berichten aus Montreal der
                              									Gelenkwagenzug etwa 30 v. H. weniger Strom als der normale Triebwagenzug gleichen
                              									Fassungsvermögens.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 344, S. 198
                              Abb. 12.Innenansicht zu dem Zug Abb. 11.
                              
                           In Detroit wurde auch ein Dreiwagen-Gelenkzug erprobt, bei dem an beiden Gelenken ein
                              									für den Mittel- und den Außenteil gemeinsames Drehgestell sowie an den Enden der
                              									Außenteile noch je ein Einzeldrehgestell vorgesehen ist. Dieser Wagen hat bei einer
                              									Länge von 37400 mm ein Fassungsvermögen von 140 Personen. Er wird durch vier Motoren
                              									von je 60 PS angetrieben und wiegt 37400 kg.
                           In diesem Zusammenhange sind auch die beiden Doppeldeckwagen erwähnenswert, die 1927
                              									in London in Betrieb gestellt wurden. Wie weit sich diese Wagen in Zukunft
                              									durchsetzen werden, wird abzuwarten sein. Größere Aussicht auf Einführung hat
                              									anscheinend der Durchgangsgelenkwagenzug, den auch die Berliner Straßenbahn
                              									einzuführen beabsichtigt. In der Hauptsache hat man sich vorerst, und zwar mit
                              									Erfolg, bemüht, die Wagen der überlieferten Bauart zu verbessern. Wie auch im
                              									Eisenbahn-Waggonbau hat man das Holzgerippe des Wagenkastens durch ein Stahlgerippe
                              									ersetzt. In Amerika wird in erheblichem Maße Leichtmetall verwendet, um das tote
                              									Wagengewicht herabzusetzen, z.B. wurde bei einem Leichtmetallwagen in Cleveland eine
                              									Gewichtsherabsetzung gegenüber der Eisenbauart von 19643 auf 13707 kg, d.h. von rund
                              									30 v. H. erzielt. In Deutschland hat man Leichtmetallgerippe bisher nur vereinzelt
                              									ausgeführt. Beispielsweise erstellte die Waggonfabrik Christoph & Unmack für die
                              									Berliner Straßenbahn Beiwagen mit Kastengerippe aus Lautal und Silumin.
                           Besondere Aufmerksamkeit hat man der Ausbildung des Laufwerkes geschenkt. Während
                              									früher vielfach Drehgestelle benutzt wurden, verwendet man neuerdings soweit irgend
                              									möglich zweiachsige Untergestelle mit festen Achsen, die den Vorteil geringeren
                              									Gewichtes sowie infolge der geringeren Räderzahl auch verminderter
                              									Unterhaltungsarbeiten aufweisen. Bei der Berliner Straßenbahn, bei der die Gleise
                              									verhältnismäßig nah beieinander liegen und viele Krümmungen kleinen Halbmessers
                              									aufweisen, befinden sich in größerer Anzahl zweiachsige Wagen von 10400 mm Länge und
                              									2800 mm Radstand in Betrieb, die bei 64 Sitz- und Stehplätzen ein Gewicht von nur
                              									11200 kg besitzen. Die Breite des Wagenkastens beträgt 2200 mm, jedoch sind die
                              									Plattformen, die hier, wie neuerdings durchweg, geschlossen ausgeführt wird, wegen
                              									des Kurvenlaufes auf 1668 mm verjüngt.
                           Im Rahmen des vorliegenden Aufsatzes war es natürlich nicht möglich, die lebhaften
                              									Fortschritte, die auf dem Gebiet des elektrischen Straßenbahnwesens in den letzten
                              									Jahren zu verzeichnen sind, erschöpfend zu behandeln. Die wenigen Beispiele, die
                              									hinsichtlich der neuesten Entwicklung gegeben werden konnten, lassen aber erkennen,
                              									daß zur Zeit in den verschiedensten Zweigen des elektrischen Straßenbahnwesens
                              									wichtige Neuerungen erprobt werden.